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Pflichti III: Und nochmals rückwirkende Bestellung, oder: Einmal richtig, zweimal falsch

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Und dann – wie gewohnt – zum Schluss noch etwas zum „Dauerbrenner“ Zulässigkeit  der rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers. Die Porblematik ist nicht erledigt.

Ich habe dann zunächst den positiven und richtigen AG Koblenz, Beschl. v. 10.07.2023 – 30 Gs 5496/23. Das macht es so, wie die m.e. inzwischen wohl überwiegende Meinung: Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung ist danach dann zulässig, wenn der Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Vor-aussetzungen des § 140 StPO vorliegen und die Entscheidung über die Beiordnung nicht unverzüglich erfolgte, sondern wegen justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte.

Also die Entscheidung bitte merken 🙂 .

Vergessen sollte man hingegen den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 21.07.2023 – 5a Ws 1/21 – und den LG Berlin, Beschl. v. 20.06.2023 – 534 Qs 97/23. Beide lehnen die Möglichkeit einer rückwirkenden Bestellung ab. Die Argumente sind bekannt.

Nun, m.E. sind sie falsch. Vor allem auch, weil diese Rechtsprechung des zögerliche Handeln von StA und/oder Gerichten nachträglich „absegnet“. Der Sachverhalt zu OLG Frankfurt am Main ist ein „schönes“ Beispiel. Die „Erinnerung“ des Kollegen stammte aus Juni 2021. Allerdings sollte man dann nicht mehr lange warten und immer wieder erinnern. Vielleicht hilft es ja 🙂 . Obwohl ich beim OLG Frankfurt am Main wenig Hoffnung habe.

Dem LG berlin empfehle ich, vielleicht in dem Textbaustein doch mal die Rechtsprechung auszutauschen. Wenn man nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2019 noch mit Rechtsprechung aus 1989 argumentiert, macht sich das m.E. nicht so gut. Zumal es ja auch genügend Entscheidungen gibt, die die falsche Auffassung stützen könnten.

Pflichti III: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Der „Kampf“ geht weiter

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Und im dritten Posting dann, wie könnte es sein, noch zwei Entscheidungen zur Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, dem Dauerbrenner im (neuen) Recht der Pflichtverteidigung.

Hier dann der mal wieder sehr schön begründete LG Gießen, Beschl. v. 26.06.2023 – 1 Qs 12/23, den ich mal wieder voll einstelle, weil er die Argumente für die Zulässigkeit noch einmal sehr schön zusammenstellt:

„Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 142 Abs. 7 StPO), sofortige Beschwerde ist begründet.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die sofortige Beschwerde lag zwar kein Fall der notwendigen Verteidigung (§ 68 JGG i.V.m. § 140 StPO) mehr vor, weil das Verfahren gegen den Beschuldigten zwischenzeitlich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Über einen Antrag auf Beiordnung ist jedoch gemäß § 141 Abs. 1 StPO (i.V.m. § 2 Abs. 2 JGG) unverzüglich, d.h. so bald wie möglich ohne schuldhaftes Zögern, also ohne sachlich nicht begründete Verzögerung zu entscheiden (vgl. Meyer-Goßner/Sch-mitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 141 Rn. 7; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, JGG, 11. Auflage 2021, § 68a Rn. 3). Gemäß § 142 Abs. 1 StPO legt die Staatsanwaltschaft den Antrag eines Beschuldigten unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor.

