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StPO III: Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Belehrung über wechselseitiges Zeugnisverweigerungsrecht

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Und zum Schluss dann noch einmal der BGH, Beschl. v. 19.01.2021 – 5 StR 496/20 -, über den ich ja schon einmal berichtet habe (vgl. hier: StPO II: Schein- oder Sachverhandlung, oder: Schluss der Beweisaufnahme). Entschieden hat der BGH (auch) über die Rüge einer Verletzung des § 52 Abs. 3 StPO:

„2. Die von den Angeklagten M. und F. T. erhobenen Rügen der Verletzung des § 52 Abs. 3 StPO bleiben ebenfalls erfolglos.

a) Ihnen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hatte Anfang April 2015 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Brandstiftung gegen die Angeklagten T. (Grundstückspächter) und eine ihrer Töchter eingeleitet, welches am 12. November 2015 nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellt wurde. In diesem Verfahren war der Zeuge S. (mit seiner Frau Grundstückseigentümer) am 21. April 2015 von der Polizei als Zeuge vernommen und auch über ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1, Abs. 3 StPO belehrt worden. Am 27. Mai 2016 nahm die Staatsanwaltschaft das Verfahren wieder auf, welches sich nunmehr gegen die Angeklagten und weitere Personen, unter anderem auch den Zeugen S. und seine Ehefrau als (förmlich) Beschuldigte, richtete. Bei ihnen fand am 6. Juli 2016 auf richterliche Anordnung die Durchsuchung der Wohnung und der Geschäftsräume statt. Hinweise auf eine Tatbeteiligung ergaben sich aber nicht. Am 20. Juli 2017 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die Zeugen mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO ein.

b) Die Eheleute S. sind in der Hauptverhandlung vom 10. Januar 2020 als Zeugen vernommen und nicht über ein wechselseitig bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 2., Abs. 3 StPO, sondern lediglich nach § 55 StPO belehrt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt dies einen Rechtsfehler dar, den auch der nicht mit den Zeugen im Sinne von § 52 Abs. 1 StPO verbundene und deshalb in seinem Rechtskreis nicht unmittelbar betroffene (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1991 – 1 StR 334/90, NStZ 1992, 195 f.; Paul, NStZ 2013, 489, 491) Angeklagte rügen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 6 mwN; BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2011 – 5 StR 434/11, NStZ 2012, 221). Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil aber nicht (§ 337 Abs. 1 StPO).

Der Senat schließt aus, dass sich der Belehrungsfehler auf das Aussageverhalten der Zeugen ausgewirkt hat. Ungeachtet dessen, dass jedenfalls der Zeuge S. durch die Belehrung anlässlich der polizeilichen Vernehmung vom April 2015 sein Zeugnisverweigerungsrecht gekannt und gleichwohl umfangreiche und ausführliche Angaben gemacht hat, zeigt das Prozessverhalten beider nach § 55 StPO belehrter Zeugen in der Gesamtschau, dass sie auch bei Belehrung in der Hauptverhandlung nach § 52 Abs. 3 StPO wie geschehen ausgesagt hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2011 – 5 StR 434/11, aaO; Urteil vom 30. Mai 1984 – 2 StR 233/84, NStZ 1984, 464). Zudem hat das Landgericht seine Feststellungen zu keinem Punkt maßgeblich auf deren Angaben gestützt.“

Fahrtenbuch II: Das Fahrtenbuch ist keine Strafe, oder: Dein Zeugnisverweigerungsrecht interessiert uns nicht

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Die zweite Entscheidung zum Fahrtenbuch, der OVG Münster, Beschl. v. 12.10.2020 – 8 E 785/20 – hat noch einmal ein Klassiker „Zeugnisverweigerungsrecht“ zum Gegenstand. Der Kläger hatte PKH für seine Klage gegen eine Fahrtbuchauflage beantragt, das VG hatte den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde hatte beim OVG keinen Erfolg:

„Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht versagt. Das Rechtsschutzbegehren des Klägers hat erkennbar keine Erfolgsaussichten. Die angefochtene Ordnungsverfügung vom 2. Juli 2020, mit der dem Kläger die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten auferlegt und Kosten in Höhe von insgesamt 107,32 EUR festgesetzt wurden, verletzt diesen nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage der Fahrtenbuchauflage ist § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

a) Die Beklagte ist für den Erlass der hier angefochtenen Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO i. V. m. § 68 Abs. 2 StVZO und § 12 der Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Straßenverkehr und Güterbeförderung NRW zuständig. Das Fahrzeug, auf das sich die Fahrtenbuchauflage bezieht, ist nicht am Wohnort des Klägers (H.), sondern nach Mitteilung der Beklagten in Anwendung von § 6 Abs. 1 und § 46 Abs. 2 FZV am Ort des Betriebssitzes des Klägers zugelassen (sog. Standortzulassung). Mithin ist die Beklagte als die für den Betriebssitz des Klägers zuständige Kreisordnungsbehörde auch für die Fahrtenbuchanordnung zuständig. Der in § 68 Abs. 2 StVZO verwendete Begriff des Handelsunternehmens ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift weit auszulegen.

Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 68 StVZO Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 18. März 2008 – 11 CS 08.268 -, juris Rn. 5 unter Hinweis auf den Begriff der gewerblichen Niederlassung (§ 42 Abs. 2 GewO a. F.; nunmehr § 4 Abs. 3 GewO).

Dass der Kläger in B. eine Schank- und Speisewirtschaft betreibt, ist nach den von ihm vorgelegten PKH-Unterlagen nicht zweifelhaft.

b) Die materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer Fahrtenbuchauflage liegen vor. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Klägers zu Recht angenommen, dass die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO war, weil der Kläger von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat und sich der Bußgeldbehörde auch sonst keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Feststellung des verantwortlichen Fahrers ergeben haben. Der Halter eines Fahrzeugs kann nicht verlangen, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht geltend gemacht hat. Ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Zeugnis bzw. die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1981 – 2 BvR 1172/81 -, juris Rn. 7; BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 1995 – 11 B 7.95 –, juris Rn. 2 ff., und vom 11. August 1999 – 3 B 96.99 –, juris Rn. 2 f.; OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2018 – 8 A 740/18 -, juris Rn. 37 f.

c) Die angefochtene Fahrtenbuchauflage ist frei von Ermessensfehlern (vgl. § 40 VwVfG NRW, § 114 Satz 1 VwGO).

Insbesondere ist sie entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb unverhältnismäßig, weil sie im Grunde nur als Bestrafung eingesetzt werde. Eine Fahrtenbuchauflage stellt keine Sanktionierung in Anbetracht des geltend gemachten Zeugnisverweigerungsrechts dar. Ihr Zweck besteht allein darin, die Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr zu gewährleisten und sicherzustellen, dass zukünftige Verkehrsverstöße nicht ungeahndet bleiben.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Mai 2006 – 8 A 3429/04 –, juris Rn. 6 f., m. w. N.

Auf diesen Zweck hat der Beklagte ausweislich der Begründung des Bescheides (vgl. § 39 Abs. 1 VwVfG NRW) den Erlass der Fahrtenbuchauflage auch gestützt.

Ohne Erfolg stellt der Kläger in Abrede, dass die Fahrtenbuchauflage die Verkehrssicherheit und die Aufklärung etwaiger zukünftiger Verstöße fördert. Bei der Anordnung eines Fahrtenbuchs kommt es nicht auf eine konkrete Wiederholungsgefahr an. § 31a StVZO zielt vielmehr auf eine abstrakte Wiederholungsgefahr, die daran anknüpft, dass der verantwortliche Fahrer bei Begehung des Verkehrsverstoßes anonym geblieben ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2014 – 8 B 591/14 –, juris Rn. 31 ff.

Die Pflicht zur Dokumentation der einzelnen Fahrten hat eine disziplinierende Wirkung und eröffnet Bußgeldbehörden Erkenntnisse über die jeweiligen Fahrer, ohne auf das Erinnerungsvermögen und die Mitwirkungsbereitschaft des Halters angewiesen zu sein.

Ob der für den hier in Rede stehenden Verkehrsverstoß verantwortliche Fahrer erneut das Fahrzeug des Klägers nutzen oder dieser als Fahrzeughalter, wie es in der Beschwerde heißt, in Zukunft eigene verkehrsrelevante Maßnahmen einleiten wird, ist danach unerheblich.“

Und natürlich ist das Fahrtenbuch eine Strafe. Sagt nur keiner ….

