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StPO II: Zwingende Unterzeichnung eines Beschlusses?, oder: Was ergibt sich aus den Umständen?

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Und mit der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 12.09.2023 – 3 Ws 302/23 – bin ich dann mal ganz mutig 🙂 und hoffe, dass nicht allzu viel Kommentare kommen. Es geht nämlich um eine fehlende Unterschrift unter einem Beschluss. Das ist dann doch ein Posting, das den ein oder anderen aus der Abteilung: Urteil nicht unterschrieben und so, herausfordern wird. Ich werde es aber dann mit Fassung tragen (und ggf. auch gerne 🙂 nochmals erklären).

Hier war im Strafvollstreckungsverfahren von der Verteidigung, der sich die GStA angeschlossen hatte, gerügt worden, dass ein Beschluss der StVK nicht vollständig unterzeichnet war. Dazu das OLG:

„1. Die Strafvollstreckungskammer hatte auf den 28.04.2023 einen Termin zur Anhörung des Verurteilten anberaumt. Am Morgen des Tages teilte die JVA mit, dass der Untergebrachte sich bisher nicht zu einer Teilnahme an dem Anhörungstermin, zu dem er eine Terminsnachricht erhalten hatte, geäußert habe. Er sei am Morgen zur Arbeit ausgerückt, so dass davon ausgegangen werde, dass er nicht am Anhörungstermin teilnehme. Zum Anhörungstermin erschien dann nur der Verteidiger des Verurteilten. Die Strafvollstreckungskammer teilte mit, dass sie von einem Anhörungsverzicht ausgehe. Der Verteidiger beantragte die Maßregelaussetzung zur Bewährung und erklärte, im Übrigen keine Angaben machen zu können. Die Anhörung fand in der Besetzung Vorsitzende Richterin am LG A, Richterin am LG B und Richterin am LG C statt. Unter dem Datum des Tages des Anhörungstermins verfasste die Strafvollstreckungskammer den angefochtenen Beschluss. Dieser wurde unterschrieben von der Vorsitzenden Richterin am LG A und der Richterin am LG B; bzgl. der Richterin am Landgericht C findet sich der Vermerk „ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert“, welcher von der Vorsitzenden gezeichnet wurde.

Die Verteidigung zweifelt mit ihrer Beschwerde an, dass der Beschluss tatsächlich am 28.04.2023 gefasst worden sei. Es sei erforderlich, dass die bei der Anhörung anwesenden Richter auch die nachfolgende Entscheidung treffen. Dazu müsse das Ergebnis in einem Vermerk aktenkundig gemacht werden. Nur in einem solchen Fall könne die Unterschrift eines zu einem späteren Zeitpunkt der Fassung der Beschlussgründe abwesenden Richters durch einen Verhinderungsvermerk ersetzt werden. Wenn – wie vorliegend – „das Beratungsergebnis in Form des vollständigen schriftlichen Beschlusses erst zu einem späteren Zeitpunkt niedergelegt wird und zu diesem Zeitpunkt nicht gewährleistet werden kann, dass die diejenigen Richter, die an der Anhörung teilgenommen haben und zur Entscheidung berufen sind (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), zur Verfügung stehen, muss zugewartet werden bis sie verfügbar sind oder – wenn dies schneller zu bewerkstelligen ist – die Anhörung in anderer Besetzung wiederholt und mit dieser entschieden werden.“ Hier sei weder die eine noch die andere Alternative gegeben.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich in ihrer Antragsschrift dieser Auffassung mit weiteren Ausführungen angeschlossen.

2. Der Senat vermag die Bedenken gegen die Verfahrensweise der Strafvollstreckungskammer nicht zu teilen:

Das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) ist hier nicht verletzt. Die drei Richterinnen, die den Anhörungstermin wahrgenommen haben, haben auch den Beschluss, den Verurteilten nicht bedingt aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen, gefasst. Dies ergibt sich aus dem Beschlussrubrum und dem Anhörungsvermerk vom 28.04.2023.

