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Rasen im Straßenverkehr, oder: Bremer-Raser- und Frankfurter-Raser-Fall

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Ich habe seit längerem kein materielles Recht mehr gebracht. Das hole ich dann heute nach, und zwar zunächst mit zwei Entscheidungen des BGH zum Rasen. Über den Berliner „Kudamm-Raser“-Fall und das dazu ergangene BGH, Urt. v. 01.03.2018 – 4 StR 399/17 – hatte ich ja schon berichtet (Sind die Berliner “Kudamm-Raser” Mörder?, oder: Vorerst nein). . Hinzuweisen ist in dem Zusammenhang aber dann noch auf zwei weitere BGH-Entscheidungen betreffend Raser

  • BGH, Urt. v. 01.03.2018 – 4 StR 311/17Bremer Raser. Das LG hatte den Angeklagten nur wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Der BGH hat u.a. die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts erstrebte, als unbegründet verworfen. Die Beweiswürdigung des LG, das davon ausgegangen war, dass der Angeklagte trotz der von ihm erkannten Gefahr, durch seine Fahrweise andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, darauf vertraute, dass alles gut gehen und niemand zu Tode kommen werde, sei nicht beanstanden. Zur Begründung war u.a. darauf verwiesen worden dass der Angeklagte bei Wahrnehmung des bei dem Unfall getöteten Fußgängers sofort eine Vollbremsung einleitete und für ihn als Motorradfahrer ein Unfall mit der Gefahr schwerer eigener Verletzungen verbunden war, was neben der ausführlich und nachvollziehbar begründeten Fehleinschätzung der eigenen Fahrfähigkeiten deutlich dafür sprach, dass er glaubte, einen Unfall vermeiden zu können.
  • BGH, Urt. v. 01.03.2018 – 4 StR 158/17 – Frankfurter Raser: Das LG Frankfurt am Main hat den Angeklagten ebenfalls nur a. wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Dieses Urteil hat der BGH wegen eines Fehlers in der Beweiswürdigung aufgehoben. Begründung: Das LG habe bei seiner Prüfung, ob der Angeklagte den Tod des Geschädigten bedingt vorsätzlich oder nur bewusst fahrlässig herbeiführte, zwar im Grundsatz zutreffend die dem Angeklagten bei einem Unfall drohende Gefahr für seine eigene körperliche Integrität als vorsatzkritischen Umstand in seine Betrachtung einbezogen, das diesem Umstand beigemessene hohe Gewicht aber nicht ausreichend belegt.

„Kölner-Raser-Fall“, oder: Zur Strafaussetzung zur Bewährung bei „Rasern“

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Die sog. „Kölner-Raser-Fall“-Entscheidung – das BGH, Urt. v. 06.07.2017 – 4 StR 415/16 – ist in den Blogs inzwischen an vielen Stellen behandelt worden, und zwar sowohl auf der Grundlage der PM als auch auf der Grundlage des Volltextes. Zugrunde gelegen hat dem Urteil ein „Autorennen“ in der Kölner Innenstadt, bei dem einer der beiden beteiligten Kraftfahrzeugführer die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und eine auf dem angrenzenden Radweg fahrende 19-jährige Studentin erfasst hatte, die später ihren durch die Kollision erlittenen schweren Verletzungen erlag. Das LG Köln hatte zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. von einem Jahr und neun Monaten, jeweils mit Strafaussetzung zur Bewährung, verurteilt. Der BGH hat das LG-Urteil hinsichtlich der Bewährungsentscheidung aufgehoben.