ZVR II: Ergänzungspfleger für Aussage gegen Elternteil?, oder: Aussagebereitschaft

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In der zweiten Entscheidung zur Ergänzungspflegschaft, dem OLG Koblenz, Beschl. v. 25.05.2020 – 7 WF 257/20 – hatte das AG ohne vorherige Anhörung der Eltern das Jugendamr für ein nicht näher bezeichnetes Ermittlungsverfahren gegen den beschuldigten Vater als Ergänzungspfleger hinsichtlich der Aufgabenkreise „Vernehmung, Entgegennahme von Zeugenladungen, Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts“ seiner Kinder bestellt. Anlass dieses Ermittlungsverfahrens war die (angebliche) Verletzung der Mutter in der Silvesternacht 2019/2020. Das Jugendamt ging davon aus, dass der Vater dabei im Zuge eines Streits die Mutter absichtlich vom Balkon im 1. Stock gestoßen habe.

Gegen diese Bestellung haben sich – unabhängig voneinander –  beide Elternteile gewendet und beim OLG Erfolg. Das OLG verlangt die „Aussagebereitschaft“:

„2. Rechtsgrundlage für die Einrichtung der Ergänzungspflegschaft sind hier § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 161a, 52 Abs. 2 S. 2 StPO.

Den minderjährigen Kindern steht in dem gegen ihren Vater geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Soweit die Kinder wegen mangelnder Verstandesreife die entsprechende Entscheidung noch nicht selbst treffen können, sind bei gemeinsamer elterlicher Sorge beide Elternteile von der gesetzlichen Vertretung ihrer Kinder bei der Ausübung der Entscheidung über das vorgenannte Zeugnisverweigerungsrecht ausgeschlossen. Bei den derzeit 10 bzw. 12 Jahre alten betroffenen Kindern ist im Zweifel noch von einer mangelnden Verstandesreife auszugehen, denn der Bundesgerichtshof sieht diese in der Regel nur bei Jugendlichen ab 14 Jahren als gegeben an (BGHSt 20, 234 einerseits, BGHSt 19, 85 andererseits; OLG Koblenz FamRZ 2014, 1719).

Zwar geht die strafrechtliche Kommentarliteratur davon aus, dass die Antragstellung entweder durch die zuständige Staatsanwaltschaft als Ermittlungsbehörde oder durch das Gericht erfolgen müsse, vor dem der kindliche Zeuge vernommen werden solle (BeckOK-Huber, Stand: 01.01. 2020, § 52 StPO Rn. 25; KK-Bader, 08. Aufl. 2019, § 52 StPO Rn. 29). Das FamFG hingegen regelt die Frage, ob der Staatsanwaltschaft ein gesetzliches Antragsrecht für die Einrichtung der Ergänzungspflegschaft in den Fällen des § 52 Abs. 2 StPO zusteht, nicht ausdrücklich. Allerdings hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass der Staatsanwaltschaft im Falle der Ablehnung der Einrichtung einer derartigen Ergänzungspflegschaft ein Beschwerderecht nach § 59 FamFG nicht zustehe, da das Gesetz ihr insoweit kein förmliches Antragsrecht einräume, sondern das Gericht hier auch von Amts wegen tätig werden dürfe (BGH MDR 2014, 1407 Rn. 17). Dies ist konsequent, weil im Verfahren auf Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 BGB die Offizialmaxime gilt, d.h. das Verfahren ist von Amts wegen einzuleiten, kann aber nach § 24 FamFG angeregt werden (BeckOK-Schöpflin, Stand: 01.03.2020; § 1909 BGB Rn. 22; MüKoBGB-Schneider, 8. Aufl. 2020, § 1909 BGB Rn. 65). Daher war es dem Familiengericht hier nicht verwehrt, aufgrund der Anregung des Jugendamtes vom 14.02.2020 die Notwendigkeit der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Vater von Amts wegen zu prüfen. Ein ausdrücklicher Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Ermittlungsrichters war nicht erforderlich.

Unschädlich ist auch, dass das Familiengericht die Eltern hierzu zunächst nicht angehört hat, denn die unterlassene Anhörung kann im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden (OLG Hamburg FamRZ 2013, 1683; OLG Bremen NJW-RR 2017, 455 Rn. 23). Durch die Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen der Eltern wird daher deren rechtliches Gehör gewahrt.

Jedoch liegen die übrigen materiellen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft hier nicht vor.

