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Pflichti I: Zur-Last-Legung eines Verbrechens im Ermittlungsverfahren, oder: Wann?

entnommen openclipart

Und dann zum eigentlichen Thema des Tages: Noch einmal Pflichtverteidigungsentscheidung.

In der Facebookgruppe Strafverteidiger war gefragt worden nach der Bestellung eines Pflichtverteidigers in folgender Konstellation: Der Mandant erscheint bei dem Rechtsanwalt mit einer Vorladung der Polizei. Dort lautet der Vorwurf „Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr 2 BtMG. Daraufhin beantragt der Rechtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft seine Beiordnung, der Ermittlungsrichter teilt ihm mit, dass er nicht beiordnen wird, weil es hier kein Verbrechen sei, es läge vielmehr offensichtlich nur ein Vergehen vor, was objektiv zutreffend ist. Der Rechtsanwalt nimmt dazu Stellung und erklärt, dass es doch auf den Vorwurf zum Zeitpunkt der Antragstellung ankommen muss. Er fragt nach Rechtsprechung. Ich kannte (bisher) keine.

Der Kollege hat dann gesucht. Und er ist fündig geworden beim LG Flensburg, Beschl. v. 30.07.2020 – II Qs 28/20 jug :

„Die als sofortige Beschwerde auszulegende „Beschwerde“ (vgl. § 142 Abs. 7 S. 1 StPO) des Beschuldigten ist zulässig, da sie insbesondere fristgerecht eingelegt wurde, und begründet.

Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines notwendigen Verteidigers im Ermittlungsverfahren liegen vor.

Der Beschuldigte hat einen Antrag gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO gestellt. Auch liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO vor, da gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 StGB, die ein Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB darstellt, ermittelt wurde.

Ein Verbrechen gilt nämlich schon dann als „zur Last gelegt“, wenn wegen eines solchen ermittelt wird (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020 Rn. 6, StPO § 140 Rn. 6 m.w.N.). Zwar sind seitens der Kriminalpolizei bereits frühzeitig Überlegungen angestellt worden, wonach eine Strafbarkeit wegen eines Brandstiftungsdeliktes ausscheiden könnte (vgl. Bl. 45 d. A.). Diese Überlegungen haben indes zu keiner Änderung der Bewertung des Tatvorwurfes geführt, wie die Vorladung des Beschuldigten vom 22.01.2020 (Bl. 117 d. A.) dokumentiert. Diesem ist darin bekanntgegeben worden, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 StGB geführt werde. Dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Beiordnungsverfahrens nunmehr eine – wenngleich zutreffende – rechtliche Würdigung dahingehend, dass lediglich ein Tatverdacht wegen Sachbeschädigung bestehe, vornimmt, führt zu keinem Entfallen der Beiordnungsvoraussetzungen. Denn wenn die Tat nach Einordnung als Verbrechen im Laufe des weiteren Verfahrens anders beurteilt, bleibt die Verteidigung nach allgemeiner Ansicht gleichwohl notwendig (MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014 Rn. 13, StPO § 140 Rn. 13). Auch wenn dieser Grundsatz keine uneingeschränkte Anwendung entfaltet und vor dem Hintergrund der zeitlichen Vorverlagerung des Beiordnungsverfahrens ins Ermittlungsverfahren modifiziert werden muss, dürfte er aber jedenfalls gelten, wenn – wie hier – mit dem Vorwurf eines Verbrechens an den Beschuldigten herangetreten wird.“

Und dann habe ich auch noch einmal geforscht und gefunden: LG Magdeburg, Beschl. v. 15.05.2020 – 25 Qs 47 u. 48/20. Sorry Herr Kollege Gunkel, hätte ich dran denken können.

News!!, oder: Darauf habe ich gewartet – Burhoff endlich mobil und digital….

So, <<Werbemodus an >>, denn hier kommt dann mal wieder – zwischendurch – ein reines Werbeposting. Das vorab für all diejenigen, die das nicht mögen. Die können also gleich weiterlesen/-klicken.