Dass die Richterin am Landgericht C den vollständig mit Gründen versehenen Beschluss urlaubsbedingt nicht selbst unterzeichnet hat, ist unschädlich.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird zwar vertreten, dass das Verfahren nach § 454 StPO grundsätzlich schriftlich sei und deswegen Entscheidungen darin auch schriftlich ergingen. Es sei möglich, dass der Anhörungstermin, die Beschlussfassung als solche und die Formulierung der Beschlussgründe zeitlich auseinanderfallen. In allen denkbaren Fällen sei es erforderlich, dass die an der Anhörung anwesenden Richter die nachfolgende Entscheidung auch selbst träfen. Das könnten sie bereits in der der Anhörung nachfolgenden Beratung tun und das Ergebnis in einem Vermerk schriftlich niederlegen. In einem solchen Fall wäre die Unterschrift eines zum späteren Zeitpunkt der Fassung der Beschlussgründe abwesenden Richters durch einen Vertretungsvermerk ersetzbar. Alternativ dazu könnten die die Richter das Beratungsergebnis in Form des vollständigen schriftlichen Beschlusses zu einem späteren Zeitpunkt niederlegen (KG Berlin, Beschl. v. 22.07.2014 – 2 Ws 265/14 – juris; KG Berlin, Beschl. v. 20.05.2015 – 2 Ws 73/15 – juris; KG Berlin, Beschl. v. 09.06.2015 – 2 Ws 105/15 – juris; KG Berlin, Beschl. v. 06.02.2018 – 2 Ws 2/18 – juris; OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.01.2023 – 1 Ws 153/22 (S) -juris).

Wenn mit dieser Rechtsprechung gemeint sein sollte, dass nur dann die Unterschrift eines mitentscheidenden Richters durch einen Verhinderungsvermerk unter dem vollständig mit Gründen abgesetzten Beschluss ersetzt werden kann, wenn das Ergebnis der Beschlussfassung zuvor in einem Vermerk niedergelegt wurde, ist dem nicht zu folgen. Nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung ist für eine wirksame Beschlussfassung die gesetzmäßige Besetzung des Spruchkörpers erforderlich (RGSt 43, 217, 218). Hingegen ist es bei Beschlüssen nicht erforderlich, dass sie überhaupt unterzeichnet sind, denn die Regelung des § 275 Abs. 2 StPO gilt nur für Urteile und ist auf Beschlüsse nicht anwendbar (BGH, Urt. v. 14.02.1985 – 4 StR 731/84 – juris). Auch eine entsprechende Anwendung scheidet aus. Die StPO enthält keine Vorschrift, wonach Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit der eigenhändigen Unterschrift aller mitwirkenden Richter bedürften (Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 275 Rdn. 43 m.w.N.). Ist ein Beschluss (gar) nicht (oder nicht von allen zur Entscheidung berufenen Richtern) unterschrieben, so muss sich aber zumindest aus den Umständen zweifelsfrei ergeben, dass die Entscheidung auf der Willensbildung der zur Entscheidung berufenen Richter beruht (OLG Düsseldorf NJW 1970, 1937; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.11.1998 – 1 Ws 454-547/98 – juris; OLG Hamm, Beschl. v. 27.12.1977 – 2 Ws 239/77 – juris; OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.09.2018 – 1 Ws 173/18 – juris). Ein zwingendes Erfordernis, dass eine mündliche Beschlussfassung zunächst in einem Vermerk niedergelegt werden müsste, damit ein späterer Verhinderungsvermerk auf dem vollständig abgefassten Beschluss zulässig sein soll, mag aus Gründen der Rechtssicherheit eventuell wünschenswert sein. Es lässt sich aber dem Gesetz nicht entnehmen.

Hier ergibt sich schon aus dem Beschlussrubrum, dass der Beschluss auf der bereits am 28.04.2023 gefassten Willensbildung aller drei Richterinnen beruht. Der Senat hat keinen Anlass zu der Annahme, dass die zwei unterschreibenden Richterinnen nachträglich alleine einen Beschluss gefasst und diesen zurückdatiert und eine nicht mitentscheidende Richterin mit in das Rubrum aufgenommen hätten. Auch der Verfahrensablauf legt nahe, dass noch am 28.04.2023, als die dritte Richterin noch nicht urlaubsbedingt verhindert war (sie war in der Anhörung zugegen), die Beschlussfassung erfolgte, der Beschluss also auf einer Willensbildung aller drei an der Anhörung beteiligten Richterinnen beruht.

