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Rechtsfolgen III: Doppelverwertungsverbot bei OWi’s, oder: Eine „Gesamtgeldbuße“ gibt es nicht

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Und als letzte Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 18.08.2023 – 3 ORbs 172/23 – 122 Ss 40/23, also Bußgeldverfahren. Das AG hat die Betroffene wegen vier tateinheitlich begangener Verstöße gegen das ProstSchG zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und wegen eines weiteren Verstoßes gegen die GewO zu einer Geldbuße von 200 EUR verurteilt und daraus eine „Gesamtgeldbuße“ von 1.200 EUR gebildet. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

Das KK moniert zunächst nicht ausreichende Feststellungen des AG und beanstandet die amtsgerichtliche Beweiswürdigung. Insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext. Zu den Rechtsfolgen führt es dann aus:

„3. Schließlich ist auch die Rechtsfolgenbemessung zu beanstanden.

a) Indem das Amtsgericht ausführt, der Verstoß sei „als erheblich einzustufen, da mit der Erlaubnispflicht für das Prostitutionsgewerbe und den dafür bestehenden Schutzvorschriften der illegalen Prostitution und sexuell übertragbaren Krankheiten vorgebeugt werden soll“ (UA S. 5), bewertet es einen Umstand als belastend, der nicht die Tatausführung betrifft, sondern bereits Grundlage der Bußgeldnorm ist. Dies stellt einen Verstoß gegen den auch im Bußgeldverfahren anzuwendenden Rechtsgedanken des § 46 Abs. 3 StGB dar (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 05.12.2013 – 3 Ss OWi 1470/13 und 01.02.2017 – 3 Ss OWi 80/17 [beide juris]; Mitsch in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 17 Rn. 36). Das Doppelverwertungsverbot soll verhindern, dass Umstände, die bereits zum Tatbestand der Bußgeldnorm gehören oder, wie hier, das generelle gesetzgeberische Motiv für die Bußgelddrohung darstellen, bei der Bemessung der Geldbuße noch einmal herangezogen werden.

b) Als problematisch muss auch der im Tenor benutzte Terminus der „Gesamtgeldbuße“ gelten. Nach dem im Bußgeldrecht geltenden Kumulationsprinzip ist keine „Gesamtgeldbuße“ festzusetzen (vgl. OLG Karlsruhe VRS 108, 63; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 20 Rn. 2). Jedenfalls fehlerhaft ist vor diesem Hintergrund die Begründung der Bildung einer einheitlichen „Gesamtgeldbuße“, nach der „die Geldbuße … in der Höhe für fünf begangene Verstöße, davon vier in Tateinheit, angemessen und sachgerecht“ erschien (UA S. 5).“

StGB III: Widerstand durch Festkleben auf der Straße, oder: Das hätte das KG gern in den Urteilgründen

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Ich hatte heute Morgen zwar geschrieben, dass es heute drei StGB-Entscheidungen vom BGH gibt. Nun, ist dann doch nicht so. Ich habe das Programm umgestellt.

Ich bin nämlich im Laufe des Tages auf den KG, Beschl. v. 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 – gestoßen und möchte den dann doch heute sofort bringen. Denn es geht um eine Frage, die die Gerichte ja in der letzten Zeit vermehrt beschäftigt hat. Und dazu gibt es bisher wenig obergerichtliche Rechtsprechung, nämlich zur Frage des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte bei Festkleben auf Fahrbahn. Dazu dann also jetzt das KG:

Das AG hat die Angeklagte am 12.01.2023 wegen „gemeinschaftlich begangener“ Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer zu einer Geldstrafe verurteilt. Das AG istvon folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich die ledige Angeklagte, die Studentin ist und eine Halbwaisenrente in unbekannter Höhe bezieht, von 8:00 bis 9:40 Uhr auf dem Autobahnzubringer A 111 im Bereich K.-Damm/H.Damm in B. an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der sich sie und drei weitere Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn der viel befahrenen Straße setzten, um so die auf der Straße befindlichen Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade durch Polizeibeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Wie von ihr beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade bis zu deren Auflösung zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung in Form eines ca. 60 Minuten andauernden Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge über mehrere hundert Meter. Zur Erschwerung der erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade befestigte sie zeitgleich ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn, so dass die Polizeibeamten sie erst nach Lösung des Klebstoffs, die eine bis eineinhalb Minuten in Anspruch nahm, von der Straße tragen konnten.“

