Schlagwort-Archive: Beweisverwertungsverbot

Pflichti I: Unterlassenen Bestellung eines Verteidigers, oder: Der BGH schafft Pflichtverteidigung teilweise ab.

Bild von Christian Dorn auf Pixabay

Ich starte dann in den „Arbeitsteil“ der Pfingstwoche mit Entscheidungen zur Pflichtverteidigung.

Als erste Entscheidung dann hier der BGH, Beschl. v. 05.04.2022 – 3 StR 16/22 – zur unterlassenen Bestellung eines Pflichtverteidigers und zum Beweisverwertungsverbot. M.E. eine „unsägliche“ Entscheidung. Aber: Es nutzt nichts, ich muss darüber berichten.

Folgender Sachverhalt: Der Angeklagte ist vom OLG wegen Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen eine Person in Syrien u.a. zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden . Die Tat soll im Juli 2012 begangen worden sein. Im Ermittlungsverfahren wurde der Angeklagte insgesamt drei Mal als Beschuldigter polizeilich vernommen. Vor den  Vernehmungen wurde er jeweils belehrt, dass er im Fall der notwendigen Verteidigung die Bestellung eines Pflichtverteidigers „beanspruchen“ könne. In der Folge äußerte er sich in zwei Vernehmungen zur Sache, ohne dass ihm zuvor ein Verteidiger bestellt worden oder ein solcher sonst anwesend war.

In der Hauptverhandlung wurde einer der Vernehmungsbeamten als Zeuge gehört Der Beamte machte u.a. Angaben zu den Einlassungen des Angeklagten im Rahmen der Vernehmungen. Die Verteidigung widersprach der Verwertung der Angaben des Vernehmungsbeamten, soweit dieser sich zu Inhalten der ohne Verteidiger durchgeführten Vernehmungen äußerte. Das OLG stützte jedoch seine Kenntnisse von den Angaben des Angeklagten in einer der Vernehmungen auf die Bekundung des Vernehmungsbeamten.

Dagegen dann die des Angeklagten, mit der ein Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf die Verwertung der Angaben gegenüber der Polizei geltend gemacht worden ist. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Ich erspare mir hier einen Auszug aus der Entscheidung und überlasse sie dem Selbstleseverfahren. Der BGH hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze gegeben:

    1. Ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StPO gebietet für sich genommen nicht eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO.
    2. Für die Frage, ob die sofortige Bestellung eines Verteidigers erforderlich ist, weil ersichtlich ist, dass der Beschuldigte sich selbst verteidigen kann, ist maßgeblich auf dessen individuelle Schutzbedürftigkeit abzustellen.
    3. Eine zu Unrecht unterbliebene Bestellung hat nicht grundsätzlich eine Unverwertbarkeit der Beschuldigtenvernehmung zur Folge.

Zu der Entscheidung könnte man eine Menge schreiben. Und es wird dazu sicherlich auch eine ganze Reihe ablehnender Anmerkungen geben. Und das m.E. zu Recht. Mich überrascht die Entscheidung zwar nicht, weil sie letztlich auf der Linie des BGH liegt, die Fragen der Pflichtverteidigung und der Beweisverwertungsverbote eng zu sehen. Dass der BGH dann aber nach der Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung weiterhin so restriktiv entscheiden würde und damit m.E. entgegen dem Sinn und Zweck der Neuregelung, das überrascht dann doch. Denn wenn man die Entscheidung „zusammenfasst“ wird man sagen müssen:, da in etwa Folgendes gilt:

  • Die unterbliebene Verteidigerbestellung ist kaum noch rügbar. Der  BGH hat die Hürde für ein Verwertungsverbot so hoch gelegt, dass eine zwar an sich gebotene, aber gleichwohl unterbliebene Verteidigerbestellung von Amts wegen mit der Revision de facto kaum noch erfolgreich gerügt werden kann.
  • Der Angeklagte war mit dem Vorwurf konfrontiert,  vor nunmehr beinahe zehn Jahren in einem Bürgerkriegsgebiet schwere Straftaten nach dem VStGB begangen zu haben. Mithin lag dem Verfahren eine Konstellation zugrunde, die jedenfalls nicht zum Standardrepertoire eines deutschen Strafjuristen gehören dürfte. Die Beweiswürdigung bezeichnet der BGH selbst als ersichtlich sehr schwierig. Bereits dies lässt es als sehr restriktiv erscheinen, wenn dem Beschuldigten bescheinigt wird, seine individuelle Schutzbedürftigkeit sei nicht derart stark ausgeprägt, dass er bei den Vernehmungen im Ermittlungsverfahren des Beistands eines Verteidigers bedurft hätte.
  • Darüber hinaus war der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig und wurde ferner, was der BGH nicht in Abrede stellt, teils unzutreffend belehrt. All dies führt nach Auffassung des BGH aber nicht, und zwar auch nicht im Rahmen einer – sonst so beliebten – Gesamtschau, zur Erforderlichkeit einer Verteidigerbestellung von Amts wegen und soll selbst dann, wenn man zu dem Ergebnis käme, dass es einer Bestellung bedurft hätte, nicht zur Unverwertbarkeit der Angaben führen.
  • Ausnahmen sind nach Auffassung des BGH nur noch bei psychischen Erkrankungen oder intellektuellen Einschränkungen denkbar.

