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StPO I: Rechtswidrig erlangtes Beweismittel und BVV, oder: Filmen des Eingangsbereichs eines Bürogebäudes

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Heute dann hier noch einmal Entscheidungen zur StPO, und zwar zwei landgerichtliche zu Beweisvervwertungsverboten und eine amtsgerichtliche zu einer Vollstreckungsfrage.

Und, nein. Es wird um 11.11 Uhr nichts zum Karneval geben. Mir ist angesichts der Lage – Ukraine und Corona – nun wirklich nicht nach (Straßen)Karneval. Wer meint, er müsse das „feiern“: Bitte schön, aber in diesem Jahr nicht mit mir.

Und dann hier zunächst der LG Kiel, Beschl. v. 10.01.2022 – I Qs 29/21. Es geht um die Frage der Verwertbarkeit eines Beweismittels, das (ggf.) rechtswidrig erlangt ist, und zwar um Videoaufnahmen aus dem Eingangsbereich eines Bürogebäudes, in dem die Staatsanwaltschaft ihre Büroräume hat. So verstehe ich jedenfalls den etwas knappen Sachcverhalt. Das LG hat keine Bedenken gegen die Verwertung:

„Dabei kann dahinstehen, ob Anfertigung und Speicherung der Aufnahmen durch die Staatsanwaltschaft Kiel vorliegend zulässig waren — denn selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, stünde dies einer Beschlagnahme im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO und damit auch einer Verpflichtung zur Herausgabe im Sinne des § 95 StPO nicht entgegen.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass diese Aufnahmen selbst dann im Strafverfahren verwertbar wären, wenn die Staatsanwaltschaft Kiel sie rechtswidrig erstellt hätte (BGH, Beschluss vom 18.08.2021, 5 StR 217/21, zitiert nach juris), da aus der rechtswidrigen Erlangung eines Beweis-mittels durch einen Dritten nicht ohne weiteres die Unverwertbarkeit dieses Beweismittels im Strafverfahren folgt (BGH, Urteil vom 12.04.1989, 3 StR 453/88, zitiert nach juris).

Ob ein auf rechtswidrige Weise erlangtes Beweismittel zulasten eines Beschuldigten verwertet werden darf, ist vielmehr jeweils im Einzelfall insbesondere nach der Art des Verbots, dem Gewicht des Verfahrensverstoßes, der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter und dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Denn auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf die Wahrheitserforschung um „jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Ein Beweisverwertungsverbot ist ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung deshalb nur ausnahmsweise aus übergeordneten wichtigen Gesichtspunkten im Einzelfall anzunehmen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird (vgl. m.w.N.: OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2016, 4 Ss 543/15, zitiert nach juris). Dabei kommt es auch darauf an, ob die verletzte Vorschrift die verfahrensrechtliche Stellung eines Angeklagten sichern soll oder ob sich der Verstoß für ihn als unerheblich darstellt (OLG Hamburg, Beschluss vom 27.06.2017, 1 Rev 12/17, zitiert nach juris).

Gemessen an diesen Maßstäben würden die gegenständlichen Aufnahmen vorliegend keinem Verwertungsverbot unterliegen.

Bei dem Eingangsbereich zu einem Bürogebäude handelt es sich grundsätzlich um öffentlich zugängliche Räume (OVG Lüneburg, Urteil vom 29.09.2014, 11 LC 114/13, zitiert nach juris). Vorliegend ist aus der Akte nicht ersichtlich, ob die Kamera, deren Aufnahmen hier gegenständlich sind, ausschließlich den Personaleingang erfasst, oder ob sie darüber hinaus auch den Parkplatz und die dahinter verlaufende Straße erfasst.

Würde die Videoüberwachung ausschließlich den Personaleingang erfassen, würde es sich dabei um keinen Bereich handeln, der von einem unbestimmten und nur nach allgemeinen Merkmalen abgrenzbaren Personenkreis betreten und genutzt werden kann, und der seinem Zweck nach auch dazu bestimmt ist (Erfurter Kommentar/Franzen, 22. Auflage, BDSG, § 4, Rn. 3, zitiert nach beck-online), so dass es sich nicht um einen öffentlich zugänglichen Raum handeln würde und, jedenfalls § 4 BDSG keine Anwendung finden dürfte — stattdessen würde sich die Zulässigkeit der Videoüberwachung danach beurteilen, ob die Voraussetzungen des Art. 6 DSGVO vorliegen, in Betracht käme hier Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO.

