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Strafzumessung I: 3 x etwas vom BGH und 1 x vom KG, oder: Einsatzstrafe, unbestraft, Regelbeispiel, doppelt

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Ich habe länger keine Entscheidungen mehr zur Strafe und zur Strafzumessung vorgestellt. Das hole ich heute dann nach.

Zunächst hier einiges vom BGH und eine KG-Entscheidung, die ich schon in anderen Zusammenhängen vorgestellt habe (vgl. Pflichti III: Pflichtverteidigerwechsel in der Revision, oder: Achtung! Da gibt es eine Frist…. und: StPO III: „Handschriftliches Gebilde“ als Unterschrift, oder: Was dem KG so alles als Unterschrift reicht), und zwar:

Eine deutliche Erhöhung der Einsatzstrafe bedarf indes besonderer Begründung, wenn sich diese nicht aus den fehlerfrei getroffenen Feststellungen von selbst ergibt.

Die Unbestraftheit des Angeklagten ist ein gewichtiger Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), dessen Berücksichtigung bei der Strafzumessung es regelmäßig bedarf.

Hat das Tatgericht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafbemessung im engeren Sinne „die Tatausführung selbst“ zum Nachteil des Angeklagten gewertet, „da er ohne erkennbaren Anlass für den Geschädigten, mit dem er kurz zuvor noch freundschaftlich miteinander getrunken hatte, ohne erkennbares Motiv zugestochen hat“. lässt das besorgen, dass das Tatgericht dem Angeklagten entgegen § 46 Abs. 3 StGB die Tatbegehung als solche angelastet hat.

Eine vollständig unterbliebene Erörterung des denkbaren Abweichens von der Regelwirkung nach § 177 Abs. 6 Satz 2 StGB lässt besorgen, dass das Tatgericht die Ausgestaltung der Norm als Regelbeispiel verkannt hat.

Verkehrsrecht III: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, oder: Viele Strafzumessungsfehler

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Und zum Tagesschluss dann noch einmal etwas vom BayObLG, und zwar eine Entscheidung zur Strafzumessung bei verbotenem Kraftfahrzeugrennen und zur Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar den BayObLG, Beschl. v. 23.12.2022 – 202 StR 119/22.

Das AG hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu jeweils 15 Euro verurteilt. Daneben hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten bestimmt. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Dessen Revision hatte Erfolg: Zu viele Strafzumessungsfehler:

„Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafzumessung aus mehreren Gründen durchgreifend rechtsfehlerhaft ist.

a) Die Strafzumessung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht entgegen § 46 Abs. 2 StGB nicht erkennbar zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er bei Tatbegehung nicht vorbestraft war. Als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bedarf das straffreie Vorleben des Angeklagten (vgl. § 46 Abs. 2 StGB) indes regelmäßig ausdrücklicher Berücksichtigung (st.Rspr.; vgl. zuletzt u.a. nur BGH, Beschl. v. 21.09.2022 – 1 StR 479/21 bei juris = BeckRS 2022, 29664; Urt. v. 28.07.2022 – 1 StR 470/21 bei juris = NStZ-RR 2022, 374 = BeckRS 2022, 29658; Beschl. v. 30.06.2022 – 1 StR 185/22 bei juris = BeckRS 2022, 24831 und 23.03.2022 – 6 StR 61/22 = BeckRS 2022, 11327, jeweils m.w.N.).

b) Überdies hat die Berufungskammer mit der zu Lasten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung angestellten Erwägung, „dass die von der Polizei verfolgte Fahrt über eine erhebliche Fahrtstrecke innerorts mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit führte“ gegen das Verbot der Doppelverwertung gemäß § 46 Abs. 3 StGB verstoßen, indem sie die Tatbegehung als solche strafschärfend berücksichtigt hat. Denn der Straftatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt gerade voraus, dass sich der Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt hat, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

…..