Insofern ist innerhalb der Rechtsprechung jedoch umstritten, ob eine Bestellung auch noch rückwirkend etwa nach Ende des Verfahrens erfolgen kann, wenn trotz rechtzeitiger Antragstellung durch justizinterne Vorgänge eine solche unterblieben ist (vgl. u.a. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O. § 142 Rn. 19; MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, StPO § 142 Rn. 14; BeckOK StPO/Krawczyk, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 142 Rn. 30; Eisenberg/Kölbel, a.a.O. § 68a Rn. 15). Das praktische Interesse der Beschuldigten liegt in diesen Fällen vielfach darin, dass mit der nachträglichen Bestellung, d.h. mit dem rückwirkenden Übergang von der Wahl- zur Pflichtverteidigung, eine Befreiung von den Verteidigerkosten einhergehen kann. Insofern wird — zumindest in Jugendstrafverfahren im Hinblick auf den Grundgedanken des § 2 Abs. 1 JGG und dem folgend der Kostenbefreiung sowie dem Anliegen, erhebliche finanzielle Belastungen wegen ihrer spezialpräventiv abträglichen Implikationen zu vermeiden — vielfach vertreten, eine Bestellung sei auch noch rückwirkend nach Abschluss des vorzunehmen (vgl. Eisenberg/Kölbel, a.a.O. § 68a Rn. 15; LG Neubrandenburg, BeckRS 2016, 20411; BeckOK StPO/Krawczyk. a.a.O. § 142 Rn. 30; LG Bonn, BeckRS 2010, 6327; AG Kempten, BeckRS 2019, 23506). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren vom 09.12.2019 eine Stärkung des Rechts beschuldigter Personen auf Verteidigung im Strafverfahren zur Folge hat.

Von der obergerichtlichen Rechtsprechung wurde eine rückwirkende Bestellung nach Verfahrensabschluss bislang überwiegend abgelehnt, da eine Beiordnung weder dem Kosteninteresse des Verteidigers noch des Beschuldigten dienen solle, sondern lediglich dem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O. § 142 Rn. 19; MüKoStPO/Kämpfer/Travers, a.a.O. § 142 Rn. 14; BeckOK StPO/Krawczyk, a.a.O. § 142 Rn. 30; OLG Brandenburg, NStZ 2020, 625; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. März 2022 —1 Ws 28/22 (S) juris; BGH, NStZ-RR 2009, 348; OLG Bremen, NStZ 2021, 253).

Die Kammer folgt jedoch der Auffassung, dass es ausnahmsweise möglich und geboten ist, rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung einen Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO bzw. § 68 JGG) vorliegen, der Beiordnungsantrag noch vor (rechtskräftigem) Abschluss des Verfahrens gestellt wurde und der Antrag vor Verfahrensabschluss aus justizinternen Gründen nicht verbeschieden wurde (vgl. u.a. OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. Dezember 2022 — 4 Ws 529/22 —, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 29. April 2021 —1 Ws 260/21 —, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2020 — Ws 962/20 juris; LG Düsseldorf, BeckRS 2021, 36883; LG Köln NStZ 2021, 639; LG Wuppertal BeckRS 2021, 32474; LG Bremen, Beschluss vom 17. August 2020 — 3 Qs 221/20 juris; LG Hechingen, BeckRS 2020, 14359; LG Magdeburg, BeckRS 2020, 2477; LG Saarbrücken, Beschluss vom 26.02.2004 — 4 Qs 10/04 1, juris Ls.; a.A. u.a.: OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Februar 2023 — 7 Ws 30/23 —, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 24. Oktober 2012 —111-3 Ws 215/12 —, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 16. September 2020 — 2 Ws 112/20 —, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2021 — 1 Ws 12/21 —, juris; KG Berlin, Beschluss vom 5. November 2020 — 5 Ws 217/19 —, juris). Andernfalls besteht die Gefahr, dass eine an sich gebotene Pflichtverteidigerbestellung wegen verzögerter Sachbearbeitung vermieden wird und eine effektive Verteidigung wegen der ungeklärten Kostenfrage unterbleibt (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, a.a.O. § 142 Rn. 30 m.w.N.).