Oder vielleicht doch nicht? Denn m.E. ist die „neue Sache“, auf die ich hinweisen möchte recht interessant, und zwar:

Der ein oder andere wird sich erinnern, es hat eine ZAP App gegeben. Ja, „es hat“. Denn seit Anfang Mai ist die durch Anwaltspraxis Wissen – hier das neue Logo –

ersetzt worden.

Bei Anwaltspraxis Wissen handelt es sich um eine neue Online-Bibliothek des ZAP-/Anwalt-Verlages, in der rund 150 Bücher online stehen. Nun ja, wird der ein oder andere sagen, das ist ja nichts Neues, das kennen wir ja schon. Das mag sein. Aber: Für mich (und meine Werke) ist das neue Baby des ZAP-Verlages vor allem deshalb interessant, weil damit endlich auch die Handbücher Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung beim ZAP-Verlag mobil fähig sind und Strafrechtler in diesen im Verfahren endlich ohne WLAN hinter dicken Gerichtsmauern im Saal live recherchieren können. Ohne Kilo weise Buchballast in der Tasche, was ja immer wieder bemängelt worden ist.

Wie gesagt: Seit dem 04.05.2020 ist Anwaltspraxis Wissen online gegangen. Man kann dort vier verschiedene Module bestellen. Die Online Bibliothek kann man im PC im Browser nutzen und auf iOS und Android Mobilgeräten (Smartphones und Tablets). Die mobilen Apps gibt es inzwischen auch. Die Freischaltung hat etwas gedauert, daher komme ich auch erst jetzt mit diesem Beitrag.

Und ja: Sie haben richtig gelesen: Man kann „bestellen“ = das Angebot ist nicht kostenfrei. Ich habe über diese Fragen ja schon häufiger mit Kollegen diskutiert und wiederhole hier dann nochmal: Von „kostenfrei“ können Verlage nicht leben; Anwälte ja im Übrigen auch nicht J . Die Preise sind übrigens dann aber auch moderat. Für den Einsteiger 10 €/Monat und dafür kann man sich dann 10 Werke aus dem Gesamtangebot freischalten. Das würde z.B. für meine Werke reichen. Oder das Modul 3 – „Die ZAP + Best of“ – für 29 €/Monat für drei Plätze.

Ich bin gespannt über die Erfahrungen, die die Kollegen ggf. mit dem neuen Service machen. Und bitte: Ich bin nur der Bote, dass es dieses Angebot gibt. Für weitere Fragen wendet man sich dann bitte an den Verlag. Eine, die bestimmt kommt, beantworte ich dann aber gleich hier: Dieses neue Angebot bedeutet nicht, dass die Handbücher nun fortlaufend online aktualisiert werden. Auch die Diskussion hatten wir schon.

Und jetzt bitte nicht alle auf einmal bestellen, dann bricht wahrscheinlich die Website zusammen 🙂 <<Werbemodus aus>>

Auswertung von Datenträgern im sog. KiPo-Verfahren, oder: Muss der Verurteilte die Kosten tragen?

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem LG Hamburg, Beschl. v. 07.08.2019 – 631 Qs 27/19 -, den mir der Kollege Laudon vor einiger Zeit gesandt hat, geht es um „Kosten“, und zwar um die vom verurteilten Angeklagten eines sog. „KiPo-Verfahrens“ zu tragenden Kosten. Es waren gegenüber dem Angeklagten u.a. die Kosten eines von der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens in Auftrag gegebenen Gutachtens zur IT-forensischen Auswertung von zuvor bei dem Verurteilten anlässlich einer aufgrund einer Durchsuchung wegen des Verdachts des Zugänglichmachens kinderpornografischer Schriften sichergestellten Datenträgern angesetzt worden. Insgesamt hat man dem ehemaligen Angeklagten zunächst 15.660,40 EUR in Rechnung gestellt. Die rechnung ist dann, weil das Verfahren zwei Beschuldigte hatte, auf noch 10.459,95 EUR korrigiert worden.

