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Zeuge I: „ich bin mit dem Angeklagten verlobt..“, oder: Das überprüft man mit der sog. Nullhypothese

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Heute ein „Zeugentag“.

Zunächst hier der KG, Beschl. v. 11.11.2022 – 3 Ws 288/22 – 121 AR 232/22  – zum –Zeugnisverweigerungsrecht des Verlobten. In dem Verfahren wird dem Angeklagten eine gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dem Geschädigten gemeinsam mit einem wegen der Tat bereits zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Mittäter nächtens aufgelauert zu haben und ihm, einem gemeinsamen Tatplan folgend, Messerstiche versetzt und mit einer Eisenstange vielfach auf ihn eingeschlagen zu haben, wodurch akut lebensbedrohende Verletzungen hervorgerufen worden seien.

In der Hauptverhandlung sollte die Beschwerdeführerin als Zeugin vernommen werden. Nach der Vernehmung zur Person ist sie sowohl über das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO) als auch über das Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) belehrt worden. Hiernach hat sie, begleitet und unterstützt durch einen beigeordneten anwaltlichen Zeugenbeistand, ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend gemacht und bekundet, seit 15.09.2017 mit dem Angeklagten verlobt zu sein. Am folgenden Verhandlungstag hat die Beschwerdeführerin das Verlöbnis eidlich versichert. Am 6. Verhandlungstag, dem 13.10.2022, sind vom Mobiltelefon des Zeugen Z Chatverläufe und Bilder eingesehen worden, die der Kammer die Überzeugung verschafften, dass die Beschwerdeführerin eine Liebesbeziehung mit dem Zeugen, der bei ihr auch wohnte und (bis 10.10.2022) gemeldet war, unterhielt. Am folgenden Verhandlungstag hat der Vorsitzende erklärt, die Kammer sei der Auffassung, die Beschwerdeführerin sei mit dem Angeklagten nicht verlobt, weshalb es ihr nicht zustehe, „ihre Aussage nach § 52 StPO zu verweigern“ (Protokollentwurf). Im hiernach vom Verteidiger beantragten Gerichtsbeschluss ist dies bestätigt worden. Dabei hat die Kammer darauf abgestellt, ein fortwirkendes Eheversprechen und die Bekundung, nur auf die Haftentlassung des Angeklagten zu warten, seien vor dem Hintergrund einer ersichtlich tiefen und umfassenden, auch romantisch und sexuell geprägten Liebesbeziehung zu dem Zeugen Z. nicht glaubhaft. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin durch ihren Beistand erklären lassen, sie werde nicht aussagen. Nachdem der Staatsanwalt einen Antrag auf Beugehaft zunächst gestellt und sodann wieder zurückgenommen hatte, hat die Strafkammer gegen die Beschwerdeführerin einen Ordnungsgeldbeschluss erlassen.

Dagegen die Beschwerde der Zeugin, die keinen Erfolg hatte:

„2. Ein Recht zur Verweigerung des Zeugnisses nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO steht der Beschwerdeführerin nicht zu. Insoweit folgt der Senat der Argumentation der Strafkammer. Der Senat ist davon überzeugt, dass das Verlöbnis wahrheitswidrig behauptet wurde, um der Beschwerdeführerin eine Zeugenaussage und insbesondere eine Auseinandersetzung mit ihrer früheren Aussage zu ersparen, in welcher sie den Angeklagten schwer belastet hat.