Würde sich die Videoüberwachung nicht auf den Personaleingang beschränken oder würde dieser Personaleingang auch von Dritten genutzt werden, würde sich die Zulässigkeit der Videoüberwachung hingegen nach § 4 BDSG beurteilen.

Letztlich spielt dies für die Entscheidung keine Rolle. Denn selbst wenn durch die Anfertigung und die anschließende Speicherung der Aufnahmen — wie von der Verteidigung vertreten — gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen worden sein sollte, würden diese datenschutz-rechtlichen Bestimmungen nicht der Sicherung der Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren dienen, so dass sie nur mit einem begrenzten Gewicht in die Abwägung einzustellen wären (OLG Hamburg a.a.O.).

Soweit die Mitarbeiter der Außenstelle der Staatsanwaltschaft Kiel durch die Überwachung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen sind, sind diese nur in ihrer lndividualsphäre berührt. Die Privatsphäre ist hier nicht betroffen. Bei der Privatsphäre handelt es sich um den Teil der Persönlichkeit, der das private Leben im häuslichen Bereich oder im Familienkreis und das sonstige Privatleben umfasst — diese Bereiche sind hier nicht tangiert. Betroffen ist lediglich die lndividualsphäre, für die regelmäßig das schwächste Schutzbedürfnis angenommen wird (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.12.2001, 1 Sa 392 b/01, zitiert nach juris).

Gemessen daran überwiegt vorliegend das Interesse an der Strafverfolgung.

Einen möglichen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen müssten sich die Strafverfolgungsbehörden im Übrigen auch nicht zurechnen lassen. Zwar sind die Aufnahmen von der Staatsanwaltschaft Kiel angefertigt worden, diese tritt in dem gegen den Beschuldigten geführten Verfahren jedoch nicht in ihrer Funktion als Ermittlungsbehörde auf. Vielmehr ist die Staatsanwaltschaft Flensburg mit den Ermittlungen beauftragt worden (BI. 6).

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen scheidet ein Beweisverwertungsverbot vorliegend aus, so dass die gegenständlichen Aufnahmen als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können.“

StPO III: BtM und EncroChat beim OLG Brandenburg, oder: Auch du mein Sohn Brutus

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.12.2021 – 2 Ws 197/21. Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO – also Sechs-Monats-Prüfung. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in mindestens fünf Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben haben. Konkret wird ihm zur Last gelegt, in der Zeit vom 03.04. bis 18.05.2020 insgesamt ein Kilogramm Kokain, ca. zwei Kilogramm Methamphetamin Crystal und 10 Kilogramm Marihuana vom (bisher nicht identifizierten) EncroChat-Nutzer „(A)@…com“ sowie drei Kilogramm Methamphetamin Crystal und 10 Kilogramm Marihuana vom EncroChat-Nutzer „(B)@…com“, identifiziert als …., erworben zu haben.

Also: Encro-Chat-Problematik, die das OLG wie die h.M. in der Rechtsprechung der OLG löst; die entsprechenden Entscheidungen hatte ich hier ja auch fast alle vorgestellt. Die Entscheidung aus Brandenburg bringt also nichts Neues, ich stelle sie nur zur Abrundung vor, oder eben: Auch du mein Sohn Brutus 🙂 .

Hier also nur der Leitsatz zu der Entscheidung:

Die Verwertung der durch die französischen Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit der Überwachung des Dienstleistungsanbieters für sogenannte Krypto-Handys (EncroChat) durch Entschlüsselung von Chat-Nachrichten gewonnenen, sichergestellten und ausgewerteten Chat-Daten unterliegt keinem Verbot.

Ich bin gespannt, wann und wie sich der BGH äußern wird und dann sicherlich das BVerfG und der EGMR.

Beweis II: Wann liegt denn nun eine Vernehmung vor?, oder: Was ist eine Durchsuchung?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Bayern. Das BayOBlG hat im BayObLG, Beschl. v. 13.9.2021 – 202 StRR 105/21 – zur Abgrenzung der „Vernehmung“ zur „informatorischen Befragung“ und zu der Frage Stellung genommen, wann eine Durchsuchung i.S. des § 102 StPO vorliegt.

