Schlagwort-Archiv: Bewährungswiderruf

Pflichti I: Mittelbare Nachteile/Bewährungswiderruf, oder: Psychische Erkrankung

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Am heutigen Dienstag geht es dann weiter mit Entscheidungen zur Pflichtverteidigung.

Zunächst stelle ich zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen vor. Sie enthalten allerdings nichts wesentlich Neues. Es handelt sich um:

Eine psychische Erkrankung kann grundsätzlich geeignet sein, die Vertretung durch einen Pflichtverteidiger notwendig zu machen.

Auch mittelbare Nachteile, wie ggf. eine Bewährungswiderruf, sind bei der Entscheidung, ob dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, zu berücksichtigen.

 

 

Bewährung II: Widerruf wegen Weisungsverstoßes, oder: Wenn die Weisung unmissverständlich ist

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Im zweiten Posting dann den OLG Hamm, Beschl. v. 12.06.2025 – 1 Ws 160/25 – zum Widerruf wegen eines Weisungsverstoßes. Es geht noch einmal um eine zu unbestimmte Weisung:

„a) Zwar ist die Weisung während der gesamten Bewährungszeit „engen Kontakt“ zu seinem Bewährungshelfer zu halten, als eigenständige Weisung im Sinne des § 56c StGB zu unbestimmt, denn nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. die Nachweise bei TK StGB/Kinzig, 31. Aufl. 2025, StGB § 56c Rn. 11, beck-online), der auch die ständige Rechtsprechung des Senats entspricht (vgl. z.B. Senat, Beschluss vom 07.05.2019 zu III-1 Ws 152+153/19 zu einer entsprechenden Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht und Beschluss vom 18.02.2020 zu III-1 Ws 49/20), muss das Gericht unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots grundsätzlich den Inhalt und Umfang der auferlegten Melde- bzw. Kontakthaltungspflicht beim bzw. zum Bewährungshelfer selbst konkret, d.h. insbesondere bezüglich des Meldeintervalls und der Art der Kontakthaltung, bestimmen und darf lediglich die Bestimmung der konkreten Termine dem Bewährungshelfer überlassen, was weder im Aussetzungsbeschluss vom 25.06.2020 noch im Bestellungsbeschluss vom 23.07.2020 geschehen ist. Gleichwohl war der Bewährungswiderruf gemäß §§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1, 56c Abs. 2 Nr. 2 StGB (ausnahmsweise) zulässig (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18.02.2020 zu III-1 Ws 49/20 und vom 18.11.2020, III-1 Ws 439-442/20). Denn nach der Weisung war hier im Sinne des Bestimmtheitsgebots unmissverständlich klar, dass der Verurteilte – ungeachtet der Art des Kontaktes und eines konkreten Meldeintervalls – überhaupt Kontakt zu seiner Bewährungshelferin (aufnehmen und) beibehalten musste. Dies war auch dem Verurteilten klar, da die Strafvollstreckungskammer ihn – nach ersten Unregelmäßigkeiten in der Kontakthaltung – mit ihm zugestelltem Schreiben vom 23.05.2022 aufforderte, den Kontakt zur Bewährungshelferin unverzüglich wiederherzustellen und anderenfalls prüfen werde, ob Maßnahmen ergriffen werden müssten und er – der Verurteilte – nach erneuten Terminversäumnissen versuchte, sein Fernbleiben per E-Mail zu entschuldigen.

b) Der Verurteilte hat sich auch – wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend begründet hat – dieser Weisung gröblich und beharrlich entzogen und dadurch Anlass zu der Besorgnis gegeben, dass er erneut Straftaten begehen wird. Ein gröblicher Verstoß ist eine nach objektivem Gewicht und Vorwerfbarkeit schwerwiegende Zuwiderhandlung gegen eine Weisung; er ist beharrlich, wenn der Verurteilte durch wiederholtes oder andauerndes Verhalten (z.B. Flucht, Verbergen), seine endgültige Weigerung, die Weisung zu befolgen zum Ausdruck bringt oder trotz einer Mahnung der Weisung nicht nachkommt (TK StGB/Kinzig, 31. Aufl. 2025, StGB § 56f Rn. 13/14 m.w.N., beck-online).