Dabei ist der Senat methodisch, ähnlich wie bei der Aussage-gegen-Aussage-Kon-stellation, von der Nullhypothese ausgegangen. Diese besagt hier, dass der Angeklagte und die Beschwerdeführerin, wie durch diese in der Hauptverhandlung am 8. September 2022 behauptet, seit 2017 ununterbrochen miteinander verlobt sind.

a) Für die Hypothese spricht zunächst, dass die Beschwerdeführerin unter Eid versichert hat, dass sie sich am 15. September 2017 mit dem Angeklagten verlobt und dass das Verlöbnis trotz Höhen und Tiefen ununterbrochen bestanden habe.

b) Dass während bzw. vor dem Verlöbnis drei Kinder geboren wurden und das Verlöbnis sodann fünf Jahre andauerte, ohne dass es zur Erfüllung des Eheversprechens oder auch nur zu einem Termin für die Eheschließung gekommen ist, erscheint ungewöhnlich. Mangels belastbarer sozialempirischer Erkenntnisse können diese erstem Anschein nach ungewöhnlichen Umstände allerdings nicht als valides Indiz gegen das Verlöbnis gelten.

c) Deutlich indiziell gegen das von der Beschwerdeführerin behauptete durchgehend bestehende Verlöbnis spricht jedoch der Umstand, dass das Amtsgericht Pankow am 18. Januar 2021 einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz erlassen hat, durch den es dem Angeklagten für die Dauer eines halben Jahres untersagt worden ist, die Wohnung der Beschwerdeführerin zu betreten, sich ihr zu nähern oder auch nur anderweitig, etwa telefonisch, per SMS, per Email oder über soziale Netzwerke, mit ihr Kontakt aufzunehmen (Az. 200 F 305/22). Es erscheint ausgesprochen unwahrscheinlich und nachgerade ausgeschlossen, dass ein solcher Beschluss gegen eine Person erwirkt wird, an welche die Antragstellerin sich durch ein Verlöbnis gebunden fühlt und die sie demzufolge ernstlich heiraten will.

d) Gleichfalls indiziell gegen ein durchgehend fortbestehendes Verlöbnis sprechen die Strafanzeigen, welche die Beschwerdeführerin am 3. Februar 2022 und am 9. März 2022 gegen den Angeklagten erstattet hat. Auch hier muss es als zwar theoretisch denkbar, aber ausgesprochen unwahrscheinlich gelten, dass die Beschwerdeführerin den Angeklagten einerseits bestraft wissen wollte und ihn andererseits heiraten und somit den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen wollte.

e) Ebenfalls gegen das behauptete Verlöbnis spricht der Umstand, dass dem Angeklagten der Kontakt zu seinen Kindern gerichtlich untersagt war oder ist. Auch dieser Umstand lässt das geltend gemachte durchgängig bestehende Verlöbnis für sich betrachtet nicht zwingend als ausgeschlossen erscheinen. Dass die Beschwerdeführerin aber den nicht zum Kontakt mit den Kindern berechtigten Kindsvater heiraten wollte, erscheint zumindest als ausgesprochen unwahrscheinlich.

f) Auch indiziell gegen ein Verlöbnis, das nach der Bekundung der Beschwerdeführerin ununterbrochen bestanden haben soll, spricht der Umstand, dass diese zuletzt eine Liebesbeziehung mit dem Zeugen Z geführt hat. Dabei ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass der Zeuge bei der Beschwerdeführerin gewohnt hat und hier auch polizeilich gemeldet war. Die Beschwerdeführerin hat angegeben, dass sie mit Z. eine auch sexuelle Beziehung geführt hat. Nach den Messengerdienstnachrichten, welche sich die beiden geschrieben haben, ist von einer intensiven und, wie das Landgericht anschaulich und nachvollziehbar würdigt, „romantischen“ Liebesbeziehung auszugehen. Wie der Chatverlauf zeigt, hatte diese ersichtlich einen umfassenden personalen Charakter und bezog sich sowohl auf den Alltag (auch mit den Kindern) als auch auf eine gemeinsame Lebenszukunft. Besondere Bedeutung kommt dabei der zeitlichen Komponente zu: Einzelne solcher Posts mit Liebesbeteuerungen stammen noch vom 10. Oktober 2022, als es bereits zu der von der Beschwerdeführerin behaupteten Erneuerung des Verlöbnisses gekommen sein soll und diese bereits unter Eid bekundet hatte, weiterhin mit dem Angeklagten verlobt zu sein.

