Schlagwort-Archive: Haftprüfung

„Du, du …“, oder: Das folgenlose Überschreiten von Fristen

© Stefan Rajewski Fotolia .com

© Stefan Rajewski Fotolia .com

Wenn ich solche Beschlüsse wie den KG, Beschl. v. 14.10.2014 – 1 Ws 83/14 – lese, dann frage ich mich immer, warum es eigentlich gesetzliche Fristen gibt, wenn deren Überschreitung doch keine Folgen nach sich zieht, außer vielleicht einem symbolischen „Du, du“. Die Frage stellt sich für mich z.B. bei der Verletzung der Drei-Tages-Frist des § 306 Abs. 2 StPO, aber auch bei der Zwei-Wochen-Frist des § 118 Abs. 5 StPO. Die letztere sieht vor, das eine mündliche Haftprüfung „unverzüglich“ durchzuführen „ist“ und sie – ohne Zustimmung des Beschuldigten „nicht über zwei Wochen nach dem Eingang des Antrags anberaumt werden darf“. M.§. deutlich, oder?

Nun, leider nicht, wie der erwähnte KG, Beschluss mal wieder zeigt, den man dahin zusammenfassen kann: Die Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist ist dann nicht schlimm, wenn sie nur geringfügig überschritten worden ist.

Der Senat hatte dabei auch die vom Angeklagten geltend gemachte Verletzung des § 118 Abs. 5 StPO bedacht. Zu der mit der Beschwerde erneut vorgetragenen Rüge bemerkt der Senat:

„Richtig ist zwar, daß die in dieser Vorschrift normierte Zweiwochenfrist für die Durchführung der mündlichen Haftprüfung nach dem Gesetzeswortlaut nicht überschritten werden „darf“ und hier bei dem auf den 31. Juli 2014 durch das Landgericht anberaumten Termin zu der am 14. Juli 2014 noch vor dem Amtsgericht beantragten mündlichen Haftprüfung nicht eingehalten worden ist. Das hat jedoch auch unter Beachtung des grundrechtlich geschützten Freiheitsanspruchs des Beschuldigten (Art. 104 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG) nach herrschender Meinung nicht zur Folge, daß er bei einer Fristüberschreitung stets aus der Haft zu entlassen ist (vgl. KG, Beschluß vom 20. Juli 2009 – 4 Ws 72/09 -; OLG Köln StV 2009, 653; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 17; Schmitt in Meyer-Goßner, StPO 57. Aufl., Rdn. 4 zu § 118; Hilger in LR, StPO 26. Aufl., Rdn. 20 zu § 118). Das steht auch im Einklang mit der zu § 121 Abs. 1 StPO ergangenen Rechtsprechung, wonach allein die verspätete Vorlage der Akten beim Oberlandesgericht noch kein Grund ist, den Haftbefehl aufzuheben (vgl. OLG Hamm NJW 2007, 3221 und NStZ-RR 2003, 143; OLG Karlsruhe StV 2000, 513 – bei juris). Für die Regelung des § 118 Abs. 5 StPO bedeutet das nach Auffassung des Senats, daß jedenfalls in den Fällen, in denen die Verspätung nur geringfügig ist und nicht auf groben Bearbeitungs- oder Organisationsfehlern beruht, wie in den vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidungen des AG Frankfurt/Main (StV 1993, 33) und des AG Hamburg-Harburg (StraFo 2005, 198), die Nichteinhaltung der Frist unschädlich ist. So liegt es hier.

Die Überschreitung der Frist von nur drei Tagen war dadurch bedingt, daß die Staatsanwaltschaft nach der Inhaftierung des Angeklagten unter Beachtung des Beschleunigungsgebots bereits am 23. Juli 2014 Anklage erhoben hatte und damit wegen des umfangreichen Prozeßstoffes ersichtlich auch aus prozeßökonomischen Gründen die weiteren Entscheidungen über die Haftverhältnisse dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht überlassen wollte, das sich ohnehin umfassend in die Sache einarbeiten mußte. In den Akten ist zudem ausführlich dokumentiert, daß unter Berücksichtigung einer angemessenen Vorbereitung der Strafkammer und zeitlicher Verhinderung der Richter sowie des Verteidigers ein früherer Termin nicht möglich war. Dem Angeklagten wäre zudem nicht damit gedient gewesen, wenn das Landgericht die mündliche Haftprüfung fristgerecht durchgeführt und wegen unzureichender Vorbereitung die Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Gesetz (§ 118a Abs. 4 StPO) um eine Woche hinausgeschoben hätte.