Dagegen dann die Erinnerung des ehemaligen Angeklagte. Das AG Hamburg hat die zurückgewiesen und das LG Hamburg dann die Beschwerde des Verurteilten:

„Maßgebend dafür, ob nach dem JVEG Beträge zu zahlen sind – und damit für das Vorliegen des Auslagentatbestandes der Nr. 9005, 9015 KV GKG – ist demnach, ob der von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zur Durchsicht der elektronischen Speichermedien herangezogene private Dritte als Sachverständiger beauftragt wurde und die erbrachten Dienstleistungen die Qualität einer Sachverständigenleistung aufweisen. Grundsätzlich kann die Staatsanwaltschaft zulässigerweise Privatpersonen mit Spezialkenntnissen zur Durchsicht von Papieren, einschließlich von elektronischen Speichermedien heranziehen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 10.01.2017, 2 Ws 441/16 (165/16); Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 110 Rn. 2 f.).

Als Sachverständiger beauftragt wird ein Dritter, wenn er aufgrund besonderer Sachkunde eine Bewertung von Anknüpfungs- oder Befundtatsachen anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Erfahrungssätze vornehmen soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, Vor § 72 Rn. 1). Die Sichtung und Erhebung vorhandenen Datenmaterials gehört nur zur Tätigkeit eines Sachverständigen und ist für diese Tätigkeit nur dann typisch, wenn es zu ihrer Durchführung entscheidend auf seine Sachkunde ankommt, d.h. die Sichtung der Geschäftsunterlagen ohne seine besondere Sachkunde nicht oder nur unter besonders erschwerten Umständen (Sichtbarmachung von Daten aufgrund besonderer, nicht jedermann zur Verfügung stehender technischer Möglichkeiten und Kenntnisse) möglich wäre oder die Datenerhebung zur Klärung bestimmter sachverständig zu beurteilender Zusammenhänge erforderlich ist und zur Vorbereitung einer schließlich zu erstellenden gutachterlichen Äußerung ausgeführt wird (vgl. OLG Koblenz a.a.O.; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2004, 298).

Die Sichtung und Erhebung vorhandenen Datenmaterials wird nach der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts jedoch dann nicht als Sachverständigentätigkeit angesehen, wenn sich die in Auftrag gegebene Dienstleistung lediglich in einer organisatorischen und technischen Dienstleistung wie der technischen Sichtbarmachung von Datenmaterial und einer technisch bedingten Vorsortierung von Datenmaterial erschöpft. Dies soll nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts selbst dann gelten, wenn hierfür umfangreiches Expertenwissen sowie der Einsatz einer spezifischen, allerdings auf dem Markt erhältlichen Software erforderlich ist (vgl. OLG Schleswig a.a.O.).

Es bedarf keiner tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, denn die im vorliegenden Fall erbrachte Dienstleistung beschränkte sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers gerade nicht auf eine bloße technische Unterstützung und organisatorische Aufarbeitung und der Sachverständige Ppp. wurde nicht als bloßer „Ermittlungsgehilfe“ der Staatsanwaltschaft tätig.

Der Gutachtenauftrag umfasste eine Vielzahl weit über eine bloße Sichtung des Datenmaterials hinausgehender Fragestellungen. Ausweislich der Gutachtenaufträge vom 18.05.2015 und 24.08.2015 hatte der Sachverständige der pp. GmbH neben der Untersuchung der Speichermedien auf das Vorhandensein kinder- bzw. jugendpornografischer Bilddateien festzustellen, ob und ggf. wann und an wen der Beschuldigte derartige Dateien weitergegeben hatte und bei bestehender Möglichkeit die Bezugsdaten zu ermitteln. Gelöschte Bereiche sollten nur nach Rücksprache ausgewertet werden. Sofern kinder- und jugendpornografische Dateien gefunden werden sollten, wurde um Anlegung einer Excel-Tabelle gebeten, welche den Namen der Datei, Pfad, Erstellungs-, Veränderungs-, letztes Zugriffsdatum, soweit möglich Datum der Verschaffung und ggf. der Weitergabe, die Größe der Datei sowie die Fundstelle des Ausdrucks enthalten, wobei bei bestehender Möglichkeit das Datum des Verschaffens Berücksichtigung finden sollte. Gleiches galt für E-Mails mit kinder- und jugendpornografischen Anlagen bzw. Inhalten oder andere Verbreitungsmöglichkeiten, wobei diese Excel-Tabellen den Account des Absenders, des Empfängers, das Thema bzw. den Betreff, das Datum der Versendung bzw. des Empfangs und die Fundstelle des Ausdrucks enthalten sollten.