Man fragt sich, warum der BGH nicht einen anderen Leitsatz gewählt hat, etwa: „Ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StPO ist nach der Rechtsprechung des 3. Strafsenats des BGH ausgeschlossen.“

Durchsuchung II: OStAin sollte zur Fortbildung, oder: Wenn Polizei vor Ort keine „Gefahr im Verzug“

© J.J.Brown – Fotolia.com

Und dann als zweite Entscheidung heute das AG Hamburg- St. Georg, Urt. v. 19.04.2022 – 942 Ls 209/21-, das mit der College C. Diedrich aus Hamburg geschickt hat. Das Urteil behandelt einen Klassiker, nämlich die Frage des Beweisverwertungsverbotes betreffend die bei einen Durchsuchung gewonnenen Beweismittel.

Dem Angeklagten ist ein Verstoß gegen das BtMG zur Last gelegt worden. Dieser Vorwurf war u.a. gestützt auf Betäubungsmittel, die man bei einer Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten gefunden hatte. Das AG hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei gesprochen. Es ist hinsichtlich der Betäubungsmittel von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen und hat dazu folgende Sachverhaltsfeststellungen getroffen:

„Am 30. März 2020 erließ das Amtsgericht Hamburg, Abt. 167, unter dem Az. 167 Gs 2/20 in dem Ermittlungsverfahren gegen die beiden damaligen Beschuldigten pp. und pp. auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hamburg einen Durchsuchungsbeschluss betreffend der Wohn- und Nebenräume, der Geschäfts-, Büro- und sonstigen Betriebsräume in der pp. in Hamburg. Im Wesentlichen führte die diesen Beschluss erlassende Amtsrichterin aus, dass die beiden damaligen Beschuldigten pp. und pp. aufgrund der auf der Ladefläche des von ihnen gefahrenen Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen pp. sichergestellten Filteranlage und der zehn beschrifteten Glasbehältnisse mit Marihuanaanhaftungen sowie der Ergebnisse der kurzfristigen Observation des Polizeibeamten pp. verdächtig seien, in Hamburg in nicht rechtsverjährter Zeit vor dem 29. Dezember 2019 und fortlaufend gemeinschaftlich mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben zu haben.

