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Strafe II: Abgabe von BtM an eine Jugendliche, oder: Entkräftung der Bedeutung eine Regelbeispiel

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Im zweiten Posting habe ich dann etwas vom OLG Hamm. Es geht um eine Verurteilung nach dem KCanG, die Entscheidung hat aber mit den „Neuerungen“ nichts zu tun.

Der Angeklagte war vom AG mit dem AG Schwerte, Urt. v. 23.08.2024 – 5 Ds 200 Js 2341/23 (66/24) – wegen Abgabe von BtM an Minderjährige (§ 34 KCanG) zu eine Geldstrafe von 110 Tagessätzen verurteilt worden. Zur Strafzumessung hatte das AG ausgeführt:

„Der Strafrahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 3 Nr. 3a KCanG sieht Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor.

Im Rahmen der Strafzumessung war zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass dieser sich vollumfänglich geständig eingelassen hat und bislang ausweislich des Bundeszentralregisterauszuges strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war.

Strafschärfend wirkte sich aus, der Angeklagte die hilflose Lage der Zeugin, die aufgrund des zuvor erlebten Unfalls sehr aufgeregt war, ausgenutzt hat und mit ihr gemeinsam das Cannabis konsumiert hat.

Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat das Gericht zur Verteidigung der Rechtsordnung und zur Einwirkung auf den Angeklagten tat- und schuldangemessen unter Anwendung des § 47 Abs. 2 StGB auf eine Geldstrafe von 110 Tagessätzen erkannt. Die Tagessatzhöhe von 15,00 Euro entspricht den Einkommensverhältnissen des Angeklagten. Diese Geldstrafe ist ausreichend, aber auch erforderlich, um dem Angeklagten das Unrecht seines Handelns vor Augen zu führen.“

Dagegen dann die Revision. die beim OLG Hamm Erfolg hat. Dazu der OLG Hamm, Beschl. v. 13.02.2025 – III-2 ORs 65/24 :

„2. Das angefochtene Urteil weist jedoch auf die Sachrüge hin durchgreifende Rechtsfehler im Rechtsfolgenausspruch zu Lasten des Angeklagten auf, auf denen es beruht.

Die Strafzumessung unterliegt nur in begrenztem Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung. Es ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von den Taten und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts in sich fehlerhaft sind, insbesondere gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen, wenn das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist oder sich die Strafe soweit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des Spielraums liegt, der dem Tatgericht bei der Strafzumessung eingeräumt ist (zu vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.02.2015 -111-5 RVs 76/14 – , juris).

Das Amtsgericht hat der Strafzumessung den erhöhten Strafrahmen des besonders schweren Falles § 34 Abs. 3 Nr. 3 a KCanG zugrunde gelegt, dabei jedoch nicht geprüft, ob eine Ausnahme von der Regelwirkung vorliegt, so dass von dem Nornnalstrafrahmen auszugehen gewesen wäre. Die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels wird entkräftet, wenn die Tat in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt derart vom Normalfall des Regelbeispiels abweicht, dass die Bewertung der Tat als besonders schwerer Fall und die Anwendung des modifizierten Strafrahmens als unangemessen erscheint (vgl. Patzak/Fabricius, a.a.O. § 29 BtMG Rz 1536; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 46 Rz 91). Dies ist der Fall, wenn die dem Angeklagten günstigen Strafzumessungsfaktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der gebotenen Gesamtabwägung die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften.

Zu einer derartigen Prüfung bestand vorliegend anhand der überwiegend strafmildernden Faktoren Anlass.

Auch die konkrete Strafzumessung weist Rechtsfehler auf. So hat das Amtsgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, er habe die hilflose Lage der Zeugin ausgenutzt, ohne dass dies durch hinreichende Feststellungen belegt ist. Allein eine unfallbedingte Erregung ist keine hilflose Lage; auch bezüglich eines „Ausnutzens“ sind im Urteil keine Umstände dargelegt worden, die dies belegen.“

 

Strafzumessung I: 3 x etwas vom BGH und 1 x vom KG, oder: Einsatzstrafe, unbestraft, Regelbeispiel, doppelt

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Ich habe länger keine Entscheidungen mehr zur Strafe und zur Strafzumessung vorgestellt. Das hole ich heute dann nach.

