Schlagwort-Archiv: OLG Saarbrücken

Obliegenheitsverletzung bei der Unfallmeldung, oder: Meldung nur beim Versicherungsmakler

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Als zweite Entscheidung habe ich dann das OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.02.2025 – 5 U 42/24 -, in dem es um die Eintrittspflicht der Beklagten aus einer Fahrzeug-Vollkaskoversicherung geht. Darum wird gestritten.

Dem Vertrag über die Fahrzeug-Vollkaskoversicherung, die der Kläger bei der Beklagten für sein Kfz unterhielt, lagen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Kfz-Versicherung AL_KFZ comfort (AKB 2021 = Anlage B1) zugrunde. Das Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Unfall nachts gegen 3.00 Uhr schwer beschädigt. Der Kläger verließ die Unfallstelle und informierte erst zwei Tage später um 18.23 Uhr die Polizei; außerdem will er den Schaden schon am Unfalltag um 8 Uhr telefonisch seinem Versicherungsmakler gemeldet haben.

Ein gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Un-fallort wurde gemäß § 153 StPO eingestellt.

Die Beklagte lehnte die Erstattung des Vollkaskoschadens ab, weil der Kläger sich von der Unfallstelle entfernt und dadurch seine Aufklärungsobliegenheit verletzt habe. Das LG hat dann die Klage im Wesentlichen für begründet erachtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die Klage insgesamt abgewiesen.

Ich stelle auch hier nur die Leitsätze der umfangreich begründeten Entscheidung ein:

1. Zur Obliegenheit des Versicherungsnehmers, nach einem Verkehrsunfall „alles“ zu tun, was zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistungspflicht erforderlich ist, insbesondere nach Verlassen der Unfallstelle. 

2. Das durch § 142 Abs. 2 StGB geschützte Aufklärungsinteresse des Kfz-Versicherers wird zwar durch eine unmittelbar an ihn oder seinen Agenten erfolgende unverzügliche Mitteilung mindestens ebenso gut gewahrt wie durch eine nachträgliche Benachrichtigung des Geschädigten, nicht jedoch durch die (behauptete) Unterrichtung eines als solchen erkennbar nicht der Sphäre des Versicherers zuzurechnenden Versicherungsmaklers, den der Versicherungsnehmer mit der Meldung des Schadens beauftragt und der diese nicht unverzüglich an den Versicherer weitergeleitet hat. 

3. Für eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit kann es sprechen, wenn der Versicherungsnehmer nach einem nächtlichen, nur durch einen erheblichen, auf nicht versicherten Ursachen beruhenden Fahrfehler zu erklärenden Verkehrsunfall keine Unbeteiligten hinzuzieht, das schwer beschädigte Fahrzeug mit Hilfe des herbeigerufenen Bruders des Mitfahrers von der Unfallstelle entfernt, den Vorfall erst zwei Tage später der Polizei meldet, ohne die Verzögerung plausibel zu erläutern und bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die erforderlichen Feststellungen hätten nachgeholt werden können, lediglich den Ab-schleppdienst beauftragt und seinen Versicherungsmakler um eine Schadensmeldung bittet, von der ihm bewusst sein musste, dass sie den Versicherer so nur verzögert erreichen würde.

Einfahren bei „Ampel-Grün“ in Kreuzungsbereich, oder: Besondere Vorsicht bei Sichtbehinderung

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen des OLG Saarbrücken.

Ich beginne mit dem OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.09.2024 – 3 U 28/24. Das bringt mal wieder etwas zur Haftungsverteilung nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 31.8.2022 in einem Kreuzungsbereich ereignet hat. Dort war es im Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang eines LKW zur Kollision der beiden Fahrzeuge gekommen.

Das LG hatte der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Rotlichtverstoß bzw. eine überhöhte Geschwindigkeit eines der Unfallbeteiligten könne nicht festgestellt werden. Die Erstbeklagte habe aber gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, da sie ohne freie Sicht und ohne auf von rechts kommende Fahrzeuge zu achten trotz des noch nicht vollständig abgebogenen LKW unter Nutzung des dem Linksabbiegerverkehr aus der pp.-Straße vorbehaltenen Bereichs angefahren sei. Damit habe sie grob fahrlässig gehandelt, sodass die allein verbleibende Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs vollständig zurücktrete.