Dieser Durchsuchungsbeschluss wurde sodann am 30. Juni 2020 durch insgesamt elf Kriminalbeamte — u.a. der Kriminalbeamtin pp. — durchgeführt, welche zudem durch zwei Angestellte im Polizeidienst unterstützt wurden. Bereits vor der tatsächlichen Umsetzung des Durchsuchungsbeschlusses vom 30. März 2020 war den Ermittlungsbehörden bekannt, dass neben den im verfahrensgegenständlichen Durchsuchungsbeschluss benannten beiden damaligen Beschuldigten auch der nunmehr Angeklagte wohnt. Zu diesem Zeitpunkt bestand jedoch kein entsprechende Tatverdacht gegen den Angeklagten. Auf Klingeln öffnete der damalige Beschuldigte pp. die Wohnungstür. Nach Ausweisung sowie Nennung des Grundes ihres Erscheinens betraten die Kriminalbeamten sowie die beiden Angestellten im Polizeidienst die Wohnung. In der Wohnung selbst wurde der weitere damalige Beschuldigte pp. nicht, jedoch der Angeklagte angetroffenen. Der Angeklagte saß arbeitend an einem kleineren Tisch im Wohnzimmer, auf welchem ein Vorratsglas mit Marihuana, eine Schale mit Marihuana standen sowie ein Brocken Haschisch und Grinder offen lagen. Eine erste grobe Durchsicht sämtlicher Zimmer der Wohnung noch vor dem Beginn der eigentlichen Durchsuchung zwecks Überprüfung der Wohnung auf weitere Personen, brachte die Erkenntnis, dass im Zimmer des Angeklagten zwei Grinder offen und sofort sichtbar auf einem Nachttisch und einem Sideboard lagen. Aufgrund dieser Erkenntnis in Zusammenschau mit der Antreffsituation des Angeklagten am kleinen Tisch im Wohnzimmer, auf welchem sich u.a. Marihuana befand, entschied sich die Kriminalbeamtin pp. dazu, die Staatsanwaltschaft Hamburg telefonisch zu kontaktieren, um dort über die neue Sachlage zu informieren und ggfls. eine Erweiterung des Durchsuchungsbeschlusses auf das Zimmer sowie die Person des Angeklagten zu erwirken. Da die Kriminalbeamtin pp. die in diesem Verfahren zuständige Dezernentin nicht erreichen konnte, rief sie die ebenfalls in der zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft tätige Oberstaatsanwältin pp. an und berichtete von den neuen Erkenntnissen. Ohne den Versuch, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, ordnete Frau Oberstaatsanwältin pp. in diesem Telefonat mit der Kriminalbeamtin pp. dieser gegenüber gegen 10:39 Uhr die Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten wegen Gefahr in Verzug an. Nach Belehrung als Beschuldigter und dem Hinweis, dass nun auch sein Zimmer durchsucht werde, bat der Angeklagte darum, bei der Durchsuchung zusehen zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde. Im Rahmen der Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten, welche sich unmittelbar nach dem Telefonat zwischen der Kriminalbeamtin pp. und der Oberstaatsanwältin pp. um 10:41 Uhr begann, wurde dort Folgendes sichergestellt: ein schwarzer Grinde ohne Deckel im Sideboard, ein Grip-beutel mit Anhaftungen im Sideboard, diverses Verpackungsmaterial mit Anhaftungen in einem blauen Kulturbeutel beim Bett, acht Tabletten Ectasy in der oberen Schublade des schwarzen Sideboards, 65,- € Bargeld auf der Kommode, ein Schlagring in der obersten Schublade des Sideboards, ein blauer Grinder auf dem schwarzen Nachttisch sowie eine Dose mit MDMA in der oberen Schublade der Kommode. Der Angeklagte äußerte sich hinsichtlich der Dose mit MDMA dahingehend, dass er die Dose zuvor nie gesehen habe und nicht wisse, was sie enthalte oder wem sie gehöre. Er wisse auch nicht, wie diese Dose in sein Zimmer gelangt sei.

Frau Oberstaatsanwältin pp. verfasste noch am 30. Juni 2020 einen schriftlichen Vermerk über das Telefonat mit der Kriminalbeamtin pp. mit folgendem Inhalt: „Das LKA 68 (KB’in pp.) teilte gegen 10:40 Uhr telefonisch mit, dass derzeit aufgrund des vorliegenden Durchsuchungsbeschlusses im Verfahren 6004 Js 231/20 in der Wohnung der beiden Beschuldigten pp. und pp. in der pp. durchsucht werde. Nachdem die eingesetzten Beamten die Wohnung betreten und zur Personensicherung einmal alle Zimmer in Augenschein genommen hatten, konnte der nunmehr ebenfalls als Beschuldigter dieses Verfahrens zu führende pp. im Wohnzimmer sitzend mit einem Grinder direkt vor sich und einem offenen Vorratsglas mit Marihuana in unmittelbarer Nähe wahrgenommen werden. Bei der ersten Durchsicht der Räumlichkeiten zur Sicherung konnte in dem vom Beschuldigkeiten pp. genutzten Zimmer bereits ein Grinder auf den ersten Blick wahrgenommen werden. Gemeldet ist in der Wohnung keiner der nunmehr drei Beschuldigten dieses Verfahrens; am Klingelschild fanden sich aber alle drei Namen. Die Unterzeichnerin ordnete die Durchsuchung des Zimmers des Beschuldigten pp. in der oben bezeichneten Wohnung wegen Gefahr in Verzug an und teilte dies dem LKA 68 fernmüdlich mit, weil bereits die mit dem Versuch, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, verbundene zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte. Der Beschuldigte pp. war anwesend, die Maßnahme damit offen — ein Warten auf einen weiteren Durchsuchungsbeschluss hätte unmittelbare Gefahr eines Beweismittelverlustes bedeutet.“

Noch Fragen? Nein, denn – wie gesagt: Das AG hat den Angeklagten, der sich zur Sache nicht eingelassen hat, frei gesprochen:

„….Die Zeugin pp. hat neben der Schilderung des Hintergrundes der Durchsuchung und der Durchführung der Durchsuchung auf konkrete Nachfrage des Gerichts zur Situation vor Ort, insbesondere zu der von Frau Oberstaatsanwältin pp. in deren schriftlichen Vermerk behaupteten unmittelbaren Gefahr eines Beweismittelverlustes im Zusammenhang mit dem Versuch einen richterlichen Beschluss zu erwirken ganz deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ein Beweismittelverlust überhaupt nicht gedroht hatte, da aus polizeitaktischer Sicht die Situation in der Wohnung gesichert war. In diesem Zusammenhang hat die Zeugin pp. insbesondere ausgeführt, dass der Angeklagte für die Zeit des Wartens auf einen richterlichen Beschluss aus seinem Zimmer gesprochen und ihm untersagt worden wäre, mit Dritten zu kommunizieren (insbesondere mittels technischer Geräte wie Handy oder Laptop). Ein Zugriff des Angeklagten auf die in seinem Zimmer zu vermutenden Beweismittel, so die Zeugin pp. weiter, wäre auf diese Weise verhindert worden.

Vl.

Es besteht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der im Zimmer des Angeklagten sichergestellten Betäubungsmittel sowie des sichergestellten Schlagringes, da die durchgeführte Durchsuchung wegen Missachtung des Richtervorbehaltes rechtswidrig war. Eine gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die Anordnung von Frau Oberstaatsanwältin pp. beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme ihrer sich aus § 105 Abs. 1 S. 1 StPO ergebenden Eilkompetenz, da Gefahr in Verzug, wie es die Zeugin pp. in der Hauptverhandlung auf Nachfrage des Gerichts erklärt hat, objektiv nicht vorlag.

Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG Beschl. v. 20. Mai 2011 — 2 BvR 2072/10 — in: NJW 2011, 2783, 2784). Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der vom Gericht festgestellten Umstände vor. Soweit man wohlwollend unterstellen würde, dass Frau Oberstaatsanwältin pp. in ihrer Vorstellung aufgrund der telefonischen Schilderung der Kriminalbeamtin pp. von einer Situation der Gefahr in Verzug ausgegangen ist, kann dieser Umstand, unbeschadet dessen, dass eine solche Fehlvorstellung auf – nicht nachzuvollziehender — möglicherweise nicht vollständiger Information beruht hat, die der Sphäre der Ermittlungsbehörden zuzurechnen ist, es nicht rechtfertigen, dass noch nicht einmal der Versuch unternommen worden ist, an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten eine richterliche Entscheidung zu erlangen, zumal der Angeklagte sich, wie die Zeugin pp. geschildert hat, unter polizeilicher Aufsicht befand und er keine Möglichkeit gehabt hätte, Beweismittel zu verstecken oder zu vernichten (vgl. BGH, Beschl. v. 21. April 2016 — 2 StR 394/15 — in: juris Rdnr. 15.).

Der Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 18. November 2003 — 1 StR 455/03 — in: BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) kann bei — wie hier — solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (BGH, Beschl. v. 21. April 2016 — 2 StR 394/15 — in: juris Rdnr. 16; dort auch zum Nachfolgenden). Die Einhaltung der durch § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen.“

Mehr als zutreffend. Man versteht die Welt nicht. Da ist die Polizei vor Ort und kann „sichern“ und die Oberstaatsanwältin bejaht „Gefahr im Verzug“. Wenn nicht in diesem Fall „Gefahr im Verzug“ nicht vorgelegen hat, wann denn sonst nicht. Das hatte übrigens die Durchsuchungsbeamtin richtig erkannt. Die OStAìn geht m.E. besser noch einmal auf eine Fortbildung.

StPO I: „Negativer BGH-Räusperer“ zu EncroChat, oder: „im Ergebnis….gewonnene Erkenntnisse…verwertbar“

Bild von Couleur auf Pixabay

Zum Wochenauftakt zunächst einen „kleinen“ Beschluss des BGH; daher „BGH-Räusperer“. Es geht um EncroChat. Geschickt haben mir den Beschluss der Kollege Rakow aus Rostock und der Kollege Stehr aus Göppingen, die beide in Sachen Encro bundesweit unterwegs sind.

Ich erinnere zunächst noch einmal an die zahlreichen OLG-Entscheidungen, die es inzwischen zu EncroChat gibt, von denen ich hier ja auch einige vorgestellt hatte, und zwar u.a. den KG, Beschl. v. 30.08.2021 – 2 Ws 79/21 – zum LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21)  – (dazu StPO I: EncroChat beim KG, oder: “das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der rechtstreuen Bevölkerung”) mit weiteren Hinweisen auf andere OLG-Beschlüsse. Die OLG haben alle die Ergebnisse als verwertbar angesehen.