Zunächst hier einiges vom BGH und eine KG-Entscheidung, die ich schon in anderen Zusammenhängen vorgestellt habe (vgl. Pflichti III: Pflichtverteidigerwechsel in der Revision, oder: Achtung! Da gibt es eine Frist…. und: StPO III: „Handschriftliches Gebilde“ als Unterschrift, oder: Was dem KG so alles als Unterschrift reicht), und zwar:

Eine deutliche Erhöhung der Einsatzstrafe bedarf indes besonderer Begründung, wenn sich diese nicht aus den fehlerfrei getroffenen Feststellungen von selbst ergibt.

Die Unbestraftheit des Angeklagten ist ein gewichtiger Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), dessen Berücksichtigung bei der Strafzumessung es regelmäßig bedarf.

Hat das Tatgericht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafbemessung im engeren Sinne „die Tatausführung selbst“ zum Nachteil des Angeklagten gewertet, „da er ohne erkennbaren Anlass für den Geschädigten, mit dem er kurz zuvor noch freundschaftlich miteinander getrunken hatte, ohne erkennbares Motiv zugestochen hat“. lässt das besorgen, dass das Tatgericht dem Angeklagten entgegen § 46 Abs. 3 StGB die Tatbegehung als solche angelastet hat.

Eine vollständig unterbliebene Erörterung des denkbaren Abweichens von der Regelwirkung nach § 177 Abs. 6 Satz 2 StGB lässt besorgen, dass das Tatgericht die Ausgestaltung der Norm als Regelbeispiel verkannt hat.

StGB II: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Beisichführen eines Taschenmessers

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom OLG Bremen. Das hat im OLG Bremen, Urt. v. 31.03.2021 – 1 Ss 50/20 – zum Beisichführen eines Taschenmessers bei einer Widerstandshandlung (§ 113 StGB) Stellung genommen.

Das LG hatte festgestellt:

„….Während der Tat führte der Angeklagte bewusst und gebrauchsbereit ein einseitig geschliffenes eingeklapptes Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 8,5 cm in seiner Hosentasche mit sich…..“

Das OLG hat das Vorliegen des Regelbeispiels des § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB bejaht, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Das bewusste und gebrauchsbereite Beisichführen eines eingeklappten Taschenmessers mit einer Klingenlänge von 8,5 cm als gefährliches Werkzeug erfüllt die Voraussetzungen des Regelbeispiels nach § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB. Eine Verwendungsabsicht wird – mit Wirkung für Taten nach dem 29. Mai 2017 – nicht mehr vorausgesetzt.

  2. Die Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung des Tatgerichts zum Bewusstsein des Beisichführens eines Taschenmessers als gefährliches Werkzeug während der Widerstandshandlung im Rahmen des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB ist nicht im Rahmen der revisionsgerichtlichen Überprüfung als lückenhaft anzusehen, wenn das Tatgericht sich hierzu darauf stützt, dass der Angeklagte eingeräumt hat, das Taschenmesser bei sich geführt zu haben, um es im konkreten Moment der Tat zu bestimmten (anderweitigen) Zwecken zu verwenden.

  3. Erfolgt die Widerstandshandlung in einem Raum, der für den Angeklagten den Schutz nach Art. 13 GG genießt, kann dies – auch wenn dies die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung unberührt lässt – zu berücksichtigen sein im Rahmen der Strafzumessung und bei der Prüfung, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels nach § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB in Form des bloßen Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs widerlegt ist.

Rechtsmittel III: Umfang der Berufungsbeschränkung, oder: Feststellungen zum Regelbeispiel?

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Die dritte und letzte Entscheidung, der OLG Celle, Beschl. v. 17.05.2019 – 2 Ss 59/19, ist schon etwas älter. Er „passt“ aber heute ganz gut, da er auf die Frage der Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung zum Gegenstand hat.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Das LG hat die dagegen gerichtete – beschränkte – Berufung verworfen.

Das LG hat in seinem Urteil die vom AG getroffenen Feststellungen zugrunde gelegt. Es hat  weiter festgestellt, der Angeklagte habe beabsichtigt, aus der wiederholten Begehung vergleichbarer Taten eine nicht nur kurzfristige Einkommensquelle von einigem Gewicht zu schaffen. Rechtlich hat das Landgericht die Taten als gewerbsmäßigen Betrug gem. §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB, 53 StGB gewertet. Bei der Strafzumessung hat das LG den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 1 StGB zur Anwendung gebracht und auf dieselben Einzelstrafen und dieselbe Gesamtfreiheitsstrafe erkannt wie bereits das Amtsgericht.