Dagegen die Berufung, die teilweise Erfolg hatte.

Ich stelle hier mal nur den Leitsatz ein, da die Ausführungen des OLG schwieriger nach zu vollziehen sind, weil das OLG in der veröffentlichten Entscheidung keine Straßennamen mitgeteilt hatte. Der Leitsatz lautet:

Kann der bei Grün in eine Kreuzung Einfahrende wegen der Sichtbehinderung durch einen abbiegenden Lkw nicht sicher abschätzen, ob sich im Kreuzungsbereich bevorrechtigte Nachzügler befinden, muss er besondere Vorsicht walten lassen.

Beweise I: Isolierte Wiedergabe der Zeugenaussagen, oder: Welche Angaben welches Zeugen für welche Tat?

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In die neue Woche geht es dann mit zwei Entscheidungen zur Beweiswürdigung.

Ich beginne mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 07.11.2024 – 1 Ss 33/24. Das LG hat den Angeklagten wegen wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Beleidigung  verurteilt. Dagegen die Revision, die mit der Sachrüge Erfolg hatte. Das OLG beanstandet die Beweiswürdigung des LG:

„a) Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO), dem allein es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, so dass das Revisionsgericht die Würdigung der wesentlichen beweiserheblichen Umstände grundsätzlich hinnehmen muss (vgl. nur BGH NStZ 1991, 548 m.w.N.; NStZ-RR 2006, 82, 83; Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 2022 – Ss 62/21 (1 Ss 1/22) –, 9. November 2022 – Ss 54/22 (37/22) und 4. November 2024 1 Ss 31/24 –). Das Revisionsgericht hat jedoch zu prüfen, ob dem Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 20. April 2021 – 1 StR 286/20 -, juris und vom 26. Januar 2021 – 1 StR 376/20 -, juris; Beschluss vom 14. April 2021 – 4 StR 91/21 -, juris, jeweils m.w.N.; Senatsbeschlüsse vom 4. März 2016 – Ss 11/2016 (10/16) -, vom 18. Mai 2016 – Ss 30/2016 (23/16) -, vom 29. November 2022 – Ss 54/22 (37/22) – und vom 4. November 2024 – 1 Ss 31/24 -).

b) Auch in Ansehung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen (Tat Ziff. III.1. der Urteilsgründe) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, da den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist, worauf die Feststellung beruht, der Angeklagte habe sowohl dem Zeugen K.G. als auch den Zeugen M.G. und A.G. durch ein Herumfuchteln mit einem erhoben in der Hand getragenen Schirm in Aussicht gestellt, dass er sie damit schlagen werde (UA S. 4). Das Gericht beschränkt sich auf die isolierte Wiedergabe der Aussagen der vernommenen Zeugen, ohne darzulegen, welche Tatbestandsmerkmale des objektiven und subjektiven Tatbestands es jeweils aufgrund welcher Angaben welches Zeugen für verwirklicht hält. Wie es zur Annahme einer Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen gelangt, die voraussetzen würde, dass sämtliche Drohungsadressaten die Drohung wahrgenommen und deren Sinn verstanden haben (vgl. Eisele in: Schönke/ Schröder, StGB, 30. Aufl., § 241 Rn. 15; Sinn in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 241 Rn. 21), bleibt offen, nachdem keiner der unmittelbaren Tatzeugen Entsprechendes in der Hauptverhandlung bekundet hat. Insbesondere konnten sich weder der Zeuge M.G. (UA S. 13) noch der Zeuge A.G. (UA S. 13 f.) an eine solche Bedrohung erinnern. Der Zeuge K.G. (UA S. 14) hat außer von einem Einsatz des Schirms gegen die Polizei nur von einer Bedrohung zu seinem eigenen Nachteil berichtet. Allein die Angaben der als Vernehmungsbeamtin vernommenen und beim eigentlichen Tatgeschehen nicht anwesenden Zeugin Z. (UA S. 17 f.) belegen die Annahme einer Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen bereits deshalb nicht, weil die Aussagen der Zeugen M.G.K, K.G. und A.G. ihr gegenüber uneinheitlich waren, der Angeklagte nämlich nach Angaben des Zeugen M.G. mit dem Schirm bedrohlich auf alle drei Brüder losgegangen sein soll, während die beiden anderen Zeugen jeweils Bezeichnung seiner Person als „Scheißausländer“ nicht zu bestätigen (UA S. 16). Vielmehr hat er bekundet, der Angeklagten habe ihn als „Scheißkanake“ oder „Dreckskanake“, „vielleicht“ aber auch als „Scheißausländer“ oder „Drecksausländer“ beschimpft oder „alles davon“ gesagt. Es habe inzwischen so viele Vorfälle mit rassistischen Beleidigungen seitens des Angeklagten gegeben, dass es ihm schwerfalle, einzelne Wortlaute einzelnen Daten zuzuordnen.