Also – wie gehabt: Gerade mal ein verstecktes „Du, du“. Noch nicht mal ein: „Aber nicht wieder tun, dann …..“

Beschleunigung, Beschleunigung, je oller das Verfahren, je doller…

Die Entscheidung des OLG Nürnberg v. 21.10.2010 – 1 Ws 579/10 setzt sich mit der Frage auseinander, ob das OLG – wenn nach einer Haftprüfung gem. §§ 121, 122 StPO die in Strafsachen gebotene Beschleunigung des Verfahrens missachtet wird – den Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot ggf. auch schon vor Ablauf der weiteren Prüfungsfrist des § 121, 122 StPO aufheben darf. Das OLG bejaht das wie folgt:

„1. Der Senat ist bereits vor Ablauf der mit Beschluss vom 29.7.2010 gesetzten weiteren Prüfungsfrist von 3 Monaten gem. § 121 Abs. 1 StPO befugt, den Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot aufzuheben. Es kann offenbleiben, ob und innerhalb welchen Zeitfensters das OLG eine haftaufhebende Entscheidung vor Ablauf der 6-Monatsfrist treffen darf (vgl. für den uneinheitlichen Meinungsstand LR-Hilger § 122 Rdn. 29, 30). Jedenfalls für die Zeit erneuter Prüfungen hat das Oberlandesgericht mit Vorlage der Akten unverzüglich den Haftbefehl aufzuheben, wenn die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO nicht mehr gegeben sind. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 122 Abs. 4 S. 1 StPO, der bestimmt, dass allein dem Oberlandesgericht auch nach Rückübertragung gem. § 122 Abs. 3 S. 3 StPO die Haftverlängerungskompetenz vorbehalten ist. Ergänzend legt § 122 Abs. 4 S. 2 StPO für diese Prüfung eine Höchstfrist fest, denn die Prüfung nach § 121 Abs. 1 StPO muss „spätestens“ nach drei Monaten wiederholt werden. Die Festlegung des Höchstprüfungszeitraums im Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts hat das Ziel, eine kontinuierliche, aber auch schematisierte Haftkontrolle zu gewährleisten. Es soll sichergestellt werden, dass die Akten bis zum festgelegten Termin zur Prüfung vorgelegt werden. Eine zeitliche Einschränkung der Haftkontrolle mit der Folge unzulässiger vorfristiger Entscheidung kann aus der Vorschrift nicht entnommen werden (vgl. auch OLG Düsseldorf StV 1991, 222; SK-StPO/Paeffgen § 122 Rn. 13 a.E). Andernfalls würde das Oberlandesgericht durch eine Rückübertragung nach § 122 Abs. 3 S. 3 StPO sich selbst seiner Entscheidungskompetenz gem. § 121 Abs. 1 begeben, die das Haftgericht wegen § 121 Abs. 4 S. 1 StPO nicht hat. Dies hätte die gesetzwidrige Folge, dass überhaupt kein Gericht mehr für die Haftkontrolle zuständig wäre, weil das eine Gericht noch nicht und das andere nicht bzw. nicht mehr zuständig wäre.“

In der Sache kommt das OLG dann auch zur Aufhebung, weil das LG acht Monate nach Eingang der Anklage und mehr als ein Jahr nach Beginn der U-Haft immer noch keinen Termin anberaumt hatte. Die Frist von drei Monaten, die i.d.R. höchstens zwischen der Eröffnung des Hauptverfahrens und der Hauptverhandlung liegen soll/darf, scheint sich im Übrigen allmählich zu verfestigen (vgl. dazu auch BVerfG StV 2007, 366  m.w.N., OLG Nürnberg StraFo 2008, 469). Hier ist – so das OLG – primär zwar auf den förmlichen Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses abzustellen, darüber hinaus ist aber auch zusätzlich zu prüfen, ob bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Eröffnungsreife gegeben war.

Der „Fall Kachelmann“ und was man daran zeigen kann/sollte: Präjudiz vermeiden, auch wenn es schwer fällt

Ich will/werde mich jetzt nicht auch noch in die Diskussion im „Fall Kachelmann“ einschalten; darüber wird hier genug hin und her diskutiert. Der Fall ist allerdings exemplarisch und gibt Gelegenheit dann doch auf das ein oder andere hinzuweisen und damit das, worauf auch schon an anderer Stelle , vgl. z.B. auch hier, hingewiesen worden ist, noch einmal verstärken/bekräftigen:

  1. Mitdiskutieren über das Für und Wider der Verteidigung des Kollegen Birkenstock kann man nur, wenn man die Akten genau kennt; so im Ergebnis zutreffend der Kollege Hoenig. Und wer kennt sie denn schon?
  2. In Haftsachen gilt häufig die Devise „Weniger ist mehr“, oder „Gut Ding will Weile haben„, was meint: Ich muss mir als Verteidiger sehr genau überlegen, ob ich in die (weitere) Haftbeschwerde gehe, und eine Beschwerdeentscheidung des LG bzw. des OLG riskiere. Denn damit schaffe ich immer ein Präjudiz. All zu gern wird – vor allem auf eine oberlandesgerichtliche – Beweiswürdigung im weiteren Verfahrensablauf zurückgegriffen, auch wenn sich ggf. die Beweislage geändert bzw. das Gewicht von Beweisen verschoben hat. Dann ist es schwer davon wegzukommen. Deshalb kann es sich – so schwer es auch ist – schon lohnen, auf leisen Sohlen daher zu kommen.
  3. Besser ist m.E. häufiger der Weg über § 116 StPO und der Versuch, eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu erreichen. Mir ist – auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen (siehe dazu 1) – derzeit unerklärlich, warum der Weg vom AG nicht gegangen wird. Mal abgesehen davon, dass ich mir schon von Anfang an die Frage gestellt habe, ob eigentlich überhaupt „Fluchtgefahr“ bejaht werden kann. Aber auch das ist letztlich ein Problem/eine Frage, die man nur nach Aktenkenntnis beurteilen kann. Und die haben wir alle nicht.

Aber: Angeblich wird ja nun der Weg zum OLG Karlsruhe „beschritten“ . Von da werden wir dann demnächst, hoffentlich alsbald, Neues hören.

Haftprüfung, Pflichtverteidiger und Akteneinsicht – wann kommt der EGMR bei den AG an?

Ein Kollege schildert mir gerade den Ablauf eines Haftprüfungstermins (ERi = Ermittlungsrichter; RA = Rechtanwalt

ERi in Urlaub, die Vertreterin – eine sehr toughe junge Richterin erscheint.

RA: Ich beantrage die Beiordnung als PflV

ERi: Rechtsgrundlage?

RA: § 140 I Nr. 4 StPO n.F. (nF ganz leise genuschelt…)

ERi: Der gilt aber erst ab 1.1.2010

RA: Aber der Rechtsgedanke findet bereits jetzt Anwendung. Schließlich handelt es sich ja nur um die Umsetzung der bereits bekannten höchstrichterlichen Rspr.

ERi: Ja schon, aber ich bin nicht zuständig.

Zur AE dann folgender Dialog:

RA: Ich wüsste gerne die wesentliche Grundlage der Haftentscheidung.

ERi: Ich gebe die Akte keinesfalls raus.

RA: Die Basis der Haftentscheidung muss aber dem Besch bzw. dem Verteidiger bekannt gemacht werden.

ERi: (wie vor)

RA: Können Sie mir nicht wenigstens den Inhalt sonst irgendwie bekannt machen?

ERi: (wie vor)

RA: Dann dürfen Sie den HB nicht erlassen, denn ich kenne die Basis der Entscheidung nicht. Das Verfahren ist nicht kontradiktorisch, Verstoß gegen Waffengelichheit, bla bla bla…

ERi: (wie vor)

RA: Sie wissen, dass die Invollzugsetzung dann rechtswidrig ist

ERi: (wie vor) Zusatz: Dafür ist die STA zuständig.

RA: Die ist aber nicht hier. Und wenn ich keine AE bekomme, dann beantrage ich sofort nach Erlass Haftprüfung und die muss gleich durchgeführt werden, da muss ich dann AE bekommen und (siehe oben) bla bla bla

ERi: Ja ich könnte ja mal anrufen

RA: Tun sie das.
ERi telefoniert, murmel murmel….

ERi: Kein Problem, hier ist die Akte…

Kurze Pause, während der RA Akte einsieht…

Zur „Strafe“ kommt Mandant in eine JVA, die über 1 Stunde Fahrtzeit von der Kanzlei einfache Strecke – wobei das nicht ERi verfügt hat, sondern die Geschäftsstelle vorher schon abgeklärt hat.

Schwank am Rande: Der Kollege nach mir meinte, dass er ja nur gekommen sei, weil § 140 I Nr. 4 StPO ja seit 1.9. gelte. Sonst wäre er gar nicht erschienen. Ohne Beiordnung gehe gar nix… Ich habe ihn in dem Glauben gelassen…“

Ein m.E. „schönes“ (?) Beispiel der „Rechtswirklichkeit. Natürlich gilt der der neue § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO noch nicht, aber man könnte ja schon mal an ihn denken. Natürlich ist der Ermittlungsrichter derzeit für die Beiordnung nicht zuständig. Demnächst ist er es (§ 141 Abs. 4 Hs. 2 StPO n.F.).

 „Schlimmer“ finde ich das Umgehen mit der AE. Die Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG scheint zunächst mal nicht zu interessieren (vgl. z.B. EGMR StRR 2008, 98 ff. und die gerade diese Entscheidung bestätigende Entscheidung der Kammer des EGMR. Man kann nur hoffen, dass das alles ab 01.01.2020 (upps, Anm. von mir: hier muss natürlich 2010 stehen, typischer Freudscher Versprecher :-)) anders wird. Bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt.