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StGB III: Tödlicher Verkehrsunfall auf der Landstraße, oder: Wenn nachts ein Fußgänger auf der Straße liegt

Bild von Erik Tanghe auf Pixabay

Das LG Mühlhausen musste jetzt die Frage beantworten, ob ein Kraftfahrzeugführer, der nachts außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße fährt, damit rechnen muss, dass auf der Fahrbahn ein dunkel gekleidete Fußgänger liegt und ob ihm eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) vorgeworfen werden kann, wenn er den Fußgänger überfährt und der an den Folgen des Unfalls verstirbt.

Das LG hat die Frage im Eröffnungsverfahren im LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.04.2021 – 3 Qs 43/21 – verneint.

Das LG hat die Vorhersehbarkeit für den Beschuldigten verneint. Zwar sei allgemein anerkannt, dass ein Fahrzeugführer stets mit Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen muss. Er müsse daher auch vor unvermuteten Hindernissen anhalten können. Dies gelte jedoch nicht für solche Hindernisse, mit denen er unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Nach der Lebenserfahrung müsse sicherlich stets mit (auch besonders grober) Unachtsamkeit von Fußgängern gerechnet werden. Ein in höchstem Maße selbstgefährdendes, sich durch nichts ankündigendes Verhalten eines Fußgängers sei ist hingegen so ungewöhnlich und so selten, dass niemand damit zu rechnen braucht, wenn nicht ausnahmsweise im Einzelfall besondere Umstände Anlass dazu, geben (vgl. OLG Jena VRS 123, 217).

Das hat das LG im entschiedenen Fall bejaht. Der spätere Getötete hatte sich – stark alkoholisiert und unter dem Einfluss von MDMA – nachts bei vollkommener Dunkelheit und schlechten Wetterverhältnissen außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße mittig auf die Fahrbahn gelegt. Zwar müsse man als Autofahrer, insbesondere im ländlichen Raum, durchaus damit rechnen, dass nachts und auch am frühen Morgen – unter Umständen auch alkoholisierte und dunkel gekleidete – Fußgänger an einer Landstraße entlang laufen. Ein solches Verhalten seitens eines Fußgängers liege nicht außerhalb der Lebenserfahrung. Hingegen sei es so ungewöhnlich und gerade nicht zu erwarten, dass im Winter bei Schneefall und kalten Temperaturen eine Person mitten auf der Fahrbahn liegt. Mit einer solchen Verkehrssituation, die sich auch nicht etwa durch mehrere im Bereich der Straße anwesende Personen, angekündigt habe, müsse man als Kraftfahrer nicht rechnen.

Dazu passt dann auch der OLG Hamm, Beschl. v.  18.07.2019 – 4 RVs 65/19. Das OLG hat die Frage anders gesehen (vgl. Verkehrsrecht I: Tödlicher Verkehrsunfall, oder: Welche Auswirkungen hat das Mitverschulden des Geschädigten?)

Pflichtverteidiger – Aspekt der Waffengleichheit

Auch du, mein Sohn Brutus, aber im positiven Sinn :-).

Auch das OLG Jena, Beschl. v. 15.11.2011 – 1 Ss 1/11 geht davon aus, dass dann, wenn dem Geschädigten ein Beistand beigeordnet worden ist, i.d.R (= praktisch immer) dem Angeklagten ein Pflichtverteidi­ger beizuordnen ist. Prinzip der Waffengleichheit, was demnächst in einen neuen § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO übernommen werden soll.