Schlagwort-Archiv: DNA-Identitätsfeststellung

StPO III: Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung, oder: Bei Jugendlichen besonders restriktiv

Bild von Andy auf Pixabay

Und dann zum Schluss der heutigen Berichtserstattung noch einen Beschluss zur DNA-Identitätsfeststellung bei Jugendlichen. Dazu hat sich das LG Trier im LG Trier, Beschl. v. 28.08.2025 – 2a Qs 12/25 jug – geäußert. Das LG hat die vom AG gemäß §§ 81a, 81g StPO angeordnete Entnahme von Körperzellen mittels einer Speichelprobe aufgehoben und das wie folgt begründet:

„Die Voraussetzungen für eine DNA-Identitätsfeststellung gemäß § 81g Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 StPO liegen nämlich nicht vor.

Nach § 81g Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 StPO dürfen einem wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtskräftig Verurteilten zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen und diese zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Gemäß § 81g Abs. 5 StPO dürfen die erhobenen Daten beim Bundeskriminalamt gespeichert und nach Maßgabe des Bundeskriminalamtgesetzes verwendet werden.

Da im Hinblick auf die im Urteil vom 10. Dezember 2024 verhängte Strafe noch keine Tilgung eingetreten ist, ist eine DNA-Identitätsfeststellung bei dem Beschwerdeführer gemäß § 81g Abs. 4 StPO möglich. Es liegt zudem eine Anlasstat im Sinne des § 81g Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO vor. Die dem Urteil des Amtsgerichts Wittlich zugrundeliegende Tat stellt als Verbrechen sowohl eine Straftat von erheblicher Bedeutung als auch eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung dar.

Darüber hinaus ist jedoch erforderlich, dass dem Betroffenen eine Negativprognose attestiert werden kann. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.

Wegen des Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist für die Anordnung der Maßnahme erforderlich, dass wegen der Art und Ausführung der bereits abgeurteilten Taten, der Persönlichkeit des Betroffenen oder wegen sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu führen sind. Die Maßnahme setzt voraus, dass sie im Hinblick auf die Prognose der Gefahr der Wiederholung auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruht (vgl. BVerfG, Beschl. 2 BvR 1741/99 v. 14.12.2000; Schmitt/Köhler, StPO, 68. Auflage 2025, § 81g Rn 8). Hinzutreten muss, dass das DNA-Identifizierungsmuster einen Aufklärungsansatz für einen Spurenabgleich bezüglich der Straftat von erheblicher Bedeutung bietet (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. 1 Ws 87/23.v. 31.07.2023).

Es bedarf daher positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe, die die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung belegen (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Auflage 2023, § 81g Rn 9). Eine bloß abstrakte Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens genügt für die Anordnung der Maßnahme nach § 81g StPO nicht (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.).

Dabei sind in den Abwägungsvorgang auch Umstände mit einzubeziehen, die gleichermaßen bei einer Sozialprognose für die Strafaussetzung zur Bewährung oder einer Gefahrenprognose bei der Verhängung einer Maßregel bestimmend sein können, etwa ein straffreies Vorleben, die Rückfallgeschwindigkeit, der Zeitablauf seit der früheren Tatbegehung, die Lebensumstände und die Persönlichkeit des Betroffenen (vgl. BVerfG, Beschl. 2 BvR 1336/20 v. 14.05.2021). Vorliegend ist zudem zu berücksichtigen, dass Eingriffe nach § 81g StPO bei Jugendlichen besonders restriktiv gehandhabt werden müssen (vgl. BVerfG, Beschl. 2 BvR 2577/06 v. 18.09.2007). Der Umstand, dass es sich um eine jugendtypische Verfehlung handelt, kann die Prognoseentscheidung maßgeblich beeinflussen (vgl. LG Essen, Beschl. 64 Qs 26/23 v. 08.01.2024).

Ausgehend von diesem Maßstab sind bei der Gesamtbetrachtung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls keine konkreten Anhaltspunkte für die erforderliche Wiederholungsgefahr erkennbar.

Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer bislang nicht vorbestraft ist. Darüber hinaus liegt die ihm vorgeworfene Tat bereits mehr als zwei Jahre zurück und er wurde ausweislich des ihn betreffenden Bundeszentralregisterauszugs vom 25. August 2025 seitdem nicht erneut verurteilt. Er lebt überdies in sozial geordneten Verhältnissen und ist im Betrieb pp. beschäftigt.