c) Die rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen führt hinsichtlich der Tat Ziff. III.1. der Urteilsgründe zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, da die – für sich genommen im Schuldspruch rechtsfehlerfreie – tateinheitliche Verurteilung wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen aufgrund der vorliegenden Tateinheit isoliert keinen Bestand haben kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2005 – 2 StR 468/04 –, juris; Senatsbeschluss vom 4. November 2024 – 1 Ss 31/24 –; Franke in: Löwe- Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 353 Rn. 8). Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht auch die der für die Tat verhängten Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

d) Der Aufhebung unterliegt auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung zum Nachteil des Zeugen M G (Ziff. III.2. der Urteilsgründe). Auch insoweit leidet das angefochtene Urteil an einem durchgreifenden Rechtsfehler. Die allein festgestellte Beleidigung des Zeugen als „Scheißausländer“ (UA S. 5) wird durch die Beweiswürdigung nicht belegt. Von der Möglichkeit einer alternativen Tatsachenfeststellung hat das Tatgericht keinen Gebrauch gemacht, und dem Revisionsgericht ist ein Eingriff in die Tatsachenfeststellungen ebenso verwehrt wie eine eigene Beweiswürdigung.

(2) Dass jede der weiteren von dem Zeugen erwogenen Bezeichnungen seiner Person den Tatbestand des § 185 StGB erfüllen würde, ist unerheblich, da das Tatgericht von der Möglichkeit einer alternativen Tatsachenfeststellung (vgl. hierzu Sander in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 261 Rn. 225; Wenske in: MüKo-StPO, 2. Aufl., § 267 Rn. 121 f.) keinen Gebrauch gemacht, sondern allein die – nicht belegte – Bezeichnung des Zeugen als „Scheißausländer“ festgestellt und diese der Verurteilung des Angeklagten zu Grunde gelegt hat.“

StGB II: Öffentlichkeit einer Beleidigung der Polizei, oder: „Größere Anzahl“ von Zuhörern/Versammlunng

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Als zweite Entscheidung dann der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11.02.2025 – 1 Ss 3/25 – zur Frage der „Öffentlichkeit“ einer Beleidigung und einer damit erhöhten Strafe (§ 185 Abs. 2 StGB). Dazu das OLG:

„(3) Schließlich tragen die Feststellungen des Amtsgerichts auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen sowie Beleidigung in fünf tateinheitlichen Fällen. Insbesondere handelt es sich jedenfalls bei den Bezeichnungen der eingesetzten Polizeibeamten als „Arschloch“ und „Wichser“ (Tat vom 18. März 2023) bzw. „Wichser“ und „Hurensöhne“ (Tat vom 2. April 2023) um dem Tatbestand des § 185 StGB unterfallende Formalbeleidigungen, bei denen die Meinungsfreiheit des Angeklagten hinter den Ehrenschutz der Beamten zurückzutreten hat, ohne dass es insoweit einer Einzelfallabwägung bedurft hätte (vgl. BVerfGE 82, 43, 51; 85, 1, 16; 90, 241, 248; 93, 266, 293 f; 99, 185, 196; Senatsbeschlüsse vom 23. März 2022 – 1 Ss 5/22 – und vom 22. Mai 2023 – 1 Ss 5/23 –).

……

d) Das Urteil kann jedoch deshalb keinen Bestand haben, weil der allein getroffene Strafausspruch an durchgreifenden Rechtsfehlern leidet.

…….