Das AG hat den Angeklagten unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Die dagegen eingelegte Berufung hat das LG verworfen. Hiergegen richtet sich dann die u.a. auf die Verfahrensrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die hatte keinen Erfolg.

Das LG hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte bewahrte am 08.03.2019 in seiner Wohnung 7,49 g Marihuana sowie 0,42 g Cannabis-Tabakgemisch und 0,34 g Amphetamin auf. Nachdem Polizeibeamte, denen mitgeteilt worden war, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen sei, gegen 9:10 Uhr den Angeklagten an der Wohnungstür hierauf angesprochen hatten, habe dieser sofort gestanden, dass er soeben einen „Joint“ geraucht habe. Auf Aufforderung durch die Beamten habe er die in der Wohnung befindlichen Betäubungsmittel an diese herausgegeben.

Der Angeklagte hat mit seinen Verfahrensrügen Verwertungsverbote hinsichtlich der sichergestellten Betäubungsmittel und seines Geständnisses vor der Polizei geltend gemacht. Wie gesagt: Ohne Erfolg:

„b) Die erhobenen Verfahrensrügen sind indes bereits unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gerecht werden. Hiernach ist der Beschwerdeführer gehalten, die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau wiederzugeben, dass das Revisionsgericht allein anhand der Begründungsschrift beurteilen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.02.2019 – 1 StR 604/17 = StV 2019, 808 = BGHR StPO § 244 Abs. 3 S. 2 Ungeeignetheit 26 = StraFo 2019, 243; 27.09.2018 – 4 StR 135/18 = NStZ-RR 2019, 26; 20.09.2018 – 3 StR 195/18 = NStZ-RR 2019, 190; Beschluss vom 01.12.2020 – 4 StR 519/19 = NStZ-RR 2021, 116 = Blutalkohol 58, 159 (2021); 29.09.2020 – 5 StR 123/20 = JR 2021, 231; 13.05.2020 – 4 StR 533/19 = medstra 2021, 42 = NStZ 2021, 178; 17.07.2019 – 5 StR 195/19, bei juris; 09.08.2016 – 1 StR 334/16 = NStZ 2017, 299 = StraFo 2017, 24 = StV 2017, 791; 19.05.2015 – 1 StR 128/15 = BGHSt 60, 238 = NStZ 2015, 541 = StraFo 2015, 381 = StV 2016, 78 = JR 2016, 78; 11.03.2014 – 1 StR 711/13 = NStZ 2014, 532 = BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 29 = StV 2015, 87; BayObLG, Beschluss vom 09.08.2021 – 202 ObOWi 860/21, bei juris). Dem entspricht die Rechtfertigungsschrift nicht.

aa) In Bezug auf das vor der Polizei abgelegte Geständnis, das der Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen die Belehrungspflicht für unverwertbar hält, fehlt es in mehrfacher Hinsicht an erforderlichem Sachvortrag, der dem Senat die Überprüfung ermöglichen würde, ob gegen die Belehrungspflicht nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO verstoßen wurde.

(1) Die Revision legt schon nicht dar, dass gegen den Angeklagten im Zeitpunkt des Erscheinens der Polizeibeamten an seiner Wohnungstür überhaupt ein Anfangsverdacht bestanden hatte. Die Pflicht zur Belehrung einer Person als Beschuldigten nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO wird erst dann ausgelöst, wenn sich der Verdacht gegen sie so verdichtet hat, dass sie ernstlich als Täter einer Straftat in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 07.09.2017 – 1 StR 186/17 = wistra 2018, 91). Aus den in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegebenen Passagen des Berufungsurteils lässt sich dies gerade nicht ableiten. Hiernach sei laut Aussage des als Zeuge vernommenen Polizeibeamten der Polizeidienststelle mitgeteilt worden, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen gewesen sei, und der Polizeibeamte habe dann im Treppenhaus des Wohnanwesens des Angeklagten ebenfalls Marihuanageruch wahrgenommen. Hieraus resultiert indes noch keineswegs ein konkreter Anfangsverdacht gerade in Bezug auf den Angeklagten hinsichtlich eines Betäubungsmitteldelikts. Denn die Inhaberschaft einer Wohnung ist ebenso wenig strafrechtlich relevant (vgl. BGH, Urt. v. 25.04.2017 – 5 StR 106/17 = NStZ-RR 2017, 219 = StraFo 2017, 257 = StV 2018, 503) wie der bloße etwaige Konsum von Betäubungsmitteln (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 14.10.2013 – 3 Ss 102/13 = StV 2014, 621 = OLGSt BtMG § 29 Nr. 21 m.w.N.). Dass die Polizeibeamten gerade den Angeklagten als Täter eines Betäubungsmitteldelikts konkret in Verdacht hatten, ergibt sich auch sonst aus der Rechtfertigungsschrift nicht.