Das KG hat aufgehoben. Ihm reicht die Beweiswürdigung des AG nicht:

 „Auf der Grundlage dieses Maßstabs erweist sich das angefochtene Urteil als lückenhaft. Denn ihm ist nicht zu entnehmen, worauf das Amtsgericht seine Annahme gestützt hat, die Angeklagte habe sich auf der Fahrbahn festgeklebt, um die erwartete polizeiliche Maßnahme zur Räumung der Blockade zu erschweren (UA S. 2). Dies ist weder den mitgeteilten Zeugenaussagen noch dem mitgeteilten Inhalt des Geständnisses zu entnehmen. Dass es glaubhaft sei, weil es dem “aktenkundigen Ermittlungsergebnis” (UA S. 3) entspreche, und die Angeklagte es „uneingeschränkt“ abgelegt habe (UA S. 6), führt zu keiner anderen Betrachtung, weil das bloße Abgleichen des Geständnisses mit der Aktenlage keine hinreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung darstellt (vgl. BGH NStZ 2023, 57 m.w.N.). Als allgemeinkundig kann der Umstand, die Angeklagte habe sich festgeklebt, um die Räumung durch die Polizei zu erschweren, nicht angesehen werden (zur Allgemeinkundigkeit vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 –  3 StR 508/17 -. juris; LG Berlin, Urteil vom 18. Januar 202 – (518) 237 Js 518/22 Ns (31/22) -, juris). Dazu hätte es weiterer Ausführungen bedurft.“

Und dann gibt es noch folgende „Anmerkungen“:

„3. Da bereits der unter 1. dargelegte Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils führt, kam es zwar auf das weitere Rügevorbringen der Angeklagten nicht mehr an, der Senat merkt aber dazu folgendes an:

a) Auch die auf die Verwerflichkeitsprüfung beziehende Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft. Das Amtsgericht hat seine Schlussfolgerung (durch wörtliche – kommentarlose – Wiedergabe einer etwa sechs Monate vor Beginn der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung), die Tat der Angeklagten sei verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB, auf die “teilweise Dringlichkeit der blockierten Transporte” und auf den Umstand gestützt, dass die Aktion unangekündigt gewesen sei (UA S. 5). Unklar bleibt allerdings, auf welcher tatsachenbegründeten Beweiswürdigung diese Schlussfolgerung beruht; auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Feststellungen dazu enthält das Urteil nicht. Diese ergeben sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.

Zwar stützt sich das Amtsgericht zur Begründung der Höhe des einzelnen Tagessatzes auf lückenhafte Feststellungen. Denn es hat ausgeführt, die Höhe des einzelnen Tagessatzes gemäß § 40 Abs. 2 StGB geschätzt zu haben, verschweigt aber, auf welcher tatsächlichen Grundlage es die Schätzung vorgenommen hat; die Mitteilung, die Angeklagte sei Studentin und beziehe eine Halbwaisenrente, lässt keine konkreten Rückschlüsse auf die Höhe des Einkommens zu. Allerdings hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die als Studentin in L. lebende Angeklagte über ein unter 600,- Euro liegendes Einkommen verfügt, weswegen sie dieser Rechtsfehler nicht beschwert……

5. Zur weiteren Sachbearbeitung weist der Senat auf Folgendes hin:

„a) Grundsätzlich kommt eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.

aa) Das Festkleben auf der Fahrbahn, um das Entfernen von dort zu verhindern oder zu erschweren, kann als Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB qualifiziert werden; es ist in seiner physischen Wirkung dem Selbstanketten (vgl. dazu BVerfGE 104, 92; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353) vergleichbar. Hier wie dort liegt eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftentfaltung vor, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren (vgl. BGHSt 18, 133, 134; NStZ 2023, 108; 2013, 336). Dass Polizeibeamten das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit (vgl. zu diesem Merkmal BGHSt 65, 36 m.w.N.) des Widerstands (a.A. LG Berlin, Beschluss vom 20. April 2023 – 503 Qs 2/23 -, juris). Ob das Festkleben im konkreten Einzelfall als gewaltsamer Widerstand gegen eine Diensthandlung im Sinne von § 113 Abs.1 StGB zu qualifizieren ist, bedarf allerdings der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. zu § 240 StGB Senat DAR 2022, 393). Hierbei sind auch Umfang und Dauer der zur Überwindung des Hindernisses erforderlichen Mittel in den Blick zu nehmen und vom Tatgericht zumindest in Grundzügen – wie es das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung noch ausreichend getan hat – darzulegen. Der Umstand, dass die Polizeibeamten nach den getroffenen Feststellungen eine bis eineinhalb Minuten benötigten, um die Angeklagte von der Fahrbahn zu lösen, ist ein gewichtiges Indiz, dass im vorliegenden Fall für die Annahme von Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB spricht.

