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Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung – Feststellungen nicht zu knapp?

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Eine Vorsatzverurteilung ist im Hinblick auf das Absehen vom Fahrverbot mehr als misslich, weil dann nämlich nach der Rechtsprechung der OLG im Zweifel das Absehen vom Fahrverbot „erst recht“ nicht in Betracht kommt, da die BKatV eben von fahrlässigen Verstößen ausgeht. Deshalb muss man als Verteidiger bei einer Vorsatzverurteilung immer auch im Auge behalten, ob die insoweit getroffenen Feststellungen ausreichend sind. Das war im OLG Hamm, Beschl. v. 18.12.2012 – III – 1 RBs 166/12 – nicht der Fall. Da hatte das AG den Vorsatz bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung wohl allein mit dem Ausmaß der festgestellten Überschreitung begründet. Das hat dem OLG nicht gereicht:

Auch die Ausführungen, mit denen der Tatrichter die Annahme unterlegt, der Betroffene habe den Tatbestand vorsätzlich verwirklicht, sind nicht geeignet, den Schuldspruch in subjektiver Hinsicht zu tragen. Allein aus dem Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung kann nicht auf vorsätzliches Verhalten geschlossen werden. Zwar kann das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung ein Indiz für vorsätzliches Verhalten sein (zu vgl. Krumm, NZV 2007, 502 f.), jedoch ist hierbei auch die konkrete Verkehrssituation zu berücksichtigen. Feststellungen insbesondere zum Verkehrsaufkommen, zur Anzahl der Spuren, zum Straßenverlauf, zum Ausbau der Straße, zur Randbebauung sowie zur Erkennbarkeit der Beschilderung enthält das angefochtene Urteil nicht.

Geschwindigkeitsüberschreitung um 55 km/h – wirklich?

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Ein wenig durcheinander ging es in der Beweiswürdigung eines Urteils des AG Bayreuth, jedenfalls ist das OLG Bamberg mit den Ausführungen des Amtsrichters nicht klar gekommen und hat die amtsrichterliche Entscheidung im OLG Bamberg, Beschl. v. 06.06.2012 – 2 Ss OWi 563/12 – aufgehoben. Der Amtsrichter hatte den Betroffenen wegen einer auf der BAB A 9 begangenen fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 55 km/h zu einer Geldbuße von 240,00 € verurteilt. In der Beweiswürdigung des Urteils des AG war dann einerseits festgestellt, dass im Bereich der Messung eine Geschwindigkeitsbeschränkung durch Zeichen 274 auf 60 km/h bestand; andererseits führte der Tatrichter zur vom Betroffenen an der Messstelle gefahrenen Geschwindigkeit u.a. aus:

Bei der Messung ist eine Geschwindigkeit von 160 km/h gemessen worden. Zum Ausschluss von Messtoleranzen hat das Gericht einen Abzug von 5 km/ vorgenommen, so dass letztlich von einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h auszugehen war.“

Das OLG hat einen Fehler in der Beweiswürdigung angenommen:

Diese Feststellungen sind zwar bei einer lediglich auf die beweiswürdigenden Ausführungen beschränkten Betrachtung nicht widersprüchlich, da selbstverständlich bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h der Betroffene auch mit einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h gefahren sein könnte. Sie tragen jedoch die Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h nicht.

 Wenn nämlich die tatrichterliche Feststellung zu der vom Betroffenen gefahrenen Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h zutrifft, dann muss – bei einer Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h – die Feststellung zur Beschränkung der Geschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 60 km/h unzutreffend sein; es müsste vielmehr eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf 100 km/h angeordnet gewesen sein. Falls die Feststellung zur Beschränkung der Geschwindigkeit auf 60 km/h an der Messstelle zutreffend sein sollte, dann kann angesichts der Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h die im Rahmen der Beweiswürdigung erfolgte Feststellung einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h nicht zutreffen.

 Nicht in Einklang zu bringen sind die beweiswürdigenden Ausführungen und die Sachverhaltsfeststellung des Tatrichters zur gefahrenen Geschwindigkeit auch mit folgender Erwägung des Tatrichters zur Verhängung des Fahrverbots:

 „Die Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit war enorm, der Betroffene ist nahezu doppelt so schnell gefahren wie erlaubt.“

 Wenn an der Messstelle eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h bestand, dann betrug die vom Amtsgericht festgestellte gefahrene Geschwindigkeit von mindestens 155 km/h deutlich mehr als das Doppelte der erlaubten Geschwindigkeit. Bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h fuhr der Betroffene mit 155 km/h auch nicht annähernd „doppelt so schnell … wie erlaubt.“

Man muss schon klar sagen bzw. es muss klar werden, wovon denn nun ausgegangen wird.

