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Pflichti II: Umbeiordnung, oder: Die „Masche“ mit den Mehrkosten läuft so nicht

© ernsthermann - Fotolia.com

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Der mir vom Kollegen Bennek aus Dresden übersandte LG Bielefeld, Beschl. v. 07.09.2016 – 8 Qs 379/16 VIII – behandelt eine Konstellation, die in der Praxis gar nicht so selten sein dürfte und daher den Weg hierhin in Pflichti II gefunden hat (zu Pflicht I siehe den LG Köln, Beschl. v. 19.07.2016 – 108 Qs 31/16 – mit Pflichti I: Schwierig ist das Verfahren, wenn es um ein Beweisverwertungsverbot geht). Es geht um ein Verfahren gegen einen sprachunkundigen Ausländer. Dem wird mit Anklage die Begehung eines gewerbsmäßigen Diebstahls in Tateinheit mit Hausfriedensbruch vorgeworfen. Aufgrund Verfügung des Amtsrichters wurde dem Angeklagten die Anklage nebst einer Übersetzung in die georgische Sprache zugestellt sowie ein – nicht übersetztes – Schreiben mit einer Fristsetzung von 2 Wochen für eine Stellungnahme mit dem Zusatz: „Ihnen ist ein Pflichtverteidiger/eine Pflichtverteidigerin zu bestellen. Sie erhalten Gelegenheit, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens einen Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin Ihres Vertrauens zu benennen. Falls Sie keinen Rechtsanwalt/keine Rechtsanwältin benennen, wird das Gericht Ihnen einen Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin auswählen und als Pflichtverteidiger/Pflichtverteidigerin bestellen.“ Nachdem eine Stellungnahme nicht erfolgte, eröffnete das AG mit Beschluss vom 04.01.2016 das Hauptverfahren und bestellte Rechtsanwalt pp. aus H. zum Pflichtverteidiger. Mit Schriftsatz vom 21.03.2016 meldete sich dann der Kollege Bennek und beantragte, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen. Auf den Hinweis, dass bereits ein Pflichtverteidiger bestellt sei, beantragte er die Aufhebung der Bestellung des Rechtsanwalts pp.  und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger unter Hinweis darauf, dass dem Angeklagten nicht ausreichend Gelegenheit zur Benennung eines Verteidigers gegeben worden sei; für den Fall, dass dem anders sei, bitte er um Mitteilung, er werde dann auf die durch die Auswechslung des Pflichtverteidigers entstehenden Mehrkosten verzichten. Nachdem Rechtsanwalt pp. sich mit seiner Entpflichtung einverstanden erklärt hatte, hat, das Amtsgericht Lübbecke mit dem angefochtenen Beschluss diesen entpflichtet, Rechtsanwalt B. zum Pflichtverteidiger bestellt und angeordnet, die durch den Verteidigerwechsel entstehenden Mehrkosten dem neuen Pflichtverteidiger nicht zu erstatten. Gegen diese Anordnung richtet sich dann die Beschwerde des Angeklagten.

Das LG Bielefeld gibt ihm Recht. Die Entscheidung lässt sich in etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Das sich aus Art.6 Abs.3 lit. e) MRK ergebende Recht des sprachunkundigen Ausländers auf Unterstützung durch einen Dolmetscher gilt nicht nur für die Hauptverhandlung, sondern soll für das gesamte Verfahren sicherstellen, dass ihm sämtliche Schriftstücke und Erklärungen in dem gegen ihn geführten Verfahren übersetzt werden, auf deren Verständnis er angewiesen ist, um ein faires Verfahren zu haben. Hierzu gehört auch die Kenntnis des Rechts, vor der Bestimmung des Pflichtverteidigers einen Rechtsanwalt seines Vertrauens zu benennen.
  2. Ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfolgt, ohne dass dem Beschuldigten die notwendige Gelegenheit gegeben wurde, einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, ist die Bestellung aufzuheben und der nunmehr bezeichnete Rechtsanwalt beizuordnen. Die Erstattung der durch den Verteidigerwechsel entstehenden Mehrkosten kann dem neuen Pflichtverteidiger in diesem Fall nicht verweigert werden.

M.E. sowohl zu 1 als auch 2 von Bedeutung. Gerade die „Masche“ mit den Mehrkosten ist ja in der Praxis sehr beliebt. Sie läuft in diesen Fällen jedenfalls nicht.

