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Rechtsmittel III: Verschuldete Versäumung der HV?, oder: Verlängerte Wartepflicht nach Angeklagtenanruf

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.11.2021 – 1 Ws 425/21 – zur schuldhaft versäumten Berufungshauptverhandlung und zur Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 2 StPO).

Folgender Ablauf:

„…. Auf dessen Berufung beraumte die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich den Hauptverhandlungstermin auf den 7. September 2021 um 11:30 Uhr an. Der zu diesem Termin ordnungsgemäß geladene Angeklagte erschien – im Gegensatz zu seiner Pflichtverteidigerin – bei Aufruf der Sache jedoch nicht. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung wurde nach einem Telefonat der Pflichtverteidigerin mit dem Angeklagten um 11:35 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte fälschlich von einem Sitzungsbeginn um 13:30 Uhr ausgegangen sei. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung um 11:36 Uhr für zwei Minuten unterbrochen und bei erneutem Aufruf um 11:45 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte noch immer nicht erschienen sei. Im Anschluss daran verwarf das Landgericht um 11:47 Uhr die Berufung des Angeklagten nach § 329 StPO.

In den Urteilsgründen wird ausgeführt, dass der Angeklagte am Terminstage ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der Umstand, dass er von einem Beginn um 13:30 Uhr ausgegangen sei, entschuldige ihn nicht….

…. beantragte der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte zugleich – für den Fall der Verwerfung – Revision ein. Zur Begründung führte dieser aus, dass er sich in der Uhrzeit versehen habe. Er habe zudem durch seine Verteidigerin noch in der Hauptverhandlung erklären lassen, dass er sich unverzüglich auf den Weg machen und spätestens in 45 Minuten, also um 12:15 Uhr, bei Gericht eintreffen werde. Selbst unter Annahme einer insgesamt einstündigen Verspätung hätte die Berufungshauptverhandlung spätestens ab 12:30 Uhr durchgeführt werden können, zumal die nächste Sache am Terminstage erst auf 14:00 Uhr angesetzt worden sei.

Mit weiterem Schreiben vom 21. September 2021 reichte die Verteidigerin eine „eidesstattliche Versicherung“ des Angeklagten zum Zwecke der Glaubhaftmachung zur Akte, in welcher der Angeklagte weitergehend ausführt, sich nach dem um 11:30 Uhr erfolgten Telefonat sofort ins Auto gestiegen und losgefahren zu sein. Unterwegs sei ihm gegen 11:50 Uhr in einem weiteren Telefonat seitens der Verteidigerin mitgeteilt worden, dass die Berufung inzwischen verworfen worden sei, woraufhin er wieder umgekehrt und nach Hause gefahren sei.“

Das LG hat keine Wiedereinsetzung gewährt, das OLG sieht das anders:

„Der Wiedereinsetzungsantrag hat auch in der Sache Erfolg.

Die Möglichkeit der Verwerfung einer Berufung ohne Verhandlung zu Sache nach § 329 StPO beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgt wissen will und auf eine sachliche Überprüfung des Urteils verzichtet, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet. Sie dient dem Zweck, den Berufungsführer daran zu hindern, die Sachentscheidung über seine Berufung dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht. Demgegenüber ist es nicht Sinn der Vorschrift, bloße Nachlässigkeiten zu bestrafen, die einem zur Mitwirkung bereiten Angeklagten bei seiner Pflicht zum pünktlichen Erscheinen unterlaufen sind. Dementsprechend ist eine enge Auslegung der Vorschrift des § 329 Abs. 1 StPO bzw. eine weite Auslegung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung angezeigt, um zu verhindern, dass der grundgesetzlich gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verkürzt wird. (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15.07.1988 – RReg 1 St 90/88, juris Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 f.; OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6; Beschluss vom 05.02.2013 – 1 RVs 12/13, juris Rn. 48; Beschluss vom 08.07.2013 – 2 Ws 354/13, juris Rn. 12; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 13; KG, Beschluss vom 30.04.2013 – 161 Ss 89/13, juris Rn. 4; Beschluss vom 14.02.2019 – 4 Ws 12/19, juris Rn. 30; OLG Jena, Beschluss vom 18.09.2012 – 1 Ss 71/12, juris Rn. 9 f. jew. m.w.N.).