Geschwindigkeitsüberschreitung – Geständnis – Urteilsgründe – was haben die miteinander zu tun?

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Auf die Frage: „Geschwindigkeitsüberschreitung – Geständnis – Urteilsgründe – was haben die miteinander zu tun? muss man antworten: Eine Menge, und davon kann der Erfolg einer Rechtsbeschwerde abhängen mit im Rahmen der Fahrverbotsverteidigung für den Betroffenen wichtigem Zeitgewinn. Das folgt aus dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 01.03.2012 – Ss (OWi) 36/12 -, den mir ein Kollege vor kurzem hat zukommen lassen. Das OLG beanstandet nicht ausreichende Feststellungen/Ausführungen im amtsgerichtlichen Urteil:

Zur Einlassung des Betroffenen zum Schuldspruch teilen die Urteilsgründe lediglich mit, dass dieser seine Fahrereigenschaft eingeräumt hat und eine ordnungsgemäßen Messung und das Messergebnis nicht in Zweifel gezogen hat. (…)

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung ist die Wiedergabe der Einlassung insbesondere dann zwingend erforderlich, wenn – wie hier – weder dargelegt wurde, mit welchem Messverfahren die Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt und wel­cher Toleranzwert berücksichtigt wurde. Denn auf Angaben zum Messverfahren und Toleranzwert kann bei Geschwindigkeitsverstößen nur in den wenigen Fällen eines echten „qualifizierten“ Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden (BGH NJW 1993, 3081; OLG Bamberg, NStZ-RR 2007, 321; OLG Celle, Beschl. v. 09.04.2009, 322 SsBs 301/08, juris). Die Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen setzt stets voraus, dass der Betroffene eine bestimmte (Mindest-)Geschwindigkeit nicht nur tatsächlich eingeräumt hat, sondern zusätzlich auch die konkreten Umstände aus originärer Wahrnehmung benennen konnte, aus denen sich für ihn ergab, dass er die vorge­worfene Geschwindigkeit— mindestens – gefahren ist (OLG Bamberg, a.a.O..; juris Rdnr. 25). Es reicht nicht, wenn der Betroffene lediglich die ihm nachträglich bekannt gewordenen Messung als solche und die ihm bereits „als gemessen“ präsentierte Geschwindigkeit zur Tatzeit bestätigt hat (vgl. OLG Jena NJW 2006, 1075; OLG  Hamm NZV 2002, 101, 102).

Zwar konnte das Amtsgericht hier in der Bestätigung der Richtigkeit des Messergeb­nisses ein allgemeines Geständnis sehen; für ein uneingeschränktes „qualifiziertes“ Geständnis fehlt es jedoch an der Wiedergabe dessen, wie sich der Betroffene über seinen Verteidiger konkret zur Geschwindigkeitsüberschreitung eingelassen hat. Dem entsprechend kann nicht festgestellt werden, ob er seine Geschwindigkeit aus eigener Wahrnehmung einschätzen konnte und ob diese Wahrnehmung nachvoll­ziehbar und glaubhaft ist.

Dieser Darstellungsmangel, der durch eine nähere Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen möglicherweise hätte vermieden werden können, führt dazu, dass auf die Mitteilung der konkreten Messmethode und des Toleranzwerts nicht verzichtet werden konnte.“

Ein Fehler, der nicht selten gemacht wird. Der wird dann zwar in der „2. Runde“ repariert, aber der Zeitgewinn ist da.

Rasender Bieber

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Ja „rasender Bieber“, Sie haben richtig gelesen. Es muss nicht „rasender Biber“ heißen, denn es geht nicht um den „Biber“, das Nagetier, sondern um den „Bieber“, nämlich um Justin Bieber (neulich habe ich irgendwo gelesen die „Popikone und mich gefragt, wie man im Alter von 18 Jahren schon zur Popikone wird).

Auf die Überschrift bin ich vorhin in der Tagespresse gestoßen (vgl. auch hier und hier). Darunter wird über die Flucht des Popstars vor Paparazzis berichtet. Wie schnell und wie viel zu schnell er denn nun gefahren ist, ist mir nicht ganz klar. Nun ja, egal, ob 130 km/h oder 160 km/h: Zu schnell war er auf jeden Fall, denn erlaubt waren 105 km/h. Würde allerdings bei uns also nicht in jedem Fall für ein Fahrverbot reichen. Wäre dem „Bieber“ aber sicherlich auch egal. denn er könnte mit Sicherheit „einen Fahrer einstellen, um die durch das Fahrverbot entstehenden Erschwernisse abzumildern“ – um die Terminologie unserer OLG aufzugreifen. 🙂

Freispruch bei einem Verstoß gegen rechtliches Gehör? AG Landstuhl, geht es wirklich so einfach?

