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Nochmals zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV, oder: Gegenstandswert von 30 Mio EUR ist zu hoch

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Am Gebührenfreitag heute zwei Entscheidungem und zwar eine von einem OLG und eine von einem AG.

Ich starte mit der OLG-Entscheidung. Es handelt sich um den OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.07.2023 – 1 Ws 22/23 – (noch einmal) zum Anfall der Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV RVG und zum Gegenstandswert. Folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Verurteilten wegen verschiedener Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz unter dem 12.04.2022 Anklage zum Landgericht erhoben. In der Anklageschrift wird darauf hingewiesen, dass ein Betrag von 660.500,00 EUR gem. §§ 73, 73c, 73d StGB der Einziehung und ein Betrag in Höhe von 31.704.000,00 EUR gem. §§ 73a, 73c, 73d StGB der erweiterten Einziehung unterliege. Unter der Überschrift „Vermögensabschöpfung“ wird dies näher begründet. In der Hauptverhandlung hat der Vertreter der Staatsanwaltschaft dann die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 274.000,00 EUR und den „erweiterten Verfall“ in Höhe von 85.500,00 EUR beantragt. Das Landgericht hat im Urteil die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 101.500,00 EUR angeordnet.

Nach Einreichung des Kostenfestsetzungsantrags durch den Pflichtverteidiger hat die Bezirksrevisorin beim LG die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Einziehungsverfahren beantragt. Das LG hat diesen auf 660.500,00 EUR festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, die erweiterte Einziehung von Taterträgen in Höhe von 31.704.000,00 EUR sei nach Aktenlage niemals ernsthaft in Betracht gekommen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Verteidigers, mit der die Festsetzung eines Gegenstandswertes von 30.000.000,00 EUR angestrebt wird. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der zur Entscheidung berufene Einzelrichter beim OLG hat das Verfahren gem. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen. Dieser hat die Beschwerde zurückgewiesen:

„Das Rechtsmittel bleibt allerdings in der Sache erfolglos.

Nach Nr. 4142 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV) fällt eine besondere Verfahrensgebühr als Wertgebühr an, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen bezogene gerichtlich oder außergerichtliche Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (BGH, Beschluss vom 29.11.2018 – 3 StR 625/17, juris Rn. 4). Die Verfahrensgebühr wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten. Das wird immer der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung naheliegen. Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist, noch, ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt, noch ist erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache ernsthaft in Betracht kommt (OLG Dresden, Beschluss vom 14.02.2020 – 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.03.2022 – 1 Ws 38/22; juris Rn. 3).

Der Gegenstandswert für die Einziehung richtet sich nach dem objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Anordnung (BGH, Beschluss vom 30.04.2014 – 1 StR 53/13, juris Rn. 1; Beschluss vom 07.10.2014 – 1 StR 166/07, juris Rn. 1; Beschluss vom 29.11.2018 – 3 StR 625/17, juris Rn. 5; Beschluss vom 22.05.2019 – 1 StR 471/18, juris Rn. 2). Maßgeblich ist – wie bei Festsetzung der Kosten im Zivilprozess – der Nominalwert der titulierten Einziehungsforderung. Eine Verringerung des Gegenstandswerts wegen fehlender Durchsetzbarkeit des Zahlungsanspruchs ist generell weder im Streitwert- noch im Kostenfestsetzungsverfahren vorgesehen. Es kommt daher nicht darauf an, ob wegen einer Vermögenslosigkeit des Angeklagten erhebliche Zweifel an der Werthaltigkeit der Einziehungsforderung bestehen (BGH, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 StR 471/18, a. a. O. für das Revisionsverfahren; anders für den Arrest: BGH, Urteil vom 08.11.2018 – III ZR 191/17, juris Rn. 20). Beanstandet die Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren, das Landgericht habe zu Unrecht davon abgesehen, den Verfall von Wertersatz anzuordnen, bemisst sich der Gegenstandswert im Revisionsverfahren nach dem von der Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision verfolgten Ziel, mithin der von ihr erstrebten Höhe der Anordnung des Verfalls von Wertersatz (BGH, Beschluss vom 24.02.2015 – 1 StR 245/09, juris Rn. 5). Die für die Wertgebühr maßgebende Höhe des Verfalls des Wertersatzes kann sich nur nach den zum Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung erkennbaren Anhaltspunkten in der Verfahrensakte, nicht jedoch nach dem in der Hauptverhandlung gestellten Schlussantrag der Staatsanwaltschaft richten. Ob sich später, etwa in der Hauptverhandlung, Anhaltspunkte für einen niedrigeren Wert ergeben haben, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, in welcher Höhe letztlich das Gericht die Einziehung von Wertersatz festgesetzt hat. Der in der zugelassenen Anklage enthaltene Hinweis auf die in Betracht kommende Rechtsfolge der Verfallsanordnung ist nicht völlig bedeutungslos; der Hinweis in der Anklageschrift führt immerhin dazu, dass durch sie ein rechtlicher Hinweis des Gerichts in der Hauptverhandlung entbehrlich wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.08.2007 – 3 Ws 267/07, juris Rn. 7; OLG Oldenburg, Beschluss vom 03.12.2009 – 1 Ws 643/09, juris Rn. 8 und Beschluss vom 06.07.2011 – 1 Ws 351/11, juris Rn. 11).

Deshalb ist im vorliegenden Fall das von der Vertreterin der Landeskasse tatsächlich zutreffend herausgestellte „grobe Missverhältnis“ zwischen den von der Staatsanwaltschaft hochgerechneten Einkünften des Verurteilten und dem nach dem Urteil letztlich der Einziehung unterfallenden Betrag für die Festsetzung des Gegenstandswertes ohne Bedeutung. Auch dass – wie die Generalstaatsanwaltschaft in tatsächlicher Hinsicht zutreffend einwendet – eine Anordnung der erweiterten Einziehung von Wertersatz bei dem Verurteilten wirtschaftlich nicht durchsetzbar ist, spielt für die Festsetzung keine Rolle. Schließlich vermögen auch die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung der erweiterten Einziehung hier schon nach Aktenlage nicht vorlagen (BGH, Beschluss vom 04.03.2021 – 5 StR 447/20, juris Rn. 67 f.; ferner: Beschluss vom 03.11.2020 – 6 StR 258/20, juris Rn. 7; Beschluss vom 19.08.2021 – 5 StR 238/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 26.10.2021 – 5 StR 327/21, juris Rn. 3), die Wertfestsetzung nicht zu beeinflussen.

Als aus der Akte erkennbarem Anhaltspunkt für das objektive, wirtschaftliche Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Einziehungsanordnung kommt der Anklageschrift, wenn diese sich zur Vermögensabschöpfung äußert, naturgemäß erhebliche Bedeutung zu. Im vorliegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft die nach ihrer Auffassung der Einziehung und der erweiterten Einziehung unterliegenden Beträge nicht nur beziffert, sondern deren Berechnung auch noch ausführlich begründet. Nach der Anklageschrift sollte ein Betrag von insgesamt 32.364.500,00 € der Einziehung bzw. der erweiterten Einziehung von Wertersatz unterliegen.

Entsprechenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft grundsätzlich keine Bedeutung für das Interesse des Verurteilten an der Abwehr der Anordnung beizumessen, würde der Bedeutung der Anklageschrift für das Strafverfahren nicht gerecht; steht die Vermögensabschöpfung in der genannten Höhe allerdings ernstlich nicht im Raum und hat die Berechnung deshalb nur fiktiven Charakter, verliert der Inhalt der Anklageschrift seine Bedeutung für die Bestimmung des Gegenstandwertes (zum Verfall und unter Geltung der BRAGO: OLG Köln, Beschluss vom 01.06.2007 – 2 Ws 173-175/07, BeckRS 2007, 16796 = StraFo 2007, 525).

So liegt der Fall hier. Der fiktive Charakter der Berechnung des vermeintlich der erweiterten Einziehung unterliegenden Betrages lässt sich zwar nicht dem Wortlaut der Anklageschrift entnehmen; die Bezifferung dieses Betrages ist aber im Hinblick auf den Ansatzpunkt für deren Berechnung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten im Tatzeitraum offensichtlich abwegig.

Deshalb hat es mit dem von dem Landgericht für das Einziehungsverfahren festgesetzten Gegenstandwert in Höhe von 660.500,00 € sein Bewenden.“

Dazu ist anzumerken:

1. Vorab: Auf den ersten Blick scheint der Streit des Pflichtverteidigers mit der Landeskasse ein „Streit um Kaisers“ Bart zu sein. Denn selbst, wenn das LG/OLG den Gegenstandswert auf die vom Verteidiger beantragten 30.000.000 EUR – auf § 22 Abs. 2 S. 2 RVG wird hingewiesen – festgesetzt worden wäre – hätte sich für die Pflichtverteidigergebühren nichts geändert. Denn für den Pflichtverteidiger gilt die Beschränkung aus § 49 RVG, die den Gegenstandswert für ihn bei 50.000 EUR kappt. Mehr als 659 EUR entstehen für den Pflichtverteidiger an Gebühren also bei der Nr. 4142 VV RVG nicht.

Der Streit ist aber nur vordergründig überflüssig bzw. hat ggf. Bedeutung in Verfahren, in denen es um Wahlanwaltsgebühren geht, da insoweit eben von einem Gegenstandswert von 30.000.000 EUR ausgegangen werden könnte. Das könnte, was sich aus der Entscheidung allerdings nicht ergibt, im Übrigen auch hier greifen. Wenn nämlich das LG in seinem Urteil oder ggf. der BGH in einer potentiellen Revisionsentscheidung nach den Grundsätzen von BGH (Beschl. v. 25.02.2021 – 1 StR 423/20, AGS 2021, 287) eine Kostenentscheidung teilweise zugunsten des Angeklagten getroffen hätte und wegen der erheblichen Verringerung der Einziehungsbetrages, dessen sich die Staatsanwaltschaft berühmt hat, die Kosten und Auslagen zumindest teilweise der Staatskasse auferlegt hätte. Dann würde im Rahmen der Erstattung für den Angeklagten der höhere Gegenstandswert herangezogen werden müssen.

2. Hinsichtlich der Ausführungen des OLG zur Bemessung des Gegenstandswertes ist gegen die Darlegungen  zum objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten als Grundlage für die Bemessung nichts einzuwenden. Sie sind grundsätzlich zutreffend. Zutreffend sind auch die Anmerkungen des OLG zur Bedeutung der Anklageschrift. Nicht selten wird sie Grundlage der Gegenstandswertbemessung sein, da in ihr die Staatsanwaltschaft, wenn sie eine Einziehung bejaht/ankündigt, auch zu deren Höhe Stellung nehmen muss. Damit ist aber die Grundlage für den Verteidiger gelegt. Der muss/kann aus der Anklageschrift entnehmen, welcher Einziehungsanspruch gegen seinen Mandanten geltend gemacht wird und womit der Mandant schlimmstenfalls rechnen muss. Die Staatsanwaltschaft berühmt sich für den Staat als Rechtsfolge einer Verurteilung eines Anspruchs in dieser Höhe. Gegen den muss sich der Mandant verteidigen, was seinem objektiven wirtschaftlichen Interesse entspricht. M.E. kann man an der Stelle nicht auf einen „fiktive Charakter der Berechnung des vermeintlich der erweiterten Einziehung unterliegenden Betrages“ abstellen, wenn man zuvor die Anklageschrift als das „Maß aller Dinge“ als Grundlage der Bemessung herangezogen hat. Das ist widersprüchlich. Und ob „die die Bezifferung dieses Betrages … im Hinblick auf den Ansatzpunkt für deren Berechnung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten“ zutreffend ist oder nicht, kann m.E. auch keine Rolle spielen. Die Staatsanwaltschaft hat sich eines solchen Anspruchs berühmt, gegen den muss sich der Angeklagte verteidigen. Auch bei Festsetzung der Kosten im Zivilprozess wird – das OLG sieht selbst die Parallel – ja nicht gegen eine geltend gemachte Klageforderung bei (teilweise) Klageabweisung eingewandt, diese sei fiktiv gewesen. Das durch eine „fiktive“ Forderung entstehende Kostenrisiko ist das Risiko des Klägers, der sich einer solchen „übersetzten“ Forderung berühmt. Im Strafverfahren ist es das Risiko des Staates, der sich, vertreten durch die Staatsanwaltschaft, einer zu hohen/übersetzten Einziehungsforderung berühmt. Da hilft es auch nicht, wenn man mit „offensichtlich abwegig.“ formuliert. Die Formulierung zeigt vielmehr, dass man sich schon darüber bewusst ist, dass die eigene Begründung widersprüchlich ist und den Beschluss nicht trägt.

StPO II: Einziehung einer Photovoltaikanlage, oder: Zubehör ist rechtlich selbständig

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Und als zweite Entscheidung dann das BGH, Urt. v. 12.07.2023 – 6 StR 417/22.

Das LG hat den Angeklagten F.   wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt sowie die Einziehung eines mit einer Tennishalle bebauten Grundstücks, der auf dem Hallendach installierten Photovoltaikanlage und des Wertes von Taterträgen angeordnet. Dagegen die Revision, die hinsichtlich der Einziehung teilweise Erfolg hatte:

„1. Nach den Feststellungen betrieben die bereits verurteilten D.Y., T., O.Y. sowie weitere Personen in der leerstehenden Tennishalle des Angeklagten F. eine Marihuanaplantage. In der Zeit von September 2020 bis Mai 2021 kam es zu einer Ernte und einer weiteren Anpflanzung. Wegen der ihm versprochenen Hallenmiete billigte F. den Anbau des Marihuanas zum gewinnbringenden Weiterverkauf und die Versorgung der Plantage mit Strom aus der auf dem Dach der Halle montierten Photovoltaikanlage; ferner unterstützte er beide Anbauvorgänge durch die Bereitstellung von Wohnraum für die Plantagenarbeiter, Transporttätigkeiten und das Überlassen von Gerätschaften.

2. Die zum Schuld- und Strafausspruch erhobenen Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

……

3. Eine weitere Verfahrensbeanstandung des Angeklagten führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung der Photovoltaikanlage.

a) Der Angeklagte rügt zu Recht, dass er auf diese Rechtsfolge weder in der zugelassenen Anklage noch in der Hauptverhandlung hingewiesen wurde.

aa) Einem Angeklagten ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Hauptverhandlung stets ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn die zugelassene Anklage keinen Hinweis auf eine dort genannte Rechtsfolge enthält, wie etwa die Maßnahme der Einziehung von Tatmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB). Die Hinweispflicht gilt unabhängig davon, ob sich in der Hauptverhandlung im Vergleich zum Inhalt der Anklageschrift oder des Eröffnungsbeschlusses neue Tatsachen ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – GSSt 1/20, BGHSt 66, 20).

bb) Der danach gebotene Hinweis wurde dem Angeklagten nicht erteilt. Insbesondere musste er nicht davon ausgehen, dass die Einziehung der auf dem Dach der Tennishalle installierten Photovoltaikanlage, die später der Versorgung der Marihuanaplantage mit Strom diente, schon aus ihrer Zubehöreigenschaft (§ 97 BGB) folgt. Denn Zubehör ist grundsätzlich rechtlich selbstständig; es unterliegt insoweit den für bewegliche Sachen geltenden Vorschriften, Zubehörstücke teilen daher nicht zwingend das rechtliche Schicksal der Hauptsache (vgl. MüKo-BGB/Stresemann, 9. Aufl., § 97 Rn. 42).

b) Auf diesem Rechtsfehler, der auch die zugehörigen Feststellungen erfasst (§ 353 Abs. 2 StPO), beruht die Einziehungsentscheidung. Denn es erscheint zumindest möglich, dass sich der Angeklagte erfolgreicher hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 20/19).“

Einziehung III: (Ganz) kleine Rechtsprechungsübersicht, oder: Weiterverkauf von BtM, Spesen, Entreicherung

entnommen openclipart.org

Und dann noch der Rest an Einziehungsentscheidungen aus meinem Blogordner, und zwar:

„Im Fall 2 der Urteilsgründe begegnet die Einziehungsanordnung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden dem Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe 106 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 15 Prozent im Wert von 4.000 Euro geliefert, die er gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Durch diese Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erlangte der Angeklagte Kokain. Das Landgericht hat einen dessen Wert entsprechenden Geldbetrag (4.000 Euro) nach §§ 73, 73c StGB eingezogen.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass zum gewinnbringenden Weiterverkauf erlangte Betäubungsmittel nicht Taterträge im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB sind, sondern Tatobjekte, die nach § 33 Satz 1 BtMG iVm § 74 Abs. 2 StGB eingezogen werden können. Die Einziehung des Wertersatzes richtet sich dementsprechend nach § 74c StGB. Voraussetzung hierfür ist, dass das Tatobjekt dem Täter zur Tatzeit gehörte oder zustand. Werden Betäubungsmittel wie hier aber im Inland erworben, kann der Käufer wegen § 134 BGB kein Eigentum an den Drogen erlangen (BGH, Beschluss vom 9. November 2021 – 5 StR 244/21).

Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Satz 1 StPO). Anders als in den übrigen Fällen ist im Fall 2 gerade nicht festgestellt, dass dem Angeklagten der Erlös aus einem etwaigen Weiterverkauf zugeflossen ist. Die Voraussetzungen einer Wertersatzeinziehung nach §§ 73, 73c StGB von 4.000 Euro als Mindestverkaufserlös liegen somit nicht vor. Wie vom Generalbundeanwalt beantragt, hat der Senat den Ausspruch über die Anordnung der Einziehung des Wertes daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO um 4.000 Euro reduziert.“

„Die Einziehungsentscheidung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen erhielt die Angeklagte den Betrag von 1.500 Euro von einem der Hintermänner, um damit das für die Tatausführung erforderliche Fahrzeug anmieten und Übernachtungskosten bezahlen zu können.

Bei dieser Sachlage hat die Angeklagte den Geldbetrag – anders als es bei der erstrebten Teilhabe an der Tatbeute läge – nicht für die Taten, sondern für deren Durchführung erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2010 – 4 StR 277/10; NStZ-RR 2011, 283, 284 mwN).

Derartige „Spesen“ unterliegen als Tatmittel der Einziehung nach § 74 Abs. 1 und § 74c Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2002 – 3 StR 240/02; Urteil vom 25. Februar 1993 – 1 StR 808/92; BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 4). Die Einziehung des Tatmittels beziehungsweise dessen Wertes nach § 74c Abs. 1 StGB steht jedoch im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2020 – 6 StR 34/20). Eine solche Ermessensentscheidung hat das Landgericht – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – nicht getroffen.

Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).“

1. § 459 Abs. 5 S. 1 StPO in der ab 01.07.2021 geltenden Fassung findet ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auf Einziehungsentscheidungen Anwendung, auch wenn die der Einziehung zugrundeliegende Tat vor dem 01.07.2021 begangen wurde. Der Meistbegünstigungsgrundsatz aus § 2 Abs. 3 StGB ist auf § 459g Abs. 5 S. 1 StPO nicht anzuwenden (Anschluss OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.12.2022, 4 Ws 514/22, und OLG Schleswig, Beschluss vom 07.07.2022, 2 Ws 63/22, sowie OLG Hamm, Beschluss vom 18.08.2022, 5 Ws 211/22, juris Rn. 19; entgegen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.05.2022, 1 Ws 122/22, und Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.09.2022, 1 Ws 118/21).

2. Für die Einstellung der weiteren Vollstreckung der Einziehung des Wertersatzes wegen Unverhältnismäßigkeit ist es nicht ausreichend, dass das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Täters vorhanden ist.

Einziehung I: Untervermietung für „BtM-Plantage“, oder: Kein Abzug der Mietzahlung vom Wertersatz

entnommen wikimedia.org
Author H. Zell

Seit der Änderungen der §§ 73 ff. StGB im Jahre 2017 sind die Fragen der Einziehung nicht „in aller Munde“, aber doch in sehr vielen Urteilen. Das hat damit zu tun, dass der Anwendungsbereich der Regelungen durch die Neuregelung doch erheblich ausgeweitet worden ist. Es gibt fast kaum noch BGH-Entscheidungen, in denen nicht zu Einziehungsfragen Stellung genommen wird. Im Übrigen: Spigelbildlich hat dann auch im Gebührenrecht die mit der Nr. 4142 VV RVG zusammenhängende Problematik an Bedeutung erheblich zugenommen.

Das vorausgeschickt. Und dann: Heute gibt es hier einen „Einziehungstag“.

Und den eröffne ich mit dem BGH, Urt .v. 16.05.2023 – 1 StR 345/22. Das LG hatte in dem Verfahren den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Es hat ferner die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 43.200 EUR angeordnet. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und sie auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt. Auf diese Revision hat der BGH mit Beschluss vom 11.01.2023 die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen sowie über die Kosten des Rechtsmittels vorbehalten und die weitergehende Revision verworfen. Jetzt hatte er dann in der Sache nur noch die Anordnung der Einziehung von Wertersatz zu prüfen. Insoweit hatte die Revision (auch) keinen Erfolg:

„Das Landgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte, der seinen Lebensunterhalt u.a. mit der Untervermietung angemieteter Objekte verdiente, vermietete in der Zeit von Juli 2020 bis Februar 2021 eine Industriehalle sowie zwei angrenzende Wohnungen an den gesondert Verfolgten M., der – wie der Angeklagte von Anfang an wusste – die Halle zum Betrieb einer Marihuanaplantage und die Wohnungen zur Unterbringung der Plantagenarbeiter nutzte. Hierfür erhielt er von M. acht monatliche Mietzahlungen von je 5.400 € in bar, mithin 43.200 €. Die M. überlassenen Räumlichkeiten sowie zwei anderweitig vermietete Wohnungen hatte der Angeklagte zum Zwecke der Weitervermietung von dem Eigentümer angemietet. An diesen zahlte er im verfahrensgegenständlichen Zeitraum eine monatliche Miete von 5.800 €. Ob der Angeklagte bereits bei der Anmietung der Räumlichkeiten noch vor dem Jahr 2019 eine illegale Nutzung des Geländes im Blick hatte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

II.

Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 43.200 € nach § 73 Abs. 1, § 73c StGB hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Der Angeklagte hat die an ihn gezahlten Mietzahlungen in Höhe von 43.200 € als Tatlohn für seine Unterstützung der von M. betriebenen Marihuanaplantage und damit „für“ die Tat im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erhalten. Da die konkret erhaltenen Geldscheine als solche beim Angeklagten nicht mehr vorhanden waren, hat das Landgericht zutreffend gemäß § 73c Satz 1 StGB die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe der Belohnung angeordnet.

b) Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die vom Angeklagten an den Eigentümer geleisteten Mietzahlungen von dem einzuziehenden Betrag auch nicht abzuziehen sind, soweit sie auf die an M. untervermieteten Räumlichkeiten entfallen. Zwar sind die Mietzahlungen des Angeklagten an den Eigentümer Aufwendungen im Sinne des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB, die bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten grundsätzlich in Abzug zu bringen sind; jedoch unterfallen diese Aufwendungen dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts hängt die Abzugsfähigkeit nicht davon ab, ob der Angeklagte bereits bei Anmietung des Geländes eine illegale Nutzung bezweckte. Im Einzelnen:

aa) Bei der Bestimmung des Erlangten sind nach § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB Aufwendungen des Täters oder Teilnehmers abzuziehen. Aufwendungen in diesem Sinne sind alle geldwerten Leistungen, die zur Ermöglichung oder Durchführung der Tat aufgewendet werden. Der erbrachte Aufwand muss in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang gerade mit dem strafrechtswidrigen Erlangen des Vermögenswertes stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2020 – 4 StR 387/20 Rn. 5, aber auch BGH, Urteil vom 30. März 2021 – 3 StR 474/19, BGHSt 66, 83 Rn. 73). Erforderlich ist ein innerer Zusammenhang mit Tat und Erwerbsakt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drucks. 18/11640 S. 78; BGH, Urteil vom 19. August 2020 – 5 StR 558/19, BGHSt 65, 110 Rn. 84).

Demgegenüber sieht § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB als Ausnahme von diesem Grundsatz vor, dass das, was für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt worden ist, außer Betracht bleibt und damit einem Abzugsverbot unterfällt. Die Vorschrift beschreibt den Kern des „Bruttoprinzips“ (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drucks. 18/11640 S. 79). Mit dem Tatbestandsmerkmal „für“ wollte der Gesetzgeber in Anlehnung an § 817 Satz 2 BGB sicherstellen, dass (nur) das, was für ein verbotenes Geschäft aufgewendet wurde, unwiederbringlich verloren sein müsse (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 67 f.; BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 – 3 StR 518/19, BGHSt 66, 147 Rn. 64). Daraus folgt, dass die Handlung oder das Geschäft, das unmittelbar zur Vermögensmehrung führt, selbst verboten sein muss (BGH aaO). Fehlt dieser Zusammenhang, sind die Aufwendungen zu berücksichtigen. Aufwendungen für nicht zu beanstandende Leistungen werden damit in Abzug gebracht, selbst wenn sie demselben tatsächlichen Verhältnis wie der strafrechtlich missbilligte Vorgang entstammen (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 67 f. mit Verweis auf BGH, Urteil vom 8. November 1979 – VII ZR 337/78, BGHZ 75, 299, 305).

bb) Gemessen an diesen Grundsätzen unterliegt der gesamte Wert des an den Angeklagten gezahlten Tatlohns der Einziehung. Zwar waren die Mietzahlungen des Angeklagten Aufwendungen im Sinne des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB, die bei der Bestimmung des Erlangten grundsätzlich in Abzug zu bringen sind. Der erforderliche innere Zusammenhang mit Tat und Erwerbsakt ist gegeben. Der Angeklagte entrichtete seine monatlichen Mietzahlungen an den Eigentümer, indem er jeweils einen Teil der von M.       an ihn gezahlten Monatsmiete an diesen abführte (UA S. 10 und 51). Jedoch leistete er diese Aufwendungen – was in einem weiteren Schritt zu prüfen ist – „für“ die Tat, so dass sie dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB unterfallen. Ohne die Mietzahlungen an den Eigentümer wäre dem Angeklagten eine (weitere) Nutzungsüberlassung der Räumlichkeiten an M.       und damit die Förderung der Haupttat nicht möglich gewesen. Dass der Angeklagte als Teilnehmer der Haupttat seine Aufwendungen zur Unterstützung des – verbotenen – Handelsgeschäfts des M.       einem unbeteiligten Dritten zukommen ließ, ist insoweit ohne Belang. Nach dem Bruttoprinzip unterfallen auch derartige mittelbare Aufwendungen dem Abzugsverbot, solange sie – wie hier – im Sinne des § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB für die vom Strafgesetz missbilligten Vorgänge aufgewendet werden.

Die Feststellungen belegen zudem, dass der von Anfang an über die tatsächliche Nutzung der Räumlichkeiten von M.      informierte Angeklagte die Aufwendungen auch willentlich und bewusst für das verbotene Geschäft einsetzte. Anders als der Generalbundesanwalt meint, kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte, der schon im Jahr 2018 einen Starkstromanschluss in die Halle legen ließ und gegenüber dem Voreigentümer vortäuschte, auf dem Gelände eine Lackiererei zu betreiben, die Räumlichkeiten vom Eigentümer bereits im Hinblick auf den späteren Betäubungsmittelhandel anmietete. Die Abzugsfähigkeit hängt nach § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB allein von einer subjektiven Komponente („für“) ab, d.h. davon, ob die für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendeten oder eingesetzten Vermögenswerte „bewusst und willentlich“ (BT-Drucks. 18/9525 S. 68) getätigt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 – 3 StR 518/19, BGHSt 66, 147 Rn. 101). In zeitlicher Hinsicht knüpft die Vorschrift an den Zeitpunkt der Aufwendung an, der hier mit der Zahlung der Miete an den Eigentümer zusammenfällt. Deswegen ist es aus rechtlichen Gründen ohne Relevanz, ob der Angeklagte die illegale Nutzung der Mietsache bereits bei Abschluss des Mietvertrags mit dem Eigentümer, also zeitlich weit im Vorfeld der geleisteten Aufwendungen, im Blick hatte.

 

Einziehung von Btm, eines Mobiltelefons, von Bitcoins, oder: Bitcoins sind mit Kurswert anzusetzen

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Und dann hier noch der AG Langenfeld, Beschl. v. 21.04.2023 – 16 Ls 8/22. Klein, aber fein zum Gegenstandswert für die Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV RVG.

Eingezogen worden sind in einem Btm-Verfahren – Betäbungsmittel und ein Mobiltelefon sowie Bargeld. Das Besondere: Auf dem Mobiltelefon war auch die Wallet zu 1,3 Bitcoins vorhanden. Dies  war der einzige Ort, wo der Angeklagte die Wallet gespeichert hat. Geht diese verloren, sind auch die Bitcoins nichts mehr wert. Das AG hat die Bitcoins bei der Wertfestsetzung berücksichtigt:

„Der Gegenstandswert i.S.v. § 33 Abs. 1 RVG war wie tenoriert festzusetzen.

Die streitgegenständlichen Betäubungsmittel waren mit 0 € festzusetzen. Sie haben keinen Verkehrswert. Sie sind nicht verkehrsfähig. Die Herkunft ist unklar. Ein (legaler) Weiterverkauf wäre dem Verurteilten nichtmöglich gewesen. Der Verurteilte hat zudem sein Einverständnis mit einer außergerichtlichen Einziehung erklärt. Daraus ist abzuleiten, dass er den Betäubungsmitteln selbst keinen legalen Wert beimaß.

Das Bargeld war mit 1.700,00 € anzusetzen. Die 1,3 Bitcoins waren mit 33.798,57 € (Kurswert: 25.998,90 €) anzusetzen.

Die Mobiltelefone waren mit 100,00 € anzusetzen. Alter und Zustand führten dazu, dass diesen kein hoher Marktwert zu attestieren war. Der Verurteilte hat sein Einverständnis mit einer außergerichtlichen Einziehung erklärt. Daraus ist abzuleiten, dass er den Mobiltelefonen selbst keinen signifikanten Wert mehr beimaß.“