Und: Alle hoffen auf den BGH, das BVerfG und dann ggf. den EGMR. Von den Dreien hat sich nun der BGH geäußert. Nun „geäußert“ ist vielleicht ein wenig viel. Sagen wir: Der BGH hat sich „geräuspert“. Aber an dem Räusperer kann man schon mal sehen, wohin die Reise betreffend EncroChat auch beim BGH gehen dürfte, wenn sich der BGH „richtig äußerrt“. Nämlich in Richtung „Verwertbarkeit der Beweisergebnisse“. Ich sage jetzt nicht: Ich habe es schon immer gesagt, ist aber leider so. Damit bleiben dann wohl nur noch BVerfG und ggf. EGMR.

Denn der BGH hat sich im BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 6 StR 639/21 -wie folgt geäußert:

„Die aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unzulässige Verfahrensrüge wäre auch unbegründet. Der Senat sieht im Ergebnis die aus der Überwachung der Kommunikation über den Krypto-Messengerdienst EncroChat durch französische Behörden gewonnenen Erkenntnisse im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung als im Strafverfahren verwertbar an (vgl. etwa KG, NStZ-RR 2021, 353 mwN).“

Also: „im Ergebnis…… verwertbar.“ = wir begründen das ggf. etwas anders, aber das Ergebnis wird sich nicht ändern.

Und wer jetzt ggf. meint, dass ja noch der Weg zum Großen Senat für Strafsachen offen sei, wenn nun ein anderer Senat das anders sehen sollte (was ich nicht glaube). Nein, den Weg muss man m.E. nicht gehen. Denn die Ausführungen des BGH zu EncroChat sind/waren nicht tragend.

Ein Hoffnungsschimmer bleibt  vielleicht aber doch noch. Der BGH-Beschluss datiert vom 08.02.2022. Zu dem Ganzen sollen ja neue Erkenntnisse vorliegen, wie sich die „Einbindung“ der deutschen Behörden abgespielt haben soll  (vgl. u.a. hier). Die hat der BGH bei seinem „Räusperer“ noch nicht berücksichtigen können. Mal sehen, ob die an der Rechtsprechung der OLG und dann ggf. auch des BGH etwas ändern. Man darf gespannt sein. Vor Überraschungen ist man ja nie sicher.

StPO II: „Nachträgliche“ Zeugnisverweigerung, oder: Klassisches Beweisverwertungsverbot

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Der zweiten Entscheidung des Tages, dem LG Oldenburg, Beschl. v. 03.02.2022 – 2 Qs 40/22 – liegt eine „klassische“ Fallgestaltung zugrunde, und zwar:

Ein Ehepaar streitet sich, er soll sie geschlagen haben. Dann verlässt er das Haus und fährt mit dem Pkw weg. Sie ruft bei der Polizei an und meldet eine Trunkenheitsfahrt. Er wird dann angetroffen und ist absolut fahruntüchtig. Die Fahrerlaubnis wird vom AG vorläufig entzogen. Im Verfahren teilt die Ehefrau dann mit, man habe sich versöhnt und dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Und das war es dann – wenn keine anderen Beweismittel vorliegen. So auch hier, das LG hat den AG-Beschluss aufgehoben:

„Die Voraussetzungen, dem Beschuldigten vorläufig die Fahrerlaubnis zu entziehen, sind nicht mehr erfüllt. …..

…. Auf Grundlage der bisherigen Ermittlungen kann ein dringender Tatverdacht der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB durch den Beschuldigten nicht mehr angenommen werden. § 316 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass jemand ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen.

Aufgrund der Ermittlungen steht zwar fest, dass sich der Beschuldigte zur Tatzeit im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit befand. Kraftfahrer sind bei einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille als absolut fahruntüchtig anzusehen (BGH, Beschl. v. 28.06.1990, Az. 4 StR 297/90, NJW 1990, 2393). Das Blutalkoholgutachten vom 02.12.2021 ergab einen Mittelwert von 1,77 Promille.

Ein dringender Tatverdacht, dass der Beschuldigte in diesem Zustand mit dem PKW mit dem amtlichen Kennzeichen pp. gegen 20:02 Uhr von der Wohnung unter der Anschrift pp. weggefahren sei und den PKW so geführt habe, ist mit den nach derzeitigem Ermittlungsstand verwertbaren Beweismitteln nicht zu führen.