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Vor einiger Zeit hatte der Beck-Blog (vgl. hier) über das AG Landstuhl, Urt. v. 3. 5. 2012 – 4286 Js 12300/10 – berichtet. Das AG hat den Betroffenen vom Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen. Begründung: Werden von der Herstellerfirma eines Messgeräte (hier: ESO ES 3.0) die Mess-/Gerätedaten zu einer Messung nicht zur Verfügung gestellt, so dass die Ordnungsgemäßheit der Messung nicht überprüft werden könne, liege ein Verstoß gegen den zu Gunsten des Betroffenen geltenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs vor, der zum Freispruch des Betroffenen führe.

Sicherlich eine überraschende Entscheidung, obwohl das AG Landstuhl, wie es zitiert, mit der Auffassung nicht allein ist (vgl. AG Kaiserslautern, Urt. v. 14. 3. 2012 – 6270 Js 9747/11). Ob das Urteil „ein deutlicher Pflock [ist], den das AG Landstuhl eingeschlagen hat„, da bin ich mir nicht so ganz sicher. Denn zwei Fragen stellen sich für mich – und ich greife jetzt mal meiner Stellungnahme im VRR-Heft 07/2012 vor:

1. Man sollte nicht übersehen, „dass das AG erst im zweiten Anlauf Art. 103 GG und den Amtsaufklärungsgrundsatz „entdeckt“ und die Betroffene frei gesprochen hat. In einem Urteil vom 10.o2. 2011 hatte das noch anders geklungen und das AG war zur Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung mit 600 € Geldbuße und einem Fahrverbot von drei Monaten gekommen. Nun ist niemand gegen bessere Einsicht gefeit und es ist sicherlich zu begrüßen, dass das AG offenbar lernfähig ist: Nur den Unterschied zur ersten Entscheidung und die Begründung des AG, warum diese richtig gewesen ist, nun aber die damalige Begründung nicht mehr zutreffend sein soll, erschließt sich mir nicht. Die Frage des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) und/oder der Amtsaufklärungspflicht hängt doch weder davon ab, ob – offenbar meint das AG: „nur“ – ein konkreter Beweisantrag gestellt ist, oder ob ausdrücklich fehlenden Aufklärung an sich und der Grundsatz des fairen Verfahrens gerügt wird Diese Fragen sind doch miteinander verwoben und mit einem Beweisantrag wird immer auch geltend gemacht, dass der Sachverhalt noch weiter aufgeklärt werden muss. Warum das AG dann nicht bereits im Urteil vom 10. 2. 2011 frei gesprochen hat, leuchtet mir nicht ein. 

2. Einen Haken hat m.E. die „Konstruktion“ des AG. Das AG muss sich nämlich m.E. fragen lassen, „ob es eigentlich alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung ausgenutzt/eingesetzt hat (§ 244 Abs. 1 StPO)? Was ist also mit einer Durchsuchung beim Hersteller des Messgerätes und einer Beschlagnahme der Daten? Angesichts der Vorwurfs und der im Raum stehenden sicherlich nicht unverhältnismäßig.Zudem sicherlich auch deshalb „interessant“, weil diese Maßnahme einen wahrscheinlich „großen Erziehungseffekt“ gegenüber dem Hersteller haben dürfte, in Zukunft bei der Herausgabe der Messdaten vielleicht doch nicht ganz so sperrig zu sein, wie man es hier ist und dann auch noch „arrogant“ dem Gericht schreibt. Es stellt sich weiter die Frage, ob das AG nicht ggf. weitere Zeugen der Herstellerfirma hätte laden müssen, die dann Angaben zu den Messdaten hätten machen können. Denn diese sind, wenn auch verschlüsselt, im Messgerät vorhanden. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für einen solchen Zeugen sehe derzeit nicht. Ich will mit diesem Einwand die für die Betroffenen günstige Entscheidung des AG Landstuhl gar nicht schlecht reden. Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass die Staatsanwaltschaft im Zweifel den Freispruch mit der Rechtsbeschwerde angreifen wird und dann dürften diese Fragen im Rahmen einer Aufklärungsrüge eine Rolle beim OLG eine Rolle spielen.

Als Verteidiger muss man sich natürlich auf diese Rechtsprechung berufen und die Fragen im Verfahren thematisieren und andere AG zwingen, sich damit auseinander zu setzen.Für die Betroffene hat das Hin und Her zudem auf jeden Fall ein Gutes: Sollte das OLG Zweibrücken ggf. nochmals zur Aufhebung kommen, dann liegt die Tat inzwischen so lange zurück, dass ein Fahrverbot, wenn überhaupt, nur noch in reduzierter Höhe wird verhängt werden können.