Die Voraussetzungen des Ausnahmefalls sind vorliegend erfüllt. Der Antrag auf Beiordnung wurde auf die Übersendung einer schriftlichen Anhörung an den Beschuldigten bereits am 21.06.2022 gestellt. Die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung nach § 68 JGG lagen vor. Im Falle der Anwendung von Jugendstrafrecht hätte im Falle einer Verurteilung im Hinblick auf die Einbeziehung der früheren Verurteilung durch das Landgericht die Bildung einer Einheitsjugendstrafe (§ 31 Abs. 2 JGG) gedroht, sodass ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 68 Nr. 5 JGG vorgelegen hätte (vgl. BeckOK JGG/Noak, 29. Ed. 1.5.2023, JGG § 68 Rn. 27 m.w.N.). Insoweit kann es auch bereits dahinstehen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO (i.V.m. § 68 Nr. 1 JGG) begründet war (vgl. Meyer-Goß-ner/Schmitt, a.a.O., § 140 Rn. 23c), weil der Beschuldigte für den Fall einer neuerlichen Verurteilung — soweit es nicht zu einer Einbeziehung gekommen wäre — mit dem Widerruf der Bewährung aus dem Urteil des Landgerichts Gießen (1 KLs 605 Js 3922/21) — Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren auf Bewährung — hätte rechnen müssen. Schließlich ist die Entscheidung allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieben, auf die der Beschuldigte keinen Einfluss hatte.

Eine Entscheidung über den Antrag auf Beiordnung vom 21.06.2021 hätte zeitnah nach dessen Eingang ergehen müssen. Gemäß § 141 Abs. 1 StPO wird in den Fällen der notwendigen Verteidigung dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Der Anhörungs-bogen wurde dem Beschuldigten mit Datum vom 10.06.2022 übersandt. Eine Entscheidung über den Antrag ist aufgrund justizinterner Vorgänge bis zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO am 13.12.2022 unterblieben. Das Schreiben des Verteidigers ging zunächst am 21.06.2022 beim Polizeipräsidium Mittelhessen eingegangen. Das Verfahren wurde mit Abverfügung vom 18.08.2022 an die Staatsanwaltschaft Gießen abgegeben und ging dort am 23.08.2022 ein. Erst mit Verfügung vom 28.02.2023 wurde die Sache — nach zwischenzeitlicher Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO und Erinnerung des Verteidigers an seinen Antrag — an das Amtsgericht Gießen mit dem Antrag, den Verteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen abgegeben. Von einer zeitnahen Entscheidung kann daher nicht mehr die Rede sein.“

Und aus den zutreffenden Argumenten des LG Gießen ist die Auffassung des LG Frankfaurt am Main, das im LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 12.06.2023 – 5/27 Qs 22/23 – eine rückwirkende Bestellung abgelehnt hat, falsch. Wir schenken uns daher Näheres zu dem Beschluss.

Pflichti II: Pflichtverteidiger im Bußgeldverfahren, oder: Rückwirkende Bestellung bei Haft des Betroffenen

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Die nächste Entscheidung, die ich vorstelle, ist der LG Kaiserslautern, Beschl. v. 17.03.2023 – 5 Qs 9/23. Die hätte heute Morgen auch zu den Beiordnungsgründen gepasst, aber ich will sie als „Solitär“ vorstellen, da es um eine rückwirkende Bestellung im Bußgeldverfahren geht.

Das AG hatte die Bestellung abgelehnt, die Beschwerde hat dann beim LG Erfolg:

„b) Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschriften über die notwendige Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) über § 46 Abs. 1 OWiG auch im gerichtlichen Verfahren Bußgeldverfahren anwendbar sind. Für das behördliche Verfahren trifft § 60 OWiG eine abweichende Regelung, doch war dieses vorliegend bereits abgeschlossen und das Amtsgericht mit dem Verfahren betraut. Die Tatbestände des § 140 Abs. 1 StPO sind hier somit anzuwenden (vgl. KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl., § 60 Rn. 26; Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Aufl., § 46 Rn. 40).