Ich will jetzt hier nicht auch noch die Entscheidung einstellen. M.E. lesenswert, das der BGH schon einen kleinen Grundkurs zur Entscsheidung von Bewährungsfragen gibt. Das sollte man als Verteidiger, aber auch als Gericht dann ggf. doch mal/immer wieder nachlesen. Der BGH hat an der Kölner-Entscheidung zwei Punkte beanstandet, nämlich:

  • Im Rahmen der Prüfung „besonderer Umstände“ nach § 56 Abs. 2 StGB habe das LG keine über die günstige Sozialprognose des § 56 Abs. 1 StGB hinausgehenden Umstände berücksichtigt.
  • Und bei der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafen gebiete (§ 56 Abs. 3 StGB) seien Tat und Täter nicht ausreichend gewürdigt worden, wobei auch generalpräventiven Erwägungen Bedeutung zukomme (Verweis auf BGHSt 24, 40, 45). Insbesondere der Umstand, dass die Angeklagten die zum Tod der Studentin führenden Gefahren bewusst geschaffen haben, sei hier von maßgeblicher Bedeutung (OLG Karlsruhe NZV 2004, 156 = DAR 2003, 325 im damaligen Raserfall).

Man draf gespannt sein, wie das LG mit den Vorgaben des BGH umgehen wird. Jedenfalls muss es die Frage der Bewährung eingehender prüfen und auch begründen, wenn es den BGH an seine Vorgaben – ggf. erneut Strafaussetzung zur Bewährung – binden will – „bis zur Grenze des Vertretbaren“.

Auch an der Stelle ist auf das vom Bundestag am 29.6.2017 beschlossene „Gesetz zur Strafbarkeit der Veranstaltung nicht genehmigter Kfz-Rennen und der Teilnahme daran“ mit dem neuen § 315d StGB, der das Veranstalten von Rennen und die Teilnahme an Rennen im Straßenverkehr unter Strafe stellt – bis nur OWi nach § 29 StVO zu verweisen. Zudem lässt die Entscheidung vom 06.07.2017 erahnen, wie der BGH über die bei ihm anhängige Revision über die Verurteilung wegen Mordes im „Berliner-Raser-Fall“ (vgl. das LG Berlin, Urt. v. 27.02.2017 – (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16) entscheiden wird. Gut sieht es dort danach m.E. für die Angeklagten nicht aus.

Cold-Water-Challenge, oder: Ein „Spaß“ (?) mit bösen Folgen/Nachwirkungen

entnommen wikimedia.org Urheber slgckgc

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Im vergangenen Jahr ist der Wettbewerb/das Spiel (?) Cold-Water-Challenge gelaufen. Ich habe von dem Ganzen, obwohl es ja wohl mal einen „teilkaritativen“ Ansatz hatte, nicht viel gehalten, so dass ich froh war, dass ich nicht „nominiert“ worden bin, mich auch mit (eis)kaltem Wasser zu übergießen. Die Sinnhaftigkeit dieses Ansinnens hat sich mir nämlich nicht erschlossen, so dass ich die Nominierung wahrscheinlich dankend abgelehnt hätte. Aber lassen wir das.

Hinweisen will ich hier heute aber in dem Zusammenhang auf das AG Bocholt, Urt. v. 02.10.2015 – 3 Ds 30 Js 265/14 83/15, das einen Vorfall zum Gegenstand hat, über den auch in der Presse berichtet worden ist (vgl. hier: Nach Isselburg könnte ein Internettrend enden). Es geht um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) in Zusammenhang mit einem „Cold-Water-Challenge“-Ereignis, und zwar:

Ein Kegelclub „C“ aus J war von einem anderen Kegelclub über „WhatsApp“ für die  Cold Water Challenge nominiert.  Es entwickelte sich zur Erfüllung dieser Nominierung dann über eine „WhatsApp-Gruppe“ die Idee, dass sich der Kegelclub als Gruppe auf einem freien Feld an eine Bierzeltgarnitur setzt und sich mit Wasser übergießen lässt. Diese Idee wurde von den Kegelclubmitgliedern gemeinsam entwickelt. Der I schlug dabei vor, dafür den Teleskoplader des späteren Angeklagten U zu verwenden. Über mögliche Gefahren oder Risiken wurde innerhalb der Gruppe hierbei nicht diskutiert. Es wurde lediglich besprochen, dass das Wasser langsam ausgekippt werden sollte. Und dann:

Gegen 19:00 Uhr hatte sich der Kegelclub, vertreten durch insgesamt elf Mitglieder, wie geplant, auf dem Acker des Zeugen L C1 an eine Bierzeltgarnitur gesetzt. Ferner war ein Kameramann bestellt worden. Der Angeklagte C1 fuhr mit dem Teleskoplader mit der mit Wasser gefüllten Schaufel langsam auf die Gruppe zu und fuhr, nachdem er vor der Gruppe zum Stehen gekommen war, die gefüllte Schaufel langsam aus. Aufgrund des hierdurch veränderten Schwerpunktes des Fahrzeuges kippte der Teleskoplader nach vorne um und die Schaufel stürzte auf einen Teil der sitzenden Personen, darunter auf den N, der hierdurch ein Polytrauma erlitt und noch an der Unfallstelle verstarb.