Von besonderer Bedeutung ist zudem, dass die Anlasstat wegen ihrer Art und Ausführung sowie ihrer Umstände als jugendtypische Verfehlung zu werten ist.

Dabei wird nicht verkannt, dass die Tat vom äußeren Erscheinungsbild her zunächst nicht erkennbar von jugendlicher Unreife geprägt ist. Der Umstand, dass auch Erwachsene vergleichbare Sexualstraftaten begehen, schließt die Annahme einer Jugendverfehlung indes nicht aus (vgl. BGH, NStZ 2001, 102). Entscheidend für die Würdigung als Jugendverfehlung sind die äußeren Tatumstände und die Beweggründe des Täters. Es kommt darauf an, ob die Motive oder das äußere Erscheinungsbild oder auch nur die Begleitumstände der Tat eine Verhaltensweise zeigen, wie sie bei Jugendlichen üblich ist (Brunner/Dölling, JGG, 14. Aufl., § 105 Rn. 24).

Dies berücksichtigend ist vorliegend von einer jugendtypischen Verfehlung auszugehen. Die Tat offenbart insbesondere einen Mangel an sozialer Unreife und Hemmungsvermögen. So war dem Beschwerdeführer ausweislich der Ausführungen unter Ziffer IV. der Urteilsgründe bei der Tatausführung nicht bewusst, dass die Durchführung von Geschlechtsverkehr auch von den Wünschen seiner Partnerin abhängt. Der Beschwerdeführer hat seine eigenen Bedürfnisse vielmehr bedenkenlos über die seiner Partnerin gestellt, was in erheblichem Maß soziale Unreife und (sexuelle) Unerfahrenheit innerhalb partnerschaftlicher Beziehungen belegt, aber auch mangelndes Hemmungsvermögen. Der Umstand, dass er sich unmittelbar nach der Tat schlafen gelegt hat, zeigt zudem, dass er sich über die Folgen und etwaigen (strafrechtlichen) Konsequenzen seiner Tat offensichtlich keinerlei Gedanken gemacht hat. Die Missachtung möglicher Folgen ist ebenfalls charakteristisch für jugendliches Verhalten. Dass sich das Verhalten als jugendtypische Verfehlung darstellt, kommt letztlich auch durch die im untersten Bereich des jugendstrafrechtlichen Sanktionenspektrums liegende Rechtsfolge zum Ausdruck (vgl. BVerfG, Beschl. 2 BvR 2392/12 v. 02.07.2013).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat bei der Tat der Einfluss allgemeiner Unreife des Jugendlichen mithin bestimmend mitgewirkt. Hinzukommt, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisiert war. Dies berücksichtigend konsumiert der Beschwerdeführer seither keinen Alkohol mehr. Auch deshalb ist von einem vorübergehend auftretenden delinquenten Verhalten auszugehen.

Die Anordnung wäre zudem. auch unverhältnismäßig. Denn bei Jugendlichen ist zu berücksichtigen, dass der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts auf eine möglichst weitgehende soziale Integration abzielt. Deshalb ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit abzuwägen, ob durch die Speicherung des • Identifizierungsmusters dem Jugendlichen eine Brandmarkung droht, die seiner sozialen Integration entgegenstehen kann (vgl. BVerfG a.a.O.). Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind bei Jugendlichen besonders restriktiv zu handhaben. So unterliegen jugendliche Straftäter im pubertären Alter – wie hier der zur Tatzeit 17-järhige Verurteilte – anlässlich des natürlichen Selbstfindungsprozesses erheblichen lntegrations- und Anpassungskonflikten. Dies führt dazu, dass jugendliche Delinquenz typischerweise vorübergehend ist (vgl. LG Essen a.a.O.), wovon aufgrund der vorstehenden Erwägungen auch hier auszugehen ist.

Im Übrigen wird die Inanspruchnahme einer Person, die voraussichtlich keine Straftaten begehen wird – entgegen der Ausführungen im angefochtenen Beschluss auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Feststellung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters gegebenenfalls als Entlastungsbeweis dienen könnte (vgl. BVerfG, Beschl. 2 BvR 2577/06 v. 18.09.2007).“

DNA-Identitätsfeststellung, oder: Wiederholungsgefahr und Beweisverwertungsverbot

entnommen open clipart.org

Und im zweiten Posting zwei Entscheidungen des LG Rostock, die mir beide der Kollege Penneke aus Rostok geschickt hat.

Zunächst der schon ältere LG Rostock, Beschl. v. v. 21.03.2016 – 11 KLs 10/16 – mit folgendem Leitsatz.