Bei Antragsstellung lag ein Fall notwendiger Verteidigung gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor. Auch wenn – wie im vorliegenden Fall – Haft in einer anderen Sache vollstreckt wird, liegt nach zutreffender Ansicht ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.v. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22.04.2010 – 3 Ws 351/10, NStZ-RR 2011, 19; LG Mainz, Beschluss vom 11.10.2022 – 1 Qs 39/22, BeckRS 2022, 27767; LG Köln, Beschluss vom 28.12.2010 – 105 Qs 342/10, BeckRS 2011, 25712; BeckOK StPO/Krawczyk, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 140 Rn. 12; a.A.: LG Dresden, Beschluss vom 23.05.2018 – 14 Qs 16/18, BeckRS 2018, 13746; LG Osnabrück, Beschluss vom 06.06.2016 – 18 Qs 526 Js 9422/16 (17/16), BeckRS 2016, 13008). Weder § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO noch Art. 4 Abs. 4 der EU-Richtlinie 2016/1919 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, auf der die Neuregelung der StPO-Normen zu dem Pflichtverteidiger basieren, differenziert danach, in welchem Verfahren die Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, sondern bejaht die notwendige Verteidigung bei jeder Inhaftierung. Die Regelung des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO bezweckt es, solche Nachteile zu kompensieren, die der Beschuldigte aufgrund eingeschränkter Freiheit und der damit einhergehenden eingeschränkten Möglichkeit, seine Verteidigung vorzubereiten, erleidet (MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl., § 140 Rn. 19). Derartige Nachteile entstehen bei jeder Inhaftierung.

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist möglich. Der Antrag auf die Beiordnung des Verteidigers wurde bereits am 30.08.2022, vor Einstellung des Verfahrens am 02.01.2023, gestellt. Während bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung am 10.12.2019 eine Beiordnung zum Pflichtverteidiger nach Verfahrensabschluss bzw. Einstellung des Verfahrens teilweise noch abgelehnt wurde, ist dieser Auffassung nach der Reform der §§ 141, 142 StPO nicht mehr zu folgen (OLG Nürnberg Beschluss vom 06.11.2020 – Ws 962/20, Ws 963/20, BeckRS 2020, 35193; BeckOK StPO/Krawczyk, 46. Ed. 1.1.2023, § 142 Rn. 30; MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl., § 142 Rn. 14; a.A.: OLG Hamburg, Beschluss vom 16.09.2020 – 2 Ws 112/20, BeckRS 2020, 27077; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021 – 1 Ws 12/21, BeckRS 2021, 3268). Jedenfalls dann, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde und die Entscheidung alleine aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der Betroffene keinen Einfluss hatte, führt die zwischenzeitlich erfolgte Einstellung nicht dazu, dass die Verteidigerbeiordnung unzulässig wird (OLG Bamberg Beschluss vom 29.04.2021 – 1 Ws 260/21, BeckRS 2021, 14711; OLG Nürnberg Beschluss vom 06.11.2020 – Ws 962/20, Ws 963/20, BeckRS 2020, 35193). So liegt der Fall hier.

Zum Zeitpunkt der Antragsstellung war der Verfahrensausgang für den Betroffenen noch nicht absehbar, die Bestellung war zur Vorbereitung einer etwaigen Hauptverhandlung erforderlich (KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl., § 60 Rn. 28).“

Pflichti III: Rechtsmittel im Vollstreckungsverfahren?, oder: Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung

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Und dann zum Schluss des Tages noch den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.04.2023 – 2 Ws 91/23 – zur Frage Anfechtbarkeit der Ablehnung der Verteidigerbestellung im Strafvollstreckungsverfahren und zur Frage der rückwirkenden Bestellung:

„Der Verurteilte wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen die Ablehnung seines am 23.1.2023 gestellten Antrags, ihm für das Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckung von Freiheitsstrafen zur Bewährung einen Verteidiger beizuordnen.

Das Rechtsmittel ist unzulässig.

Dabei bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, ob die Entscheidung entsprechend der dahingehend von der Strafvollstreckungskammer erteilten Rechtsmittelbelehrung mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist. Soweit nach § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Verteidigers mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sein sollen, gilt dies allerdings – wie sich § 143 Abs. 1 StPO entnehmen lässt – unmittelbar nur bis zur Einstellung oder bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens, also nur für das strafrechtliche Erkenntnis-, nicht aber das Vollstreckungsverfahren (vgl. BT-Drs. 19/13829 S. 44; BGH NStZ-RR 2022, 357). Mangels anderweitiger gesetzlicher Regelung spricht daher mehr dafür, dass nach der allgemeinen Regelung in § 304 Abs. 1 StPO die einfache Beschwerde eröffnet ist.

