StPO III: „Handschriftliches Gebilde“ als Unterschrift, oder: Was dem KG so alles als Unterschrift reicht

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Und im letzten Posting des Tages komme ich dann noch einmal auf den KG, Beschl. v. 01.09.2023 – 3 ORs 52/23 — 161 Ss 130/22 – zurück, den ich bereits einmal hier bei Pflichti III: Pflichtverteidigerwechsel in der Revision, oder: Achtung! Da gibt es eine Frist…. vorgestellt habe.

Heute geht es um die vom KG ebenfalls behandelt Problematik der Qualität der richterlichen Unterschrift. Der Verteidiger hat die beanstandet und eine Verletzung des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO gerügt. Insoweit ohne Erfolg:

„2. Die Rüge der Verletzung des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO, das Urteil sei durch die Richterin nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden, bleibt erfolglos.

Entgegen der Rechtsauffassung des Angeklagten genügt der vorliegende Schriftzug den gesetzlichen und insbesondere den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die ordnungsgemäße Unterschrift eines Richters unter die Urteilsgründe.

Nach § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO hat die erkennende Richterin das von ihr verfasste schriftliche. Urteil zu unterschreiben. Weitere Anforderungen an das Schriftbild der Unterschrift sieht das Gesetz nicht vor. Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich demnach aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift. Mit der Unterschrift beurkundet der Berufsrichter die Übereinstimmung der Urteilsgründe mit dem Beratungsergebnis (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 275 Rn. 19). Entsprechend diesem Normzweck kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unterschrift auch die Urheberschaft zu entnehmen ist. Auch wenn die Unterschrift, die aus dem Familiennamen des Unterzeichnenden zu bestehen hat, nicht lesbar sein muss, so muss sie ihren Urheber erkennen lassen. Steht die Urheberschaft – wie, hier – außer Frage, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Akzeptanz einer unleserlichen Unterschrift ein großzügiger Maßstab anzuwenden und zwar auch, wegen der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2012 – VII ZB 36/10 – m. w. N., BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 – IX ZR 24/97 – m. w. N.; beide juris und bezogen auf die Anforderungen an die Unterschrift eines Rechtsanwalts bei Einlegung einer Berufung). So ist es ausreichend, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschlüsse vom 2. Februar 2022 – 3, Ws (B) 10/22 – und 4: Januar 2021 3 Ws (B) 322/20 – jeweils m. w. N.; siehe auch Beschlüsse vom 23. März 2020 – 3 Ws (B) 53/20 -, 2. April 2019 – 3 Ws (B) 81/19 -, 2. Februar 2016 – 3 Ws (B) 60/16 -; 7. März 2014 – (4) 161 Ss 45/14 (58/14) -, jeweils juris m. w. N.; OLG Köln, Beschluss vom 19. Juli 2011 -111-1 RVs 166/11 -, juris). Das setzt zwar voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt (BGH, Beschluss vom 11. Oktobers 1984 – X ZB 11/84 -, juris; Senat a. a. 0.; OLG Köln a. a. 0.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einleitung Rn. 129 bezogen auf die Unterschrift eines Rechtsanwaltes bei bestimmenden Schriftsätzen m. w. N.). Jedoch ist es unschädlich, wenn der Namenszug nur flüchtig niedergelegt‘ und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist (BGH, Beschluss vom 26. April 2012, a.a.O.; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 3 Ws (B) 27/15 -). Die Grenze individueller Charakteristik ist demgegenüber bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahezu gerader) Linien überschritten (Senat, Beschlüsse vom 2. Februar 2022 – 3 Ws (B) 10/22 – und 4. Januar 2021 – 3 Ws (B) 322/20 -jeweils m. w. N.; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. Mai 2003 – 1 ObOWi 177/03 -, juris).

Unter Zugrundelegung dieses von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten  großzügigen Maßstabes sind die Voraussetzungen einer wirksamen Unterzeichnung hier (noch) gegeben.