bb) Ebenso wenig steht einer Strafbarkeit nach § 113 Abs. 1 StGB entgegen, dass die Widerstandshandlung (hier durch Festkleben auf der Fahrbahn) bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung (Entfernen der Demonstranten von der Fahrbahn) vorgenommen wurde. Zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands genügt es, wenn der Täter gezielt eine Widerstandshandlung vornimmt, die bei Beginn der Vollstreckungshandlung noch fortwirkt (vgl. BGHSt 18, 133; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353). Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss allerdings in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vorzubereiten (vgl. BGH a.a.O.). Das Tatgericht hat deshalb dahingehende Feststellungen zu treffen, ob sich der Täter (zumindest auch) festgeklebt hat, um sich der von ihm erwarteten polizeilichen Räumung zu widersetzen.

c) Um den Schluss ziehen zu können, dass eine Nötigung verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB ist, bedarf es einer einzelfallbezogenen Würdigung aller Tatumstände. Das kommentarlose Einrücken von Textpassagen – hier einer etwa sechs Monate vor der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung – genügt dem nicht und ist vielmehr geeignet, das Vertrauen der Bürger in das Bemühen der Gerichte um Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit nachhaltig zu beschädigen.

Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Verwerflichkeit zu ermöglichen, hat das Tatgericht in den Urteilsgründen eine tragfähige Entscheidungsgrundlage darzulegen. Das Gericht wird zumindest folgende Gesichtspunkte zu beachten und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben:

  • Ankündigung der geplanten Blockade/ Anmeldung der Demonstration,

  • Dauer der Blockade,

  • eine präzise Beschreibung des Tatorts, wobei hinsichtlich der Einzelheiten auch gemäß 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Lichtbilder, Tatortskizzen, Kreuzungspläne und dergleichen mehr verwiesen werden kann,

  • Art und Ausmaß der Blockade, insbesondere die Länge des Staus, sowie etwaige Ausweichmöglichkeiten für die Kraftfahrer vor der blockierten Fahrbahn,

  • die Motive der Angeklagten, insbesondere auch dazu, warum sie sich festgeklebt hat,

  • Zweck/Zielrichtung der Demonstration.“

Verkehrsrecht I: Geschwindigkeitsfeststellung, oder: Absichtsmerkmal beim Alleinrennen

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Ich habe länger keinen „Verkehrsrechtstag“ 🙂 mehr gemacht. Den bringe ich dann heute.

Zunächst hier der KG, Beschl. v. 08.05.2023 – 3 ORs 22/23 – 161 Ss 60/23 – zur Geschwindigkeitsfeststellung beim sog. „Alleinrennens“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Das KG hat die Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Es hat zur einer Stellungnahme des Verteidigers nur „ergänzend“ Stellung genommen: nur ergänzende

„Als unproblematisch erweisen sich die äußeren Tatbestandsmerkmale des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und der vom Landgericht festgestellte allgemeine Tatbestandsvorsatz. Die Feststellungen rechtfertigen auch die Bewertung der Tat als rücksichtslos. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

1. Im Grundsatz zutreffend problematisiert die Revision, dass die vom Landgericht festgestellten Geschwindigkeiten von zunächst 120 km/h, dann 149 km/h, hiernach wieder 120 km/h und schließlich 177 km/h (bei erlaubten 80 km/h) unorthodox festgestellt worden sind. Denn das Urteil teilt zwar mit, das „geeichte Messgerät ProViDa“ sei im verfolgenden Polizeifahrzeug eingeschaltet gewesen, „um die gefahrene Geschwindigkeit zu messen und hierüber die Geschwindigkeit des Angeklagten zu bestimmen“ (UA S. 5). Die Urteilsgründe verhalten sich aber nicht zum mit dem geeichten Gerät verwendeten Messverfahren (ProViDa), ein elektronisches Messverfahren zur Bestimmung der Durchschnittsgeschwindigkeit von Fahrzeugen. Die Gründe enthalten auch nichts zu der, wie senatsbekannt, hiermit üblicherweise verbundenen Auswertung durch eine so genannte Videodistanzanalysesoftware (ViDistA) und namentlich nichts dazu, welche (Durchschnitts-) Geschwindigkeit über dieses standardisierte Messverfahren gegebenenfalls beweissicher ermittelt worden ist. Vielmehr weisen die Urteilsfeststellungen nur aus, welche Werte der polizeiliche Zeuge auf dem Gerätedisplay situativ abgelesen hat. Diese belegen aber für sich betrachtet und ohne Weg-Zeit-Berechnung nur die vom Polizeifahrzeug gefahrene Geschwindigkeit, hingegen nicht diejenige des vorausfahrenden Angeklagten.