Danach ist ein Ausbleiben des Angeklagten im Sinne des § 329 StPO nicht immer schon dann anzunehmen, wenn er bei Anruf der Sache nicht im Sitzungssaal erscheint. Es besteht vielmehr für das Gericht innerhalb verständiger Grenzen die Pflicht, eine angemessene Zeit zuzuwarten. So ist schon bei nicht angekündigtem Ausbleiben des Angeklagten ein Zeitraum von etwa 15 Minuten zuzuwarten, bevor mit der Hauptverhandlung begonnen werden kann. In Fällen, in denen sich der Angeklagte zwar verspätet, innerhalb der regelmäßigen Wartezeit sein Kommen jedoch mit der Angabe zusichert, sich unverzüglich auf den Weg zu machen, ist ausnahmsweise eine deutlich über 15 Minuten hinausgehende Wartezeit geboten, deren Länge sich unter gebotener Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Schwere des zu verhandelnden Delikts und dem damit einhergehenden Interesse des Angeklagten an einer Sachentscheidung sowie den weiteren terminlichen Belangen des Gerichts am selben Verhandlungstag bestimmt. Denn mit einem solchen Verhalten bringt der Angeklagte zum Ausdruck, die anstehende Sachentscheidung über seine Berufung gerade nicht verzögern zu wollen (vgl. KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9 f.; Beschluss vom 30.04.2013 – 161 Ss 89/13, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 <369>; Beschluss vom 07.05.2007 – 3 Ws 225/07, juris Rn. 16; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 11 und Rn. 13; OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6; Beschluss vom 05.02.2013 – 1 RVs 12/13, juris Rn. 46 f.; Beschluss vom 08.07.2013 – 2 Ws 354/13, juris Rn. 13; OLG Jena, Beschluss vom 18.09.2012 – 1 Ss 71/12, juris Rn. 11 jew. m.w.N.; siehe auch OLG Oldenburg, Urteil vom 26. Januar 2009 – Ss 472/08, NJW 2009, 1762 <1763>).

Nach diesem Maßstab ergab sich hier für das Landgericht eine Wartepflicht, die bei Verkündung des Verwerfungsurteils 17 Minuten nach Verhandlungsbeginn noch nicht abgelaufen war. Denn aufgrund der über seine Verteidigerin erfolgten Zusicherung, sich sofort zum Terminsort begeben zu wollen, war dem Gericht mehr als deutlich gemacht worden, dass sich der Angeklagte dem Verfahren gerade nicht hat entziehen wollen. Daran vermag auch der Umstand, dass dem Angeklagten – wie hier bei einem Versehen hinsichtlich des Terminzeitpunktes – ein Verschulden trifft, nichts zu ändern, da sein Irrtum über den exakten Beginn der Hauptverhandlung auf einem bloßen Versehen beruht; jedenfalls sind keine Anhaltspunkte für grobe Fahrlässigkeit oder gar Mutwilligkeit erkennbar (vgl. KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9 zum Fall des „Verschlafens“; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.01.2007 – 1 Ss 188/06, juris Rn. 4 zum Irrtum über den Hauptverhandlungsbeginn; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 11 f. zum Irrtum über den Terminstag; BayObLG, Beschluss vom 15.07.1988 – RReg 1 St 90/88, juris Rn. 8 und OLG München, Beschluss vom 05.07.2007 – 4 St RR 122/07, juris Rn. 10 ff. jew. zum Fall der Verwechslung des Gerichtsortes).