(2) Zudem unterbleibt jeglicher Vortrag dazu, ob überhaupt eine die Belehrungspflicht erst auslösende „Vernehmung“ vorlag, als das Geständnis vor der Polizei abgelegt wurde. Hiervon kann nur dann gesprochen werden, wenn der Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt bereits den Beschuldigtenstatus eingenommen hatte, was sich aber aus der Rechtfertigungsschrift ebenfalls nicht ergibt. Ungeachtet dessen ist die im Berufungsurteil erwähnte, durch die Revisionsbegründung nicht weiter untermauerte bloße „Ansprache“ des Angeklagten auf den Marihuanageruch noch keineswegs als Vernehmung im Sinne einer gezielten Befragung eines Tatverdächtigen zu werten. Vielmehr liegt mangels ausreichenden weiteren Vortrags der Revision nicht fern, dass es lediglich um eine informatorische Befragung einer zum Kreis der potentiellen Tatverdächtigen gehörenden Person zum Zwecke der Klärung ging, ob oder gegen wen gegebenenfalls förmlich als Beschuldigter zu ermitteln ist, durch die die Belehrungspflicht § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 6 StPO noch nicht ausgelöst wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 06.06.2019 – StB 14/19 = BGHSt 64, 89 = NJW 2019, 2627 = NStZ 2019, 539 = StraFo 2019, 376 = JR 2020, 81; 27.10.1982 – 3 StR 364/82 = NStZ 1983, 86; BayObLG, Beschluss vom 02.11.2004 – 1St RR 109/04 = VD 2005, 101 = NStZ-RR 2005, 175 = wistra 2005, 239 = StV 2005, 430 = NZV 2005, 494 = Blutalkohol 43, 312 (2006); KK-StPO/Diemer 8. Aufl. § 136 Rn 4).

(3) Darüber hinaus unterbleibt ein Vortrag dazu, ob dem Angeklagten seine Rechte aus § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 6 StPO zum damaligen Zeitpunkt nicht ohnehin bereits bekannt waren. Ausführungen hierzu waren umso mehr erforderlich, als er vielfach und massiv vorbestraft ist, sodass es naheliegt, dass ihm schon aufgrund seiner Kontakte zu Ermittlungsbehörden und Gerichten seine Rechte bekannt waren. Sollte dies der Fall gewesen sein, durfte der Inhalt der Angaben, die er ohne Belehrung vor der Polizei gemacht hat, bei der Urteilsfindung verwertet werden (BGH, Beschluss vom 27.02.1992 – 5 StR 190/91 = BGHSt 38, 214).

(4) Schließlich scheitert die Zulässigkeit der Verfahrensrüge daran, dass der bereits in erster Instanz verteidigte Beschwerdeführer der Verwertung seines vor der Polizei abgelegten Geständnisses nicht rechtzeitig, d. h. bis zu dem in § 257 StPO vorgesehenen Zeitpunkt, mit einer konkreten Stoßrichtung widersprochen hat (vgl. grundlegend: BGH a.a.O.), was zur Rügepräklusion führt (vgl. nur BGH, Urt. v. 09.05.2018 – 5 StR 17/18 = NSW StPO § 105 (BGHintern) = NJW 2018, 2279 = StraFo 2018, 385 = StV 2018, 772 = NStZ 2018, 737 = BGHR StPO § 105 Abs. 1 Verwertungsverbot 1 m.w.N.).

bb) Soweit die Revision geltend macht, die Erkenntnisse aus der Sicherstellung der Betäubungsmittel unterlägen einem Beweisverwertungsverbot, weil sie aufgrund einer gegen den Richtervorbehalt (§ 105 StPO) verstoßenden Durchsuchung erlangt worden seien, versagt auch diese Verfahrensrüge.