Diese Darstellung erweist sich aber im Ergebnis als nicht rechtsfehlerhaft. Es gibt nämlich keinen Numerus Clausus der Verfahren zur Geschwindigkeitsermittlung. Es besteht auch keine Regel, der zufolge ein Messverfahren ausschließlich seiner (komplexen) Bestimmung nach verwendet werden darf. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO), welche für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen ist (§ 267 Abs. 1 StPO).

Die sich hieraus ergebenden Anforderungen erfüllt das Urteil. Es teilt nämlich mit, dass sich der zunächst „etwa gleichbleibende Abstand“ des verfolgenden Polizeifahrzeugs zum vom Angeklagten geführten PKW Porsche 911 im Zeitpunkt des Ablesens des höchsten Geschwindigkeitswertes (177 km/h) noch vergrößerte (UA S. 4 und 6 oben). Da das Urteil auch angibt, dass das Messgerät geeicht war (UA S. 5), kann der Senat die Bewertung des Landgerichts nachvollziehen, der Angeklagte habe gegen Ende der etwa 3.500 Meter langen Strecke tatsächlich die Geschwindigkeit von 177 km/h erreicht. Der Einwand der Revision, „dass Tachometer immer vorgestellt sind“ (RB S. 2), geht angesichts der festgestellten Eichung hier fehl.

2. Die Feststellungen weisen auch aus, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) (UA S. 3). Dass die Strafkammer hierbei eine Formulierung verwendet, die fast dem Gesetzeswortlaut entspricht, ist hinzunehmen. Zum einen wird die gesetzliche Phrase um tatsächliche Merkmale ergänzt („mit seinem hochmotorisierten PKW über eine längere Wegstrecke bei der konkret vorliegenden Verkehrslage“ [UA S. 3]). Zum anderen enthält auch die Beweiswürdigung weitere tatsächliche Eigenschaften des gesetzlichen Absichtsmerkmals (hierzu nachfolgend).

3. Die Absicht, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“, wird auch durch die Beweiswürdigung getragen.

a) Zur Erfüllung des tatbestandlichen Absichtsmerkmals muss der Täter nicht das Ziel verfolgen, die Möglichkeiten seines Fahrzeugs „voll auszureizen“. Ein solches Erfordernis würde den Täter, der ein hochmotorisiertes Fahrzeug führt und sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen kann, ohne an das Limit der technischen Leistungsfähigkeit zu gehen, unangemessen und sinnwidrig begünstigen (vgl. Senat NZV 2019 314 [m. zust. Anm. Quarch]). Das Gesetz stellt hier auf die „relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit“ ab (vgl. Senat a.a.O.; BeckOK StGB/Kulhanek, 56. Ed., § 315d Rn. 35; MüKo/Pegel, StGB 4. Aufl., § 315d Rn. 26; vgl. auch BT-Drs. 18/12964, 5). Dies fasst insbesondere die fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit (wobei diese nicht erreicht sein muss), das subjektive Geschwindigkeitsempfinden, die Verkehrslage und die Witterungsbedingungen zusammen (BT-Drs. 18/12964, 5, vgl. auch Senat a.a.O.). Auf diese Weise sollen der nachgestellte Renncharakter manifestiert, bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen hingegen nicht von der Strafbarkeit umfasst werden, auch wenn sie erheblich sind (BT-Drs. 18/12964, 6). Gerade nicht erforderlich ist demnach, dass der Täter tatsächlich mit der fahrzeugspezifisch höchstmöglichen Geschwindigkeit gefahren ist (vgl. Schönke/Schröder/Hecker, StGB 30. Aufl., § 315d Rn. 9).