Die Ergebnisse einer entgegen § 81 f Abs. 1 StPO durchgeführten molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen der Angeklagten unterliegen einem Verwertungsverbot, wenn die molekulargenetische Untersuchung trotz Vorliegens einer entgegenstehenden richterlichen Entscheidung durchgeführt worden ist.

Schon „bemerkenswert“ – „trotz …… einer entgegenstehenden richterlichen Entscheidung“.

Im zweiten LG Rostock-Beschluss, dem LG Rostock, Beschl. v. 24.08.2021 – 11 Qs 97/21 (1) – geht es dann um die Wiederholungsgefahr:

„Der Beschwerdeführer ist zwar mit Urteil des Landgerichts Rostock vom 13.03.2020 rechtskräftig wegen gemeinschaftlich begangenen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Es fehlt jedoch an der nach § 81 g Abs. 1, 4 StPO erforderlichen begründeten Annahme, dass gegen den Beschwerdeführer künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden.

Das Landgericht Rostock hat in seinem Urteil unter anderem ausgeführt: Die schwere Erkrankung des Beschwerdeführers – Leukämie seit Herbst 2017 und in Folge ihrer Behandlung seit 2018 eine Vorstufe von Multipler Sklerose – sowie die Tatsache, dass er nunmehr Opiate auf Rezept erhalte, so dass er die durch den Handel mit Betäubungsmitteln finanzierten Drogen zur Selbsttherapie nicht mehr benötige, legten nahe, dass er sich vom Drogenmillieu gelöst habe. In ihrer Entscheidung geht die Kammer davon aus, dass bereits die Hauptverhandlung nachhaltig auf ihn gewirkt habe und ihn die Verurteilung zu dieser Bewährungsstrafe von der Begehung weiterer – insbesondere vergleichbarer – Straftaten abhalte. Davon abweichende Erkenntnisse sind nicht ersichtlich.“

Voraussetzungen einer DNA-Identitätsfeststellung, oder: Straftat von erheblicher Bedeutung

Ich starte in die neue Woche mit einigen Entscheidungen zur DNA-Identitätsfeststellung (§ 81g StPO). Zunächst hier der OLG Hamm, Beschl. v. 14.04.2021 – 4 Ws 36/21 – zur Straftat von erheblicher Bedeutung

„Der Angeklagte ist einer Straftat von erheblicher Bedeutung, nämlich des vierzehnfachen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, verdächtig (§§ 29, 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG). Er hat über fast drei Monate hinweg mit zwei Mittätern den Handel von mehreren Kilo Marihuana organisiert betrieben, so dass sich aus Art und Ausführung der Tat – insbesondere aus der Verflochtenheit mit anderen Rauschgifthändlern – bereits die Annahme ergibt, dass gegen ihn künftig Strafverfahren von ähnlicher Bedeutung zu führen sein werden. Der Umstand, dass der Angeklagte noch nicht vorbestraft ist, vermag angesichts der Anzahl bandenmäßig begangener Verbrechen an dieser Einschätzung nichts zu ändern (so auch OLG Brandenburg, BeckRS 1999, 03153).“

StPO I: DNA-Identitätsfeststellung, wie „schwer“ müssen die Anlasstaten sein?, oder: Schnäppchen

© Pico – Fotolia.com

Heute starten wir in die 43. KW.. Und die beginne ich – aus gegebenem Anlass, dazu siehe unten 🙂 – mit einer Entscheidung DNA-Identitätsfeststellung (§ 81g Abs. 1 StPO), und zwar mit dem KG, Beschl. v. 28.08.2019 – 2 Ws 136/19.

In dem Verfahren hatte das LG Berlin angeordnet, dass einer Angeklagten gemäß § 81g StPO Körperzellen in Form einer Speichelprobe und für den Fall der Weigerung mittels Entnahme einer Blutprobe durch einen Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst entnommen und nachfolgend zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren molekulargenetisch untersucht werden sollten. Dagegen die Beschwerde der Angeklagten, die keinen Erfolg hatte. Denn:

„2. Der mit der Anordnung vom 24. Juli 2019 verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist gerechtfertigt. Die Voraussetzungen des § 81g StPO liegen vor.