(1) Da der auch für die Rüge unzulässiger Verwertung von Durchsuchungsfunden erforderliche Verwertungswiderspruch (vgl. nur BGH a.a.O.) in erster Instanz nicht erhoben wurde, ist diese Verfahrensrüge ebenfalls präkludiert und deswegen bereits unzulässig.

(2) Ungeachtet dessen kam es weder nach dem Vortrag der Revision noch nach den Gründen des Berufungsurteils zu einer Durchsuchung. Kennzeichnend für eine Durchsuchung im Sinne des § 102 StPO ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen und Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.05.1987 – 1 BvR 1113/85 = BVerfGE 75, 318 = NJW 1987, 2500 = WuM 1987, 303 = DVBl 1987, 1062 = Rbeistand 1987, 120 = MDR 1987, 903 = JuS 1988, 149; Löwe-Rosenberg/Tsambikakis StPO 27. Aufl. § 102 Rn. 1). Hiervon kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Angeklagte die Betäubungsmittel auf die „Ansprache“ durch die Polizei an der Wohnungstür sofort freiwillig herausgegeben hat, so dass es zu einer Durchsuchung deshalb gar nicht kam.

(3) Für das Vorliegen eines Verwertungsverbots nach § 136a Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 StPO aufgrund einer etwaigen Ankündigung einer Durchsuchung unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt ergeben sich nach dem Revisionsvortrag schon keine Anhaltspunkte.“

M.E. eine dieser typischen bayerischen Fleißarbeiten, die von Zitaten strotzen, obwohl das alls gar nicht nötig gewesen wäre. Denn:

Man kann nur den Kopf schütteln über den Verteidiger. Dem scheinen die Grundkenntnisse im Recht der Beweisverwertungsverbote zu fehlen. Denn inzwischen sollte bei jedem Verteidiger angekommen sein, dass – wenn ein Beweisverwertungsverbot geltend gemacht wird – in der Hauptverhandlung widersprochen werden muss und dass der Umstand, dass widersprochen worden ist, dann auch in der Revision im Rahmen der Begründung der Verfahrensrüge vorgetragen werden muss. Und damit wäre es m.E. gut gewesen. Denn aus dem Grund ist die Entscheidung – im Ergebnis – zutreffend.

Aber: Das BayObLG muss natürlich einer staunenden (?) Fachwelt mitteilen, was es im Übrigen von der Sache hält. Und da ist die Entscheidung m.E. falsch. Denn der Angeklagte hätte als Beschuldigter belehrt werden müssen und seine ohne Belehrung gemachten Angaben wären damit, wenn widersprochen worden wäre, unverwertbar gewesen. Denn der Verdacht gegen ihn im Hinblick auf ein BtM-Delikt hatte sich zum Zeitpunkt der Befragung bereits so verdichtet, dass er als Täter einer Straftat in Betracht kam (zur Beschuldigteneigenschaft Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 1041 ff.). Ich halte fest: Der Polizeidienststelle wird mitgeteilt worden, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen ist, Polizeibeamte nehmen dann im Treppenhaus des Wohnanwesens des Angeklagten ebenfalls Marihuanageruch wahr, der Angeklagte öffnet die Wohnungstür. Bei den Umständen soll der Angeklagte dann nicht als Täter einer Straftat – eines BtM-Delikts, und zwar zumindest Besitz von BtM – in Betracht. Man fragt sich, was eigentlich noch passieren muss, bis man in Bayern als Beschuldigter angesehen wird? Für mich unverständlich, aber: Bayern eben.

DNA-Identitätsfeststellung, oder: Wiederholungsgefahr und Beweisverwertungsverbot

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Und im zweiten Posting zwei Entscheidungen des LG Rostock, die mir beide der Kollege Penneke aus Rostok geschickt hat.

Zunächst der schon ältere LG Rostock, Beschl. v. v. 21.03.2016 – 11 KLs 10/16 – mit folgendem Leitsatz.

Die Ergebnisse einer entgegen § 81 f Abs. 1 StPO durchgeführten molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen der Angeklagten unterliegen einem Verwertungsverbot, wenn die molekulargenetische Untersuchung trotz Vorliegens einer entgegenstehenden richterlichen Entscheidung durchgeführt worden ist.

Schon „bemerkenswert“ – „trotz …… einer entgegenstehenden richterlichen Entscheidung“.

