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bea II: Elektronisches Dokument im Zivilverfahren, oder: Einfache Signatur, Glaubhaftmachung, GBO

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Und nach den Entscheidungen von heute Mittag (vgl. dazu: beA I: elektronisches Dokument im Strafverfahren, oder: Technische Infrastruktur, Professor, StA) hier dann die Entscheidungen zu den Fragen aus dem Zivilverfahren bzw., was damit zu tun hat. Teilweise haben die Entscheidungen, wenn es um allgemeine Frage geht, natürlich auch für das Strafverfahren Bedeutung.

An erster Stelle hier der BGH, Beschl. v. 07.09.2022 – XII ZB 215/22 – zu einfachen Signatur:

Die einfache Signatur im Sinne des § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise bestehend aus einem maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder einer eingescannten Unterschrift. Nicht genügend ist das Wort „Rechtsanwalt“ ohne Namensangabe (im Anschluss an BAG, Beschluss vom 14. September 2020 – 5 AZB 23/20, BAGE 172, 186 = NJW 2020, 3476 und BSG, Beschluss vom 16. Februar 2022 – B 5 R 198/21 B, NJW 2022, 1334).

An zweiter Stelle der BGH, Beschl. v. 21.09.2022 – XII ZB 264/22 – zur Frage der Wiedereinsetzung/Glaubhaftmachung, und zwar:

    1. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung
      eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich
      heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe
      oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf
      seine Standespflichten anwaltlich versichern muss.
    2. Eine nachgeholte Glaubhaftmachung dreieinhalb Wochen nach der Ersatz-
      einreichung ist nicht unverzüglich erfolgt.

Die dritte Entscheidung, der OLG Schleswig, Beschl. v. 13.10.2022 – 7 U 160/22 – verhält sich auch noch einmal zu Wiedereinsetzungsfragen, und zwar wie folgt:

    1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nur gewährt, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Dabei muss sich die Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Es gilt der berufsbedingt strenge Sorgfaltsmaßstab, sodass insoweit regelmäßig eine Fristversäumnis verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre.
    2. Die Berufungsschrift darf nicht beim Ausgangsgericht, sondern muss beim zuständigen Berufungsgericht (in diesem Fall beim OLG Schleswig) eingelegt werden. Ein Rechtsanwalt hat durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht.
    3. Seit dem 01.01.2022 müssen vorbereitende Schriftsätze gemäß § 130 d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht werden. Gemäß § 130 a Abs. 5 S. 2 ZPO wird dem Absender nach der Übermittlung eine „automatisierte Bestätigung“ über den Zeitpunkt des Eingangs mitgeteilt.
    4. Das Fristenwesen einer Anwaltskanzlei muss sicherstellen, dass dem Rechtsanwalt die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittelfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden und zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich an das zuständige Gericht rechtzeitig hinausgehen. Dabei ist die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst dann als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine Weisung, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders nochmals und abschließend selbstständig überprüft wird. Das Erfordernis der allabendlichen Fristenkontrolle hat gerade den Sinn, durch eine doppelte Prüfung möglichst alle Fehlerquellen bei der Einhaltung von Fristen auszuschließen.
    5. Eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle darf nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware (hier „RA-Micro“) erfolgen, sondern erfordert auch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte. Das Büropersonal ist bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift anzuweisen, in der entsprechenden Anwaltssoftware (hier „RA-Micro“) das zuständige Berufungsgericht einzupflegen.
    6. Die Ursächlichkeit einer falschen Gerichtsadressierung entfällt lediglich dann, wenn ein an sich schuldhaftes Verhalten sich wegen eines Fehlers des unzuständigen Gerichts nicht entscheidend auswirkt. Kausalität wäre in diesem Fall nur dann nicht gegeben, wenn die Fristversäumnis bei pflichtgemäßer Weiterleitung des Schreibens an das zuständige Gericht vermieden worden wäre. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang erwartet werden konnte.

Und als letzte Entscheidung dann noch der OLG München, Beschl. v. 07.09.2022 – 34 Wx 323/22 – zum elektronischen Dokument im Grundbuchverfahren, und zwar:

Wird ein über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichter Schriftsatz ausgedruckt, liegt – unabhängig davon, ob der elektronische Rechtsverkehr im Grundbuchverfahren eröffnet ist – ein schriftlicher Antrag i.S. v. § 13 GBO vor. Ergibt sich aus den Umständen eindeutig, wer Antragsteller ist, muss das Schriftstück nicht von diesem unterschrieben sein.

U-Haft I: Überwachung von Telefongesprächen, oder: Auch noch, wenn es nur noch um die Rechtsfolgen geht

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Heute dann noch einmal Entscheidungen, die mit U-Haft zu tun haben. Allerdings nicht mit der Anordnung von U-Haft, sondern mit deren Vollzug, vor allem also mit U-Haft-Beschränkungen.

Und den Opener mache ich mit dem OLG München, Beschl. v. 25.05.2022 – 2 Ws 283/22 – zur Aufrechterhaltung von Haftbeschränkungen zur Abwendung von Verdunkelungsgefahr auch noch in einem Verfahren, in dem nur noch über den Rechtsfolgenausspruch zu verhandeln ist. Der Angeklagte befindet sich seit dem 28.06.2019 in U-Haft/Unterbringung wegen des dringenden Verdachts der Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und Nötigung. Es ist u.a. bestimmt, dass Telekommunikation des Angeklagten der Erlaubnis bedarf und ggf. zu überwachen ist. In der Folge Erlaubnisse wurden für Telefonate zwischen dem Angeklagten und seinen Eltern Erlaubnisse erteilt.