Einer Vorlage nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG bedurfte es nicht, da die dort geregelte Vorlagepflicht nur für Entscheidungen über die Erledigung der Maßregel gilt, nicht aber – wie hier – für Fälle, in denen allein eine Maßregelaussetzung zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB in Betracht kommt.“

OWi II: Die Entscheidung im Beschlussverfahren, oder: Anforderungen an die Beschlussbegründung

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Brandemburg, Beschl. v. 22.09.2021 – 2 OLG 53 Ss-OWi 373/21 – geht es noch einmal um die Begründung des im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG ergangenen Beschlusses. Das OLG hat die amtsgerichtliche Entscheidung aufgehobe, weil der Beschluss keine Begründung enthielt, die Voraussetzungen für ein Absehen von der Begründung gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG mangels Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft nicht vorlagen und eine Nachholung der Gründe gemäß § 72 Abs. 6 OWiG nach Zustellung des nicht mit Gründen versehenen Beschlusses an die Verfahrensbeteiligten nicht mehr zulässig war. Dazu nimmt es auf die Stellungnahme der GStA Bezug:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu wie folgt Stellung genommen:

“ (…) Der angefochtene Beschluss vom 25. Januar 2021 ist auf die erhobene Sachrüge hin schon deshalb aufzuheben, weil er die nach § 72 Abs. 4 Sätze 3 bis 5 OWiG vorgeschriebene Begründung nicht enthält. Danach muss die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG, mit dem eine Geldbuße festgesetzt wird, im Wesentlichen den Anforderungen genügen, die gemäß § 71 Abs. 2 OWiG i. V. mit § 267 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO an die Begründung eines nicht freisprechenden Urteils gestellt werden (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 18. Februar 2008, Az.: 1 Ss (OWi) 266 B/07, in: juris; KK-OWiG /Senge, 5. Auflage, 2018, § 72, Rn. 66 m. w. N.). Der am 1. März 2021 zu den Akten gelangte begründete Beschluss war insoweit für das weitere Verfahren — trotz Einhaltung der 5-Wochen-Frist nach § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG — unbeachtlich, weil zu diesem Zeitpunkt bereits ein unter Verstoß nach § 72 Abs. 6 S. 1, S. 2 OWiG den Verfahrensbeteiligten als endgültige Fassung zugestellter Beschluss mit Übersendungsverfügung vom 25. Januar 2021 u.a. unter Bezugnahme auf § 41 StPO vorlag (BI. 88 d. A.). Ausweislich BI. 91 d. A. ist die Akte auch der Staatsanwaltschaft mit dem abgekürzten Beschluss zugegangen und von dieser mit Rechtsmittelverzicht zurückgesandt worden (BI. 92 d. A.), Der Beschluss ist auch dem Verteidiger am 3. Februar 2021 (BI. 97 d. A.) zugestellt worden. Wird ein nicht mit Gründen versehenes Urteil nach § 41 StPO zugestellt, obwohl die Voraussetzungen des § 77b Abs. 1 OWiG nicht vorgelegen haben, ist eine nachträgliche Ergänzung auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen nicht möglich (vgl. Brandenburger Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. November 2011, Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 446/11 (244/11), in: juris; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2013, Az.: 111-5 RBs 181/12, in: juris; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013, Az.: 4 StR 336/12, in: BGHSt 58, 243-253). Entsprechendes gilt für fehlende Beschlussgründe unter Verstoß des § 72 Abs. 6 OWiG (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2020, Az.: (1 B) 53 Ss-OWI 110/20 (70/20), in: juris). Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Ergänzung des Beschlusses nach § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG lagen indes nicht vor. Für das Absehen von einer Beschlussbegründung bedarf es nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG eines Verzichts aller Verfahrensbeteiligten, also auch der Staatsanwaltschaft (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. Januar 2009, Az.: 1 Ss (OWi) 242 B/08). Ein solcher Verzicht muss eindeutig, vorbehaltlos und ausdrücklich erklärt werden (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 16. Auflage, 2020, § 72 Rn. 63a). Die Staatsanwaltschaft hat – anders als der Betroffene laut Hauptverhandlungsprotokoll vom 4. Dezember 2020 (BI. 84 d. A.) – nicht auf eine Begründung des nach § 72 OWiG ergangenen Beschlusses verzichtet. Die dem Beschluss vom 25. Januar 2021 vorangegangene Erklärung der Staatsanwaltschaft, einer Entscheidung durch Beschluss nicht zu widersprechen, enthält nicht zugleich die Erklärung, es werde auch auf die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG verzichtet (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15. Oktober 2019, Az.: Ss Bs 58/2019 (62/19 OWi), in: BeckRS 2019, 25067).