Desweiteren verletzten sich einige Personen aus der Gruppe, zum Teil schwer.

Der Zeuge L C1 erlitt eine Schultereckgelenksprengung und Prellungen. Er war drei bis vier Wochen krank geschrieben und es steht noch eine Operation der Schulter an.

Der Zeuge C3 erlitt einen Beinbruch, Schnittwunden, Prellungen und hatte eine ausgekugelte Schulter. Ferner war die Schulter angebrochen. Auch bei ihm steht noch eine Operation an.

Der Zeuge C4 erlitt eine Kopfplatzwunde, eine Gehirnerschütterung sowie Prellungen und Stauchungen. Er befand sich zwei bis drei Tage im Krankenhaus und hat noch heute Probleme im Nacken- und Schulterbereich.

Der Zeuge L1 erlitt Muskelverletzungen in den Beinen. Er war sechs Wochen lang arbeitsunfähig.

Das AG kommt zur fahrlässigen Tötung und zur fahrlässigen Körperverletzung, da U (s)einen Teleskoplader für den Wettbewerb zur Verfügung gestellt hatte, obwohl er wusste, dass dessen Überlastanzeige zumindest nicht einwandfrei funktionierte und er den anderen Angeklagten hierauf nicht hinwies. Wer eine Gefahrenquelle verleiht oder vermietet, müss auch dafür Sorge tragen, dass diese Gefahrenquelle einwandfrei funktioniere. Maßgeblich ist bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage die Sichtweise eines besonnenen und gewissenhaften Beobachters.

Sicherlich ein besonders tragischer Sonderfall dieses Wettbewerbs. Aber dennoch….

Fahrlässige Tötung und Trunkenheitsfahrt – Freiheitsstrafe ohne Bewährung?

ParagrafenNach dem Lesen des OLG Hamm, Beschl. v. 26. 08.2014 – 3 RVs 55/14 – stutzt man – jedenfalls ich – und fragt sich: Richtig? Nun, nicht das Ergebnis. Denn das dürfte der ständigen Rechtsprechung der Obergerichte entsprechen. Das OLG hat nämlich eine vom LG nach einer Trunkenheitsfahrt in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten ohne Bewährung nicht nur nicht beanstandet, sondern ist der landgerichtlichen Wertung beigetreten. Dagegen kann man angesichts der schweren Folgen der Trunkenheitsfahrt – bei dem durch die Alkoholisierung verursachten Verkehrsunfall ist der andere Unfallbeteiligte getötet worden – nun wahrlich nichts einwenden. Das OLG führt zur Verneinung der Strafaussetzung allerdings aus:

„Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts greift nicht durch.

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuld- und den Rechtsfolgenausspruch. Insbesondere ist es aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden, dass die Kammer besondere Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB nicht, demgegenüber aber angenommen hat, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gebietet, § 56 Abs. 3 StGB.

Kurz vor der Kollision war der Angeklagte einem Zeugen durch besonders aggressive Fahrweise aufgefallen. Bei vorhandenen Handlungsalternativen – insbesondere wäre es ihm möglich gewesen, sich von einem Bruder abholen zu lassen – entschloss er sich dazu, sein Fahrzeug die 30 km lange Strecke zu seiner Wohnung zu führen. Er setzte sich dabei bedenkenlos ans Steuer, obschon die besonders hohe Alkoholisierung für ihn erkennbar war.

Deswegen haben die drei Kinder des Getöteten ihren Vater und die Ehefrau ihren Ehemann verloren.