Am 13.07.2021 ist der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung und Nötigung schuldig gesprochen worden, gegen ihn wurde eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren verhängt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Den Haftbefehl ist nach Maßgabe des Urteils aufrecht erhalten worden.

Auf Revision des Angeklagten hat der BGH das Urteil am 22.03.2022 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Inzwischen befinden sich die Akten wieder „in der Instanz“.

Der Verteidiger des Angeklagten hat beantragt, die Anordnung über die akustische Überwachung der Telefonate zwischen dem Angeklagten und dessen Eltern aufzuheben. Der Antrag hatte keinen Erfolg:

„2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Denn die Voraussetzungen für eine Überwachung der Telekommunikation des Angeklagten mit seinen Eltern liegen weiterhin vor.

Gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 2 StPO kann das Haftgericht anordnen, dass Telekommunikation eines Untersuchungsgefangenen überwacht wird, soweit dies unter anderem zur Abwehr von Verdunkelungsgefahr erforderlich ist. Das gilt auch dann, wenn sich der Haftbefehl – wie hier – auf einen anderen Haftgrund stützt (Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, 2019, § 119, Rn 16).

Im vorliegenden Fall besteht nach wie vor die Gefahr, dass der Angeklagte unüberwachte Telefonate mit seinen Eltern zu Verdunkelungshandlungen missbrauchen würde. Dass er die verfahrensgegenständliche Tat eingeräumt hat und der gegen ihn ergangene Schuldspruch rechtskräftig ist, steht dem nicht entgegen. Denn aufgrund der Teilaufhebung des Urteils ist über den Rechtsfolgenausspruch neu zu verhandeln, und aus in dem Urteil wiedergegebenen Äußerungen des Angeklagten gegenüber seinen Therapeuten ergibt sich, dass er mit Nachdruck eine Unterbringungsanordnung gemäß § 63 StGB auch im vorliegenden Verfahren anstrebt (vgl. insbesondere Bl. 51 der Urteilsgründe, sechster Absatz). Angesichts dessen liegt es nahe, dass der Angeklagte einen Wegfall der Telekommunikationsüberwachung zu nutzen versuchen würde, um in Telefonaten mit seinen Eltern manipulativ darauf hinzuwirken, dass diese in der neuen Verhandlung als Zeugen Angaben zu seiner psychischen Verfassung vor der Tat machen, die geeignet wären, den Rechtsfolgenausspruch im erläuterten Sinne zu seinen Gunsten zu beeinflussen (gemäß § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO stünde das Verschlechterungsverbot der Anordnung einer Unterbringungsmaßregel gemäß § 63 StGB in der neuen Verhandlung nicht entgegen).

Konkreter Anhalt dafür, dass der Angeklagte eine Aufhebung der Telekommunikationsüberwachungsanordnung zu entsprechenden Verdunkelungshandlungen nutzen würde, resultiert daraus, dass er im Ermittlungsverfahren gezielt eine angeordnete Haftbeschränkung umging: Aufgrund der diesbezüglichen Ausführungen im vorletzten Absatz auf Seite 3 des Nichtabhilfebeschlusses hat der Senat die seinerzeitige Berichterstatterin des Hauptsachverfahrens vor der 20. Strafkammer des Landgerichts München I, Frau Richterin am Landgericht P., zu dem konkreten Hintergrund des dort erwähnten Vorfalls befragt. Diese erklärte, dass eine als sachverständige Zeugin vernommene Ärztin des BKH S. im Hauptverhandlungstermin vom 14.04.2021 ausgesagt habe, der Angeklagte sei zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm die erforderliche Erlaubnis, Telefonate zu führen, noch nicht vorlag, an einen im Besitz einer Telefonkarte befindlichen Mitpatienten herangetreten und habe diesen dazu überredet, ihm – dem Angeklagten – die Telefonkarte vorübergehend zu überlassen, um damit ein unüberwachtes Telefonat mit seinen Eltern zu führen. Der Senat hat keinen Grund daran zu zweifeln, dass Frau Richterin am Landgericht P. die Aussage der Ärztin zutreffend wiedergegeben hat. Dass deren Angaben nicht den Tatsachen entsprechen, sondern gleichsam aus der Luft gegriffen sind, ist auszuschließen. Der Senat teilt die Bewertung des Landgerichts, wonach aus jenem Vorfall eine grundsätzliche Bereitschaft des Angeklagten zu einer Gefährdung der Haftzwecke mittels gezielter Manipulationen abzuleiten ist.

Da mildere Mittel zur Verhinderung einer manipulativen Einflussnahme des Angeklagten auf seine in der neuen Verhandlung als Zeugen in Betracht kommenden Eltern nicht gegeben sind, ist die Aufrechterhaltung der beschwerdegegenständlichen Anordnung auch nicht unverhältnismäßig. Das durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Interesse des Angeklagten an vertraulicher innerfamiliärer Kommunikation hat unter den gegebenen Umständen hinter dem staatlichen Interesse an einer Meidung missbräuchlicher Einwirkungen auf die neue Verhandlung über den Rechtsfolgenausspruch zurückzustehen.“

Corona II: Masketragen und Abstand in der HV, oder: Die Sicherungsverfügung des Vorsitzenden

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Und als zweite Entscheidung dann noch einmal eine Sicherungsverfügung für die Hauptverhandlung. Dazu hat das OLG München im OLG München, Beschl. v. 17.05.2022 – 4d Ws 166/22 – Stellung genommen.