2. Die neben der Geldstrafe angeordnete Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben, weil die Berufungskammer ihre Entscheidung mit sachfremden Erwägungen begründet hat. Zwar hat die Berufungskammer gesehen, dass es für die Verhängung der Maßregel darauf ankommt, ob der Angeklagte ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen ist. Allerdings wurde verkannt, dass sich nach § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Ungeeignetheit „aus der Tat“ ergeben muss. Die stark moralisierenden Erwägungen zum Auftreten des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung („betont desinteressiert“, „herablassend siegesgewiss“, sich „nur gelegentlich in überheblich-spöttischer Weise äußernd“), die schon für sich genommen bedenklich sind (vgl. nur BGH, Beschl. v. 03.08.2021 – 2 StR 217/21 = StV 2022, 224; 22.10.2020 – 2 StR 232/20 bei juris; Urt. v. 04.12.2018 – 1 StR 477/18 = NStZ-RR 2019, 105), lassen keinen konkreten Bezug zur Frage der Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr erkennen. Zudem hat die Berufungskammer die Begehung der Straftaten, die zu den späteren Verurteilungen in anderen Verfahren führten, und die daraus abgeleitete „Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber anderen Rechtsgütern“ zusätzlich für ihre Einschätzung herangezogen, dass der Angeklagte auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch charakterlich zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ungeeignet sei. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass die Taten, die diesen Verurteilungen zu Grunde lagen, in keinem Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen standen. Auch wenn es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Delikt um einen Regelfall im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 1a StGB handelte, kann der Senat nicht völlig ausschließen, dass die Strafkammer im Falle einer am Gesetz orientierten Begründung der Maßregel von dem Regelfall abgewichen wäre, sodass die Entscheidung auch insoweit auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).“

Strafzumessung II: Doppelverwertungsverbot verletzt?, oder: Art der Tatausführung führt zur Strafschärfung

Bei der zweiten Entscheidung des Tages, die ich vorstellem handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 14.11.2022 – 6 StR 412/22. In dem Verfahren hat der BGH das landgerichtliche Urteil wegen eines Strafzumessungsfehlers in Zusammenhang mit einem sexuellen Übergiff aufgehoben, und zwar meint er:

„3. Der Strafausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung jedoch nicht stand.

Es kann insoweit dahinstehen, ob das Landgericht gegen das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Doppelverwertungsverbot verstoßen hat, indem es dem Angeklagten sowohl bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 177 Abs. 9 Halbsatz 3 StGB vorliegt, als auch bei der konkreten Strafzumessung „die sich aus dem objektiven Tatbild ergebende erhebliche Aggressivität“ angelastet hat, obwohl diese Umstände die Qualifikation gemäß § 177 Abs. 8 Nr. 2 StGB zumindest (mit)begründet haben könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 – 5 StR 269/12; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 689, 691). Der Strafausspruch begegnet indes durchgreifenden Bedenken, weil das Landgericht strafschärfend gewertet hat, dass der Angeklagte „quasi im Sinne einer Gewaltorgie ganz massiv auf die Geschädigte eingewirkt“ habe, ohne dabei erkennbar zu bedenken, dass dessen Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit alkoholbedingt erheblich vermindert war.

Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so dass für eine strafschärfende Berücksichtigung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 17. November 1961 – 4 StR 373/61, BGHSt 16, 360, 364; vom 7. Juli 1993 – 2 StR 17/93, NJW 1993, 3210, 3211; Beschluss vom 14. September 2021 – 5 StR 186/21, NStZ-RR 2021, 336). In einem solchen Fall muss das Urteil erkennen lassen, dass sich das Tatgericht dieser Problematik bewusst war und ihr Rechnung getragen hat. Dies ergeben die Gründe des angefochtenen Urteils, in denen die Tatintensität als maßgeblicher Strafschärfungsgrund uneingeschränkt hervorgehoben wird, weder ausdrücklich noch in ihrer Gesamtschau. Der Senat vermag daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass die Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten der konkreten Ausgestaltung der Tat ein zu großes Gewicht beigemessen hat.