Der Beschuldigte streitet ab, das Fahrzeug geführt zu haben. Gegenüber den Polizei, die ihn am Tattag um 20:47 Uhr in der Wohnung der Eltern unter der Anschrift pp. antrafen und als Beschuldigten vernahmen, hat er angegeben, dass sein Vater ihn abgeholt und zu sich nach Hause gefahren habe.

Dem widersprechen zwar die Aussagen der Zeugin pp. der Ehefrau des Beschuldigten, die im Notrufgespräch mit der Kooperativen Großleitstelle Oldenburg um 20:04 Uhr sowie in der polizeilichen Vernehmung am Tattag gegenüber der Polizeikommissarin pp. angab, dass der Beschuldigte sie zuvor im alkoholisierten Zustand zunächst geschlagen habe und dann mit seinem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen pp. von der Wohnung weggefahren sei.

Die Zeugin hat im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens am 10.12.2021 den schriftlich Zeugenfragebogen an die Polizei mit der Angabe zurückgesandt, dass sie keine Aussage machen möchte. Im Rahmen einer persönlichen Ansprache durch die Polizei am 13.12.2021 hat die Zeugin bestätigt, dass sie sich mit dem Beschuldigten versöhnt habe und sie keine weiteren Angaben zur Sache machen wolle. Das Verhalten der Zeugin kann nicht anders verstanden werden, als dass sie — auch in einer möglicherweise noch anzuberaumenden Hauptverhandlung — von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch machen will.

Für diesen Fall sieht § 252 StPO ein umfassendes Verwertungsverbot für in Vernehmungen gemachte Angaben der zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugin vor. Somit können weder die eingesetzten Polizeibeamten zum Inhalt der Vernehmung als Zeugen vom Hörensagen vernommen, noch die entsprechenden polizeilichen Berichte über die Aussagen der Zeugin verlesen werden.

Das Verwertungsverbot des § 252 StPO gilt aber nur für frühere Äußerungen eines Zeugen oder einer Zeugin im Rahmen einer Vernehmung. Als Vernehmung in diesem Sinne ist dabei nicht nur eine förmlich durchgeführte Vernehmung anzusehen. Der Begriff der Vernehmung ist vielmehr weit auszulegen und umfasst alle früheren Bekundungen auf Grund einer amtlichen Befragung, also auch Angaben bei einer informatorischen Befragung durch die Polizei. Entscheidend ist, dass die Auskunftsperson von einem Staatsorgan in amtlicher Eigenschaft zu dem den Gegenstand des Strafverfahrens bildenden Sachverhalt gehört worden ist (so OLG Saarbrücken, Beschluss vom 06.02.2008 — Ss 70/2007 (78/07) = NJW 2008, 1396 m.w.N.).

Von den Beschränkungen des § 252 StPO ausgenommen sind Äußerungen, die ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge unabhängig von einer Vernehmung gemacht hat. Verwertbar und einer Beweiserhebung zugänglich sind daher Bekundungen gegenüber Privatpersonen, aber auch Erklärungen gegenüber Amtspersonen, die ein Zeuge von sich aus außerhalb einer Vernehmung, etwa bei der Bitte um polizeiliche Hilfe, bei einer nicht mit einer Vernehmung verbundenen Strafanzeige oder sonst ungefragt, „spontan“ und „aus freien Stücken“ abgegeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 25.03.1998 — 3 StR 686/97 = NJW 1998, 2229 m.w.N.). Als spontane Bekundungen aus freien Stücken kommen demnach auch Mitteilungen im Rahmen von polizeilichen Notrufen in Betracht (BGH, Urteil vom 14.01.1986 — 5 StR 762/85 = NStZ 1986, 232; OLG Hamm, Beschluss vom 24.05.2011 —111-2 RVs 20/11 = NStZ 2012, 53; Ellbogen in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 252 StPO Rn. 27).