Folgender Sachverhalt: Die Vorsitzende der 1. Jugendkammer des Landgerichts München II hat am 22.06.2021 für eine am 23.08.2021 im Sitzungssaal in der S.straße 10 in M. beginnende Hauptverhandlung eine Sicherungsverfügung erlassen, in der unter Ziffer III. besondere Regelungen zur Vermeidung von Infektionen mit dem Erreger SARS-CoV-2 enthalten sind.

Unter Ziffer III.1. wird ausgeführt, dass nach dem aktuellen Hygieneplan (Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin M. vom 31.08.2020 bzw. 02.03.2021) im Zuschauerbereich des Sitzungssaals insgesamt 23 Sitzplätze für die Saalöffentlichkeit zur Verfügung stünden, von denen 11 Sitzplätze für Journalisten reserviert seien. Weiter enthält die Verfügung den Hinweis, dass ausschließlich die als solche gekennzeichneten Sitzplätze benutzt werden dürften. Die dazwischenliegenden Plätze hätten zur Einhaltung des Sicherheitsabstandes von 1,5 m frei zu bleiben; ihre Benutzung sei untersagt.

In Ziffer III.2. wird im Zuhörerbereich des Sitzungssaals wie auch im Sicherheitsbereich um den Sitzungssaal für das Sicherheitspersonal sowie für alle Zuhörer und Pressevertreter das stetige Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes (Maske der Schutzklasse FFP 2/KN 95 ohne Ausatemventil oder vergleichbar) vor Beginn, während und nach Ende der Sitzung angeordnet.

Ziffer II.3. regelt für alle Verfahrensbeteiligten (Gericht, Protokollführer, Staatsanwaltschaft, Nebenkläger, Nebenklägervertreter, Sachverständige, Verteidiger und Angeklagte) das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes, und zwar entweder das Tragen einer OP-Maske oder einer Maske der Schutzklasse FFP 2/KN 95 ohne Ausatemventil, im Sitzungssaal. Ausgenommen von dieser Pflicht sind diejenigen Verfahrensbeteiligten, denen während der Hauptverhandlung das Wort zu mündlichen Ausführungen erteilt ist.

Weiter behält sich die Vorsitzende vor, im Einzelfall unter bestimmten näher dargelegten Umständen die Maskentragungspflicht für einzelne Verfahrensabschnitte und/oder einzelne Verfahrensbeteiligte aufzuheben. Zudem wird geregelt, dass Zeugen und Sachverständige ihre Zeugenaussage/Gutachtenserstattung ohne Mund-Nasen-Bedeckung abzugeben hätten.

Mit Verfügung vom 03.05.2022 hat die Vorsitzende der 1. Jugendkammer des Landgerichts München II die Verpflichtung zur stetigen Maskentragungspflicht für das Sicherungspersonal, die Zuhörer und Pressevertreter in Ziffer III.2. der Sicherungsverfügung vom 22.06.2021 dahingehend modifiziert, dass nunmehr auch für sie und damit nunmehr für alle im Sitzungssaal anwesenden Personen das Tragen einer medizinischen Maske im Sinne einer sogenannten OP-Maske ausreichend sei.

Dagegen die Beschwerde des Angeklagten und der Verteidiger, die beim OLG keinen Erfolg hatte.

Das OLG sieht das Rechtsmittel als zulässig, aber unbegründet an:

„Die Anordnung, zum Schutz vor einer COVID-19-Infektion in der Hauptverhandlung eine medizinische Maske zu tragen, ist vorliegend von der Ermächtigung der Vorsitzenden zur Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 176 Abs. 1 GVG gedeckt und beruht auch auf einer fehlerfreien Ausübung des Ermessens der Vorsitzenden. Die Regelung des § 176 Abs. 1 GVG ermächtigt zu allen Maßnahmen, die für den ungestörten und gesetzesmäßigen Ablauf der Sitzung nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich sind (KK-Diemer, StPO, § 176 GVG Rdn.1).

Dazu zählen auch Maßnahmen zum Schutz der Verfahrensbeteiligten, sodass sich die Ermächtigung auch auf Maßnahmen zur Verhinderung einer Ansteckung mit dem Coronavirus bezieht (OLG Celle, aaO; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28.09.2020 – 1 BvR 1948/20 -, juris).

Der Vorsitzenden kommt dabei ein weiter Ermessensspielraum zu, wobei sich das Ermessen darauf bezieht, ob überhaupt eingeschritten wird und in welcher Weise auf eine drohende Störung unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter bei Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu reagieren ist (OLG Celle aaO).

Die dabei ergangene Entscheidung unterliegt im Beschwerdeverfahren nur der Prüfung, ob die Vorsitzende ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt und den Zweck sowie die Grenzen des Ermessens beachtet hat. Verwehrt ist dem Beschwerdegericht die Überprüfung der Zweckmäßigkeit sitzungspolizeilicher Maßnahmen (OLG Celle aaO; OLG Stuttgart aaO).

Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Sicherungsverfügung vom 22.06.2021 und ihre Abänderung in Ziffer III. 2. mit Verfügung vom 03.05.2022 der Nachprüfung stand.

Es begegnet keinen Bedenken, dass die Vorsitzende das Tragen einer medizinischen Maske in der Hauptverhandlung zum Schutz vor einer Coronainfektion für geeignet hält, das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus während der Sitzung zu reduzieren. Dies entspricht der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, wonach das Tragen einer Mund- und Nasenbedeckung das Infektionsrisiko verringern könne (vergleiche Robert-Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19 vom 05.05.2022). Somit ist die Anordnung geeignet, mögliche Infektionen im Gerichtssaal zu verhindern oder die Wahrscheinlichkeit dafür zu reduzieren.