a) Die Angeklagte ist im Sinne des § 81g Abs. 1 Satz 1 StPO verdächtig, Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ begangen zu haben. Dazu zählen nicht nur Verbrechen, sondern auch andere Taten, die mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind, und den Rechtsfrieden empfindlich stören (vgl. KK-StPO/Hadamitzky, 8. Aufl. § 81g Rn. 4a), wie etwa §§ 224, 243 und 253 StGB (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl. § 81g Rn. 7a). Es kann offenbleiben, ob bei isolierter Betrachtung darunter auch solche Diebstähle fallen, die wie hier die Tat 1 der Anklage (das Geschehen zum Nachteil der Zeugin Th.) letztlich nicht zur Vollendung gelangt sind, weil der Angeklagten und ihren beiden Mittäterinnen es nicht gelungen ist, in die Wohnung des 62-jährien Opfers einzudringen (vgl. zur auch dann gegebenen Indizwirkung der Regelbeispiele des § 243 StGB BGHSt 33, 370; Fischer, StGB 66. Aufl. § 243 Rn. 28 mwN). Jedenfalls die Tat zum Nachteil der Eheleute Tr. vom 24. Januar 2019 stellt eine solche erhebliche Straftat dar. Dazu hat das Amtsgericht Tiergarten in seinem Urteil das Folgende festgestellt:

„Am selben Tag gegen 13:05 Uhr verfolgten die Angeklagten zu dritt die Zeugin Tr. zu ihrer Wohnadresse … Im dortigen Hausflur gaben die Angeklagten ll. und Ro. gegenüber der Zeugin und Wohnungsinhaberin Tr. bewusst wahrheitswidrig an, deren Wohnung als Mitarbeiter der Hausverwaltung … zur Kontrolle eines Wasserschadens betreten zu müssen. Die Zeugin Tr. ließ die Angeklagten Ro. und ll. in ihre Wohnung, wo diese sogleich tatplangemäß die Zeugin Tr. ablenkten. Von dieser unbemerkt, betrat währenddessen absprachegemäß die Angeklagte Pa. die Wohnung und entnahm dort aus dem Schlafzimmer eine verschlossene, der Zeugin Tr. gehörende Geldkassette aus dem Nachttischschrank, um diese samt stehlenswerten Inhalts für alle drei zusammen in dem Wissen zu verbrauchen, hierauf keinen Anspruch zu haben. Die Geldkassette enthielt u.a. Rechnungen, Geldscheine (20 Schilling, 5 Kronen) und eine Schlüssel-Sicherungskarte. Die Angeklagten handelten in den Fällen 1. und 2. in der Absicht, sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen.“

Es kann dabei offenbleiben, ob die Angeklagte, die in der Hauptverhandlung geständig war (vgl. UA S. 6), dabei auch eingeräumt hat, im Sinne des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB gewerbsmäßig gehandelt zu haben. Denn ungeachtet dessen hätten die Angeklagte und ihre Mittäterinnen jedenfalls aber die Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt, indem sie die verschlossene Geldkassette mit sich nahmen (vgl. dazu BGHSt 24, 248; Fischer, StGB 66. Aufl. § 243 Rn. 17), um sie dann, wie geschehen, auf der Straße mit einem Schraubendreher aufzubrechen. Dass deren geldwerter Inhalt bei isolierter Betrachtung möglichweise „geringwertig“ war, ist ohne Belang. Denn die Ausschlussklausel des § 243 Abs. 2 StGB greift nur, wenn auch der Tatvorsatz des Angeklagten auf die Erlangung eines „geringwertigen“ Gegenstandes gerichtet ist (vgl. BGH NStZ 2012, 571; NStZ 1987, 71), was vorliegend nach dem gesamten Umständen sicher auszuschließen ist. Angesichts dessen ist es auch ohne Belang, ob die Zueignungsabsicht der Angeklagten nicht nur die Devisen, sondern auch die anderen in der Kassette befindlichen nicht geldwerten Sachen umfasste. Ebenso wenig ist entscheidungserheblich, ob die Angeklagte zudem die Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB erfüllt hat. Dafür könnte vorliegend sprechen, dass die 75-jährige Zeugin Tr. auf einen Rollator angewiesen war (vgl. Sachakte Bd. I Bl. 1, 6 f.) und ihr 86-jähriger Ehemann (vgl. Sachakte I Bl. 2, 7) unter starker Demenz und Parkinson leidet.