g) Diese Umstände vermitteln dem Senat in einer Gesamtschau die sichere Überzeugung, dass die Beschwerdeführerin mit dem Angeklagten nicht durchgehend verlobt war. Sollte das Verlöbnis, was anzuzweifeln, aber als Hypothese in Rechnung zu stellen ist, jemals bestanden haben, so hat es als ernstliches Eheversprechen jedenfalls nicht durchgehend Bestand gehabt. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls in diesem Punkt die Unwahrheit gesagt hat. Für die – wiederum theoretische – Möglichkeit, dass ein infolge Gewalt und Untreue beendetes Verlöbnis neu geschlossen worden ist, fehlt jeder Hinweis. Im Gegenteil deutet alles darauf hin, dass sich die Beschwerdeführerin der Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage entziehen will.

h) Bestätigt wird diese aufgrund der vorgenannten Umstände gewonnene Überzeugung des Senats durch die Aussage der Beschwerdeführerin in der polizeilichen Vernehmung vom 9. März 2022, in der sie bekundet hat, dass es zu einer – noch andauernden – Trennung vom Angeklagten gekommen sei. Folgerichtig hat sie hier auch von ihrem ehemaligen Lebensgefährten gesprochen.

i) Gleichfalls bestätigt wird die gewonnene Überzeugung durch die frühere Bekundung der Beschwerdeführerin, der sichtlich angetrunkene Angeklagte habe sie nach der Trennung in sein Auto gelockt und an ein Feld in Berlin-Lübars gefahren. Hier habe er ihr eine Schusswaffe an den Kopf gehalten, worauf sie gefragt habe: „Willst du mich jetzt genauso hinrichten wie den Polacken?“ Der Angeklagte habe gelächelt und gesagt: „Du hast keine Beweise.“ Dieses Geschehen zeigt, dass die Beschwerdeführerin durch den Angeklagten genötigt werden sollte, nicht gegen ihn auszusagen, und in der Folge um ihr Leben fürchtet. Hierin sieht der Senat das zumindest zentrale Motiv für die falsche Behauptung des Verlöbnisses.“

Zum Auskunftsverweigerungsrecht dann bitte selbst lesen….

StPO II: Zeugenaussage über intimste Lebensbereiche, oder: Bei Weigerung, kein Zeugniszwang

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Als zweite Entscheidung habe ich dann hier das AG Menden, Urt. v. 17.11.2022 – 8 Ls-362 Js 334/20-13/20. Hängt schon etwas länger in meinem Ordnet, jetzt passt es aber endlich.

Dem jugendlichen Angeklagten wird der Vorwurf der Vergewaltigung von zwei Frauen gemacht. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Nach Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen pp., an dem nur die Nebenklägerin pp. mitzuwirken bereit war, erwies sich deren Aussage aufgrund der plausiblen und überzeugenden Würdigung der Sachverständigen nicht als hinreichend belastbar; sogar eine bewusste Falschaussage war nicht ausschließbar. Vor diesem Hintergrund war es hinzunehmen, dass die Nebenklägerin von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch machte. Andererseits standen auch keine hinreichenden weiteren Beweismittel zur Verfügung, um den Beweis der angeklagten Tat führen zu können.