Es ist auch die Annahme der Vorsitzenden nicht zu beanstanden, dass in geschlossenen Räumen neben der durch die Gerichtsverwaltung bereits festgelegten Mindestabstandsregelung und der Höchstzahlbestimmung anwesender Personen keine Maßnahmen zur Verfügung stehen, die ergänzend zu den Anordnungen der Verwaltung das Ansteckungsrisiko ebenso wirksam wie das Tragen einer Mund- und Nasenbedeckung reduzieren könnten.

Eine Mund- und Nasenbedeckung wird in geschlossenen Räumen einen höheren Schutz vor Infektionen bieten als das bloße Einhalten eines Abstands und das Lüften der Räumlichkeiten bei gleichzeitiger Beschränkung der Anzahl der anwesenden Personen.

Dies entspricht auch den Ausführungen des Robert-Koch-Instituts in seiner Risikobewertung zu COVID-19 vom 05.05.2022, wonach angesichts der weiterhin hohen Zahl von Neuinfektionen die konsequente kumulative Einhaltung von Hygiene, Lüften, Abstandhalten, Kontakteinschränkung und Maskentragung zur Reduktion des Infektionsrisikos erforderlich sind. Die Maßnahmen weisen nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts die höchste Effektivität auf, wenn sie bei einem Zusammentreffen von allen anwesenden Personen eingehalten werden.

Da danach mehrere in Betracht kommende aber noch nicht ausreichende Maßnahmen bereits durch die vorgegebenen Regelungen der Gerichtsverwaltung ausgeschöpft sind, bleibt zur weiteren Reduzierung des Risikos die Anordnung der Mund- und Nasenbedeckung. Die kumulative Anwendung dieser Maßnahmen entspricht den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts.

Die Vorsitzende ist im Rahmen ihrer Ermessensausübung rechtsfehlerfrei auch davon ausgegangen, dass die Anordnung der Mund- und Nasenbedeckung verhältnismäßig im engeren Sinne und damit angemessen ist.

Die Anordnung enthält eine geringfügige Belastung für die Beschwerdeführer und die Sitzungsteilnehmer. Das Tragen einer Maske ist grundsätzlich weder gesundheitsgefährdend noch ruft es körperliche Schmerzen oder gleichwertige nichtkörperliche Beeinträchtigungen hervor. Für den Einzelfall sieht die Anordnung Befreiungsmöglichkeiten vor. Dieser eher geringen Belastung der Sitzungsteilnehmer hat die Vorsitzende die Gefahr einer COVID-19-Infektion gegenübergestellt und dabei das Infektionsschutzinteresse für überwiegend gehalten. Dabei hat die Vorsitzende nicht verkannt, dass mittlerweile insgesamt das Infektionsgeschehen rückläufig ist, die bayerische Staatsregierung im öffentlichen Leben insbesondere hinsichtlich der Maskenpflicht die Coronamaßnahmen gelockert hat und die weiteren Hygienemaßnahmen während der Sitzungen ebenfalls einen Schutz bieten. Es begegnet rechtlich jedoch keinen Bedenken, dass die Vorsitzende diesen Umständen bei ihrer Abwägung letztlich weniger Gewicht beigemessen hat als den Risiko erhöhenden, sich nach wie vor in einer hohen Infektionsgefahr manifestierenden Gesichtspunkten.

Diese Umstände rechtfertigen es, die Anordnung der Vorsitzenden als angemessen anzusehen. Die Hauptverhandlung ist das Zusammentreffen einer Vielzahl von Personen in einem geschlossenen Raum mit einem vergleichsweise hohen Infektionsrisiko. Auch der Umstand, dass alle Verfahrensbeteiligten zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet sind, ohne selbst die Hygienemaßnahmen im Saal wesentlich beeinflussen zu können, spricht für die Schaffung eines hohen Schutzes. Somit war die Vorsitzende berechtigt, unter Ausübung ihres Ermessens, die angefochtene Anordnung gemäß § 176 Abs. 1 GVG zu verfügen.

Der Anordnung steht auch nicht die Regelung in § 176 Abs. 2 GVG entgegen, deren Satz 1 bestimmt, dass an der Verhandlung beteiligte Personen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen.

Denn § 176 Abs. 2 Satz 2 GVG sieht weiter vor, dass die Vorsitzende Ausnahmen vom Verbot des Verhüllens gestatten kann, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens kann die Vorsitzende daher Ausnahmen von § 176 Abs. 2 Satz 1 GVG bestimmen.

§ 176 Abs. 2 Satz 1 GVG bezweckt keineswegs eine Beschränkung der Befugnisse des Vorsitzenden zur Aufrechterhaltung der Ordnung (BayObLG, Beschluss vom 09.08.2021, BeckRS 2021, 25633). Vielmehr ging es dem Gesetzgeber um eine Entlastung des Vorsitzenden, der nicht mehr verpflichtet sein sollte, ein Verbot der Gesichtsverhüllung im Interesse der Sachaufklärung aussprechen und gegebenenfalls begründen zu müssen (Bay ObLG aaO).

Der sitzungspolizeilichen Anordnung der Vorsitzenden stehen auch nicht die Vorschriften der Art. 2 Abs. 1, Art. 11 Abs. 2 Satz 3, Art. 15 Satz 3 BayRiStAG i.V.m. Art. 75 BayBG entgegen, die vorsehen, dass Richter, Staatsanwälte und ehrenamtliche Richter bei Ausübung des Dienstes ihr Gesicht nicht verhüllen dürfen, es sei denn dienstliche Gründe erforderten dies. Eine sitzungspolizeiliche Anordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Sitzungssaal, die sich auf vernünftige Gründe des Gemeinwohls stützt, um die Wahrscheinlichkeit einer COVID-19-Infektion zu senken, stellt einen dienstlichen Grund im Sinne dieser Vorschriften zur teilweisen Verhüllung des Gesichts dar.