Angesichts des bloßen Wertungsfehlers bedarf es keiner Aufhebung der getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.“

Strafzumessung II: Spurenbeseitigung/Entsorgung der Leiche, oder: Klassiker 2.0

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem BGH, Beschl. v. 27.07.2021 – 6 StR 313/21 – geht es auch um ein „Klassikerproblem“. Der BGH hat in einem Verfahren mit einem Mordvorwurf die verhängten Rechtsfolgen aufgehoben, und zwar:

„1. Die Schwurgerichtskammer hat bei beiden Angeklagten strafschärfend gewichtet, dass diese umfangreiche Maßnahmen zur Spurenbeseitigung unternommen haben (unter anderem Verbringen der Leiche auf einen Friedhof und deren Verscharren, „Entsorgung“ von Beweismitteln an unbekannten Stellen). Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Denn nach ständiger Rechtsprechung darf der Versuch, sich durch Beseitigung von Tatspuren der Strafverfolgung zu entziehen – ausgenommen bei besonderen, hier nicht vorliegenden Umständen (vgl. LK-StGB/Schneider, 13. Aufl., § 46 Rn. 184 f. mwN) – nicht straferschwerend gewertet werden (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 2 StR 493/10 , NStZ 2011, 512; Beschlüsse vom 10. Februar 1994 – 1 StR 850/93 ,StV 1995, 131; vom 15. März 2018 – 4 StR 469/17 , NStZ 2019, 215, 216; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 670 mwN).

2. Darüber hinaus hat die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten A. die in über 100 Schwertstichen, -schnitten und -hieben mit einem scharfen Kurzschwert zum Ausdruck kommende besondere Brutalität sowie den Umstand besonders angelastet, dass er „seiner Aggressivität ungehindert freien Lauf gelassen“ und auf sein handlungsunfähig am Boden liegendes Opfer noch eingestochen hat, was besonders verwerflich sei. Die Ausführungen lassen dabei nicht das Bewusstsein des Landgerichts erkennen, dass die besondere Brutalität – wie namentlich auch aus den Erwägungen zur Gefährlichkeit im Rahmen des § 63 Satz 1 StGB deutlich wird – gerade Ausdruck der wegen der Erkrankung des Angeklagten verminderten Schuldfähigkeit ( § 21 StGB ) gewesen ist. Dann darf sie aber nur nach dem Maß der geminderten Schuld berücksichtigt werden (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. November 1961 – 4 StR 373/61 , BGHSt 16, 360, 363 f. ; Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 636 mwN).“

Strafzumessung: Schon wieder Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot

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Die mit dem Doppelverwertungsverbot zusammenhängenden Fragen scheinen schwierig zu sein, anders kann man die häufigen Entscheidungen des BGH, in denen Verstöße gegen den § 46 Abs. 3 StGB gerügt werden, nicht sehen. Und nachdem ich gerade erst über einen solchen Klassiker berichtet habe (vgl. hier Strafzumessungsfehlerklassiker, oder: Anfängerfehler), bin ich schon wieder auf eine BGH-Entscheidung zu der Problematik gestoßen. Dieses Mal eine etwas andere Variante, nämlich in Zusammenhang mit der Frage nach dem Vorliegen eines minder schweren Falles, den das LG abgelehnt hatte. Dazu der BGH, Beschl. v. 02.05.2012 – 2 StR 110/12:

1. Das Landgericht hat beide Angeklagte in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe jeweils wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung ver-urteilt, weil sie bei der Tat ein Butterflymesser verwendet hatten. Das Vorliegen minderschwerer Fälle hat es – anders als im Fall II.3, in dem die Angeklagten kein Messer bei der Tatausführung zum Einsatz brachten und deshalb nur wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt wurden – „trotz der erheblichen Strafmilderungsgründe angesichts der Verwendung eines Messers“ nur unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB angenommen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht durfte im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falles nicht berücksichtigen, dass die Angeklagten bei der Tatausführung ein Messer verwendeten. Denn dies ist der Tatumstand, der die Annahme einer besonders schweren räuberischen Erpressung nach §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB begründete und der deshalb bei der Zumessung der Strafe den Angeklagten nicht angelastet werden durfte (§ 46 Abs. 3 StGB). Ein Sonderfall, in dem mit Blick auf die verwendeten Tatwerkzeuge zulässigerweise die besonders gefährliche Art der Tatausführung Berücksichtigung finden kann (vgl. BGH NStZ 2003, 29), liegt ersichtlich nicht vor.

Angesichts der von der Strafkammer im Übrigen festgestellten erheblichen Strafmilderungsgründe kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die zu beanstandende Erwägung auch in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe ohne die Hinzuziehung des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB zur Annahme minder schwerer Fälle und über die weitere Anwendung des § 21 StGB zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre. Insoweit waren die diese Fälle betreffenden Einzelstrafen aufzuheben.“