Die Tätigkeit des IT-Forensikers Ppp. ist als Sachverständigenleistung zu qualifizieren, sodass die von der pp. GmbH abgerechneten Kosten dem Verurteilten nach § 3 Abs. 2 GKG, Nr. 9015, 9005 KV GKG in voller Höhe auferlegt werden können. Die von der Staatsanwaltschaft Hamburg in Auftrag gegebene Leistung beschränkte sich ersichtlich nicht auf eine bloß technische Dienstleistung zur Erleichterung der Durchsicht des Datenbestandes, sondern erforderte vielmehr besondere Sachkunde und den Einsatz spezieller Technik (so auch KG, Beschluss vom 25.07.2018, 1 Ws 65/17). Der Sachverständige P. nahm entsprechend der ihm erteilten Aufträge unter Einsatz einer speziellen forensischen Software – insbesondere der EnCase Version 6.19x von „Guidance Software“ (Bl. 157 d.A.) – und unter Anwendung seiner besonderen Fachkenntnisse auf dem Gebiet der IT-Forensik eine umfangreiche Auswertung und Bewertung der ihm überlassenen Datenträger im Hinblick auf den Verdacht des Besitzes und des Zugänglichmachens kinder- und jugendpornografischer Dateien vor.

Es ging nicht bloß darum, Dateien sichtbar zu machen und zu sortieren, sondern insbesondere darum, inkriminierte Dateien zunächst überhaupt ausfindig und kenntlich zu machen, ihre strafrechtlich relevante Bedeutung herauszuarbeiten sowie festzustellen, wann und von wem der Verurteilte entsprechendes Material bezogen, wann und an wen er es weitergeleitet und welche Kommunikationsprogramme er hierbei verwendet hatte.

Dass vom Auftragsumfang auch Vorarbeiten und Dokumentationstätigkeiten umfasst waren, die dann, wenn sie ausschließlich übertragen worden wären, möglicherweise als bloße Hilfstätigkeit angesehen werden könnten, ändert nichts daran, dass der Schwerpunkt der in Auftrag gegebenen und erbrachten Leistungen in der sachverständigen Analyse und Bewertung bestand (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.09.2018, 1 Ws 104/18).

Dass der Beschwerdeführer meint, die umfangreiche Auflistung der Befunde sei eine bloß organisatorische Aufarbeitung, enthalte keine eigene Wertung und fasse lediglich deskriptiv das Untersuchungsergebnis zusammen, ist insofern schlicht unzutreffend.

Denn schon allein die Mitteilung des Ergebnisses der Durchsicht – nämlich dass kinderpornografische Schriften auf den zur Untersuchung übersandten Datenträgern ausgewiesen werden konnten – basiert auf einer vom Sachverständigen pp. vorgenommenen eigenen Analyse und Einschätzung. Dass strafrechtlich relevante Bilddateien tatsächlich vorhanden waren, kann nur das Ergebnis einer vorgenommenen Einschätzung sein, wobei die abschließende rechtliche Bewertung – wie der Beschwerdeführer insoweit zutreffend ausführt und auch der Sachverständige selbst klarstellt (Bl. 166 d. LA) – der Staatsanwaltschaft oblag. Warum dabei die Analyse und Einschätzung der Dateninhalte durch den Sachverständigen Ppp. – wie vom Beschwerdeführer darüber hinaus vorgetragen – keine selbstständige und eigenverantwortliche Tätigkeit darstelle, erschließt sich nicht. Der Sachverständige der pp. GmbH hatte die in Auftrag gegebenen Gutachten selbstständig und eigenverantwortlich zu den von der Staatsanwaltschaft umschriebenen Beweisthemen abzugeben und hat dies auch getan.

Des Weiteren geht auch die Behauptung des Verurteilten, der Sachverständige pp. vermittle in seinem Gutachten keine fachwissenschaftlichen Erfahrungssätze, sondern beschränke sich größtenteils auf die Anfertigung von Übersichtstabellen und erörtere lediglich allgemeine Funktionsweisen von Programmen wie beispielsweise der Tauschbörsen „eMule/aMule“ oder generell oberflächliche Informationen über das Löschen von Dateien, die jedermann unproblematisch über eine Suchmaschine im Internet abfragen könne, fehl.

Die ergänzenden Hinweise und Ausführungen des Sachverständigen P., so etwa zu dessen Auswertungsvorgehen oder etwaigen Lesehinweisen zum Gutachten, sind mitnichten selbsterklärend. Dabei unterschlägt der Verteidiger des Verurteilten auch, dass der Sachverständige sehr wohl aufgrund eigener Sachkunde erlangte Erfahrungssätze mitteilt. So erläutert der Sachverständige beispielsweise in Bezug auf die vom Nutzer im Tauschbörsenprogramm „eMule“ eingegebenen speziellen Suchbegriffe, dass diese bei der gezielten Suche nach kinderpornografischen Schriften sehr verbreitet seien (Bl. 154 d. LA), dass sich aus der Erfahrung mit bisherigen Auswertungen gezeigt habe, dass im Tauschbörsen-Kontext etwa 60 % der Dateien mit für Kinderpornografie einschlägigen Benennungen tatsächlich kinderpornografische Inhalte hätten (Bl 191 d. LA), sowie dass im vorliegenden Fall ausgewertete Dateien der pp. GmbH über eigene Hashwerte bereits aus früheren Verfahren als kinderpornografische Schriften bekannt seien (Bl. 141 d.LA). Dass im Gutachten auch allgemeinere Ausführungen zu Begriffen wie Hardware/Software oder dem Löschvorgang von Dateien enthalten sind, lässt die Einordnung als Sachverständigentätigkeit nicht entfallen, zumal diese Erläuterungen für das Verständnis derartiger Gutachten im Gesamtkontext unerlässlich sind und nicht als allgemeinkundig vorausgesetzt werden können. Dass einige dieser allgemeineren Informationen möglicherweise über Suchmaschinen im Internet selbst herangezogen werden könnten, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Entscheidend ist vielmehr die von der Sachkunde des Sachverständigen getragene Bewertung und Einordnung auch solcher Informationen…..“

Die weitere Beschwerde ist (natürlich) nicht zugelassen worden. Begründung:

„Die weitere Beschwerde nach § 66 Abs. 4 Satz 1 GKG war mangels grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage nicht zuzulassen. Aufgrund der bereits vorhandenen obergerichtlichen Rechtsprechung steht die höchstrichterliche Beantwortung der hier zu entscheidenden Rechtsfrage nicht mehr aus. Es wird dabei nicht verkannt, dass das Oberlandesgericht Schleswig eine von anderen Oberlandesgerichten abweichende Auffassung vertritt. Dies führt jedoch zu keiner erneuten oder ergänzenden Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage, da sich die neuere, dem Oberlandesgericht Schleswig nachfolgende obergerichtliche Rechtsprechung mit dessen vertretener Auffassung detailliert auseinandergesetzt hat.“

Passt m.E. nicht. Aber der Einzelrichter will die Sache eben nicht beim OLG haben.

StPO I: Beweisverwertungsverbot, oder: Im Ermittlungsverfahren muss man nicht widersprechen….

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Heute dann drei StPO-Entscheidungen.

Und den Reigen eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2019 – StB 14/19. Der steht verhältnismäßig frisch auf der Homepage des BGH. Er ist zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen, was seine Bedeutung unterstreicht.