Nach der Mahnung der Strafvollstreckungskammer mit Schreiben vom 23.05.2022 hat der Verurteilte zunächst die Termine mit der Bewährungshelferin ab dem 29.09.2022 nicht mehr wahrgenommen, bevor er sich der Bewährungshelferin dauerhaft durch Verbergen entzogen hat.“

Bewährung III: Nachverurteilung als Widerrufsgrund, oder: Ist die weitere Beschwerde zulässig?

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Und in der dritten Entscheidung, dem OLG Celle, Beschl. v. 06.11.2024 – 2 Ws 303/24 – geht es auch um eine Rechtsmittelfrage, und zwar:

Der bereits mehrfach wegen Betruges vorbestrafte Beschwerdeführer wurde durch Urteil des AG wegen Betruges in 7 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Mit Beschluss vom 18. Mai 2022 widerrief das Amtsgericht Lüneburg die dem Beschwerdeführer gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, nachdem dieser keinerlei Zahlungen auf die ihm gemachte Bewährungsauflage erbracht hatte

Hiergegen legte der Verurteilte form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 07.07.2022 teilte die zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufene Beschwerdekammer des LG Lüneburg dem Beschwerdeführer mit, sie beabsichtige, die Beschwerde zunächst für die Dauer von drei Monaten zurückzustellen und den Bewährungsverlauf abzuwarten. Zugleich wurde der Verurteilte aufgefordert, Nachweise über von ihm behauptete Zahlungen vorzulegen.

Eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Verurteilten erging in der Folgezeit nicht; wiederholt behauptete der Beschwerdeführer, er habe im Hinblick auf die Geldauflage gem. § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB Teil-Zahlungen erbracht.

Mit Urteil des AG Duisburg-Hamborn vom 21.03.2024 wurde der Verurteilte dann zu einer Geldstrafe  verurteilt. Am 09.09.2024, mithin deutlich mehr als zwei Jahre nach Eingang der sofortigen Beschwerde, verwarf das LG Lüneburg nach vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs zu den neu eingetretenen Umständen die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss vom 18.05.2022. Zur Begründung führte die Kammer aus, der Beschwerdeführer sei spätestens ab November 2023 zahlungsfähig gewesen, habe gleichwohl gröblich und beharrlich gegen die Zahlungsauflage verstoßen und dabei versucht, das Landgericht über nur vermeintlich erbrachte Zahlungen zu täuschen. Zudem liege nunmehr angesichts der Nachverurteilung durch das AG Duisburg-Hamborn vom 21.03.2024 auch der Widerrufsgrund gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB vor.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner als „sofortige Beschwerde“ bezeichneten Eingabe seines Verteidigers vom 26.09.2024.

Das OLG hat die Eingabe als weitere Beschwerde amgesehen und die als unzulässig verworfen. Hier dann auch (nur) der Leitsatz:

Ein auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen einen Bewährungswiderruf gem. § 56f StGB ergangener Beschluss des Beschwerdegerichts ist gem. § 310 StPO selbst dann unanfechtbar, wenn das Beschwerdegericht den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB (zusätzlich) auf eine erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens ergangene Nachverurteilung stützt.“

Strafe III: Einbeziehung der Gerichtshilfe „vergessen“, oder: Kein schwerer Verfahrensfehler?

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Und als dritte Entscheidung stelle ich den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 02.07.2024 – 18 Qs 22/24 – vor, und zwar noch einmal. Über den Beschluss habe ich bereits wegen der auch angesprochenen Zustellungsproblemati berichtet (vgl. hier: StPO III: Immer wieder Zustellungsproblematik, oder: Vollmacht, ZU-Bevollmächtigter, Ersatzzustellung).