Das gegen den Vater unter dem Aktenzeichen pp. bei Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach geführte Ermittlungsverfahren wurde nämlich bereits durch Bescheid vom 10.02.20120 nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt, so dass sich die Frage einer zeugenschaftlichen Vernehmung der Kinder in diesem Verfahren nicht mehr stellt und für die beantragte Ergänzungspflegschaft das Rechtschutzbedürfnis fehlt. Ausschlaggebend für die Verfahrenseinstellung war, dass sich weder aufgrund der im Wohnumfeld gesicherten Spuren noch aufgrund der Aussagen der bei dem Vorfall verletzten Kindesmutter aufklären ließ, wie es zu ihrem Sturz vom Balkon gekommen ist. Die Mutter hat von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und auch gegenüber Rettungskräften, Krankenhauspersonal und Ärzten keine Spontanäußerungen getätigt, die auf eine sichere Täterschaft des Vaters schließen lassen. Die beim Eintreffen der Rettungskräfte in der Wohnung anwesenden Angehörigen – ein Onkel und ein Neffe des Vaters – haben ebenfalls von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die in dem Mehrfamilienhaus lebenden Nachbarn haben von einer dem Vorfall mutmaßlich vorausgegangenen Auseinandersetzung der Ehegatten nichts mitbekommen. Die betroffenen Kinder haben im Rahmen ihrer familiengerichtlichen Anhörung am 27.01.2020 ebenfalls keine Angaben zu einer möglichen Auseinandersetzung der Eltern am 31.12.2019 machen können (oder wollen). Ebensowenig gab es im Rahmen ihrer vorübergehenden, vom 10.01.2020 bis zum 27.01.2020 währenden Inobhutnahme in einer Jugendhilfeeinrichtung sowie gegenüber ihrem Verfahrensbeistand spontane Äußerungen der Kinder, die Rückschlüsse darauf zulassen, was sich in der Nacht vom 31.12.2019 in der Familienwohnung zugetragen hat.

Zudem steht der Einrichtung der Ergänzungspflegschaft die fehlende Aussagebereitschaft der Kinder entgegen. Nach h. M. hat die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft zu unterbleiben, wenn feststeht, dass die Kinder gegen den beschuldigten Elternteil nicht aussagen werden, es also offenkundig an ihrer Aussagebereitschaft fehlt (Zum Meinungsstand: OLG Hamburg NJW 2020, 624 Rn. 21-22 m. w. Nachw.; OLG Bremen NJW-RR 2017, 455 Rn. 18-21). Hier haben die Kinder anläßlich ihrer Anhörung im Parallelverfahren 94 F 3/20 einerseits angegeben, zum Zeitpunkt des Sturzes der Mutter geschlafen und daher nichts mitbekommen zu haben. Gleichzeitig haben sowohl pp. auch pp. betont, dass Geheimnisse aus der Familie nicht nach draußen weitergegeben werden dürften und dass sie daher auch dem Gericht keine Geheimnisse verraten würden. Aufgrund dieser „Familienehre“ kann nicht mit einer entsprechenden Aussagebereitschaft der Kinder zu den angenommen strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen des Vaters gerechnet werden.“

Interessant auch die Entscheidung über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Eltern:

WAuch eine Erstattung außergerichtlicher Kosten (hier: Anwaltskosten beider Eltern) ist nicht gerechtfertigt. Zwar konnte dem Vater nicht mit einer für eine strafrechtliche Verurteilung ausreichenden Sicherheit nachgewiesen werden, dass er die Mutter im Zuge einer tätlichen