Im zweiten LG Rostock-Beschluss, dem LG Rostock, Beschl. v. 24.08.2021 – 11 Qs 97/21 (1) – geht es dann um die Wiederholungsgefahr:

„Der Beschwerdeführer ist zwar mit Urteil des Landgerichts Rostock vom 13.03.2020 rechtskräftig wegen gemeinschaftlich begangenen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Es fehlt jedoch an der nach § 81 g Abs. 1, 4 StPO erforderlichen begründeten Annahme, dass gegen den Beschwerdeführer künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden.

Das Landgericht Rostock hat in seinem Urteil unter anderem ausgeführt: Die schwere Erkrankung des Beschwerdeführers – Leukämie seit Herbst 2017 und in Folge ihrer Behandlung seit 2018 eine Vorstufe von Multipler Sklerose – sowie die Tatsache, dass er nunmehr Opiate auf Rezept erhalte, so dass er die durch den Handel mit Betäubungsmitteln finanzierten Drogen zur Selbsttherapie nicht mehr benötige, legten nahe, dass er sich vom Drogenmillieu gelöst habe. In ihrer Entscheidung geht die Kammer davon aus, dass bereits die Hauptverhandlung nachhaltig auf ihn gewirkt habe und ihn die Verurteilung zu dieser Bewährungsstrafe von der Begehung weiterer – insbesondere vergleichbarer – Straftaten abhalte. Davon abweichende Erkenntnisse sind nicht ersichtlich.“

Durchsuchung I: Richtervorbehalt und/oder Gefahr im Verzug, oder: Beweisverwertungsverbot

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In die neue Woche starte ich dann mit zwei Entscheidungen zur Durchsuchung. Hier zunächst das AG Osnabrück, Urt. v. 17.03.2021 – 207 Ls (1366 Js 67580/18) 365/20. Das Urteil ist zwar schon etwas älter, aber die mit dem Richtervorbehalt und einem Beweisverwertungsverbot bei Nichtbeachtung zusammenhängenden Fragen sind in der Praxis immer von Bedeutung.

Folgender Sachverhalt: Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, im Zeitraum vom 01.08.2018 bis 07.12.2018 in Osnabrück in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG Handel getrieben zu haben, sowie in einem Fall (Fall 1) Betäubungsmittel in nicht geringer Menge ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG besessen zu haben und sich somit gemäß den §§ 1, 3, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, §§ 52, 53 StGB strafbar gemacht zu haben.

Von den Vorwürfen hat das AG den aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

„Nach Vernehmung der beiden Zeugen PK’in pp. und PK pp. konnte festgestellt werden, dass die beiden Polizeibeamten aufgrund eines Hinweises eines Mitmieters des Mehrfamilienhauses am 07.12.2018 gegen 12:30 Uhr das Mehrfamilienhaus an der Adresse pp. aufgesucht haben. Vor Ort sind die beiden auf den Hinweisgeber, der ihnen mitgeteilt hat, dass er seit einiger Zeit Cannabisgeruch im Hausflur des Mehrparteienhauses festgestellt habe, gestoßen. Er hatte eine Wohnung im zweiten OG bzw. DG im Verdacht. Die beiden Beamten haben bereits im Hausflur Cannabisgeruch feststellen können und sich sodann alleine ins Dachgeschoß begeben. Dort hat sich nach Angaben der beiden der Geruch erheblich verstärkt und sie seien sich sicher gewesen, dass der Geruch aus der Wohnung des Angeklagten gekommen sei. Die Zeugin PK’in pp. hat diesbezüglich bekundet, dass der Geruch regelrecht durch die Ritzen der Tür herausgezogen sei. Der Zeuge PKpp. hat bekundet, dass sich im Dachgeschoß noch eine weitere Wohnung befunden habe und man aus diesem Grund an den Türen gerochen habe. Dabei habe man festgestellt, dass der Geruch an der Tür des Angeklagten sehr massiv gewesen sei. Ohne zuvor einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken haben die beiden Polizeibeamten sodann an der Wohnung des Angeklagten geklingelt und dieser hat die Tür geöffnet. In diesem Moment habe sich der Geruch, nach Angaben der Polizeibeamten, auch noch verstärkt. Es konnte im Rahmen der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, ob der Angeklagte in diesem Moment die Polizeibeamten freiwillig in seine Wohnung gelassen hat oder aber ihnen den Zutritt verwehrt hat. Beide Polizeibeamten konnten dazu keine Angaben mehr machen. Aus dem Bericht des Polizeibeamten PKpp. ergibt sich auch kein eindeutiges Bild. Da der Polizeibeamte jedoch aufgenommen hat, das „aufgrund von Gefahr im Verzug die Wohnung betreten worden sei“, ist das Gericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte weder ausdrücklich gesagt hat, dass die Beamten seine Wohnung betreten dürfen, noch das er ausdrücklich gesagt hat, dass sie draußen bleiben sollen.