Der Entscheidung liegt in etwas folgender Sachverhalt zugrunde

Der GBA führt gegen den Beschuldigten seit dem 23.11.2018 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit und hiermit zusammenhängender weiterer Delikte. Am 07.02.2019 hatte der Ermittlungsrichter des BGH gegen den Beschuldigten einen Haftbefehl (4 BGs 25/19) erlassen, der ab dem 12.02.2019 vollzogen worden war. Gegenstand des Haftbefehls waren die Vorwürfe, der Beschuldigte habe in der Zeit vom 01.07.2011 bis zum 15.01.2012 im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung als Mitarbeiter des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes anderen dazu Hilfe geleistet, in dem Gefängnis der Abteilung 251 dieses Geheimdienstes in Damaskus eine nicht näher bestimmbare Anzahl von Menschen, mindestens aber 2.000, zu foltern, die sich im Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter der Kontrolle der dortigen Mitarbeiter befunden hätten, indem ihnen erhebliche körperliche und seelische Schäden und Leiden zugefügt worden seien, und eine nicht näher bestimmbare Anzahl von Menschen, mindestens aber zwei, aus niedrigen Beweggründen zu töten.

Mit Schriftsatz vom 26.04.2019 hatte der Verteidiger des Beschuldigten mündliche Haftprüfung beantragt. Der Ermittlungsrichter des BGH hatte daraufhin Termin zur mündlichen Haftprüfung auf den 27.05.2019 bestimmt und die Antragsschrift dem Generalbundesanwalt übersandt, ohne eine Frist zur Stellungnahme zu setzen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.05.2019 (4 BGs 128/19) hat der Ermittlungsrichter des BGH den Haftbefehl – „aus Gründen der Zügigkeit ohne Durchführung“ der beantragten mündlichen Haftprüfung – aufgehoben und die unverzügliche Entlassung des Beschuldigten aus der U-Haft in dieser Sache angeordnet. Begründung: Zumindest derzeit sei der Beschuldigte der ihm angelasteten Beihilfetaten nicht dringend verdächtig, weil ein Nachweis diesbezüglich nur mit den Angaben bei seiner polizeilichen Einvernahme als Zeuge am 16.08.2018 zu führen wäre, der weit überwiegende Teil dieser Aussage aber nicht mehr in die Verdachtsprüfung eingestellt werden dürfe. Denn jedenfalls kurz nach Beginn der Zeugenvernehmung habe aufgrund seiner Äußerungen ein Tatverdacht gegen ihn auf der Hand gelegen, der zwingend erfordert habe, ihm den Beschuldigtenstatus zuzuerkennen, sodass er gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO zu belehren gewesen sei. Da der Verteidiger mit der Antragsschrift der Sache nach einen Verwertungswiderspruch erklärt habe, was er auch telefonisch klargestellt habe, führe der Verfahrensverstoß dazu, dass die Angaben des Beschuldigten einem Beweisverwertungsverbot unterfielen. Die ihm von der Polizei erteilte „Belehrung nach § 55 Abs. 2, § 163a Abs. 5 StPO“ (gemeint: § 55 Abs. 2, § 163 Abs. 3 Satz 2 StPO), keine Angaben machen zu müssen, mit denen er sich selbst belasten könnte, könne die Belehrung über die Rechte auf vollumfängliche Aussageverweigerung und Verteidigerkonsultation nicht ersetzen.

Gegen den den Haftbefehl aufhebenden Beschluss hat der GBA Beschwerde eingelegt. Er hat beanstandet, dass ihm entgegen § 33 Abs. 2 StPO keine ausreichende Gelegenheit gegeben worden sei, zu der beabsichtigten Aufhebung des Haftbefehls vor Durchführung der mündlichen Haftprüfung Stellung zu nehmen. Überdies hat er geltend gemacht, dass weder zu Beginn noch im Verlauf der polizeilichen Vernehmung vom 16.08.2018 eine Belehrung über die Beschuldigtenrechte habe erteilt werden müssen und diese Zeugenaussage somit insgesamt verwertbar sei. Die Entscheidung, ob die Strafverfolgungsbehörde einen Verdächtigen als Zeugen oder Beschuldigten vernehme, unterliege deren pflichtgemäßer Beurteilung. Hier habe vor und während der Aussage kein so starker Tatverdacht vorgelegen, dass die Grenzen des Beurteilungsspielraums willkürlich überschritten worden seien. Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg.