Auseinandersetzung vom Balkon gestoßen hat. Aufgrund der Beschaffenheit des Balkongeländers ist ein versehentlicher Sturz jedoch extrem unwahrscheinlich. Wegen des widersprüchlichen und ausweichenden Aussageverhaltens aller Beteiligten und der von Anfang an mangelnden Kooperationsbereitschaft der Eltern – die Mutter schützte mangelnde Sprachkenntnisse vor; der Vater stellte sich beim Eintreffen der Rettungskräfte schlafend; beide Elternteile machten einander widersprechende Angaben zur Anwesenheit des Onkels und des Neffens des Vaters – war die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen daher gerechtfertigt. Ebenso konnte das Jugendamt bei Beantragung der Ergänzungspflegschaft am 14.01.2020 noch davon ausgehen, dass strafrechtliche Ermittlungen gegen den Vater geführt werden und dass die betroffenen Kinder dort als Zeugen vernommen werden und ggf. bereit sind, Angaben zu machen. Dass der angefochtene Beschluss am 11.03.2020 noch erlassen wurde, hängt letztlich auch damit zusammen, dass der Vater es nicht für nötig befunden hat, das Familiengericht im Rahmen des damals noch anhängigen Hauptsacheverfahrens pp. über die seinem Verfahrensbevollmächtigten bereits am 11.02.2020 übermittelte Einstellungsnachricht zu unterrichten. Die Mutter dürfte, nachdem sie sich offenkundig nicht von dem Vater trennen will, ebenfalls über die Einstellung des Strafverfahrens informiert gewesen sein und hätte ebenfalls Anlass gehabt, diese ihr günstige Tatsache umgehend dem Familiengericht mitzuteilen, um weitere Maßnahmen nach § 1666 BGB abzuwenden.“

StPO I: Unterrichtung des Angeklagten nach Entfernung, und/oder: Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichung

Heute will ich drei verfahrensrechtliche Entscheidungen des BGH vorstellen. Den Anfang mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – 5 StR 555/19, der in einem Verfahren mit einem Totschlagsvorwurf zu zwei verfahrensrechtlichen Problemen Stellung nimmt, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielen. Es geht um Verstöße gegen § 247 StPO bzw. gegen §§ 252, 255a StPO. Der Angeklagte hatte mit beiden Verfahrensrügen keinen Erfolg.

Zu § 247 StPO führt der BGH aus:

„1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des § 247 StPO rügt, ist kein Verfahrensfehler darin zu erkennen, dass der Angeklagte im Zusammenhang mit seiner Unterrichtung durch den Vorsitzenden gemäß § 247 Satz 4 StPO nicht noch einmal ausdrücklich gefragt worden ist, ob er noch Fragen an die kindliche Zeugin stellen wolle. Jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen bedurfte es keiner entsprechenden Nachfrage und auch keines damit einhergehenden ausdrücklichen Hinweises auf sein – mittelbar auszuübendes (§ 241a StPO) – Fragerecht gemäß § 240 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Der Angeklagte war während der Vernehmung der Zeugin in einen anderen Saal gebracht worden, in den dieser Verfahrensabschnitt per Video übertragen wurde. Während einer ersten Unterbrechung der Zeugenvernehmung fragte der Vorsitzende ausweislich des Protokolls „die Verfahrensbeteiligten“, ob noch weitere Fragen zu stellen seien. Nachdem die Zeugin daraufhin zusätzliche Fragen beantwortet hatte, wurde in einer weiteren Vernehmungspause der Angeklagte nach seiner Rückkehr in den Verhandlungssaal über den Inhalt der Zeugenaussage unterrichtet. Anschließend wurde in seiner Anwesenheit über die Entlassung der Zeugin verhandelt, die im allseitigen Einverständnis erfolgte. Bei dieser prozessordnungsgemäßen Verfahrensweise des Gerichts war dem Angeklagten eine Ausübung seines eigenen Fragerechts nicht abgeschnitten.2

Und zu §§ 252, 255a StPO heißt es:

2. Die Rüge, § 252 StPO sei verletzt worden durch das vernehmungsersetzende Vorspielen einer Bild-Ton-Aufzeichnung der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des achtjährigen Enkels des Angeklagten gemäß § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO ohne vorherige Klärung der Frage, ob der Zeuge sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO in der Hauptverhandlung ausüben wolle, ist jedenfalls unbegründet.

Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des 3. Strafsenats an, wonach die nachträgliche Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts der Verwertung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung nach § 255a Abs. 2 StPO nicht entgegensteht (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 – 3 StR 185/03, BGHSt 49, 72, 83). Deshalb muss auch die Frage einer aktuellen Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts vor einer Anwendung von § 255a Abs. 2 StPO nicht geklärt werden.