Die beiden Polizeibeamten, die in diesem Moment Gefahr im Verzug angenommen haben, haben sodann die Wohnung betreten und konnten dort diverse abgeerntete Cannabispflanzen, verkaufsfertiges Cannabis und eine Plantage mit neuen Setzlingen feststellen. Nach Belehrung hat der Angeklagte angegeben, dass er das Cannabis zum Eigenkonsum angebaut habe, da er an Multipler Sklerose leidet.

Im vorliegenden Fall liegt ein Beweiserhebungsverbot vor. Mangels eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses hätte die Wohnung nicht durchsucht werden dürfen, da keine Gefahr im Verzug vorlag. Die beiden Polizeibeamten haben übereinstimmend bekundet, dass ihnen bereits bevor die Tür durch den Angeklagten geöffnet worden sei, klar gewesen sei, dass der Cannabisgeruch ganz eindeutig aus der Wohnung des Angeklagten gekommen sei. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt bereits erkannt hatte, dass sich die Polizei vor seiner Wohnung befindet.

Die Polizeibeamten hätten somit ausreichend Zeit gehabt, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken. Gefahr im Verzug bestand erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Polizeibeamten geklingelt und der Angeklagte die Tür geöffnet hatte. Diese Situation haben die Polizeibeamten jedoch selbst herbeigeführt.

Das Beweiserhebungsverbot führt hier auch zu einem Beweisverwertungsverbot. Zwar ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemeiner Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht fremd. Die Annahme eines Verwertungsverbotes schränkt eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu strecken hat, die von Bedeutung sind. Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes ist von Verfassungs wegen nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtliche Sicherung planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2016, Az. 3 RVs 46/16, so auch BGH, Urteil vom 06.12.2016 – 2 StR 46/15).

Im vorliegenden Fall stellt die Vorgehensweise der Polizeibeamten eine – einer willkürlichen und zielgerichteten Umgehung des Richtervorbehalts gleichgewichtigen – gröbliche Missachtung dieses Vorbehalts dar. Den beiden Polizeibeamten war klar, dass der Geruch aus der Wohnung des Angeklagten stammt. Insoweit bestanden keine Zweifel. Darüber hinaus war ihnen auch klar, dass in dem Moment, in dem sie an der Tür klingeln und der Angeklagte erkennt, dass Polizeibeamte vor seiner Tür stehen, sie sofort die Wohnung betreten müssen, da in diesem Moment die Gefahr des Beweismittelverlustes durch Vernichtung der Betäubungsmittel droht. Es war für die Polizeibeamten unzweifelhaft und leicht zu erkennen, dass in einer solchen Situation zuvor ein Durchsuchungsbeschluss eingeholt werden muss und man nicht die Gefahr im Verzug selbst provozieren darf um sich sodann auf sie zu berufen. Auch die Tatsache, dass im vorliegenden Fall ein Durchsuchungsbeschluss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erlassen worden wäre, ändert nichts daran, dass hier ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist. Der Hypothese eines möglichen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt bei grober Verkennung von Bedeutung und Tragweise des Richtervorbehalts im Rahmen der Abwägungsentscheidung über ein Beweisverwertungsverbot nämlich keine Bedeutung zu (so auch BGH, Urteil vom 06.10.2016 – 2 StR 46/15).

Das Beweisverwertungsverbot erstreckt sich auf alle in der Wohnung vorgefundenen Beweismittel und auch auf die Angaben, die der Angeklagte nach dem Betreten seiner Wohnung durch die Polizeibeamten im Rahmen der Durchsuchung gemacht hat bzw. die Bekundungen der Polizeibeamten, die sich zu diesen Angaben des Angeklagten verhalten. ….. „