(3) Hinsichtlich der Strafaussprüche für die Taten vom 18. März 2023 und vom 2. April 2023 unterliegt das angefochtene Urteil deshalb der Aufhebung, weil das Landgericht seiner Entscheidung über den Strafausspruch den erhöhten Strafrahmen des § 185 Alt. 2 StGB zu Grunde gelegt hat, ohne dass die Feststellungen belegen, dass die dem Angeklagten zur Last gelegten Beleidigungen öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts begangen wurden.

(a) Für das Vorliegen einer vom Landgericht angenommenen öffentlichen Beleidigung genügt es nicht, dass die ehrenrührige Kundgabe an einem öffentlichen Ort begangen wurde (vgl. zum gleichlautenden Begriff der Öffentlichkeit in § 186 StGB Hilgendorf in LK-StGB, 13. Aufl., § 186 Rn. 13; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 186 Rn. 19). Von dem Qualifikationstatbestand des § 185 Alt. 2 StGB werden vielmehr nur Äußerungen erfasst, die von einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten oder durch nähere Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden können (BT-Drs. 19/17741, S. 35; Eisele/Schittenhelm, a.a.O.). Entsprechendes ist für die Tat vom 18. März 2023 bereits deshalb nicht belegt, weil nicht festgestellt ist, dass bei den beleidigenden Äußerungen des Angeklagten über die betroffenen Polizeibeamten hinaus weitere Personen anwesend waren, die die Äußerungen wahrnehmen konnten. Nichts anderes gilt im Ergebnis für die Tat vom 2. April 2023. Auch hier ist die „etwa zehnköpfigen Gruppe von Saarbrücken-Anhängern“ zahlenmäßig umgrenzt. Dass die Gruppenmitglieder durch nähere Beziehungen miteinander verbunden sind, lässt sich anhand der Urteilsfeststellungen jedenfalls nicht ausschließen (vgl. zu insoweit erforderlichen Feststellungen auch KG Berlin, Beschluss vom 12. März 2024 – (5) 161 Ss 153/22 (33/22) –, juris).

(b) Die landgerichtlichen Feststellungen belegen auch nicht, dass die Tat vom 2. April 2023 „in einer Versammlung“ begangen wurden. Eine Versammlung im Sinne des § 185 StGB ist nur eine räumlich zu einem bestimmten Zweck vereinigte größere Anzahl von Menschen (BT-Drs. 19/17741, S. 35; vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 12. März 2024 – (5) 161 Ss 153/22 –, juris zu § 86a StGB). Ein zufälliges zeitweiliges Beisammensein genügt nicht (Eisele/Schnittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB, a.a.O., § 187 Rn. 7 unter Bezugnahme auf Sternberg-Lieben, a.a.O., § 90 Rn. 5). Dass die „Gruppe von Saarbrücken-Anhängern“, in der der Angeklagte sich nach dem Fußballspiel auf dem Bahnhofsvorplatz befand, sich mit ihm gezielt zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks zusammengeschlossen hat, ist nicht festgestellt. Hinsichtlich der Tat vom 18. März 2023 scheidet eine Tatbegehung „in einer Versammlung“ mangels Anwesenheit unbeteiligter Dritter von vornherein aus.

(c) Die Wahl des unzutreffenden Strafrahmens zwingt zur Urteilsaufhebung, da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass das Gericht bei zutreffender Anwendung des Grundtatbestandes des § 185 StGB mit einer nur halb so hohen Strafobergrenze ein milderes Strafmaß verhängt hätte als unter Zugrundelegung des Strafrahmens Qualifikationstatbestandes.“

Kollision Rechtseinbieger mit Fahrbahnverenger, oder: Befahren der linken Fahrbahnhälfte

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Und im zweiten Posting dann noch einmal etwas zur Haftungsverteilung nach dem StVG, und zwar das OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.12.2024 – 3 U 23/24. Es geht um die Haftungsverteilung bei der Kollision eines nach rechts in eine bevorrechtigte Straße Einbiegenden und einem von rechts kommenden Vorfahrtsberechtigten, der in zulässiger Weise an parkenden Fahrzeugen vorbeifährt, die die Fahrbahn verengen.