Die weitere Geschädigte war weder bereit sich der aussagepsychologischen Begutachtung zu unterziehen noch vor Gericht auszusagen. Ihr fester Wille, die Vorfälle nicht erneut in ihre Erinnerung zu rufen und für sich aufzuarbeiten, bedingte im vorliegenden Fall, dass das Gericht sich nicht befugt sah, sie zu einer Aussage zu zwingen. Wie vom Bundesverfassungsgericht bereits ausgesprochen, folgt im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung, wenn die Vernehmung wegen der Eigenheit des Beweisthemas in den durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG grundsätzlich geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung des einzelnen, insbesondere seine Intimsphäre, eingreifen würde, siehe BVerfG, NJW 1972, S. 2214, 2215. Vorliegend greift die erzwungene Vernehmung gravierend sowohl in intimste Lebensbereiche der Zeugin – nämlich ihre persönliche Bewältigung sexueller Geschehnisse – als auch in ihre Gesundheit ein. Die Zeugin hat sich dazu entschieden, das Erfahrene selbst aufzuarbeiten und nicht zum Gegenstand gerichtlicher Untersuchung zu machen, da sie dies nachvollziehbar für sich persönlich als erhebliche psychische und damit auch gesundheitliche Belastung würdigt und einordnet. Da die Zeugin die entsprechenden Vorgänge selbst nie angezeigt hat und in vorliegendes Verfahren erst über ein halbes Jahr nach den eigenen Erlebnissen hineingezogen ist, war ihr Entschluss zur Nichtoffenbarung offensichtlich gereift und entsprechend das persönliche Belastungserleben sehr plausibel. Diesen gereiften Entschluss zu durchbrechen erachtet das Gericht als unvereinbar mit der Achtung von Würde und Gesundheit der Zeugin als elementaren Grundrechten derselben.

Angesichts der eher kurzen polizeilichen Vernehmung der Zeugin war in vorliegender Aussage-gegen-Aussage-Konstellation die Feststellung einer eine Verurteilung tragenden hinreichenden Aussagequalität nicht möglich, sodass der Angeklagte aufgrund nicht zu beseitigender Zweifel freizusprechen war.“

StPO II: „Nachträgliche“ Zeugnisverweigerung, oder: Klassisches Beweisverwertungsverbot

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Der zweiten Entscheidung des Tages, dem LG Oldenburg, Beschl. v. 03.02.2022 – 2 Qs 40/22 – liegt eine „klassische“ Fallgestaltung zugrunde, und zwar:

Ein Ehepaar streitet sich, er soll sie geschlagen haben. Dann verlässt er das Haus und fährt mit dem Pkw weg. Sie ruft bei der Polizei an und meldet eine Trunkenheitsfahrt. Er wird dann angetroffen und ist absolut fahruntüchtig. Die Fahrerlaubnis wird vom AG vorläufig entzogen. Im Verfahren teilt die Ehefrau dann mit, man habe sich versöhnt und dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Und das war es dann – wenn keine anderen Beweismittel vorliegen. So auch hier, das LG hat den AG-Beschluss aufgehoben:

„Die Voraussetzungen, dem Beschuldigten vorläufig die Fahrerlaubnis zu entziehen, sind nicht mehr erfüllt. …..

…. Auf Grundlage der bisherigen Ermittlungen kann ein dringender Tatverdacht der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB durch den Beschuldigten nicht mehr angenommen werden. § 316 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass jemand ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen.

Aufgrund der Ermittlungen steht zwar fest, dass sich der Beschuldigte zur Tatzeit im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit befand. Kraftfahrer sind bei einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille als absolut fahruntüchtig anzusehen (BGH, Beschl. v. 28.06.1990, Az. 4 StR 297/90, NJW 1990, 2393). Das Blutalkoholgutachten vom 02.12.2021 ergab einen Mittelwert von 1,77 Promille.

Ein dringender Tatverdacht, dass der Beschuldigte in diesem Zustand mit dem PKW mit dem amtlichen Kennzeichen pp. gegen 20:02 Uhr von der Wohnung unter der Anschrift pp. weggefahren sei und den PKW so geführt habe, ist mit den nach derzeitigem Ermittlungsstand verwertbaren Beweismitteln nicht zu führen.

Der Beschuldigte streitet ab, das Fahrzeug geführt zu haben. Gegenüber den Polizei, die ihn am Tattag um 20:47 Uhr in der Wohnung der Eltern unter der Anschrift pp. antrafen und als Beschuldigten vernahmen, hat er angegeben, dass sein Vater ihn abgeholt und zu sich nach Hause gefahren habe.