b) Nachvollziehbar hat die Strafkammer aus der nach außen erkennbar gewordenen Fahrweise des Angeklagten auf die nach diesen Maßgaben bestimmte Absicht geschlossen, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Als tatsächlich zweifelhaft mag dabei erscheinen, ob die frappierend hohe und die zulässige Höchstgeschwindigkeit um fast 100 km/h und mehr als 120% überschreitende Geschwindigkeit allein eine tragfähige Grundlage gewesen wäre, auf das gesetzliche Absichtsmerkmal zu schließen. Das Landgericht hat seine Schlussfolgerung auf die innere Tatseite aber auf weitere äußere Umstände gestützt. Zum einen hat es eine äußerst bedrängende Fahrweise festgestellt: Der Angeklagte fuhr nämlich über einen Großteil der Strecke mit einem Abstand von nur 20 bis 25 Meter hinter einem PKW, wobei letzterer nach dem ersten „Auffahren“ des Angeklagten von 120 auf 149 km/h beschleunigt wurde (UA S. 3). Zum anderen beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug „sofort stark“ (UA S. 4) von 120 auf 177 km/h, nachdem das vorausfahrende Fahrzeug die linke Fahrspur verlassen hatte. Eine noch höhere Geschwindigkeit, so teilt das Urteil als glaubhafte Bekundung des polizeilichen Zeugen mit, sei „in Anbetracht der Verkehrslage“ unmöglich gewesen (UA S. 6). Der Zusammenhang der Feststellungen legt zudem nahe, dass dem Angeklagten eine noch höhere Geschwindigkeit auch deshalb nicht möglich gewesen wäre, weil er nach Erreichen der 177 km/h die Autobahn an der Anschlussstelle Späthstraße verließ. Dies räumt auch, ohne dass es darauf ankäme, die Verteidigung in ihrer Stellungnahme vom 3. Mai 2023 ein. Die Einwendung der Revision, „ein Porsche“ sei technisch in der Lage, „höchste Geschwindigkeiten (bis über 300 km/h) zu halten“ (RB S. 2), mag sachlich allgemein zutreffen, geht aber an den hier getroffenen tatsächlichen Feststellungen, nach denen eine höhere Geschwindigkeit als 177 km/h situationsbedingt nicht möglich war, vorbei. Unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang auch die Erklärung der Revision, die vom Angeklagten erreichte Geschwindigkeit sei „erforderlich“ gewesen, um „die nächste Ausfahrt zu erreichen“ (Gegenerklärung vom 3. Mai 2023).

c) Die durch das Landgericht vom äußeren Tatgeschehen auf die „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ gezogene Schlussfolgerung erweist sich damit als möglich und vertretbar. Sie entzieht sich mithin revisionsrechtlicher Intervention.“

 

 

 

Bewährung II: Widerruf von Strafaussetzung, oder: Leichte Kriminalität und Vertrauensschutz

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Und dann im zweiten Posting zwei KG-Entscheidungen, und zwar:

Im KG, Beschl. v. 16.02.2023 – 2 Ws 1/23 – geht es um den Bewährungswiderruf bei wiederholter Begehung von Delikten der leichteren Kriminalität.

Dazu führt das KG aus:

„Jede in der Bewährungszeit begangene Straftat von einigem Gewicht rechtfertigt, unabhängig davon, ob sie einschlägig oder nicht einschlägig ist, den Widerruf der Bewährungsentscheidung (std. Rspr., vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Januar 2023 – 2 Ws 192/22 –, vom 14. April 2014 – 2 Ws 116/14 – und vom 14. Oktober 2013 – 2 Ws 494-495/13 –, juris; alle m.w.N.). Auch Straftaten, die nur mit Geldstrafen geahndet wurden, sind grundsätzlich als Widerrufsgrund geeignet. Denn § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB setzt nicht voraus, dass die neue Tat der früheren nach Art und Schwere entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 – m.w.N.). Es kommt also nicht darauf an, ob die neue Tat und die frühere kriminologisch vergleichbar sind oder sonst in einem inneren Zusammenhang stehen. Die Erwartung künftiger Straffreiheit wird vielmehr durch jede Tat von nicht unerheblichem Gewicht in Frage gestellt, auch durch eine solche, die nicht mit Freiheitsstrafe geahndet wurde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Januar 2023 – 2 Ws 192/22 – und vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 –). Allerdings stellt die „Erwartungsformel“ klar, dass bloße Gelegenheits- bzw. Fahrlässigkeitstaten und sonstige Verfehlungen von geringem Gewicht nicht in jedem Fall zu einem Widerruf führen, wenn sie zu der früheren Tat in keiner Beziehung stehen und nach der Gesamtschau weiterhin von einer günstigen Prognose ausgegangen werden kann. Ist daher der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit erstmals durch ein nicht einschlägiges Bagatelldelikt aufgefallen, das sich in Anbetracht seiner mittlerweile wieder soliden Lebensführung und unter Berücksichtigung der Tatumstände als einmalige Entgleisung darstellt, so scheidet ein Widerruf der Strafaussetzung schon aufgrund der Erwartungsklausel – und nicht erst in Anwendung von § 56f Abs. 2 StGB – aus (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 –). Für den Widerruf kann es andererseits jedoch ausreichen, wenn bei einer Mehrzahl neuer vorsätzlicher Taten jede einzelne zwar nur gering wiegt, alle zusammengenommen nach Unrecht und Schuld aber nicht als bedeutungslos bezeichnet werden können. Auch kann die wiederholte Begehung von Delikten der leichteren Kriminalität zur Widerlegung der der Strafaussetzung zugrundeliegenden Prognose führen (vgl. Senat a.a.O. m.w.N. und Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 2 Ws 520/08 –, juris).

Gemessen an diesen Maßstäben erfordert die Gesamtschau aller Umstände den Widerruf der Bewährung. 3 Abs. 1 Satz 1 StPO.“

Und dann der KG, Beschl. v. 23.11. 2022 – 2 Ws 161/22 – zum Bewährungswiderruf wegen einer durch Strafbefehl geahndeten Tat und zum Vertrauensschutz. Zum Vertrauensschutz führt das KG aus:

„3. Dem danach angezeigten Widerruf stehen entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung auch nicht Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entgegen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Kammergerichts kann einem Widerruf entgegenstehen, dass bei dem Verurteilten ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, ein Widerruf der Strafaussetzung wegen der Anlasstat werde nicht mehr erfolgen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. März 2013 – 2 BvR 2595/12 –, juris; Senat, Beschluss vom 22. Januar – 2 Ws 17/14 –, juris; KG, Beschluss vom 24. März 2015 – 5 Ws 30/15 –). Der Schutz dieses Vertrauens folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, a. a. O.). Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles. Dabei kann ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der zuständigen Justizstellen dazu beitragen, aus der maßgeblichen Sicht des Verurteilten ein Vertrauen zu schaffen, zu einem Widerruf werde es nicht mehr kommen (vgl. Senat, a. a. O.; KG, a. a. O.).

b) Gemessen daran durfte der Verurteilte nicht darauf vertrauen, dass ein Widerruf im hiesigen Verfahren nicht mehr ergehen werde…..“

Bewährung I: Zweimal „besondere Umstände“, oder: Bewährungsgrund- und Reststrafenaussetzung

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Heute dann ein Tag mit Bewährungsentscheidungen.

Zunächst hier dann zwei Entscheidungen zu „besonderen Umständen“, und zwar einmal zu § 56 Abs. 2 StGB – also „Bewährungsgrundaussetzung“ – und einmal zu § 57 Abs. 2 StGB – also Reststrafenaussetzung. Und zwar:

1. Die Beurteilung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, die für die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr erforderlich sind, hat das Tatgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten vorzunehmen.

2. Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, was sich auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben kann.

3. Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand, wenn das Tatgericht trotz Vorliegens mehrerer gewichtiger Milderungsgründe diesen ohne Begründung von vornherein jede Bedeutung für die nach § 56 Abs. 2 StGB zutreffende Entscheidung abspricht und auch die gebotene Gesamtbetrachtung unterlässt.

4. Will das Tatgericht die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung darauf stützen, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe im Sinne des § 56 Abs. 3 StGB gebietet, ist auch hierfür eine umfassende Gesamtwürdigung von Tat und Täter erforderlich.

Ergibt das kriminalprognostische Gutachten, dass die positive Entwicklung des Verurteilten während des Strafvollzuges erheblich über das Maß hinausgeht, was zur Erstellung einer günstigen Prognose erforderlich ist, kann – insbesondere bei Zusammentreffen mit weiteren Milderungsgründen – auch das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zu bejahen sein.