Die Befugnis zu sitzungspolizeilichen Anordnungen der Vorsitzenden bezieht sich auch auf die am Strafverfahren beteiligten Verteidiger (Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 176 Rdn.10).

Bei Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Vorsitzenden kommen bei Ihnen jedoch Zwangsmaßnahmen gemäß § 177 GVG regelmäßig nicht zur Anwendung, da der Gesetzgeber erwartet, dass sich Verteidiger – wie alle am Verfahren beteiligten Organe der Rechtspflege – an rechtmäßige sitzungspolizeiliche Anordnungen halten.

Es begegnet im Hinblick auf die angeordneten Maßnahmen der Sicherungsverfügung keinen rechtlichen Bedenken, dass die Sechzehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 01.04.2022 und das Infektionsschutzgesetz vom 20.03.2022 für eine Hauptverhandlung vor Gericht weder eine Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske noch die weiteren angeordneten Maßnahmen vorsehen. Die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung enthält dazu lediglich allgemeine Verhaltensempfehlungen.

Die Sicherungsverfügung beruht auf § 176 Abs. 1 GVG und nicht auf dem Infektionsschutzgesetz und auch nicht auf der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Letztere haben für ihren Regelungsbereich die schützenswerten wirtschaftlichen Interessen von Einrichtungen und Veranstaltern an einem möglichst ungehinderten Besucher- und Kundenverkehr zu berücksichtigen und gegen den Infektionsschutz abzuwägen (OLG Celle NStZ-RR 2022, 58). Bei sitzungspolizeilichen Anordnungen sind ökonomische Interessen nicht berührt. Maßgeblich sind dafür die Umstände der jeweiligen Hauptverhandlung und Gesichtspunkte des Infektionsschutzes.

Soweit die Beschwerdeführer sich gegen das Hygienekonzept für den Sitzungssaal in der S.straße 10 und damit zusammenhängend gegen die maximal zugelassene Anzahl der anwesenden Personen sowie das Mindestabstandsgebot wenden, handelt es sich nicht um eine von der Vorsitzenden der Strafkammer in der Sicherungsverfügung getroffene Regelung.

Das Abstandsgebot und die einzuhaltende Kapazitätsgrenze wurden im Rahmen des vom Präsidenten des Oberlandesgerichts M. festgelegten Hygienekonzepts durch die Gerichtsverwaltung für den Sitzungssaal bestimmt. Auch die Auswahl und Zuweisung des Sitzungssaals durch die Gerichtsverwaltung wird nicht durch die Sicherungsverfügung der Vorsitzenden geregelt.

Hinweis auf Höhe der Anwaltsgebühren erforderlich?, oder: Sittenwidrigkeit beim 3,6-Fachen über RVG?

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Und dann noch etwas zur Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG). Auch „kein Strafrechtsgrundfall“, aber das OLG München, Urt. v. 02.02.2022 – 15 U 2738/21 Rae – gilt acuh für andere Rechtsgebiete,

Folgender Sachverhalt: Der Kläger hatte einen Fachanwalt für Arbeitsrecht mit der gerichtlichen Vertretung in einem Kündigungsschutzprozess beauftragt. Zwischen dem Kläger und dem jetzt beklagten Rechtsanwalt wurde eine Vergütungsvereinbarung getroffen, die für den Rechtsanwalt ein Stundenhonorar von 340 EUR netto, mindestens aber das gesetzliche Honorar vorsah. Die Vereinbarung enthielt zudem eine sog. Nachverhandlungsklausel“ für ein Pauschalhonorar. Das sollte sich am Dreifachen der gesetzlichen Vergütung orientieren und dem Verlauf und den Besonderheiten des Mandats Rechnung tragen, wobei eine Abfindung dem Gegenstandswert hinzuzurechnen sein sollte.

Der Kündigungsschutzprozesse endete mit einem Vergleich, der u.a. eine Abfindungszahlung von 60.000 EUR brutto vorsah. Kurze Zeit nach dem Vergleich unterzeichneten die Parteien in der Kanzlei des Rechtsanwalts eine weitere Vergütungsvereinbarung, welche die erste Vereinbarung ersetzte und ein Pauschalhonorar von 12.000 EUR brutto vorsah. Der Rechtsanwalt hat mit der Rechtsschutzversicherung des Klägers die gesetzliche Vergütung von 3.305,82 EUR abgerechnet und verrechnete die vom Arbeitgeber auf sein Anderkonto bezahlte Abfindungsleistung mit seinem restlichen Vergütungsanspruch aus dem Pauschalhonorar.

Der klagende Mandat verlangt nun Zahlung der verrechneten Abfindung. Das LG hat der Klage statt gegeben. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg:

„1. Die zweite Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien vom 28.01.2020 ersetzt die erste Stundenhonorar-Vereinbarung zwischen den Parteien und entspricht der Vorschrift des § 3 a Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung. Die Vergütungsvereinbarung war entsprechend der Vorschrift des RVG in Textform gehalten und als solche bezeichnet. Sie enthielt keine sonstigen Abreden und war auch von der Vollmacht getrennt.