Für diese Auslegung spricht, dass ein vom Ermittlungsrichter ordnungsgemäß vernommener Zeuge die Verwertung dieser Angaben durch eine nachträgliche Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts grundsätzlich nicht verhindern kann (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. Juli 2016 – GSSt 1/16, BGHSt 61, 221, 230 ff. mwN). In diesem Fall wäre es mit dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. nur BVerfGE 133, 168 mwN) nicht vereinbar, auf das regelmäßig überlegene Beweismittel der Videoaufnahme einer Vernehmung zu verzichten, um stattdessen den Ermittlungsrichter zum Inhalt der Zeugenaussage vernehmen zu müssen. Dass der Gesetzgeber in § 255a Abs. 1 StPO auf § 252 StPO verweist und in diesen Fällen ein solches Prozedere vorschreibt (vgl. zur Reformbedürftigkeit dieser Regelung BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 – 3 StR 185/03, aaO S. 78 f.), steht nicht entgegen. Denn § 255a Abs. 2 StPO nimmt gerade nicht auf § 252 StPO Bezug und hat einen von § 255a Abs. 1 StPO unabhängigen Regelungsgehalt (vgl. BGH, aaO, S. 82 f.; Mosbacher in Löwe/Rosenberg, 27. Aufl., § 255a Rn. 21). Gründe des Opferschutzes sprechen ebenso für diese Auslegung (Mosbacher aaO). Eine analoge Anwendung der Verweisung auf § 252 StPO im Rahmen von § 255a Abs. 2 StPO ist aufgrund des abweichenden Normzwecks dieses Absatzes deshalb nicht geboten (vgl. aber auch MüKo-StPO/Krüger, § 255a Rn. 25 mwN zu abweichenden Auffassungen).“

StPO II: Zeugnisverweigerung, oder: Danach keine Vernehmung der Verhörsperson

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 28.05.2019 – 4 RBs 147/19 -, geht es auch um eine Vernehmung, und zwar um die Vernehmung der sog. Verhörsperson nach Zeugnisverweigerung eines Zeugen. Aus dem Aktenzeichen erkennt man: Ergangen ist der Beschluss in einem (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren. Das hatte der Verwaltungsbeamte die Mutter des Betroffenn befragt, die den Sohn als Fahrer identifiziert hatte. Später hat die Mutter von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Das OLG sagt: Die  Vernehmung der Verhörsperson ist/war unzulässig:

„Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift Folgendes ausgeführt:….

„….Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig. Ihr ist auch in der Sache ein – zumindest vorläufiger – Erfolg nicht zu versagen, da das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft unter Verletzung von § 252 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG Angaben der Mutter des Betroffenen gegenüber einem im Wege der Amtshilfe für die Verwaltungsbehörde ermittelnden Bediensteten des Amts für öffentliche Sicherheit und Ordnung des Kreises X in die Hauptverhandlung eingeführt und im Urteil verwertet hat. Im Einzelnen:

3. Im Bußgeldverfahren dürfen die Angaben eines vor der Hauptverhandlung vernommenen oder informatorisch befragten Zeugen, der sich erst in der Hauptverhandlung berechtigt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, gemäß § 252 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG weder verlesen noch – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – durch Vernehmung nichtrichterlicher Verhörspersonen oder anderer Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Nachdem die Mutter des Betroffenen am 21.08.2018 gegenüber dem Zeugen T Angaben zur Fahrerermittlung gemacht hatte, sich jedoch später auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO berufen hat, hätten ihre Angaben daher – anders als geschehen – nicht durch Einvernahme des Zeugen T in die Hauptverhandlung eingeführt und zu Lasten des Betroffenen verwertet werden dürfen. Für einen Verzicht der Zeugin auf das Verwertungsverbot – zu den Anforderungen zu vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 252 Rdnr. 16a – ist nichts ersichtlich.

4. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht, da das Gericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen maßgeblich auch damit begründet hat, dass dessen Mutter angegeben habe, dass im Tatzeitraum außer dem Betroffenen kein weiteres Familienmitglied das Tatfahrzeug genutzt habe.

5. Das angefochtene Urteil ist daher gemäß § 79 Abs. 6 OWiG auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufzuheben und zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Siegen zurückzuverweisen, wobei es einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung und zu deren Höhe nicht bedarf.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und ergänzt, dass es eines Widerspruchs gegen die Verwertung der Angaben der Mutter des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht bedurfte (vgl. Schmitt/Meyer-Goßner, StPO, 61. Aufl., § 252 Rdn. 18). Für eine Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts hat der Senat keinen Anlass gesehen.“

Ist ein in meinen Augen klassischer Fehler des AG. Denn die mit der Problematik zusammenhängenden Fragen sind so etwas von ausgekaut……