Im Zusammenhang mit Äußerungen anlässlich eines polizeilichen Notrufes ist problematisch, dass Fallkonstellationen gegeben sein können, in denen spontan und aus freien Stücken geäußerte Erklärungen eines Zeugen oder einer Zeugin durch Nachfragen der Amtsperson in eine förmliche Vernehmung übergehen oder mit einer Vernehmung in engem sachlichem und zeitlichen Zusammenhang stehen können. Maßgeblich ist in diesen Konstellationen, ab welchem Zeitpunkt eine informatorische Befragung oder die (bloße) Entgegennahme von spontanen Äußerungen einer Person zu einer förmlichen Vernehmung wird. Die Tatsache, dass der Zeuge oder die Zeugin von sich aus Kontakt zu einer Behörde aufnimmt, reicht jedenfalls in den Fällen, in denen die staatliche Stelle von Amts wegen tätig werden muss, für sich allein nicht ohne Weiteres aus, die Verwertbarkeit der entsprechenden Angaben zu begründen. Denn die Eigeninitiative kann lediglich Anlass und Grund für die Verfahrenseinleitung mit anschließender Vernehmung sein, die dann dem Schutz des § 252 StPO unterliegt (BGH, Urteil vom 25.03,1998 — 3 StR 686/97 = NJW 1998, 2229). Bezüglich der Bestimmung des Zeitpunkts sind vielmehr objektive und subjektive Kriterien heranzuziehen. Demnach muss neben dem Moment, in welchem der Beamte subjektiv von einem Anfangsverdacht ausgeht, auch berücksichtigt werden, wie sich das Verhalten des Beamten nach Außen in der Wahrnehmung des Befragten darstellt bzw. ob aus dem Verhalten des Beamten für den Befragten auf das Vorliegen eines Anfangsverdachts geschlossen werden kann (LG Stuttgart, Beschluss vom 20.10.2014 — 7 Qs 52/14 —, zitiert nach juris Rn. 7 m.w.N.).

Eine solche Einzelfallprüfung in Bezug auf den Anruf der Zeugin pp. bei der Kooperativen Großleitstelle Oldenburg am 28.11.2021 gegen 20:02 Uhr ist jedoch nicht mehr möglich, da eine Speicherung des Gesprächs über den grundsätzIichen Aufbewahrungszeitraum von 30 Tagen nicht erfolgt ist und deshalb der genaue Gesprächsverlauf nicht mehr nachvollzogen werden kann.

Ob damit Aussagen aus dem polizeilichen Notruf zumindest teilweise verwertbar wären, obwohl sich die Zeugin pp. in einer möglichen Hauptverhandlung auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO berufen würde, kann nicht mehr geprüft.

Weitere Erkenntnisse dazu, dass der Beschuldigte zum Tatzeit ein Kraftfahrzeug geführt hat, sind nicht gewonnen worden bzw. dürften zukünftig nicht zu erlangen sein. Insbesondere sind durch die Polizeibeamten keine konkreten Feststellungen zum aufgefundenen Fahrzeug des Beschuldigten auf der Hofeinfahrt des elterlichen Grundstücks gemacht worden. Zudem hat der Vater des Beschuldigten, der Zeuge pp. schriftlich gegenüber der Polizei erklärt, keine Angaben machen zu wollen und sich somit ebenfalls auf sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 ZPO berufen.“

 

StPO I: Rechtswidrig erlangtes Beweismittel und BVV, oder: Filmen des Eingangsbereichs eines Bürogebäudes

Bild von PIRO4D auf Pixabay

Heute dann hier noch einmal Entscheidungen zur StPO, und zwar zwei landgerichtliche zu Beweisvervwertungsverboten und eine amtsgerichtliche zu einer Vollstreckungsfrage.

Und, nein. Es wird um 11.11 Uhr nichts zum Karneval geben. Mir ist angesichts der Lage – Ukraine und Corona – nun wirklich nicht nach (Straßen)Karneval. Wer meint, er müsse das „feiern“: Bitte schön, aber in diesem Jahr nicht mit mir.

Und dann hier zunächst der LG Kiel, Beschl. v. 10.01.2022 – I Qs 29/21. Es geht um die Frage der Verwertbarkeit eines Beweismittels, das (ggf.) rechtswidrig erlangt ist, und zwar um Videoaufnahmen aus dem Eingangsbereich eines Bürogebäudes, in dem die Staatsanwaltschaft ihre Büroräume hat. So verstehe ich jedenfalls den etwas knappen Sachcverhalt. Das LG hat keine Bedenken gegen die Verwertung:

„Dabei kann dahinstehen, ob Anfertigung und Speicherung der Aufnahmen durch die Staatsanwaltschaft Kiel vorliegend zulässig waren — denn selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, stünde dies einer Beschlagnahme im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO und damit auch einer Verpflichtung zur Herausgabe im Sinne des § 95 StPO nicht entgegen.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass diese Aufnahmen selbst dann im Strafverfahren verwertbar wären, wenn die Staatsanwaltschaft Kiel sie rechtswidrig erstellt hätte (BGH, Beschluss vom 18.08.2021, 5 StR 217/21, zitiert nach juris), da aus der rechtswidrigen Erlangung eines Beweis-mittels durch einen Dritten nicht ohne weiteres die Unverwertbarkeit dieses Beweismittels im Strafverfahren folgt (BGH, Urteil vom 12.04.1989, 3 StR 453/88, zitiert nach juris).