Jetzt stelle ich die Entscheidung vor wegen der Ausführungen des LG zur vom AG unterlassenen Einbeziehung der Gerichtshilfe nach § 463d Satz 2 Nr. 1 StPO:

„Zwar hat das Amtsgericht entgegen der seit dem 01.10.2023 geltenden Fassung des § 463d Satz 2 Nr. 1 StPO eine Einbeziehung der Gerichtshilfe vor seiner Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung nicht erkennbar erwogen. Eine Aufhebung und Rückverweisung der Sache war gleichwohl ebenso wenig veranlasst wie eine Nachholung der Einbeziehung der Gerichtshilfe durch die Beschwerdekammer.

1.a) § 463d StPO hatte bis zum 30.09.2023 folgenden Wortlaut:

„Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen; dies kommt insbesondere vor einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung des Strafrestes in Betracht, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist.“

Seit dem 01.10.2023 hat § 463d StPO folgenden Wortlaut:

„Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen. Die Gerichtshilfe soll einbezogen werden vor einer Entscheidung
1. über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung eines Strafrestes, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist,
2. über die Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, um die Abwendung der Anordnung oder Vollstreckung durch Zahlungserleichterungen oder durch freie Arbeit zu fördern.“

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 30.12.2022 (Drucksache 687/22) bzw. vom 06.03.2023 (Drucksache 20/5913) war folgende Formulierung vorgeschlagen:

„Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen. Dies kommt insbesondere in Betracht vor einer Entscheidung
1. über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung eines Strafrestes, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist,
2. über die Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, um die Abwendung der Anordnung oder Vollstreckung durch Zahlungserleichterungen oder durch freie Arbeit zu fördern.“

In der Begründung hierzu heißt es (Seiten 86/87 bzw. 75/76):

„Derzeit enthält § 463d StPO eine konkretisierende Regelung zur Einschaltung der Gerichtshilfe nur für den Fall des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung. Dieser Regelungsgehalt soll beibehalten und in den neuen Satz 2 Nummer 1 überführt werden.

Durch die neue Nummer 2 soll der Vollstreckungsbehörde ausdrücklich nahegelegt werden, die Gerichtshilfe auch vor der Entscheidung über die Anordnung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe einzuschalten, um die Bereitschaft der verurteilten Person zu Ratenzahlungen oder gemeinnützigen Arbeitsleistungen zu fördern und so die Anordnung oder Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe so weit wie möglich zu vermeiden. Die Einschaltung der Gerichtshilfe, mit der zugleich die Hinweispflicht des neuen § 459e Absatz 2 Satz 2 StPO-E erfüllt werden kann, soll aber im Ermessen der Vollstreckungsbehörde stehen und kann unterbleiben, etwa, wenn die verurteilte Person das Angebot von Zahlungserleichterungen oder der Ableistung freier Arbeit bereits endgültig abgelehnt hat. In Fällen, in denen beispielsweise ein freier Träger die Beratung der verurteilten Person im Wege der aufsuchenden Sozialarbeit übernommen hat, wie dies derzeit bereits in einigen Ländern praktiziert wird, kann sich die Einschaltung der Gerichtshilfe auch darauf beschränken, die dafür notwendigen personenbezogenen Daten an den freien Träger zu übermitteln (siehe vorstehend zu Nummer 3 Buchstabe b). Im Übrigen wird zu Hintergrund und Zweck der Regelung auf die Ausführungen im Allgemeinen Teil unter I. 1. Buchstabe c und II. 1. vor Buchstabe a verwiesen.“

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) vom 26.05.2023 (Drucksache 20/7026) schlugen jedoch folgenden Wortlaut vor (Hervorhebung durch das Gericht):

„Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen. Die Gerichtshilfe soll einbezogen werden vor einer Entscheidung
1. über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung eines Strafrestes, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist,
2. über die Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, um die Abwendung der Anordnung oder Vollstreckung durch Zahlungserleichterungen oder durch freie Arbeit zu fördern.“

Die Fraktion der SPD hatte zur Begründung wie folgt ausgeführt:

„Mit der im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Anpassung des § 463d Satz 2 StPO soll ein intendiertes Ermessen festgeschrieben werden, damit die Gerichtshilfe in den Fällen des § 463d Satz 2 Nr. 1 und 2 StPO-E im Regelfall einbezogen werde.“

Die Fraktion der CDU/CSU hatte dem entgegnet:

„Auch im Hinblick auf die vorgeschlagene Änderung des § 463d StPO komme ein gewisses Misstrauen gegenüber den Gerichten zum Ausdruck, weil der Entscheidungsspielraum zur Frage der Einbindung der Gerichtshilfe eingeschränkt werde.“

Am 22.06.2023 wurde der Gesetzentwurf in der in Kraft getretenen Form mit den Stimmen der Regierungskoalition unter Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen und im Bundesgesetzblatt vom 02.08.2023 veröffentlicht.

b) § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO enthält eine gleichgelagerte Sollvorschrift für die Form der Anhörung des Verurteilten:

„Hat das Gericht über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden, so soll es dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben.“

Die mündliche Anhörung ist dort zwingend, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich erscheint und ihr keine schwerwiegenden Gründe entgegenstehen (vgl. KK-StPO/Appl, 9. Aufl. 2023, StPO § 453 Rn. 7; MüKoStPO/Nestler, 1. Aufl. 2019, StPO § 453 Rn. 11; BeckOK StPO/Coen, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 453 Rn. 7; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 453 StPO, Rn. 16). Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Verurteilte beachtenswerte Gründe für die Nichterfüllung haben kann, aber nicht in der Lage ist, diese Gründe in einer das Gericht überzeugenden Weise schriftlich darzustellen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des 23. StrÄndG – BT-Drucksache 370/84 vom 24.08.1984). Das Gesetz will dort damit von vornherein der Gefahr begegnen, dass schwerwiegende Widerrufsentscheidungen ohne zureichende Tatsachengrundlage ergehen. Die Ausgestaltung als Sollvorschrift eröffnet dem Gericht lediglich die Möglichkeit, von der grundsätzlich zwingend gebotenen mündlichen Anhörung aus schwerwiegenden Gründen abzusehen, anderenfalls ein schwerwiegender Verfahrensmangel vorliegt, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung führt (statt vieler Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 15.12.2008 – 1 Ws 212/08).

c) aa) Die Einführung dieser Soll-Regelung in § 463d Satz 2 StPO macht die Einbeziehung der Gerichtshilfe für die dort genannten Fälle – insbesondere bei Entscheidungen der nach § 462a Abs. 2 StPO zuständigen Gerichte, wo in der Mehrzahl kein Bewährungshelfer bestellt ist – bei einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung seit dem 01.10.2023 zum Regelfall und zwingend. Die Nichteinbeziehung der Gerichtshilfe ist in den dort genannten Fällen nun begründungsbedürftig und damit implizit justiziabel (Pollähne in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 463d StPO, Rn. 2). Sie kann jedoch unterbleiben, wenn sie keinerlei zusätzlichen Erkenntnisse oder Erfolgsaussichten verspricht oder ihr zwingende Gründe entgegenstehen. Vertreten wird, dass die Nichteinschaltung der Gerichtshilfe – wie bei § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO – aber ermessensfehlerhaft sei und einen Verfahrensfehler begründen könne, der in Abweichung von § 309 Abs. 2 StPO eine Aufhebung und Rückverweisung rechtfertigen könne (BeckOK StPO/Coen, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 463d Rn. 4; KK-StPO/Appl, 9. Aufl. 2023, StPO § 463d Rn. 3).