Dre BGh nimmt umfangreich auch zu den Verfahrensproblemen in Zusammenhang mit der Vernehmung des Beschuldigten Stellung. Hier – wegen des Umfangs der Entscheidung – nur die insoweit interessierenden Leitsätze:

  1. Im Ermittlungsverfahren sind Beweisverwertungsverbote unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten, auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft.
  2. Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft durch die Stärke des Tatverdachts (Fortführung von BGHSt 51, 367).

Die Entscsheidung bitte selbst lesen. Ist lesenswert, auch wenn der BGH ein Beweisvrwertungsverbot (natürlich) ablehnt. Ich würde im Übrigen trotz der Ausführungen des BGH widersprechen….

Die mit Beweisverwertungsverboten und einem ggf. erforderlichen Widerspruch zusammenhängenden Fragen sind natürlich :-9 auch <<Werbemodus an >> umfassend dargestellt in den beiden Handbüchern zum Ermittlungsverfahren bzw. zur Hauptverhandlung. Bestellen kann man die im „Paket“ hier. <<Werbemodus aus>>.

Die Befangenheit des Übersetzers aus dem Ermittlungsverfahren, oder: Sachverständiger?

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Und die zweite Entscheidung der Woche stammt auch vom BGH. Der BGH, Beschl. v. 13.02.2019 – 2 StR 485/18 – befasst sich mit einer Problematik, die in der Praxis vor allem in BtM-Verfahren immer wieder eine Rolle spielen kann.

Anhängig war ein Verfahren wegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens sind umfangreiche Telefonüber­wachungsmaßnahmen durchgeführt worden. Da alle Telefongespräche in fremder Sprache geführt worden waren, wurden diese durch einen von der Polizei beauftragten Übersetzer in die deutsche Sprache übertragen und verschriftet. Einzelne Wortprotokolle wurden dann später durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Angeklagten haben „den Dolmetscher, der die TKÜ übersetzt hat“ wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der „Dolmet­scher“ habe sich nicht auf die Übersetzung der Gespräche beschränkt, sondern in Klammern eigene Interpretationen und Erläuterungen hinzugefügt. Das LG hat den Befangenheitsantrag abgelehnt und den Angeklagten verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten bleiben erfolglos:

„2. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch rechtsfehlerfrei abgelehnt.

a) Der für das Hessische Landeskriminalamt tätig gewordene Übersetzer war kein Dolmetscher im Sinne des § 191 GVG. Aufgabe des Dolmetschers ist es, die Verständigung der Verfahrensbeteiligten zu ermöglichen. Es ist nicht seine Aufgabe, den Sinn einer nicht im Verfahren, sondern außerhalb des Prozesses abgegebenen fremdsprachigen Äußerung zu ermitteln. Dies ist Aufgabe eines Sachverständigen, für dessen Ablehnung § 74 StPO gilt.

