Nachtrag I: Leivtex XV 3 ist doch nicht standardisiert, oder: Die Bayern des Nordens spinnen

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In die 35. KW. geht es dann heute – vor der Rätsellösung – mit zwei Postings, die ein Nachtrag zu Entscheidungen/Problemen sind, über die ich schon berichtet habe.

Den Anfang mache ich mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.08.2021 – 2 Ss (OWi) 199/21. Der gehört zur Diskussion um die Verwertbarkeit von Messungen mit Leivtex XV3, über die ich ja schon mehrfach berichtet habe. Zuletzt habe ich dazu den OLG Schleswig, Beschl. v. 17.08.2021– II OLG 26/21 – vorgestellt (OWi I: Leivtex XV 3 ist doch noch standardisiert, oder: Die Bayern der Nordens/das OLG Schleswig meldet sich). Das OLG hat die Messungen nach wie vor als verwertbar angesehen. Anders als zuvor das OLG Celle und das OLG Oldenburg.

Zu dem OLG Schleswig, Beschl. v. 17.08.2021– II OLG 26/21 – hat dann inzwischen sehr schnell das OLG Oldenburg in dem Beschl. v. 26.08.2021 ablehnend Stellung genommen:

„Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht argumentiert primär damit, dass ein standardisiertes Messverfahren nach wie vor vorliege, da bei Messungen mit Fahrzeugen, die mit Reflektoren im Innenraum versehen seien, unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse – wenn auch ggf. mit Werten, die nicht der gefahrenen Geschwindigkeit entsprächen – zu erwarten seien.

Der Senat hält schon die Anknüpfung, die das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht vornimmt, für unzutreffend. Es kann nämlich nicht darauf ankommen, ob bei Fahrzeugen, bei denen sich Reflektoren im Innenbereich befinden, regelmäßig die gleichen Messergebnisse erzielt werden. Entscheidend ist vielmehr, dass Fahrzeuge, die mit der Geschwindigkeit „X“ an einem Messgerät vorbeifahren, identische Messergebnisse („X“ +/- Toleranz) hervorrufen, unabhängig davon, ob sie im Innenraum reflektierende Flächen aufweisen oder nicht. Das ist aber nicht immer der Fall.

Im Übrigen löst das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht den Begriff des standardisierten Messverfahrens nach Auffassung des Senats in unzulässiger Weise von einer Richtigkeitsvermutung für derartige Messverfahren. Der BGH (St 39, 291, Rn. 28 bei juris) hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass eine absolute Genauigkeit von Geschwindigkeitsmessgeräten nicht möglich sei, der Tatrichter dem vielmehr durch die Zubilligung von Messtoleranzen Rechnung tragen müsse. Das bedeutet aber, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass unter Berücksichtigung derartiger Messtoleranzen zutreffende Ergebnisse zu erwarten sind. Das ist aber nach den Feststellungen der PTB nicht in allen Konstellationen so.

Soweit das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seiner Entscheidung die Erwartung äußert, der Hersteller werde die Benutzer anweisen, Messungen die nach den Feststellungen der PTB fehlerbehaftet sein könnten, zukünftig nicht mehr vorzunehmen bzw. zu verwerten, ist diese Annahme unzutreffend. Die Firma Leivtec hat nämlich bereits am 05.07.2021 in einem Schreiben an ihre Kunden mitgeteilt, dass sie keinen Antrag auf Ergänzung der Bedienungsanleitung stellen werde.

Wenn das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht darauf verweist, dass die PTB die Bauartzulassung nicht zurückgenommen habe, beruht dies darauf, dass der PTB seitens des Herstellers mitgeteilt worden ist, dass dieser nicht beabsichtige, neue Geräte auf den Markt zu bringen. Wie die PTB dem Senat am 20. August 2021 mitgeteilt hat, sieht sie jedoch keine Möglichkeit, die Verwendung im Markt befindlicher Geräte zu unterbinden. Insoweit hätte eine Zurücknahme der Bauartzulassung keinerlei unmittelbare Auswirkung gehabt. (Zur Zeit der Geltung von § 25 a EO-AV hätte die Möglichkeit des Widerrufs der Zulassung bestanden)

Der Hinweis des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes auf mit (speziellen) Reflektoren im Innenraum präparierte Fahrzeuge könnte den Eindruck erwecken, derartige Reflektoren seien in der Praxis praktisch irrelevant. Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich bei den Reflektoren um Warnwesten gehandelt hat, wie sich aus dem Verweis des Abschlussstandes der PTB vom 9.6.2021 auf die Veröffentlichung von Kugele, Gut und Hähnle ergibt.

III.

Soweit der Senat in seinem oben genannten Beschluss vom 19.07.2021 ausgeführt hat, dass nach dem Abschlussbericht der PTB eine generelle Einstellung von Verfahren, bei denen die Geschwindigkeit mit dem Gerät Leivtec XV3 gemessen wurde, nicht mehr in Betracht komme, wird daran festgehalten. Da im vorliegenden Fall jedoch die Entscheidung des Amtsgerichtes bereits vom 14.01.2021 datiert, somit zu einem Zeitpunkt, bevor der Senat die Amtsgerichte erstmalig auf die „Leivtec-Problematik“ aufmerksam gemacht hat, kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht in Betracht. Der Senat schließt aus, dass das Amtsgericht nach seinen – des Senats- veröffentlichten Entscheidungen weiterhin von einem standardisierten Messverfahren ausgeht.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde mit anschließender Übertragung der Sache auf den Senat zur Ermöglichung einer Divergenzvorlage zum BGH kommt ebenfalls nicht in Betracht, da sich schon die tatsächliche Grundlage des vorliegenden Falles von der Konstellation des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes unterscheidet. Hier ist nämlich das Fahrzeugkennzeichen im Messung-Start-Foto vom Messfeldrahmen nur teilweise umfasst, sodass einer der Fälle vorliegt, in denen seitens der PTB unzulässige Messwertabweichungen festgestellt worden sind. Darüber hinaus liegt auch insoweit eine abweichende Tatsachengrundlage vor, als der Hersteller -wie ausgeführt-gerade keine Anpassung der Gebrauchsanweisung vornehmen wird.

Außerdem scheint das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht davon auszugehen, dass es ausschließlich in den von der PTB genannten Fällen zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen könne. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 19.07.2021 ausgeführt hat, gibt die PTB dafür aber keine „Garantie“.“

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