bb) Eine dahingehende Differenzierung zwischen einem Widerruf der Strafaussetzung wegen der in § 56f Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 StGB genannten Verstöße, bei denen die Einbeziehung der Gerichtshilfe zu erfolgen hätte, und solchen der Begehung einer Straftat in der Bewährungszeit nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, bei der von ihrer Einbeziehung abgesehen werden könnte, ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht zulässig, der nur von „Widerruf der Strafaussetzung“ spricht und gerade nicht differenziert. Aus dem Umstand, dass die Sätze 2 und 4 in § 453 Abs. 1 StPO ausdrücklich differenzieren und die mündliche Anhörung nur im Fall eines „Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen“ vorsehen, hingegen die Neufassung in § 463d Satz 2 Nr. 1 StPO nicht in gleicher Weise verfährt, ist zu schließen, dass der Gesetzgeber dort eine entsprechende Differenzierung gerade nicht anstrebte, sondern die Einbeziehung der Gerichtshilfe in allen Fällen eines Widerrufes der Strafaussetzung wollte. Dass die konsequente Befolgung der durch den Gesetzgeber ausdrücklich so gewollten Anordnung des § 463d Satz 2 StPO in der Form, grundsätzlich in allen Fällen die Gerichtshilfe einzubeziehen, in denen bei Fehlen eines Bewährungshelfers – aus welchem Grund auch immer – über den Widerruf der Strafaussetzung oder die Aussetzung eines Strafrestes entschieden werden muss, zu einer erheblichen Mehrbelastung der Gerichtshilfestellen führen wird, der diese in der gegenwärtigen personellen Ausstattung kaum standhalten können, hat für die nach § 462a StPO und im Beschwerdeverfahren zuständigen Gerichte ebenso wenig entscheidungserheblich zu sein wie die Frage der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit dieser in § 463d Satz 2 StPO getroffenen Regelung.

2. Die entgegen § 463d Satz 2 StPO gewählte Vorgehensweise des Amtsgerichts rechtfertigt jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation, in der die Beschwerdekammer angesichts des ausführlichen Beschwerdevorbringens im Schriftsatz vom 02.05.2024, des psychiatrischen Gutachtens vom 15.02.2024, des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.04.2024 und der Stellungnahme des Hauses [ ] vom 02.05.2024 über alle zur Entscheidung notwendigen Informationen mit aktuellem Stand verfügt, weder eine Rückverweisung an das Amtsgericht zur Nachholung der Einbeziehung der Gerichtshilfe noch deren Nachholung durch die Beschwerdekammer selbst.

a) Anders als im Falle des § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO und unterbliebener mündlicher Anhörung des Verurteilten durch das Beschwerdegericht rechtfertigt der Verstoß gegen § 463d Satz 2 StPO durch Nichteinbeziehung der Gerichtshilfe – entgegen der insoweit bereits geäußerten Rechtsmeinung – keine Aufhebung und Zurückverweisung.

Eine Zurückverweisung der Akten an die erste Instanz zum Zwecke der weiteren Aufklärung ist nicht zulässig. Lediglich in Ausnahmefällen kann das Beschwerdegericht aus rechtlichen Gründen die Sache an die Vorinstanz zurückverweisen (MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl. 2024, StPO § 309 Rn. 10; BeckOK StPO/Cirener, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 309 Rn. 10, KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl. 2023, StPO § 309 Rn. 7). Solche liegen nur dann vor, wenn die Entscheidung des Erstgerichts an einem schweren Mangel leidet und von einer ordnungsgemäßen Justizgewährung nicht mehr auszugehen ist, bspw. wenn das Erstgericht eine gesetzlich vorgeschriebene mündliche Anhörung nicht durchgeführt hat (MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl. 2024, StPO § 309 Rn. 36; BeckOK StPO/Cirener, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 309 Rn. 17 m. w. N.).