Der „steife Penis“ kommt zur Anklage, die „Nacktbilder“ nicht – Durchsuchung rechtswidrig

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Heute starte ich dann mal mit einer Entscheidung zu einer Durchsuchung, und zwar mit dem LG Bielefeld, Beschl. v. 25.11.2015 – 3 Qs 556/ Js 1306/14-316/15, der sich zur Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchungsanordnung in einem Verfahren u.a. wegen des Besitz von Kinderpornografie verhält (Nacktbilder des pp.). Jedenfalls ist das von mehreren Verfahren nur noch übrig geblieben. In dem Verfahren ergeht ein Durchsuchungsbeschluss, den das LG dann als rechtswidrig angesehen hat:

„Letztlich besteht daher nur ausreichender Verdacht dahingehend, dass der Beschwerdeführer im Besitz von Nacktbildern des Geschädigten ppp. ist, welche dieser ihm übersandt haben will. Insofern ist aber eine Durchsuchung nicht verhältnismäßig.

Mit der Anklageschrift vom 25.11.2014 ist u.a. zur Anklage gelangt, dass der Beschwerdeführer dem Geschädigten in der Zeit von Juni bis September 2013 zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt ein Bild von seinem steifen Penis übersandt habe. Dieses Bild ist weder bei dem Geschädigten noch bei dem Beschwerdeführer vor Anklageerhebung sichergestellt worden. Gestützt wurde dieser Anklagepunkt leidglich auf die Angaben des Geschädigten pp., welcher in seiner polizeilichen Vernehmung, BI. 52 der Ermittlungsakte, folgendes bekundet hat: „Der ppp. hat mich auch mal aufgefordert, mit meinem Handy Bilder von mir zu machen, auf denen ich unbekleidet zu sehen bin. Er hat solange gedrängelt, bis ich nachgegeben habe. Ich habe dann zwei bis drei Bilder von mir gemacht und ihm sie über What’sApp zugeschickt. Wann das war, kann ich überhaupt nicht sagen, ich habe keine zeitliche Vorstellung davon. Er mir auch mehrere Bilder über What’sApp geschickt, auf denen sein steifer Penis zu sehen war.“

Für die Kammer ist nicht ersichtlich, weshalb vorliegend unterschiedlich verfahren wurde. Während das Geschehen betreffend des Fotos vom steifen Penis des Beschwerdeführers zur Anklage gelangt ist, wurde das Geschehen betreffend die Fotos vom unbekleideten Geschädigten in dem Ursprungsverfahren der Staatsanwaltschaft 566 Js 1519/13 nicht weiter behandelt, es wurde einerseits nicht angeklagt, aber andererseits wurde es auch nicht in der Begleitverfügung gem. § 154 StPO vorläufig eingestellt. So war die Staatsanwaltschaft jedoch wegen weiterer Vorfälle des sexuellen Missbrauchs nach § 176 Abs. 1 und 4 StGB zum Nachteil des Geschädigten pp. verfahren. Vielmehr wurden die vom Geschädigten pp. bekundeten Nacktbilder dann als letztlich einzig durchgreifender Tatverdacht zur Grundlage des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses gemacht.

Unter Berücksichtigung dieses Hintergrundes war der Durchsuchungsbeschluss nicht verhältnismäßig; der Besitz kinderpornografischer Schriften hätte zum einen wie das Geschehen betreffend des Fotos vom steifen Penis des Beschwerdeführers auch ohne Vorlage der Fotos des Geschädigten ppp. angeklagt werden können. Zum anderen ist ein angemessenes Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftat — Besitz kinderpornografischer Schriften — vor dem Hintergrund, dass dem Beschwerdeführer in der Anklage vom 25.11.2014 insbesondere vier Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes – dem Geschädigten  – vorgeworfen wurden, nicht gegeben.“

Bewährungsstrafe für Opa – Banküberfall für kranke Enkelin

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Die Tagespresse (vgl. u.a. hier) berichtete in den letzten Tagen über die Verurteilung eines 60-jährigen wegen eines versuchten Banküberfalls. Bei dem Täter handelte es sich um einen 60-jährigen Großvater hatte, der in Ostwestfalen eine Bank überfallen hatte, um seiner schwer kranken Enkelin mit der Beute zu helfen. Die war nämlich war mit einem Herzfehler zur Welt gekommen und schon mehrmals operiert worden. Die Krankenkasse zahlte inzwischen nicht mehr für die Therapien.

Der Großvater ist zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Begründung des LG Bielefeld: Zwar schwere räuberische Erpressung, aber Versuch und ehrenwertes Motiv.