Der Kläger hatte mit seinem Transporter VW T4 die fragliche Straße pp. in Fahrtrichtung pp.. Der Zweitbeklagte befuhr mit seinem bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug die pp. und wollte nach rechts in die Straße pp. einbiegen. Dabei stieß er mit dem von rechts kommenden klägerischen Fahrzeug zusammen.

Das LG hatte der der Klage auf der Grundlage einer Haftungsverteilung von 75% zu 25% zulasten der Beklagten stattgegeben. Zur Begründung hatte es ausgeführt, die Beklagten hafteten für den Unfall, weil der Zweitbeklagte die Vorfahrt des Klägers verletzt habe. Allerdings habe auch der Kläger für die Unfallfolgen einzustehen, weil die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs erhöht gewesen sei. Den Kläger treffe zwar kein Verschulden. Die Situation sei aber mit einem Unfall vergleichbar, bei dem das Rechtsfahrgebot missachtet worden sei. Schon das Befahren der linken Fahrbahnhälfte führe zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges.

Dagegen die Berufung des Klägers, die in vollem Umfang Erfolg hatte. Nach Auffassung des OLG haften die Beklagten voll:

„1. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies wird von den Parteien in der Berufung nicht in Zweifel gezogen und begegnet auch keinen Bedenken.

2. Im Rahmen der danach gebotenen Entscheidung über die Haftungsverteilung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG, in der alle festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben, zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2023 – VI ZR 287/22, Rn. 12, juris), hat das Landgericht eine Mithaftung des Klägers von 25% angenommen. Dies hält berufungsgerichtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

a) Das Landgericht hat zunächst auf Beklagtenseite einen unfallursächlichen Verstoß des Zweitbeklagten gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO festgestellt, weil der Zweitbeklagte an der nicht durch Verkehrszeichen geregelten Einmündung (zum Begriff der Einmündung vgl. stellv. BGH, Urteil vom 05.02.1974 – VI ZR 195/72, VersR 1974, 600; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 8 StVO Rn. 34 m.w.N.) die Vorfahrt des Klägers, der aus Sicht des Zweitbeklagten von rechts kam (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StVO), missachtet hat. Dies ist – auch im Hinblick auf die Anwendung der Regeln über den Anscheinsbeweis auf den Streitfall (vgl. dazu KG, Urteil vom 15. Januar 1996 – 12 U 304/95, Rn. 5, 7, juris; OLG Köln, Urteile vom 13. August 1997 – 27 U 30/97, Rn. 5, juris, und vom 31. März 2000 – 19 U 159/99, Rn. 2 juris; Geigel/Freymann, 29. Aufl., Kapitel 27 Rn. 258) – zutreffend und wird von den Parteien in der Berufung hingenommen.

b) Im Ergebnis zutreffend ist die Erstrichterin auch davon ausgegangen, dass dem Kläger im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG kein zu einem Verschulden führender Pflichtenverstoß vorgehalten werden kann, der seine Mithaftung begründen könnte. Denn der Kläger war gegenüber dem Zweitbeklagten weder zur Beachtung des § 6 StVO (Vorbeifahren) noch des Rechtsfahrgebots (§ 2 Abs. 2 StVO) verpflichtet, da beide Regelungen nicht dem Schutz des einbiegenden Verkehrs dienen (zu § 6 StVO vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Februar 1982 – 5 Ss OWi 634/81 I, VRS 63, 60; OLG Hamm, Urteil vom 2. September 2022 – I-7 U 5/21, Rn. 14, juris; Helle, in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 2. Aufl., § 6 Rn. 30; zum Rechtsfahrgebot vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 – VI ZR 282/10, Rn. 11, juris; Saarl. OLG, Urteil vom 29. März 2018 – 4 U 56/17, Rn. 52, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Februar 2012 – I-1 U 243/10, Rn. 37; OLG Hamm, Urteil vom 23. September 2022 – I-7 U 93/21, Rn. 16, juris; Geigel/Freymann aaO Rn. 58).

c) Entgegen der Auffassung der Erstrichterin war die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs auch nicht aufgrund des Befahrens der linken Fahrbahnhälfte durch den Kläger erhöht.