Die Revision des Angeklagten hatte zum Strafausspruch Erfolg:

„2. Das Urteil konnte allerdings im Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben. Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraumes liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen, in Zweifelsfällen muss die Strafzumessung des Tatrichters hingenommen werden (vgl. BGHSt 34, 345; 29, 319; StraFo 2006, 383). Dies setzt allerdings voraus, dass der Tatrichter seiner Strafzumessung den richtigen Strafrahmen zugrunde gelegt hat und das Revisionsgericht bei mehreren zur Verfügung stehenden Strafrahmen die vorgenommene Auswahl des letztlich zugrunde gelegten Strafrahmens nachvollziehen und auf mögliche Rechtsfehler hin überprüfen kann (vgl. BGH Urteil vom 06.09.1989 – 2 StR 353/89 -; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.05.1992 – 1 Ss 85/92 -; BGH NJW 1978, 174; wistra 1982, 225; Senat, Beschluss vom 31.08.2016 – 2 Ss 93/16 -).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat bei seiner Strafzumessung den für besonders schwere Fälle des Betruges vorgesehenen Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 1 StGB zugrunde gelegt, ohne ausreichende Feststellungen zu der Frage der angenommenen Gewerbsmäßigkeit (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB) getroffen zu haben.

Von eigenen Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung war die Strafkammer trotz der wirksamen Beschränkung der Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Celle vom 06.09.2018 nicht befreit. Bei § 263 Abs. 3 StGB handelt es sich um keinen selbständigen Straftatbestand, sondern um eine gesetzliche Strafzumessungsregel. Ist die Gewerbsmäßigkeit der Tat wie nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB als Regelbeispiel für einen Straferschwerungsgrund ausgestaltet, so ist sie allein für die Strafzumessung relevant. Bei den tatrichterlichen Feststellungen zum gewerbsmäßigen Vorgehen handelt es sich in der Regel nicht um doppelrelevante Tatsachen, die sowohl den Schuld- als auch den Strafausspruch berühren. Im Falle einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch entfalten daher die erstinstanzlichen Feststellungen zum gewerbsmäßigen Handeln in der Regel keine Bindungswirkung für das Berufungsgericht, so dass dieses insoweit eigene Feststellungen zu treffen hat (vgl. BGH Beschluss vom 20.06.2017 – 1 StR 458/16 -; OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2018 – III 4 RVS 84/18 – KG Berlin Beschluss vom 11.12.2017- (5) 161 Ss 161/17 (77/17) -.

So liegt der Fall hier, denn Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend die die gewerbsmäßige Begehung begründenden Umstände nicht hinzu oder hinweg gedacht werden könnten, ohne dass der für den Schuldspruch tragende Geschehensablauf hiervon berührt würde, liegen nicht vor.

Das Landgericht hätte hiernach bei seiner Rechtsfolgenentscheidung eigene tatsächliche Feststellungen treffen müssen, die geeignet sind, die Bewertung der Taten als gewerbsmäßige Begehungsweise zu tragen. Dieser Mangel führt zur Aufhebung des Urteiles im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang.“

Statt Führerschein „Ade!“ nur drei Monate Fahrverbot

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Wir hatten vor einiger Zeit über Entscheidungen des AG Leer und eine des AG Gmünden berichtet, die beide bei einer Verurteilung nach § 316 StGB bzw. nach § 315c StGB von der an sich fälligen (Regel)Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen haben.

In die Reihe „passt“ dann auch das schon etwas ältere AG Düsseldorf, Urt. v. 20.07.2011 – 125 Cs 51 Js 128/11-99/11, auf das ich erst jetzt gestoßen bin. Auch in ihm ist das AG – sicherlich ein wenig überraschend – von der Regelentziehung des § 69 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StGB abgewichen und hat nur ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt.

Leitsatz der Entscheidung:

„Von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB kann auch bei Vorliegen eines Regelfalls abgesehen werden, wenn sich zum Zeitpunkt der Entscheidung sich der Führerschein bereits länger sich in amtlicher Verwahrung befindet (hier 6 ½ Monate), lediglich relative Fahruntüchtigkeit mit einem BAK Wert von 0,59 ‰ vorliegt und die Angeklagte ein entsprechendes Seminar für im Verkehr durch Alkohol aufgefallene Verkehrsteilnehmer besucht hat. In Betracht kommt dann jedoch die Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 44 StGB .“

Da auf das Fahrverbot die Zeit der vorläufigen Entziehung angerechnet wird (§ 51 Abs. 5 StGB) bleibt in diesen Fällen meist nichts mehr zu vollstrecken. Wegen des „überschießenden Teils“ besteht an sich grds. ein Anspruch nach dem StrEG, – so auch hier. Auf den wird dann aber ebenso häufig auch verzichtet.