Insbesondere im Hinblick auf diese herausragend schweren Folgen für den Getöteten und seine nahen Angehörigen, die das Maß der absoluten Fahruntüchtigkeit weit übersteigende Alkoholisierung des Angeklagten sowie die festgestellte aggressive Fahrweise in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat ist trotz der zahlreichen mildernden Umstände die genannte Wertung des Landgerichtes nicht nur aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Senat teilt diese Wertung.“

Und daran stören mich dann zwei Dinge:

1. Warum überhaupt Ausführungen zu § 56 Abs. 3 StGB? Denn wenn schon – so lese ich es jedenfalls – keine besonderen Umstände i.S. von § 56 Abs. 2 StGB vorgelegen haben, die es gerechtfertigt hätten, die ein Jahr übersteigende Strafe zur Bewährung auszusetzen, dann kam es auf die Frage, ob nicht ggf. die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung gebietet, also § 56 Abs. 3 StGB, gar nicht mehr an. M.E. hat das OLG hier etwas entschieden, was es gar nicht zu entscheiden brauchte. Aber vielleicht wollte man auch mal nur ein Zeichen gegen den Alkohol im Straßenverkehr setzen?

2. Auch bei der Begründung habe ich ganz leichte Bauchschmerzen. Richtig ist, dass die schweren Folgen herangezogen werden und darauf im Rahmen der Entscheidung zu § 56 Abs. 3 StGB abgestellt wird. Nur: Den Hinweis: „Deswegen haben die drei Kinder des Getöteten ihren Vater und die Ehefrau ihren Ehemann verloren.“ hätte ich mir erspart bzw. nur darauf abgestellt, dass durch den Unfall ein Mensch getötet worden ist. So entsteht der Eindruck, dass ggf. bei einem nicht verheirateten Single, einem Rentner usw. anders gewertet worden wäre. Kann aber auch sein, dass ich da zu empfindlich bin.

Fahrlässige Tötung – Sorgfaltspflichten beim Rechtsabbiegen im Kreuzungsbereich

Ein trauriger Anlass hat zu dem OLG Hamm, Beschl. v. 09.0 9.2013 – 3 Ws 134/13 – geführt, der sich mit den Sorgfaltspflichten eines Lkw-Fahrers beim Rechtsabbiegen in Kreuzungsbereichen mit Fußgänger- und Radfahrerfurten befasst.  Ein Lkw-Fahrer hatte beim Rechtsabbiegen mit seinem Sattelzug einen Radfahrer erfasst und so schwer verletzt, dass dieser verstorben ist.

Das OLG Hamm fordert, dass ein Lkw-Fahrer beim Abbiegen im Kreuzungsbereich mit Fußgänger- und Radfahrerfurten Schrittgeschwindigkeit fahren muss. Beschleunigt der Lkw-Fahrer während eines Rechtsabbiegevorgangs im Kreuzungsbereichen mit Fußgänger- und Radfahrerfurten auf eine Geschwindigkeit von zumindest 16 km/h, sodass der Bereich gebotener Schrittgeschwindigkeit deutlich überschritten ist, handelt er nach Auffassung des OLG sorgfaltspflichtwidrig. Kommt es zu einer Kollision mit einem Radfahrer, der dann an den Folgen des Unfalls später verstirbt, kann dem Lkw-Fahrer der Vorwurf fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB gemacht werden. Dies gilt nach Auffassung des OLG zumindest dann, wenn der Lkw-Fahrer bei angemessener Geschwindigkeit den Geschädigten so frühzeitig hätte erkennen können, dass er noch rechtzeitig vor dem Erreichen der Fußgänger- und Radfahrerfurt einen Bremsvorgang hätte einleiten können und auf diese Weise die Kollision und damit die Tötung des Geschädigten hätte verhindern können.

Die Entscheidung weist zudem eine verfahrensrechtliche Besonderheit auf. Die Angehörigen des Getöteten hatten das Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO) betrieben und hatten damit (teilweise) beim OLG Erfolg. Der Antrag der Witwe war also zulässig (vgl. zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 1849 ff.), was in der Praxis mehr als selten ist. Das OLG hat dann die Anklageerhebung angeordnet.