Schließlich vermag auch der in der den Wiedereinsetzungsantrag verwerfenden Entscheidung ausgeführte Einwand nicht durchzugreifen, wonach – mit Blick auf eine sich aus einer Internetrecherche ergebenden Fahrzeit von mindestens 51 Minuten – ein weiteres Zuwarten dem Landgericht nicht zumutbar gewesen sein soll. Der Umstand, dass die Verhandlung hier wohl erst mit einstündiger Verspätung hätte begonnen werden können, lässt zumindest in der vorliegenden Fallkonstellation die Wartepflicht nämlich nicht entfallen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6 m.w.N.). Denn angesichts der unwidersprochen gebliebenen Tatsache, dass der nächste Hauptverhandlungstermin erst um 14:00 Uhr angesetzt war, hätte der Hauptverhandlungstermin, zu dem nur zwei Zeugen im viertelstündigen Abstand geladen worden waren, auch bei einem Beginn um 12:30 Uhr noch ordnungsgemäß durchgeführt werden können; ein Zeitmangel war demnach nicht zu besorgen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 <369>; Beschluss vom 07.05.2007 – 3 Ws 225/07, juris Rn. 16; KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9). Überdies steht die Verurteilung zu einer (unbedingten) neunmonatige Freiheitsstrafe im Raum (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.07.2007 – 4 St RR 122/07, juris Rn. 11; ferner KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 10 unter Hinweis auf die Höhe einer erstinstanzlich festgesetzten Geldstrafe); mit anderen Worten, selbst eine verschuldete Versäumnis um mehr als 45 Minuten steht zu der schwerwiegenden Folge der Berufungsverwerfung in einem Missverhältnis, welches die Vermutung eines Verzichts auf Durchführung des Verfahrens sowie die Annahme einer Verwirkung durch Säumnis nicht zulässt (so OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.12.1984 – Ss 579/84, MDR 1985, 430).“

Man fragt sich, welches Problem die Strafkammer hatte. Man hätte doch bequem bis 1.30 Uhr Mittag essen und dann verhandeln können.

OWi II: Bei Überladung Geldbuße oder Einziehung?, oder: Die Verwaltungsbehörde hat Ermessen

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 04.10.2021 – 2 Ss (OWi) 150/21 – ebenfalls aus dem Norden. In dem Beschluss stellt sich die Frage nach dem Ermessen der Verwaltungsbehörde, ob sie bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein Bußgeld verhängt oder die Einziehung von Taterträgen anordnet.

Folgender Sachverhalt: Gegen den Fahrzeugführer AA hat der Landkreis Vechta einen Bußgeldbescheid wegen vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Überschreitung des zulässigen Gesamtgewichtes verhängt und gegen die Einziehungsbeteiligte die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen in Höhe von 371 EUR angeordnet. Das AG hat dann von der Anordnung einer Einziehung nach § 29 a OWiG abgesehen. Es hat dies damit begründet, dass gegen die Einziehungsbeteiligte ein Bußgeldverfahren hätte durchgeführt werden können. Das Amtsgericht stützt sich dabei auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 01.07.2019 (Ss-OWi 1077/18).

Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrem – auch von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen – Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Der Antrag hatte Erfolg. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben:

„Der Senat folgt der überwiegenden Ansicht (OLG Köln, BeckRS 2010, 7521; OLG Düsseldorf, NStZ 2014, 339; OLG Stuttgart, wistra 2012, 283; OLG Zweibrücken, NStZ 2020, 427; vgl. auch Göhler-Gürtler/Thoma, OWiG 18. Aufl., § 29a RN 1), wonach es der Bußgeldbehörde obliegt zu entscheiden, ob sie Tatvorteile über ein Bußgeldverfahren oder das Einziehungsverfahren abschöpft. Die vom OLG Frankfurt vertretene abweichende Ansicht („sehr bedenkliche(r) Rückgriff der Verwaltungsbehörden auf § 29 a OWiG“) findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze, da Voraussetzung für die Eröffnung der Einziehung lediglich ist, dass eine Geldbuße nicht festgesetzt wird. Dass es auf den Grund der Nichtverhängung einer Geldbuße nicht ankommt, entspricht insoweit auch der Gesetzesbegründung zu § 29 a OWiG a.F. (BT Drs 10/318 S. 37), wenn es dort heißt, dass die Anordnung des Verfalls auch dann möglich sein solle, wenn aus anderen Gründen als demjenigen, dass der Täter nicht vorwerfbar oder nicht ausschließbar vorwerfbar gehandelt habe, von der Festsetzung einer Geldbuße abgesehen werde. Hieran hat sich durch die Neufassung des § 29 a OWiG nichts geändert.

Da der Erfolg einer Inanspruchnahme des Halters im Wege einer Geldbuße hier aber nicht so sicher gewesen sein dürfte, wie das Amtsgericht anzunehmen scheint, ist es nicht zu beanstanden, dass die Verwaltungsbehörde den Weg über die Anordnung der Einziehung gewählt hat.

Obwohl der Senat mit dieser Entscheidung vom OLG Frankfurt (a.a.O.) abweicht, kommt eine Divergenzvorlage nicht in Betracht, da die Ausführungen des OLG Frankfurt die dortige Entscheidung nicht getragen haben, sondern lediglich als Handhabungshinweis für die Amtsgerichte dienen sollten. Im konkreten Fall war nämlich nur eine Geldbuße gegen den Fahrer verhängt worden, gegen die dieser sich gewandt hatte.“

OWi II: Einlassung „ein anderer war der Fahrer“, oder: Das kann man nicht so einfach „abbügeln“

Und die zweite OWi-Entscheidung dann auch zur Täteridentifizierung, aber zum Umfang der Beweisaufnahme, und zwar dann, wenn ein Messfoto vorliegt, der Betroffene aber auch eine andere Person als Fahrer benennt. Dazu verhält sich der OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.10.2021 – 2 Ss (OWi) 211/21. Das OLG hat die Verurteilung des Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgehoben:

„Im Übrigen unterliegt das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aber der Aufhebung.

Die Aufklärungsrüge erweist sich zumindest insoweit als erfolgreich, als das Amtsgericht nicht von der Vernehmung der beiden Zeugen, die der Betroffene als mögliche Fahrer benannt und dabei geltend gemacht hatte, dass sie im Aussehen dem Betroffenen in wesentlichen Gesichtsmerkmalen ähneln würden, absehen durfte.

Zwar teilt der Senat die Einschätzung des Amtsgerichtes, dass das bei der Messung gefertigte Lichtbild zur Identifizierung grundsätzlich geeignet ist. Da der Betroffene aber geltend macht, dass die als mögliche Fahrer in Betracht kommenden Personen dem Betroffenen ähneln -was aufgrund der engen verwandtschaftlichen Bindung auch denkbar erscheint- durfte das Amtsgericht nicht allein auf einen Vergleich des Lichtbildes mit dem Betroffenen abstellen. Dies gilt hier insbesondere deshalb, weil das Messfoto -wie auch das Amtsgericht feststellt- eine gewisse Unschärfe aufweist:

„Insbesondere wenn der Betroffene einen Dritten namentlich als Fahrer benennt, muss das Gericht in aller Regel diesen als Zeugen laden und gegebenenfalls vernehmen. Die bei der Verkehrsüberwachung zur Identifizierung des Täters gefertigten Lichtbilder sind nicht immer so klar und deutlich, dass es ausgeschlossen erscheint, eine andere Person als der Betroffene sei gefahren. Gerade weil das Gericht bei Anwesenheit des benannten Zeugen feststellen kann, ob dieser als Fahrer in Betracht kommt, ist die Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nummer 1 OWiG im Einzelfall nur bei Vorliegen besonderer Umstände abzulehnen. Derartige Umstände können zum Beispiel gegeben sein, wenn das Lichtbild von sehr guter Qualität ist, die auf dem Lichtbild abgebildete Person dem erschienenen Betroffenen „wie ein Spiegelbild“ gleicht und der Betroffene nicht geltend macht, dass der benannte Zeuge ihm täuschend ähnlich sieht.“ (Bayerisches Oberstes Landesgericht NJW 1997,1864)

Soweit das Amtsgericht die Verurteilung des Betroffenen auch auf die weiteren von ihm genannten Umstände gestützt hat, führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis. So ist Halter des Fahrzeuges nicht der Betroffene selbst, sondern eine GmbH. Aus der Gesprächsnotiz ergibt sich lediglich, dass die Sachbearbeiterin des Landkreises den Eindruck gehabt habe, der Betroffene -unterstellt er war der Anrufer- sei selbst der Fahrer gewesen. Auch die Benennung eines polnischen Staatsangehörigen als möglicher Fahrer muss nicht zwingend darauf hindeuten, dass gerade der Betroffene Fahrzeugführer gewesen ist. Vielmehr könnte dies auch den Zweck gehabt haben, einen Familienangehörigen vor einer Verurteilung zu bewahren.