Unabhängig davon ist das Rechtsmittel mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Der Senat hält an seiner bereits mehrfach geäußerten (Beschlüsse vom 20.7.2017 – 2 Ws 162/17, juris, vom 3.9.2021 – 2 Ws 245/21 und vom 17.1.2013 – 2 Ws 338/22, jew. n.v.), auch sonst in der obergerichtlichen Rechtsprechung (KG StraFo 2020, 326; OLG Hamburg StraFo 2020, 486; OLG Bremen NStZ 2021, 253; OLG Braunschweig, Beschluss vom 2.3.2021 – 1 Ws 12/21, juris) überwiegend vertretenen Auffassung fest, dass die Bestellung eines Verteidigers allein der Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung in einem noch laufenden Verfahren dient. Soweit mit dem Rechtsmittel das Ziel der Bestellung für das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer verfolgt wird, kann dieser Zweck aber nicht mehr erreicht werden, nachdem das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer, die den Beiordnungsantrag unverzüglich beschieden hat, mit der Entscheidung in der Hauptsache durch Beschluss vom 24.2.2023 abgeschlossen wurde. Soweit dem entgegengehalten wird, dass mit der Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung durch das Gesetz vom 10.12.2019 (BGBl. I 2019, 2128) im Umsetzung der Richtlinie 2016/1919/EU (ABl. L 297/1) auch die Bezahlung des Rechtsbeistands gesichert werden soll (OLG Nürnberg StraFo 2021, 71; OLG Bamberg NStZ-RR 2021, 315), verfängt dies vorliegend schon deshalb nicht, weil der Regelungsbereich des Gesetzes wie der zugrundeliegenden EU-Richtlinie – wie vorstehend aufgezeigt – außer im Bereich der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls auf das Erkenntnisverfahren beschränkt ist.“

Pflichti II: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Viermal topp, zweimal hopp

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Im zweiten Posting dann der Dauerbrenner im Recht der Pflichtverteidigung, nämlich die Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers nach Erledigung des Verfahrens. Wie immer zwei Gruppen, „gute“ und „schlechte“ Entscheidungen:

Zunächst hier die „guten“ Entscheidungen, und zwar.

1. Eine nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers kann ausnahmsweise zulässig sein, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat. Insofern sieht das geltende Recht zur effektiven Ausgestaltung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand vor, dass ein Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vorzulegen ist. Um eine Untergrabung dieses Rechts zu verhindern, kann dem Beschuldigten bei Missachtung dieser Abläufe – der ansonsten richtige – Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht entgegengehalten werden, wenn das konkrete Verteidigungsbedürfnis nach dieser angemessenen Entscheidungszeit wegfällt. Es ist in solchen Fällen dann regelmäßig auf die Begründetheit des Antrags vor Wegfall – etwa durch Verfahrenseinstellung – abzustellen.
2. Eine Pflichtverteidigerbestellung hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen, wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte selbst nicht hinreichend verteidigen kann. Zwar genügt die bloße Betreuerbestellung nicht, um allein deswegen eine Verteidigerbestellung auszusprechen. Die Verteidigungsfähigkeit bemisst sich nach den geistigen Fähigkeiten, dem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Einzelfalles. Eine Beiordnung ist indes bereits regelmäßig angezeigt, wenn an der Verteidigungsfähigkeit des Beschuldigten erhebliche Zweifel bestehen.

Rückwirkende Pflichtverteidigerbestellungen sind im Falle rechtzeitig gestellter Beiordnungsanträge auch noch nach Erledigung des Verfahrens – schon zur Verwirklichung des Rechts auf ein faires Verfahren – geboten.

Zur (bejahten) Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers.

Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung ist dann angebracht, wenn der Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde. die Voraussetzungen des § 140 StPO vorliegen und die Entscheidung über die Beiordnung nicht unverzüglich erfolgte, sondern wegen justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte.

Und dann hier die „schlechten“ Entscheidungen, nämlich:

Die rückwirkende Bestellung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ist nicht zulässig.