Ob ein auf rechtswidrige Weise erlangtes Beweismittel zulasten eines Beschuldigten verwertet werden darf, ist vielmehr jeweils im Einzelfall insbesondere nach der Art des Verbots, dem Gewicht des Verfahrensverstoßes, der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter und dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Denn auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf die Wahrheitserforschung um „jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Ein Beweisverwertungsverbot ist ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung deshalb nur ausnahmsweise aus übergeordneten wichtigen Gesichtspunkten im Einzelfall anzunehmen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird (vgl. m.w.N.: OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2016, 4 Ss 543/15, zitiert nach juris). Dabei kommt es auch darauf an, ob die verletzte Vorschrift die verfahrensrechtliche Stellung eines Angeklagten sichern soll oder ob sich der Verstoß für ihn als unerheblich darstellt (OLG Hamburg, Beschluss vom 27.06.2017, 1 Rev 12/17, zitiert nach juris).

Gemessen an diesen Maßstäben würden die gegenständlichen Aufnahmen vorliegend keinem Verwertungsverbot unterliegen.

Bei dem Eingangsbereich zu einem Bürogebäude handelt es sich grundsätzlich um öffentlich zugängliche Räume (OVG Lüneburg, Urteil vom 29.09.2014, 11 LC 114/13, zitiert nach juris). Vorliegend ist aus der Akte nicht ersichtlich, ob die Kamera, deren Aufnahmen hier gegenständlich sind, ausschließlich den Personaleingang erfasst, oder ob sie darüber hinaus auch den Parkplatz und die dahinter verlaufende Straße erfasst.

Würde die Videoüberwachung ausschließlich den Personaleingang erfassen, würde es sich dabei um keinen Bereich handeln, der von einem unbestimmten und nur nach allgemeinen Merkmalen abgrenzbaren Personenkreis betreten und genutzt werden kann, und der seinem Zweck nach auch dazu bestimmt ist (Erfurter Kommentar/Franzen, 22. Auflage, BDSG, § 4, Rn. 3, zitiert nach beck-online), so dass es sich nicht um einen öffentlich zugänglichen Raum handeln würde und, jedenfalls § 4 BDSG keine Anwendung finden dürfte — stattdessen würde sich die Zulässigkeit der Videoüberwachung danach beurteilen, ob die Voraussetzungen des Art. 6 DSGVO vorliegen, in Betracht käme hier Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO.

Würde sich die Videoüberwachung nicht auf den Personaleingang beschränken oder würde dieser Personaleingang auch von Dritten genutzt werden, würde sich die Zulässigkeit der Videoüberwachung hingegen nach § 4 BDSG beurteilen.

Letztlich spielt dies für die Entscheidung keine Rolle. Denn selbst wenn durch die Anfertigung und die anschließende Speicherung der Aufnahmen — wie von der Verteidigung vertreten — gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen worden sein sollte, würden diese datenschutz-rechtlichen Bestimmungen nicht der Sicherung der Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren dienen, so dass sie nur mit einem begrenzten Gewicht in die Abwägung einzustellen wären (OLG Hamburg a.a.O.).

Soweit die Mitarbeiter der Außenstelle der Staatsanwaltschaft Kiel durch die Überwachung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen sind, sind diese nur in ihrer lndividualsphäre berührt. Die Privatsphäre ist hier nicht betroffen. Bei der Privatsphäre handelt es sich um den Teil der Persönlichkeit, der das private Leben im häuslichen Bereich oder im Familienkreis und das sonstige Privatleben umfasst — diese Bereiche sind hier nicht tangiert. Betroffen ist lediglich die lndividualsphäre, für die regelmäßig das schwächste Schutzbedürfnis angenommen wird (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.12.2001, 1 Sa 392 b/01, zitiert nach juris).

Gemessen daran überwiegt vorliegend das Interesse an der Strafverfolgung.

Einen möglichen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen müssten sich die Strafverfolgungsbehörden im Übrigen auch nicht zurechnen lassen. Zwar sind die Aufnahmen von der Staatsanwaltschaft Kiel angefertigt worden, diese tritt in dem gegen den Beschuldigten geführten Verfahren jedoch nicht in ihrer Funktion als Ermittlungsbehörde auf. Vielmehr ist die Staatsanwaltschaft Flensburg mit den Ermittlungen beauftragt worden (BI. 6).

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen scheidet ein Beweisverwertungsverbot vorliegend aus, so dass die gegenständlichen Aufnahmen als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können.“