Nach Vernehmung der Zeugen, in deren Rahmen das Amtsgericht natürlich auch einen optischen Eindruck von ihnen gewinnt, mag es beurteilen, ob es die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich hält. Ein dahingehendes Präjudiz ist mit dieser Entscheidung ausdrücklich nicht verbunden.

Soweit das Amtsgericht die Ablehnung des Beweisantrages auch auf § 77 Abs. 2 Nummer 2 OWiG gestützt hat, fehlt es an ausreichenden Ausführungen dazu, dass die Vernehmung der Zeugen eine Aussetzung (nicht nur Unterbrechung) der Hauptverhandlung erforderlich gemacht hätte.“

Pflichti II: Beiordnungsgründe, oder: Dauer der Haft, mittelbare Nachteile, Höhe der (Gesamt)Strafe

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Das zweite Posting mit Pflichtverteidigungsentscheidungen ist den Beiordnungsgründen und allem, was damit zu tun hat, gewidmet. Auch hier stelle ich wegen der doch recht zahlreichen Entscheidungen nur die Leitsätze vor. Und zwar:

Bei der Prüfung der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen kommt es entscheidend auf die Bedeutung des Verfahrens für den Beschuldigten an, wobei neben der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe auch Maßregeln der Besserung und Sicherung, Nebenfolgen oder mittelbare Nachteile in die Entscheidung einzubeziehen sind. Von Bedeutung ist daher, welche Folgen eine Verurteilung wegen des dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikts hat (für den Ausschlussgrund im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit c) GmbHG).

Bei dem Wegfall der Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO ist zu prüfen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist, nämlich wenn wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Eine zu erwartende Freiheitsstrafe von einem Jahr sollte in der Regel Anlass für eine Beiordnung eines Verteidigers geben.

Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 StPO und zur Bewertung des Tatverdachts durch das Beschwerdegericht.

Die Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist unabhängig von der Dauer der Haft.

§ 141 Abs. 2 Satz 3 StPO ist ausdrücklich nur auf die Fälle des § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 StPO anzuwenden. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf andere Fälle scheidet aus.

Nachtrag I: Leivtex XV 3 ist doch nicht standardisiert, oder: Die Bayern des Nordens spinnen

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In die 35. KW. geht es dann heute – vor der Rätsellösung – mit zwei Postings, die ein Nachtrag zu Entscheidungen/Problemen sind, über die ich schon berichtet habe.

Den Anfang mache ich mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.08.2021 – 2 Ss (OWi) 199/21. Der gehört zur Diskussion um die Verwertbarkeit von Messungen mit Leivtex XV3, über die ich ja schon mehrfach berichtet habe. Zuletzt habe ich dazu den OLG Schleswig, Beschl. v. 17.08.2021– II OLG 26/21 – vorgestellt (OWi I: Leivtex XV 3 ist doch noch standardisiert, oder: Die Bayern der Nordens/das OLG Schleswig meldet sich). Das OLG hat die Messungen nach wie vor als verwertbar angesehen. Anders als zuvor das OLG Celle und das OLG Oldenburg.

Zu dem OLG Schleswig, Beschl. v. 17.08.2021– II OLG 26/21 – hat dann inzwischen sehr schnell das OLG Oldenburg in dem Beschl. v. 26.08.2021 ablehnend Stellung genommen:

„Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht argumentiert primär damit, dass ein standardisiertes Messverfahren nach wie vor vorliege, da bei Messungen mit Fahrzeugen, die mit Reflektoren im Innenraum versehen seien, unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse – wenn auch ggf. mit Werten, die nicht der gefahrenen Geschwindigkeit entsprächen – zu erwarten seien.

Der Senat hält schon die Anknüpfung, die das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht vornimmt, für unzutreffend. Es kann nämlich nicht darauf ankommen, ob bei Fahrzeugen, bei denen sich Reflektoren im Innenbereich befinden, regelmäßig die gleichen Messergebnisse erzielt werden. Entscheidend ist vielmehr, dass Fahrzeuge, die mit der Geschwindigkeit „X“ an einem Messgerät vorbeifahren, identische Messergebnisse („X“ +/- Toleranz) hervorrufen, unabhängig davon, ob sie im Innenraum reflektierende Flächen aufweisen oder nicht. Das ist aber nicht immer der Fall.