Dem widersprechen zwar die Aussagen der Zeugin pp. der Ehefrau des Beschuldigten, die im Notrufgespräch mit der Kooperativen Großleitstelle Oldenburg um 20:04 Uhr sowie in der polizeilichen Vernehmung am Tattag gegenüber der Polizeikommissarin pp. angab, dass der Beschuldigte sie zuvor im alkoholisierten Zustand zunächst geschlagen habe und dann mit seinem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen pp. von der Wohnung weggefahren sei.

Die Zeugin hat im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens am 10.12.2021 den schriftlich Zeugenfragebogen an die Polizei mit der Angabe zurückgesandt, dass sie keine Aussage machen möchte. Im Rahmen einer persönlichen Ansprache durch die Polizei am 13.12.2021 hat die Zeugin bestätigt, dass sie sich mit dem Beschuldigten versöhnt habe und sie keine weiteren Angaben zur Sache machen wolle. Das Verhalten der Zeugin kann nicht anders verstanden werden, als dass sie — auch in einer möglicherweise noch anzuberaumenden Hauptverhandlung — von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch machen will.

Für diesen Fall sieht § 252 StPO ein umfassendes Verwertungsverbot für in Vernehmungen gemachte Angaben der zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugin vor. Somit können weder die eingesetzten Polizeibeamten zum Inhalt der Vernehmung als Zeugen vom Hörensagen vernommen, noch die entsprechenden polizeilichen Berichte über die Aussagen der Zeugin verlesen werden.

Das Verwertungsverbot des § 252 StPO gilt aber nur für frühere Äußerungen eines Zeugen oder einer Zeugin im Rahmen einer Vernehmung. Als Vernehmung in diesem Sinne ist dabei nicht nur eine förmlich durchgeführte Vernehmung anzusehen. Der Begriff der Vernehmung ist vielmehr weit auszulegen und umfasst alle früheren Bekundungen auf Grund einer amtlichen Befragung, also auch Angaben bei einer informatorischen Befragung durch die Polizei. Entscheidend ist, dass die Auskunftsperson von einem Staatsorgan in amtlicher Eigenschaft zu dem den Gegenstand des Strafverfahrens bildenden Sachverhalt gehört worden ist (so OLG Saarbrücken, Beschluss vom 06.02.2008 — Ss 70/2007 (78/07) = NJW 2008, 1396 m.w.N.).

Von den Beschränkungen des § 252 StPO ausgenommen sind Äußerungen, die ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge unabhängig von einer Vernehmung gemacht hat. Verwertbar und einer Beweiserhebung zugänglich sind daher Bekundungen gegenüber Privatpersonen, aber auch Erklärungen gegenüber Amtspersonen, die ein Zeuge von sich aus außerhalb einer Vernehmung, etwa bei der Bitte um polizeiliche Hilfe, bei einer nicht mit einer Vernehmung verbundenen Strafanzeige oder sonst ungefragt, „spontan“ und „aus freien Stücken“ abgegeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 25.03.1998 — 3 StR 686/97 = NJW 1998, 2229 m.w.N.). Als spontane Bekundungen aus freien Stücken kommen demnach auch Mitteilungen im Rahmen von polizeilichen Notrufen in Betracht (BGH, Urteil vom 14.01.1986 — 5 StR 762/85 = NStZ 1986, 232; OLG Hamm, Beschluss vom 24.05.2011 —111-2 RVs 20/11 = NStZ 2012, 53; Ellbogen in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 252 StPO Rn. 27).