aa) Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Befahren der linken Fahrbahnhälfte durch den Vorfahrtsberechtigten zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges führen und eine Mithaftung gegenüber dem Wartepflichtigen begründen kann. Dies setzt indes nach allgemeiner Auffassung einen unfallursächlichen Verstoß des Vorfahrtsberechtigten gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO voraus (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. März 2018 – 4 U 56/17, Rn. 57, juris; OLG Hamm, Urteil vom 23. September 2022 – I-7 U 93/21, Rn. 15, 27, juris; KG, Urteil vom 12. November 1992 – 12 U 5617/91, Rn. 5, juris, und Beschluss vom 28. Dezember 2006 – 12 U 47/06, Rn. 22 ff., juris; OLG Köln, Urteile vom 19. Juni 1991 – 2 U 1/91, Rn. 16, juris, und vom 13. August 1997 – 27 U 30/97, Rn. 8 f., juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 4. März 2002 – 15 U 63/01, Rn. 15, 18, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 9. Mai 2000 – 5 U 1346/99, Rn. 7, juris; Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 2. Aufl., § 8 StVO Rn. 48), von dem im Streitfall nicht ausgegangen werden kann.

bb) Nach § 2 Abs. 2 StVO ist „möglichst weit rechts“ zu fahren. Das Rechtsfahrgebot bedeutet nicht, äußerst rechts oder soweit technisch möglich rechts zu fahren (OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Mai 2011 – I-1 U 232/07, Rn. 8, juris; OLG Zweibrücken, Urteil vom 24. April 1987 – 10 U 81/85, NZV 1988, 22). Es gilt vielmehr, wie schon der Wortlaut erkennen lässt, nicht starr, sondern gewährt je nach den Umständen im Rahmen des Vernünftigen einen gewissen Beurteilungsfreiraum. Welche Anforderungen das Rechtsfahrgebot im konkreten Fall stellt, ist daher unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Örtlichkeit, der Fahrbahnbreite und -beschaffenheit, der Fahrzeugart, eines vorhandenen Gegenverkehrs, der erlaubten und der gefahrenen Geschwindigkeit sowie der jeweiligen Sichtverhältnisse zu bestimmen (vgl. BGHZ 74, 25; BGH, Urteil vom 9. Juli 1996 – VI ZR 299/95, Rn. 7, juris; Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. März 2018 – 4 U 56/17, Rn. 54, juris, und vom 18. Juni 2020 – 4 U 4/19, Rn. 72, juris).

cc) Nach diesen Grundsätzen kann ein unfallursächlicher Verstoß des Klägers gegen das Rechtsfahrgebot schon deshalb nicht angenommen werden, weil nach den tatsächlichen, von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen des Erstgerichts (§ 529 Abs. 1 ZPO) die rechte Seite der unmarkierten Fahrbahn des Klägers durch ein in der Nähe der Einmündung parkendes Fahrzeug blockiert war (vgl. Lichtbild Bl. 277 GA). Dem Kläger war es deshalb erlaubt, nach Maßgabe des § 6 StVO an diesem Fahrzeug vorbeizufahren und hierzu die linke Fahrbahnseite zu benutzen (vgl. hierzu Helle aaO § 6 StVO Rn. 9, 11), während der Zweitbeklagte als Wartepflichtiger ohne weiteres mit Gegenverkehr auf der eigenen Fahrbahnhälfte zu rechnen hatte, dem auch durch möglichst weites Rechtsfahren beim Einbiegen nicht sicher ausgewichen werden konnte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Mai 2011 – I-1 U 232/07, Rn. 8, juris; LG Saarbrücken, Urteil vom 29. April 2016 – 13 S 3/16 –, juris Rn. 24 f.; vgl. auch Spelz aaO Rn. 37).

d) Für die Annahme einer Mithaftung des Klägers aus der einfachen Betriebsgefahr seines Fahrzeugs besteht keine Veranlassung. Vielmehr gilt auch in einem Fall wie hier der Grundsatz, dass die einfache Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeugs gegenüber dem Verkehrsverstoß gegen § 8 StVO zurücktritt (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 29. April 2016 – 13 S 3/16, juris m.w.N.).

3. Auf der Grundlage dieser Haftungsverteilung steht dem Kläger Ersatz seines vollen, der Höhe nach unstreitigen Schadens (einschließlich vorgerichtlicher Anwaltskosten) nebst Zinsen zu.“