2. Inhaltlich ist diese Vergütung nicht zu beanstanden. Eine Herabsetzung der Vergütung nach § 3 a Abs. 2 Satz 1 RVG kommt – ungeachtet der Verpflichtung zur Erholung eines Gutachtens der zuständigen Rechtsanwaltskammer – nicht in Betracht. Auch eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben.

a) Die Regelung des § 3a Abs. 1 RVG soll den Auftraggeber vor einer unüberlegten, leichtfertigen oder unbewussten Eingehung von solchen Zahlungspflichten schützen, die ihm und darüber hinaus dem Ansehen der Rechtspflege schaden könnten (Toussaint/Toussaint, 51. Auflage 2021, § 3 a RVG, Rn. 17). Eine höhere als die gesetzliche Vergütung einschließlich Auslagen ist hierbei allerdings keineswegs sittenwidrig. Eine zwischen den Parteien eines Anwaltsvertrags vereinbarte Vergütung muss vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben unangemessen hoch sein (BGH NJW 2010, 1364). Maßgeblich ist weder die Sicht des Auftraggebers noch diejenige des Anwalts, es gilt ein möglichst objektiver Maßstab. Die gesetzliche Vergütung ist hierbei zwar ein Indiz für die Unangemessenheit, trägt den vorgenannten Umständen aber als eine Pauschgebühr oft nicht in ausreichendem Maße Rechnung (Toussaint/Toussaint, § 3 a RVG, Rn. 42). Ausgangspunkt für die gesetzlichen Gebühren im vorliegenden Fall ist die soziale Schutzvorschrift des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG. Danach bemisst sich der Streitwert in arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozessen nach maximal dem Dreifachen eines Bruttomonatsgehalts, hier unstreitig 3.305,00 €. Das hier in der zweiten Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien vereinbarte Honorar brutto 12.000,00 € stellt mithin das 3,6-fache der gesetzlichen Gebühren des Beklagten dar. Ein auffälliges Missverhältnis besteht allerdings nicht bereits aufgrund dieser 3,6-fachen Überschreitung, da dies – gerade bei Vergütungsvereinbarungen im unteren und mittleren Streitwertbereich – erst angenommen wird, wenn das vertraglich vereinbarte Honorar mehr als das 5-fache der gesetzlichen Vergütung beträgt (BGH AnwBl. 2017, 208; BGH NJW 2005, 2142; OLG München NJW-RR 2012, 1469; Toussaint/Toussaint, § 3 a RVG, Rn. 41 – Stichwort „gesetzliche Vergütung“).

b) Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Frage, ob ein für eine Sittenwidrigkeit sprechendes Missverhältnis vorliegt, auch der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, besondere und Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen (BGH, NJW 2000, 669). Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein mehrfaches übersteigt, angemessen sein (BGH, NJW-RR 2017, 377, 379). Der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig oder unangemessen hoch und daher nichtig oder herabzusetzen und sich hierbei auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar beruft, muss nicht nur dartun, dass die Vergütung die vereinbarten gesetzlichen Gebühren überschreitet (was hier unstreitig ist), sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandates geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist. Erst wenn auf dieser Grundlage feststeht, dass die versprochene Vergütung das angemessene Honorar deutlich überschreitet, kann ein besonders grobes Missverhältnis vorliegen (BGH NJW-RR 2017, 377, 379). Für die Frage, welche Vergütung im konkreten Fall marktangemessen ist, hat das Gericht alle für und gegen ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar sprechenden Indizien im jeweiligen Einzelfall zu würdigen (BGH, a.a.O.).

c) Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles vermag der Senat eine Unangemessenheit des vereinbarten Honorars in Höhe von brutto 12.000,00 € nicht zu erkennen. Es kann bereits nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger sich bewusst für eine Mandatierung gerade des Beklagten, einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, entschieden hat, weil er diesen als „harten Hund“ in einem anderen arbeitsrechtlichen Prozess erlebt hatte. Auch muss berücksichtigt werden, dass das Bruttomonatsgehalt des Klägers von 7.906,00 € ein hohes Gehalt darstellt und die vom Beklagten ausgehandelte Abfindung in Höhe von 60.000,00 € angesichts einer Beschäftigungsdauer des Klägers bei der Firma G. von lediglich drei bis vier Jahren (nach den eigenen Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat am 02.02.2022) eher mehr als das doppelte der üblicherweise zu zahlenden Abfindung bei betriebsbedingten Kündigungen darstellt (üblich ist ein Bruttomonatsgehalt pro Jahr der Beschäftigung). Unberücksichtigt darf im Rahmen der Abwägung auch nicht bleiben, dass der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts in Kündigungsschutzprozessen bei der Vertretung von Arbeitnehmern aus § 42 Abs. 2 GKG aus sozialen Gründen gedeckelt ist, um das Verfahren vor den Arbeitsgerichten möglichst günstig zu gestalten (vgl. Toussaint/Elzer, § 42 GKG, Rn. 34).

Nach alledem vermag der Senat im Rahmen der Abwägung des hier vorzunehmenden Einzelfalles trotz Vereinbarung des 3,6-fachen der gesetzlichen Gebühren ein auffälliges Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht festzustellen.

3. Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer (ungefragten) Aufklärungspflicht besteht entgegen der Annahme des Landgerichtes nicht:

a) Eine gesetzliche Regelung zur Hinweispflicht des Rechtsanwalts findet sich lediglich in § 49 b Abs. 5 BRAO. Danach hat der Rechtsanwalt vor Übernahme eines Auftrags ungefragt hinzuweisen, wenn sich die zu erhebende Gebühr nach dem Gegenstandswert richtet. Hierum geht es vorliegend aber nicht, da die in der zweiten Vergütungsvereinbarung vereinbarte Pauschalvergütung von brutto 12.000,00 € sich weder nach dem Gegenstand der anwaltlichen Vertretung im Kündigungsschutzprozess richtet noch überhaupt vor Übernahme des Auftrages erfolgte.

b) Ungefragt schuldet der Rechtsanwalt in allen anderen Fällen seinem Auftraggeber grundsätzlich keinen solchen Hinweis auf die bisher entstandenen oder noch zu entstehenden Gebühren. Nur auf Verlangen des Auftraggebers hat der Rechtsanwalt die voraussichtliche Höhe seines Entgeltes mitzuteilen (BGH, NJW 1998, 3486, 3487). Allerdings kann sich aus besonderen Umständen des Einzelfalles nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, auch ohne Frage des Auftraggebers diesen über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung zu belehren. Insoweit hat die erforderliche Gesamtwürdigung zu berücksichtigen einerseits den Schwierigkeitsgrad und Umfang der anwaltlichen Aufgabe, einen etwaig ungewöhnlich hohen Gegenstandswert und sich daraus ergebende hohe Gebühren, die das vom Auftraggeber erstrebte Ziel wirtschaftlich sinnlos machen können, andererseits die Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten sowie dessen Vermögensverhältnisse und Erfahrungen im Umgang mit Rechtsanwälten. Letztlich hängt die anwaltliche Pflicht, den Auftraggeber vor Vertragsschluss über die voraussichtliche Höhe der Vergütung aufzuklären, entscheidend davon ab, ob der Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis erkennen konnte und musste (BGH NJW 1998, 3486, 3487; BGH NJW 1985, 2642, 2643).

c) Unter Würdigung dieser Umstände des Einzelfalles vermag der Senat eine letztlich auf Treu und Glauben fußende Aufklärungspflicht über die bisher – aus der ersten Vergütungsvereinbarung – entstandene Vergütung nicht zu erkennen. Die vom Beklagten geleistete Stundenanzahl ist hier schon deshalb irrelevant, weil es sich zum einen nicht um ein Dauermandat handelte, in dem eine monatliche Abrechnung der geleisteten Stunden überhaupt auch nur vereinbart war. Zudem war aus der ersten Vergütungsvereinbarung klar ersichtlich, dass der Mandant und Kläger in jedem Falle eine Vergütung in Höhe der gesetzlichen Vergütung (hier 3.305,82 €) schuldete. Auch der von ihm geschuldete Betrag (€ 12.000,-) war vor Unterschriftsleistung unter die zweite Vergütungsvereinbarung für den Kläger eindeutig und unzweifelhaft ersichtlich. Zwar trägt der Kläger im Ansatz zutreffend vor, dass möglicherweise die Absichtserklärung in der ersten Vergütungsvereinbarung, später eine zweite Vergütungsvereinbarung zu schließen, irreführend war und bei einem rechtlichen Laien subjektiv der Eindruck entstehen konnte, zum Abschluss einer derartigen zweiten Vergütungsvereinbarung verpflichtet zu sein. Das vom Kläger behauptete grobe Ungleichgewicht in der Verhandlungsposition vermag der Senat allerdings in der hier vorliegenden Konstellation nicht zu erkennen. Der Kläger begab sich aus freiwilligen Stücken und nach einer bereits abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung in die Kanzleiräume des Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt war der Vergleich vor dem Arbeitsgericht mit einer Abfindungszahlung von 60.000,00 € bereits abgeschlossen und der arbeitsgerichtliche Termin aufgehoben. Es bestand daher keinerlei Abhängigkeit des Klägers vom Beklagten insoweit, als dessen Wohlwollen im Hinblick auf die Verhandlungstätigkeit des Beklagten für den Kläger am Verhandlungsergebnis noch etwas geändert hätte. Hinzu kommt – worauf die Berufung zu Recht hinweist – dass es dem Kläger unbenommen und ein Leichtes gewesen wäre, den Beklagten vor Abschluss der zweiten Vereinbarung nach der Höhe der bisher entstandenen Vergütung zu fragen. Auf entsprechendes Verlangen des Klägers wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, die bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Höhe seines Entgeltes mitzuteilen (siehe BGH a.a.O.). Soweit die Klagepartei meint, der Beklagte habe auf diesem Wege 22 % der Nettoabfindung des Klägers erhalten, sind zum einen hierbei etwaige Steuerrückerstattungen zum Ende des Kalenderjahres 2020 aufgrund der anschließenden Arbeitslosigkeit des Klägers nicht berücksichtigt und zum anderen kann diese Frage nur insoweit eine Rolle spielen, als sie das – oben bereits verneinte – Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, nicht aber eine ungeklärte Aufklärungspflicht betrifft.