Im Zusammenhang mit Äußerungen anlässlich eines polizeilichen Notrufes ist problematisch, dass Fallkonstellationen gegeben sein können, in denen spontan und aus freien Stücken geäußerte Erklärungen eines Zeugen oder einer Zeugin durch Nachfragen der Amtsperson in eine förmliche Vernehmung übergehen oder mit einer Vernehmung in engem sachlichem und zeitlichen Zusammenhang stehen können. Maßgeblich ist in diesen Konstellationen, ab welchem Zeitpunkt eine informatorische Befragung oder die (bloße) Entgegennahme von spontanen Äußerungen einer Person zu einer förmlichen Vernehmung wird. Die Tatsache, dass der Zeuge oder die Zeugin von sich aus Kontakt zu einer Behörde aufnimmt, reicht jedenfalls in den Fällen, in denen die staatliche Stelle von Amts wegen tätig werden muss, für sich allein nicht ohne Weiteres aus, die Verwertbarkeit der entsprechenden Angaben zu begründen. Denn die Eigeninitiative kann lediglich Anlass und Grund für die Verfahrenseinleitung mit anschließender Vernehmung sein, die dann dem Schutz des § 252 StPO unterliegt (BGH, Urteil vom 25.03,1998 — 3 StR 686/97 = NJW 1998, 2229). Bezüglich der Bestimmung des Zeitpunkts sind vielmehr objektive und subjektive Kriterien heranzuziehen. Demnach muss neben dem Moment, in welchem der Beamte subjektiv von einem Anfangsverdacht ausgeht, auch berücksichtigt werden, wie sich das Verhalten des Beamten nach Außen in der Wahrnehmung des Befragten darstellt bzw. ob aus dem Verhalten des Beamten für den Befragten auf das Vorliegen eines Anfangsverdachts geschlossen werden kann (LG Stuttgart, Beschluss vom 20.10.2014 — 7 Qs 52/14 —, zitiert nach juris Rn. 7 m.w.N.).

Eine solche Einzelfallprüfung in Bezug auf den Anruf der Zeugin pp. bei der Kooperativen Großleitstelle Oldenburg am 28.11.2021 gegen 20:02 Uhr ist jedoch nicht mehr möglich, da eine Speicherung des Gesprächs über den grundsätzIichen Aufbewahrungszeitraum von 30 Tagen nicht erfolgt ist und deshalb der genaue Gesprächsverlauf nicht mehr nachvollzogen werden kann.

Ob damit Aussagen aus dem polizeilichen Notruf zumindest teilweise verwertbar wären, obwohl sich die Zeugin pp. in einer möglichen Hauptverhandlung auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO berufen würde, kann nicht mehr geprüft.

Weitere Erkenntnisse dazu, dass der Beschuldigte zum Tatzeit ein Kraftfahrzeug geführt hat, sind nicht gewonnen worden bzw. dürften zukünftig nicht zu erlangen sein. Insbesondere sind durch die Polizeibeamten keine konkreten Feststellungen zum aufgefundenen Fahrzeug des Beschuldigten auf der Hofeinfahrt des elterlichen Grundstücks gemacht worden. Zudem hat der Vater des Beschuldigten, der Zeuge pp. schriftlich gegenüber der Polizei erklärt, keine Angaben machen zu wollen und sich somit ebenfalls auf sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 ZPO berufen.“

 

StPO III: Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Belehrung über wechselseitiges Zeugnisverweigerungsrecht

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Und zum Schluss dann noch einmal der BGH, Beschl. v. 19.01.2021 – 5 StR 496/20 -, über den ich ja schon einmal berichtet habe (vgl. hier: StPO II: Schein- oder Sachverhandlung, oder: Schluss der Beweisaufnahme). Entschieden hat der BGH (auch) über die Rüge einer Verletzung des § 52 Abs. 3 StPO:

„2. Die von den Angeklagten M. und F. T. erhobenen Rügen der Verletzung des § 52 Abs. 3 StPO bleiben ebenfalls erfolglos.