Das handschriftliche Gebilde, mit dem die erkennende Richterin das Urteil unterschrieben hat, steht für ihren Namen. Die Unterschriftsleistung trägt individuelle Züge und zeigt charakteristische Merkmale auf, die es jemandem, der den Namen der Unterzeichnenden und deren Unterschrift kennt, ermöglicht, ihren Namen aus dem Schriftbild herauszulesen. Aus dem gegen den Uhrzeigersinn ersichtlich schwungvoll ausgeführten Bogen lässt sich die „obere• Hälfte“ und damit eine verkümmerte Version des Groß- und Anfangsbuchstabens ihres Namens „S“ herauslesen. Der sich daran nahtlos anschließende nach oben verlaufende und leicht geschwungene Aufstrich soll offenbar für den Rest des Familiennamens stehen, der sich infolge häufiger Verwendung des Namenszuges bereits erheblich abgeschliffen hat. Bei Betrachtung des so entstandenen Gesamtgebildes sind in Ansehung des großzügig angebrachten Bogens – in Kenntnis des Namens der Richterin – zudem die weiterhin in ihrem Familiennamen enthaltenen Buchstaben „c“ und „e“ herauszulesen. Damit enthält der Schriftzug mehrere – wenn auch verkümmerte bzw. erst bei Gesamtbetrachtung des Gebildes herauslesbare – Buchstaben. In Fällen der – wie vorliegend – zweifelsfreien Urheberschaft ist dies ausreichend. Eine andere Deutung lässt sich auch vor dem Hintergrund ausschließen, dass die Nachahmung dieses Gebildes aufgrund seiner individuellen Proportionen und seines charakteristischen Schwunges, der erkennbar ohne Absetzen des Stiftes aufgebracht ist, schwerfallen dürfte und sich auch in Zusammenschau der vorliegenden Umstände keine Hinweise darauf ergeben, dass die Richterin die Urschrift der Urteilsgründe nur mit einem Kürzel für den inneren Betrieb unterzeichnen wollte.

Dies gilt umso mehr, als auch nicht unberücksichtigt gelassen werden darf, dass unter dem handschriftlich aufgebrachten Schriftzug der Name der erkennenden Richterin in Druckbuchstaben eingefügt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1997, a.a.O.; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1991 – XI ZB 6/91 -;jeweils juris, beide für die Unterschrift eines Rechtsanwaltes in bestimmenden Schriftsätzen; Senat, Beschluss vom 2. Februar 2022 – 3 Ws (B) 10/22 -; siehe auch Beschlüsse vom 23. März 2020 – 3 Ws (B) 53/20 -, 2. April 2019 – 3 Ws (B) 81/19 -, 2. Februar 2016 – 3 Ws (B) 60/16 -, jeweils juris).

Soweit die Verteidigung vorträgt, dass hier ein Phantasiezeichen vorliege und sich unter Vorlage eines Schreibschriftalphabets für Schreibanfänger auf die Suche nach (irgendwelchen) Buchstaben zu begeben vorgibt, verliert sie den oben dargelegten und – angesichts der auch von ihr selbst nicht angezweifelten Urheberschaft – vorliegend anzuwendenden Maßstab aus dem Blick. Im Fall der gesicherten Urheberschaft geht es gerade nicht darum, aus einem Schriftzug andere als im Namen der Unterzeichnerin enthaltene Buchstaben oder, Wörter herauszulesen oder das vorliegende. handschriftliche Gebilde ganz oder in Teilen einer anderweitig phantasievollen Deutung zuzuführen, sondern es kommt – wie oben dargestellt -maßgeblich darauf an, ob eine Person in Kenntnis von Namen und Unterschrift des Unterzeichners diesen Namen unter Bestimmung von zumindest einzelnen Buchstaben aus dem von individueller Charakteristik geprägten Schriftzug herauslesen kann und damit eire Zuordnung der Unterschrift zu ihrem Urheber bzw. ihrer Urheberin möglich ist.“

Leider gibt es kein Bild des „handschriftlichen Gebildes“, so dass man die Entscheidung des KG nicht „prüfen“ kann. Mir erscheint sie ein wenig sehr großzügig: „Aus dem gegen den Uhrzeigersinn ersichtlich schwungvoll ausgeführten Bogen lässt sich die „obere• Hälfte“ und damit eine verkümmerte Version des Groß- und Anfangsbuchstabens ihres Namens „S“ herauslesen.“ Ah ha 🙂 .

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