Im Übrigen löst das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht den Begriff des standardisierten Messverfahrens nach Auffassung des Senats in unzulässiger Weise von einer Richtigkeitsvermutung für derartige Messverfahren. Der BGH (St 39, 291, Rn. 28 bei juris) hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass eine absolute Genauigkeit von Geschwindigkeitsmessgeräten nicht möglich sei, der Tatrichter dem vielmehr durch die Zubilligung von Messtoleranzen Rechnung tragen müsse. Das bedeutet aber, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass unter Berücksichtigung derartiger Messtoleranzen zutreffende Ergebnisse zu erwarten sind. Das ist aber nach den Feststellungen der PTB nicht in allen Konstellationen so.

Soweit das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seiner Entscheidung die Erwartung äußert, der Hersteller werde die Benutzer anweisen, Messungen die nach den Feststellungen der PTB fehlerbehaftet sein könnten, zukünftig nicht mehr vorzunehmen bzw. zu verwerten, ist diese Annahme unzutreffend. Die Firma Leivtec hat nämlich bereits am 05.07.2021 in einem Schreiben an ihre Kunden mitgeteilt, dass sie keinen Antrag auf Ergänzung der Bedienungsanleitung stellen werde.

Wenn das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht darauf verweist, dass die PTB die Bauartzulassung nicht zurückgenommen habe, beruht dies darauf, dass der PTB seitens des Herstellers mitgeteilt worden ist, dass dieser nicht beabsichtige, neue Geräte auf den Markt zu bringen. Wie die PTB dem Senat am 20. August 2021 mitgeteilt hat, sieht sie jedoch keine Möglichkeit, die Verwendung im Markt befindlicher Geräte zu unterbinden. Insoweit hätte eine Zurücknahme der Bauartzulassung keinerlei unmittelbare Auswirkung gehabt. (Zur Zeit der Geltung von § 25 a EO-AV hätte die Möglichkeit des Widerrufs der Zulassung bestanden)

Der Hinweis des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes auf mit (speziellen) Reflektoren im Innenraum präparierte Fahrzeuge könnte den Eindruck erwecken, derartige Reflektoren seien in der Praxis praktisch irrelevant. Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich bei den Reflektoren um Warnwesten gehandelt hat, wie sich aus dem Verweis des Abschlussstandes der PTB vom 9.6.2021 auf die Veröffentlichung von Kugele, Gut und Hähnle ergibt.

III.

Soweit der Senat in seinem oben genannten Beschluss vom 19.07.2021 ausgeführt hat, dass nach dem Abschlussbericht der PTB eine generelle Einstellung von Verfahren, bei denen die Geschwindigkeit mit dem Gerät Leivtec XV3 gemessen wurde, nicht mehr in Betracht komme, wird daran festgehalten. Da im vorliegenden Fall jedoch die Entscheidung des Amtsgerichtes bereits vom 14.01.2021 datiert, somit zu einem Zeitpunkt, bevor der Senat die Amtsgerichte erstmalig auf die „Leivtec-Problematik“ aufmerksam gemacht hat, kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht in Betracht. Der Senat schließt aus, dass das Amtsgericht nach seinen – des Senats- veröffentlichten Entscheidungen weiterhin von einem standardisierten Messverfahren ausgeht.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde mit anschließender Übertragung der Sache auf den Senat zur Ermöglichung einer Divergenzvorlage zum BGH kommt ebenfalls nicht in Betracht, da sich schon die tatsächliche Grundlage des vorliegenden Falles von der Konstellation des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes unterscheidet. Hier ist nämlich das Fahrzeugkennzeichen im Messung-Start-Foto vom Messfeldrahmen nur teilweise umfasst, sodass einer der Fälle vorliegt, in denen seitens der PTB unzulässige Messwertabweichungen festgestellt worden sind. Darüber hinaus liegt auch insoweit eine abweichende Tatsachengrundlage vor, als der Hersteller -wie ausgeführt-gerade keine Anpassung der Gebrauchsanweisung vornehmen wird.

Außerdem scheint das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht davon auszugehen, dass es ausschließlich in den von der PTB genannten Fällen zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen könne. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 19.07.2021 ausgeführt hat, gibt die PTB dafür aber keine „Garantie“.“