a) Ihnen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hatte Anfang April 2015 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Brandstiftung gegen die Angeklagten T. (Grundstückspächter) und eine ihrer Töchter eingeleitet, welches am 12. November 2015 nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellt wurde. In diesem Verfahren war der Zeuge S. (mit seiner Frau Grundstückseigentümer) am 21. April 2015 von der Polizei als Zeuge vernommen und auch über ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1, Abs. 3 StPO belehrt worden. Am 27. Mai 2016 nahm die Staatsanwaltschaft das Verfahren wieder auf, welches sich nunmehr gegen die Angeklagten und weitere Personen, unter anderem auch den Zeugen S. und seine Ehefrau als (förmlich) Beschuldigte, richtete. Bei ihnen fand am 6. Juli 2016 auf richterliche Anordnung die Durchsuchung der Wohnung und der Geschäftsräume statt. Hinweise auf eine Tatbeteiligung ergaben sich aber nicht. Am 20. Juli 2017 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die Zeugen mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO ein.

b) Die Eheleute S. sind in der Hauptverhandlung vom 10. Januar 2020 als Zeugen vernommen und nicht über ein wechselseitig bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 2., Abs. 3 StPO, sondern lediglich nach § 55 StPO belehrt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt dies einen Rechtsfehler dar, den auch der nicht mit den Zeugen im Sinne von § 52 Abs. 1 StPO verbundene und deshalb in seinem Rechtskreis nicht unmittelbar betroffene (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1991 – 1 StR 334/90, NStZ 1992, 195 f.; Paul, NStZ 2013, 489, 491) Angeklagte rügen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 6 mwN; BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2011 – 5 StR 434/11, NStZ 2012, 221). Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil aber nicht (§ 337 Abs. 1 StPO).

Der Senat schließt aus, dass sich der Belehrungsfehler auf das Aussageverhalten der Zeugen ausgewirkt hat. Ungeachtet dessen, dass jedenfalls der Zeuge S. durch die Belehrung anlässlich der polizeilichen Vernehmung vom April 2015 sein Zeugnisverweigerungsrecht gekannt und gleichwohl umfangreiche und ausführliche Angaben gemacht hat, zeigt das Prozessverhalten beider nach § 55 StPO belehrter Zeugen in der Gesamtschau, dass sie auch bei Belehrung in der Hauptverhandlung nach § 52 Abs. 3 StPO wie geschehen ausgesagt hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2011 – 5 StR 434/11, aaO; Urteil vom 30. Mai 1984 – 2 StR 233/84, NStZ 1984, 464). Zudem hat das Landgericht seine Feststellungen zu keinem Punkt maßgeblich auf deren Angaben gestützt.“

Fahrtenbuch II: Das Fahrtenbuch ist keine Strafe, oder: Dein Zeugnisverweigerungsrecht interessiert uns nicht

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Die zweite Entscheidung zum Fahrtenbuch, der OVG Münster, Beschl. v. 12.10.2020 – 8 E 785/20 – hat noch einmal ein Klassiker „Zeugnisverweigerungsrecht“ zum Gegenstand. Der Kläger hatte PKH für seine Klage gegen eine Fahrtbuchauflage beantragt, das VG hatte den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde hatte beim OVG keinen Erfolg:

„Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht versagt. Das Rechtsschutzbegehren des Klägers hat erkennbar keine Erfolgsaussichten. Die angefochtene Ordnungsverfügung vom 2. Juli 2020, mit der dem Kläger die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten auferlegt und Kosten in Höhe von insgesamt 107,32 EUR festgesetzt wurden, verletzt diesen nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage der Fahrtenbuchauflage ist § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

a) Die Beklagte ist für den Erlass der hier angefochtenen Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO i. V. m. § 68 Abs. 2 StVZO und § 12 der Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Straßenverkehr und Güterbeförderung NRW zuständig. Das Fahrzeug, auf das sich die Fahrtenbuchauflage bezieht, ist nicht am Wohnort des Klägers (H.), sondern nach Mitteilung der Beklagten in Anwendung von § 6 Abs. 1 und § 46 Abs. 2 FZV am Ort des Betriebssitzes des Klägers zugelassen (sog. Standortzulassung). Mithin ist die Beklagte als die für den Betriebssitz des Klägers zuständige Kreisordnungsbehörde auch für die Fahrtenbuchanordnung zuständig. Der in § 68 Abs. 2 StVZO verwendete Begriff des Handelsunternehmens ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift weit auszulegen.

Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 68 StVZO Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 18. März 2008 – 11 CS 08.268 -, juris Rn. 5 unter Hinweis auf den Begriff der gewerblichen Niederlassung (§ 42 Abs. 2 GewO a. F.; nunmehr § 4 Abs. 3 GewO).

Dass der Kläger in B. eine Schank- und Speisewirtschaft betreibt, ist nach den von ihm vorgelegten PKH-Unterlagen nicht zweifelhaft.

b) Die materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer Fahrtenbuchauflage liegen vor. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Klägers zu Recht angenommen, dass die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO war, weil der Kläger von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat und sich der Bußgeldbehörde auch sonst keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Feststellung des verantwortlichen Fahrers ergeben haben. Der Halter eines Fahrzeugs kann nicht verlangen, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht geltend gemacht hat. Ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Zeugnis bzw. die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1981 – 2 BvR 1172/81 -, juris Rn. 7; BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 1995 – 11 B 7.95 –, juris Rn. 2 ff., und vom 11. August 1999 – 3 B 96.99 –, juris Rn. 2 f.; OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2018 – 8 A 740/18 -, juris Rn. 37 f.

c) Die angefochtene Fahrtenbuchauflage ist frei von Ermessensfehlern (vgl. § 40 VwVfG NRW, § 114 Satz 1 VwGO).

Insbesondere ist sie entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb unverhältnismäßig, weil sie im Grunde nur als Bestrafung eingesetzt werde. Eine Fahrtenbuchauflage stellt keine Sanktionierung in Anbetracht des geltend gemachten Zeugnisverweigerungsrechts dar. Ihr Zweck besteht allein darin, die Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr zu gewährleisten und sicherzustellen, dass zukünftige Verkehrsverstöße nicht ungeahndet bleiben.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Mai 2006 – 8 A 3429/04 –, juris Rn. 6 f., m. w. N.

Auf diesen Zweck hat der Beklagte ausweislich der Begründung des Bescheides (vgl. § 39 Abs. 1 VwVfG NRW) den Erlass der Fahrtenbuchauflage auch gestützt.

Ohne Erfolg stellt der Kläger in Abrede, dass die Fahrtenbuchauflage die Verkehrssicherheit und die Aufklärung etwaiger zukünftiger Verstöße fördert. Bei der Anordnung eines Fahrtenbuchs kommt es nicht auf eine konkrete Wiederholungsgefahr an. § 31a StVZO zielt vielmehr auf eine abstrakte Wiederholungsgefahr, die daran anknüpft, dass der verantwortliche Fahrer bei Begehung des Verkehrsverstoßes anonym geblieben ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2014 – 8 B 591/14 –, juris Rn. 31 ff.

Die Pflicht zur Dokumentation der einzelnen Fahrten hat eine disziplinierende Wirkung und eröffnet Bußgeldbehörden Erkenntnisse über die jeweiligen Fahrer, ohne auf das Erinnerungsvermögen und die Mitwirkungsbereitschaft des Halters angewiesen zu sein.

Ob der für den hier in Rede stehenden Verkehrsverstoß verantwortliche Fahrer erneut das Fahrzeug des Klägers nutzen oder dieser als Fahrzeughalter, wie es in der Beschwerde heißt, in Zukunft eigene verkehrsrelevante Maßnahmen einleiten wird, ist danach unerheblich.“

Und natürlich ist das Fahrtenbuch eine Strafe. Sagt nur keiner ….