Ein derart schwerwiegender Verfahrensmangel liegt jedenfalls nicht im Verstoß des Erstgerichts gegen § 463d Satz 2 StPO. Insbesondere wurden keine (mündlichen) Anhörungsrechte der Beschwerdeführerin verletzt. Eine Rückverweisung in dieser Konstellation wäre unzulässig, weil sie letztlich auf eine weitere Aufklärung durch das Erstgericht durch Einbeziehung der Gerichtshilfe gerichtet wäre.

b) Eine Nachholung der Einbeziehung der Gerichtshilfe durch die Beschwerdekammer war nicht veranlasst. Über die Inhalte der oben zitierten Fundstellen hinaus könnten durch die Einbeziehung der Gerichtshilfe keine weiteren für die Entscheidung wesentlichen Informationen erlangt werden, über die die Beschwerdekammer nicht schon verfügt.“

Strafe III: Verstoß gegen Weisung: Therapiemaßnahme, oder: Widerruf nur nach Anhörung

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Und zum Abschluss dann der OLG Celle, Beschl. v. 26.02.2024 – 1 Ws 69/24, 1 Ws 70/24, 1 Ws 71/24 – zum Widerruf von Strafaussetzung. Na ja, der Beschluss hat zumindest etwas mit Strafe zu tun. Es geht um einen Bewährungswiderruf wegen Verstoßes gegen eine Therapieweisung. Den hat das OLG aufgehoben:

„Der angefochtene Beschluss ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil das Vorgehen der Strafvollstreckungskammer den Anforderungen an die Anhörung des Verurteilten nicht gerecht wird.

Vor einem Widerruf der Strafaussetzung wegen Weisungsverstößen hat das Gericht gemäß § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO mündlich anzuhören, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich erscheint und schwerwiegende Gründe nicht entgegenstehen. Seine spätere Entscheidung über den Widerruf darf das Gericht nur auf solche Tatsachen stützen, die bereits Gegenstand der Anhörung waren. Holt das Gericht nach der Anhörung telefonisch weitere Informationen ein, muss es den Verurteilten zu diesen neuen Erkenntnissen erneut anhören (KG, Beschluss vom 6. März 2017 – 5 Ws 25/17 – 121 AR 13 – 14/17 –, Rn. 10, juris, m. w. N.).

Diesen Anforderungen hält das Vorgehen der Strafvollstreckungskammer nicht stand. Die Strafvollstreckungskammer stützt sich in der Begründung ihres Widerrufsbeschlusses ausdrücklich darauf, dass der Verurteilte auch nach dem Anhörungstermin keinen weiteren Kontakt zur Bewährungshilfe aufgenommen und keine Therapienachweise vorgelegt hat. Sie bezieht sich dabei auf Erkenntnisse aus dem Telefonat mit der Bewährungshelferin vom 3. Januar 2024, das erst nach dem Anhörungstermin vom 18. Dezember 2023 erfolgt ist und zu dessen Inhalt dem Verurteilten keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dieser Gehörsverstoß zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat. Wenn die Strafvollstreckungskammer ihm erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben hätte, hätte er insbesondere die Nachweise über seinen Klinikaufenthalt seit dem 19. Dezember 2023 vorlegen und gegebenenfalls mündlich erläutern können. Dies hätte die Strafvollstreckungskammer zu der Bewertung führen können, dass seine Untätigkeit nach der Anhörung am 18. Dezember 2023 unverschuldet gewesen sein könnte.

Dem Anhörungsschreiben vom 20. November 2023 konnte der Verurteilte im Übrigen nicht entnehmen, dass der Widerruf auch auf das Fehlen von Therapienachweisen gestützt werden könnte. Denn dieses bezog sich nur darauf, dass sich der Verurteilte der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin entzogen habe. Es ist nicht auszuschließen, dass der Verurteilte auch auf ein insoweit vollständiges Anhörungsschreiben anders reagiert und gegebenenfalls seine Gründe für die Weisungsverstöße schriftlich oder mündlich erläutert hätte.“