b) Selbst wenn man – entgegen der Ansicht des Senats – davon ausginge, dass die beiden vom Amtsgericht festgestellten Taten jeweils nicht „erheblich“ seien, lägen dann die Voraussetzungen des § 81g Abs. 1 Satz 2 StPO vor. Denn dann würde jedenfalls der Gesamtunrechtsgehalt der beiden von der Angeklagten eingeräumten Taten einer „Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen“. Hinzu kommt, dass die Angeklagte bereits vom Amtsgericht München wegen sieben einschlägiger Taten am 30. Mai 2006 … zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt wurde. Zu Recht weist die Beschwerde zwar darauf hin, dass diese Taten dreizehn Jahre zurückliegen. Die in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung, nach der ein längerer Zeitraum zwischen den Anlasstaten und der Anordnung einer besonders kritischen Würdigung bedürfe (vgl. etwa BVerfG NJW 2001, 2321), verfängt vorliegend jedoch nicht. Denn maßgeblich für die Anordnung sind vor allem zwei aktuelle Taten, während dort den Anordnungen ausschließlich „Alttaten“ zugrunde lagen.

c) Es besteht zudem Grund zu der Annahme, dass gegen sie auch „künftig Strafverfahren wegen solcher Straftaten zu führen sind“ (§ 81g Abs. 1 Satz 1 StPO). Soweit die Beschwerde darauf hinweist, dass die Angeklagte nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft als Raumpflegerin arbeitet (Beschwerde S. 5 oben), ist dies ohne Relevanz. Denn dieser Tätigkeit ist sie bereits zur Tatzeit nachgegangen, ohne dass dieser Umstand sie von der Begehung der eingeräumten Straftaten hat abhalten können. Hinzu kommt, dass sie aus dieser Teilzeittätigkeit lediglich einen Verdienst von 410 Euro erzielt (vgl. UA S. 3). Es besteht für sie mithin nach wie vor ein erheblicher Anreiz, weitere gleichgerichtete Taten zu begehen. Bei diesen hatte sie in der Vergangenheit mit ihren jeweiligen Mittätern erhebliche Erträge erzielt, zum Teil mehrere Tausend Euro bis hin zu einmalig 10.000 Euro (vgl. Urteil des Amtsgerichts München vom 30. Mai 2006 – 831 Ls324 Js 30682/08 – S. 7 ff.). Die Beuteerwartung dürfte bei den neuerlich begangenen Taten identisch gewesen sein. Selbst die damalige längere Hafterfahrung hat sie nicht von den 2019 begangenen Taten abhalten können, so dass – selbst unter Berücksichtigung des Zeitablaufs – nicht erwartet werden kann, dass sie durch die etwa siebenwöchige Untersuchungshaft nunmehr nachhaltig beeindruckt worden wäre. Hinzu kommt, dass auch in den sonstigen persönlichen Verhältnissen keine maßgeblichen Änderungen eingetreten sind, die der künftigen Begehung entgegenstehen. Im Gegenteil: Die Angeklagte hat als Unterkunft die Wohnadresse einer ihrer Mittäterinnen angegeben.

d) Schließlich ist die Durchführung der Maßnahme zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels auch geeignet. Ziel des § 81g StPO ist es, in künftigen Strafverfahren die Identifizierung des Täters zu erleichtern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl. § 81g Rn. 1, 2). Der modus operandi der von der Angeklagten bislang begangenen Taten zeichnete sich dadurch aus, dass sie sich mit anderen Personen den Zutritt zu Wohnungen erschlich und dort dann heimlich Diebstähle beging. Bei solcherlei Taten kann es ohne weiteres zur Absonderung von DNA-Material kommen, welches dann tauglicher Gegenstand von Vergleichsuntersuchungen im Sinne des § 81g StPO sein kann.“

Und was war der „gegebene Anlass“? Nun, ganz einfach. Die mit der DNA-Identitätsfeststellung zusammenhängenden Fragen sind dargestellt in <<Werbemodus an>>Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Auflage, 2019. Und zu dem Buch wird es (ab) Ende Oktober beim ZAP-Verlag eine Sonderaktion geben. Und zwar werden vom Verlag die inzwischen von diesem Buch angefallenen sog. Mängelexemplare verkauft. Dabei handelt es sich in der Regel um Bücher aus sog. Retouren, die aufgrund der Rücksendung nicht mehr als „1a-Ware“ verkauft werden können. In den Büchersn steht alles drin, sie haben nur ggf. kleinere Beschädigungen am Einband, keinen Schutzumschlag mehr usw.

Die Bücher werden nun preisreduziert verkauft, und zwar für 96,90 EUR, anstatt des regulären Preises. Also immerhin eine Ersparnis von über 30 EUR. Da sollte man ggf. zuschlagen.

Der Verkauf startet Ende des Monats Oktober. Man kann die Bücher aber schon jetzt (bei mir) vorbestellen. Die Anzahl ist natürlich begrenzt, so dass der Satz gilt: Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst. Oder: Schnäppchen sichern.