Maßgeblich für die Frage einer Offenbarungspflicht über die bis zur entstandenen Gebühr ist vorliegend, ob der Mandant objektiv die voraussichtlich von ihm zu bezahlende Höhe der Vergütung erkennen konnte. Hierbei kann nicht außer Betracht bleiben, dass dem Kläger bereits aus der ersten Vergütungsvereinbarung (Anlage K 4) aus § 1 deutlich ersichtlich war, dass der Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt die Vereinbarung eines Pauschalhonorars anstrebte, das sich am Dreifachen der gesetzlichen Vergütung orientieren sollte und dem Verlauf und den Besonderheiten des Mandats Rechnung tragen wird. Auch wenn letztlich die vereinbarte Pauschalvergütung etwas höher war als das ursprünglich angedachte (hier das 3,6-fache), so hält sich die Vergütungsvereinbarung noch im Wesentlichen im Rahmen des ursprünglich beabsichtigten. Somit konnte und durfte für den Kläger nicht überraschend sein, dass vom Beklagten eine Honorarvereinbarung angestrebt wurde, die deutlich höher war als die gesetzliche Vergütung und möglicherweise auch als die tatsächlich geleistete Stundenzahl. Berücksichtigt man die vom Beklagten ausgehandelte Abfindung, die angesichts der Beschäftigungszeit des Klägers das Doppelte des Üblichen ausmachte sowie die noch drei weiteren Monatsgehälter, die nach dem abgeschlossenen Vergleich vom Arbeitgeber bis Ende Mai 2020 an den Kläger zu bezahlen waren, so ist unter Berücksichtigung dieses „Gesamtpaketes“ die vereinbarte Vergütung auch nicht als wirtschaftlich sinnlos anzusehen. Soweit der Kläger moniert, im Kalendermonat der Zahlung der Abfindung sei ein erheblicher Betrag aus dieser Abfindung zu versteuern gewesen (Nettobetrag unter 40.000,00 €), so wird der Kläger einen nicht unerheblichen Teil hiervon im Rahmen der Einkommenssteuer 2020 auch unter Berücksichtigung der sich anschließenden Arbeitslosigkeit wieder zurückerhalten haben.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sowie der oben zur Höhe der Vergütung bereits abgehandelten Argumente vermag der Senat eine ungefragte Aufklärungspflicht über die Höhe der bis zum Abschluss der zweiten Vergütungsvereinbarung entstandenen Gebühren nicht zu erkennen. Es wäre dem Kläger – wie ausgeführt – unbenommen gewesen, den Beklagten vor Abschluss der zweiten Vergütungsvereinbarung über die bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen Gebühren zu fragen oder die ihm vorgelegte zweite Vergütungsvereinbarung schlicht nicht zu unterzeichnen. Einer Drucksituation unterlag der Kläger aufgrund des zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen arbeitsgerichtlichen Verfahrens und des abgeschlossenen Vergleichs ersichtlich nicht mehr.“

Corona I: 660.000 bzw. ca. 1,2 Mio EUR für Maskendeals, oder: Bestechlichkeit/Bestechung von Mandatsträgern

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So, zum Wochenstart mal wieder Corona. Ist ja auch nicht überraschend. Wir stecken in der 4. Welle – ja, auch wenn die Politik nur wenig tut -, die 5. Welle droht am Horizont. Und die Gerichte bereiten die vorhergehenden Wellen auf. So das OLG München mit dem OLG, Beschl. v. 17.11.2021 – 8 St 3/21 u. 8 St 4/21 – zur Maskenaffäre um den ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und den CSU-Landtagsabgeordneten Alfred Sauter, ehemals Minister in Bayern. Die sollen für die Vermittlung von Corona-Maskengeschäften im Jahr 2020 reichlich Geld erhalten haben, und zwar Nüßlein 660.000 EUR und Sauter ca. 1,2 Mio EUR.  Deshalb ist ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen Korruptionsverdachts eingeleitet worden. Vorwurf: § 108e StGB – Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern. In dem sind Durchsuchungsbeschlüsse und Vermögensarreste ergangen, gegen die Beschwerde eingelegt worden ist.

Über die hat jetzt das OLG München entschieden. Ich will jetzt nicht aus dem gut 15 Seiten langen Beschluss zitieren, sondern empfehle insoweit das Selbstleseverfahren.  Das OLG hat aufgehoben. Nach seiner Auffassung macht sich ein Mandatsträger durch die Annahme von unberechtigten Vermögensvorteilen nicht strafbar, wenn er lediglich die Autorität seines Mandats oder seine Kontakte nutzt, um Entscheidungen von außerparlamentarischen Stellen, zum Beispiel Behörden und Ministerien, zu beeinflussen.

Dass dem OLG nicht wohl bei seiner Entscheidung ist – was allerdings kein Maßstab sein kann – erkennt man an der Passage:

„Da der deutsche Gesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass „eine Handlung oder Unterlassung ‚bei der Wahrnehmung des Mandats‘ ausschließlich bei parlamentarischen Verhandlungsgegenständen vorliegt“ und er die Art. 12 ER-Übk und Art. 18 VN-Übk explizit nicht umsetzen wollte, ist es dem Senat als Teil der Judikative verwehrt, das dem Beschuldigten vorzuwerfende Verhalten unter die Strafnorm des § 108e Abs. 1 StGB zu subsumieren (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, juris Rn. 73; vom 14. Juni 2007 – 2 BvR 1447/05, juris Rn. 91). Der Senat hat es aufgrund der Gewaltenteilung hinzunehmen, dass die Vorstellung des Deutschen Bundestags über die Strafwürdigkeit gewisser Verhaltensweisen seiner Mitglieder (und der Mitglieder der Länder- und Kommunalparlamente) von der Auffassung der internationalen Normgeber substanziell abweicht, auch wenn die diesbezüglichen Erwägungen des deutschen Gesetzgebers, dass es keinen Anlass gebe, die missbräuchliche Einflussnahme unter Strafe zu stellen (BT-Drucks. 18/9234, S. 36) und dass ein Bedürfnis für eine derart weitgehende Bestrafung dritter Personen bislang nicht aufgetreten sei (BT-Drucks. 18/2138, S. 82), vor dem Hintergrund des vorliegenden Falls zweifelhaft erscheinen dürften.“

Mal sehen, was der BGH dazu sagt. Die GStA hat ja Beschwerde angekündigt.

Übrigens: Wenn man die Summen sieht, dürften Pflegekräfte verzweifeln. Und man muss sich über „Politikverdrossenheit“ nicht wundern.