b) Die Revision kann zwar grundsätzlich darauf gestützt werden, dass ein Ablehnungsgesuch gegen einen Sachverständigen zu Unrecht zurückgewiesen worden ist. Die Ablehnung eines im Auftrag der Polizei oder der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens tätig gewesenen Sachverständigen ist nach der Rechtsprechung und der ganz herrschenden Meinung in der Literatur, denen sich der Senat anschließt, nur möglich, wenn dieser vom Gericht in der Hauptverhandlung vernommen wird (BGH, Urteil vom 9. April 1965 – 4 StR 143/65, VRS 29, 26; OLG Düsseldorf, MDR 1984, 71, 72; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 74 Rn. 12; KK-StPO/Senge, 7. Aufl. § 74 Rn. 7; MüKo-StPO/Trück, 1. Aufl., § 74 Rn. 3; Radtke/Hohmann/Beukelmann, StPO, § 74 Rn. 1; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 74 Rn. 6; KMR/Neubeck, 68. EL, § 74 Rn. 18; LR-StPO/Krause, 27. Aufl., § 74 Rn. 3; aA derselbe in Rn. 21; Kube/Leineweber, Polizeibeamte als Zeugen und Sachverständige, 2. Aufl., S. 98; krit. SSW-StPO/Bosch, 3. Aufl., § 74 Rn. 8; aA Eisenberg, NStZ 2006, 368, 374; dem folgend HK-StPO/Brauer, 6. Aufl., § 74 Rn. 12). Den Verfahrensbeteiligten bleibt es insoweit unbenommen, schon während des Ermittlungsverfahrens Gegenvorstellungen bei der Staatsanwaltschaft zu erheben (vgl. SK-StPO/Rogall, aaO, § 74 Rn. 6 mwN). Auch im Rahmen der Hauptverhandlung können die Verfahrensbeteiligten eine ihrer Ansicht nach fehlerhafte Übersetzung beanstanden. Die wörtlichen Übersetzungen der Gesprächsprotokolle sind vorliegend nach § 249 Abs. 1 StPO im Wege des Urkundsbeweises prozessordnungsgemäß eingeführt worden. Die Strafkammer war – jedenfalls soweit in der Hauptverhandlung Einwände gegen die Richtigkeit der Übersetzung erhoben wurden – gehalten, sich gewissenhaft Aufklärung zur sorgfältigen Übertragung der Gesprächsaufzeichnungen zu verschaffen (BGH, Beschluss vom 3. April 2002 – 1 StR 540/01, NStZ 2002, 493, 494). Wie das Tatgericht die Überzeugung von Übereinstimmung der Übersetzung mit den fremdsprachigen Gesprächsprotokollen gewinnt, bleibt ihm nach Maßgabe der Aufklärungspflicht überlassen (BGH, Beschluss vom 27. November 2018 – 3 StR 339/18, NStZ-RR 2019, 57).

Hier hat sich die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe und des Revisionsantrags durch Vernehmung des Zeugen W. von der beruflichen und fachlichen Qualifikation des Übersetzers sowie von dessen Zuverlässigkeit überzeugt. Zudem hat der über viele Jahre in Deutschland wohnhafte Angeklagte Bo. die Richtigkeit der Übersetzung der ihm vorgehaltenen Wortprotokolle bestätigt, auch wenn er sie teilweise inhaltlich anders gedeutet hat. Eine dies beanstandende Aufklärungsrüge haben die Beschwerdeführer nicht erhoben.

c) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass er die von der Revision unter Verweis auf Beschlüsse des Landgerichts Darmstadt (StV 1990, 258 und 1995, 239) vorgebrachten Bedenken hinsichtlich einer Befangenheit des Übersetzers auch in der Sache nicht teilen würde. Die von der Revision als mögliche Interpretationen beanstandeten Zusätze dienen zum Teil der Klarstellung und dem Verständnis, sind teilweise mit „vermutlich“ gekennzeichnet und als solche ausnahmslos in Klammern gesetzt. Ein vom Landeskriminalamt hinzugezogener Übersetzer überschreitet im Regelfall nicht seine Kompetenzen, wenn er aus dem Kontext früherer von ihm abgehörter – eventuell nicht im Wortlaut übersetzter – Gespräche zur besseren Verständlichkeit Erläuterungen beifügt, solange er durch Klammern deutlich macht, dass es sich nur um eine mögliche Deutung seinerseits handelt und damit die letztendliche Interpretationshoheit dem Landeskriminalamt als seinem Auftraggeber überlässt (BGH, Beschluss vom 28. August 2007 – 1 StR 331/07, NStZ 2008, 50). Etwas anderes könnte sich lediglich dann ergeben, wenn ein Übersetzer ohne Anhaltspunkte aus dem Kontext einseitig tendenziöse, für den Angeklagten belastende Schlussfolgerungen ziehen würde. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte.“