(Vor)Bestellen kann man dann hier.

<<Werbemodus aus>>

Kein Automatismus: Verurteilung in einer „KiPo-Sache“ = DNA-Identitätsfeststellung

entnommen open clipart.org

Und dann die dritte LG-Entscheidung. Es handelt sich um den LG Braunschweig, Beschl. v. 19.04.2018 – 4 Qs 72/18, den ich vom Kollegen Hertweck aus Braunschweig erhalten habe. Ergangen ist er, nachdem der Betroffene durch amtsgerichtliches Urteil wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in vier Fällen sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft hat die Anordnung der Entnahme einer Speichelprobe sowie deren molekulargenetischer Untersuchung beantragt (§ 81g StPO). Das AG hat dem Antrag entsprochen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hatte Erfolg:

„Es fehlt – jedenfalls derzeit – an der erforderlichen Negativprognose für die Annahme von Wiederholungsgefahr.

Die Prognoseentscheidung muss sich dabei mit den Umständen des Einzelfalls auseinandersetzen. Eine bloß abstrakte Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens genügt für die Anordnung der Maßnahme nach § 81g StPO nicht. Dementsprechend genügt die bloße kriminalistische Erfahrung, dass bei Personen, die geneigt sind, sich aus sexueller Motivation kinderpornographische Bilder zu beschaffen und zu betrachten, nicht, auch wenn bei diesen Personen grundsätzlich von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit künftiger gleich gelagerter Straftaten auszugehen ist (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 – 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.2011 – 3 Qs 152/11). Zudem enthält das Urteil keine Feststellungen dazu, aus welcher Motivation heraus sich der Beschwerdeführer kinderpornographische Schriften verschafft und verbreitet hat.

Ferner genügt allein die Tatsache, dass der Beschwerdeführer (auch) wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist, nicht, um eine Negativprognose zu begründen (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 – 30 Qs 16/13).

Erforderlich ist das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände. Hierfür genügt die (allgemeine) Verbreitung kinderpornographischer Schriften noch nicht. Der Beschwerdeführer hat nach den Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Braunschweig vom 22.01.2018 kinderpornographischer Schriften über einen Chat-Dienst im Internet eingestellt, sodass eine Vielzahl anderer Nutzer dieses Dienstes darauf Zugriff nehmen konnten. Einen unmittelbaren Kontakt zu Kindem oder Jugendlichen in Bezug auf die Taten, wegen derer er verurteilt wurde, gab es nicht.

Solches könnte hingegen ein besonderer Umstand in obigem Sinne sein (siehe auch LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 – 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.201 1 – 3 Qs 152/11).

Zwar weist die Staatsanwaltschaft Hannover zutreffend darauf hin, dass das Verbreiten kinderpornographischer Schriften eine größere kriminelle Energie erfordert als das bloße Besitzen derselben. Aus den im vorangehenden Absatz dargelegten Gründen reicht dies jedoch für die Anordnung von Maßnahmen nach § 81g StPO nicht aus.

Weder aus der Art und Ausführung der bisher bekannten Anlasstaten, der Persönlichkeit des Beschwerdeführers noch aus sonstigen Erkenntnissen bestehen hinreichende Gründe für die Annahme, dass gegen ihn künftige Strafverfahren zu führen sein werden, bei denen er körperlich auf andere Personen einwirken und so typischerweise DNA-Spuren hinterlassen wird, sodass sein DNA-Identifizierungsmuster in künftigen Ermittlungsverfahren einen Aufklärungsansatz bieten könnte. Die Straftaten, derentwegen der Beschwerdeführer verurteilt worden ist, wurden mithilfe seines Computers begangen, ohne dass er dazu unmittelbar physischen Kontakt zu Kindern oder Jugendlichen aufgenommen hat. Bei Straftaten, die auf diese Weise begangen werden, können gespeicherte DNA-Muster nicht zu einem Ermittlungsansatz führen, weil sich das DNA-Material nur an dem Computer finden ließe (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 – 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.2011 – 3 Qs 152/11).

Es fehlt schließlich an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Beschwerdeführer künftig Straftaten von erheblichem Gewicht begehen wird, bei denen er DNA-Material hinterlassen wird. Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils war der Beschwerdeführer vor der Verurteilung strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Weiter ist dem Beschwerdeführer eine positive Sozialprognose gestellt worden, da die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gründe, die nunmehr eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.“