Das Fehlen von Gründen in einem Strafurteil zwingt in der Regel schon zur Urteilsaufhebung auf die Sachrüge hin (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2000, Az.: 4 StR 354/00, in: BGHSt 46, 204; OLG Hamm, Beschluss vom 19. August 2010, Az.: 3 RVs 69/10, in: NStZ 2011, 238; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, 2020, § 338 Rn. 52 m. w. N.). Auch ein Bußgeldurteil ist beim unzulässigen Fehlen von Urteilsgründen in der Regel schon auf die zulässig erhobene Sachrüge hin aufzuheben, weil dem Rechtsbeschwerdegericht in diesem Fall eine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler nicht möglich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 — 311 SsRs 126/11 —, juris OLG Bamberg, Beschluss vom 10. November 2011, Az.: 3 Ss OWi 1444/11, in: juris; Rn. 2 ff.; Göhler/Seitz/Bauer, a. a. 0., § 77b Rn. 8 m. w. N.; KK-Senge, OWiG, a. a. 0.; § 77b Rn. 17). Ebenso unterliegt ein nach § 72 OWiG ergangener Beschluss beim Fehlen einer Begründung auf eine zulässig erhobene Sachrüge hin der Aufhebung im Rechtsbeschwerdeverfahren, wenn die Voraussetzungen für das Absehen von einer Begründung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG nicht vorlagen, etwa weil — wie hier — nicht alle Verfahrensbeteiligten hierauf verzichtet haben (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2020, Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 110/20 (70/20), in: juris). Enthält das Urteil oder der Beschluss verfahrenswidrig keine beachtlichen Gründe, kann das Rechtsbeschwerdegericht dieses auch keiner Prüfung auf seine materiell-rechtliche Richtigkeit unterziehen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 16. Dezember 2008, Az.: 3 Ss OWi 1060/08, in: juris; vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011, Az.: 311 SsRs 126/11, in: NZV 2012, 45; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Februar 2010, Az.: 1 RBs 188/09, in: BeckRS 2010, 21267; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Juni 2012, Az.: 3 RBs 156/12, in: juris).

Dieser Begründungsmangel ist nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil der Betroffene im Vorfeld auf eine Begründung verzichtet hatte. Dies lässt sich ohne weiteres der Bestimmung des § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG entnehmen, der gerade eine Begründungspflicht für den Fall der Anfechtung der getroffenen Entscheidung trotz vorhergehenden Verzichts auf die Begründung durch die Beteiligten normiert. (…)“

Diese Beurteilung der Sach- und Rechtslage trifft zu. Die nachträgliche Begründung des Beschlusses nach § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG war unzulässig, weil die Voraussetzungen für ein Absehen einer Begründung des Beschlusses gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWG nicht vorlagen. Die zugrunde liegende Regelung würde weitgehend leerlaufen, wenn das Gericht die Begründung unabhängig vom Vorliegen eines Verzichts aller Verfahrensbeteiligten in zulässiger Weise nachholen könnte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. August 2021 — IV-2 RBs 141/21, zit. nach Juris).“

StPO III: „Verlesungsanordnungsbeschluss“ fehlt, aber Urteil beruht nicht auf dem Fehler

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Und auch die dritte StPO-Entscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 5 StR 250/20 – vom BGH. Inhalt u.a. eine Verfahrensrüge betreffend die vernehmungsersetzende Verlesung der polizeilichen Vernehmungsniederschriften von Zeugen. Die hatte im Ergebnis keinen Erfolg:

„1. Die Verfahrensrügen in Zusammenhang mit der vernehmungsersetzenden Verlesung der polizeilichen Vernehmungsniederschriften der Zeugen R. , M. und X. sowie der E-Mails des Geschädigten A. bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

a) Zwar rügt die Revision zu Recht, dass die Verfahrensweise der Strafkammer nicht dem Gesetz entsprach, weil die Vernehmungsniederschriften und E-Mails im allseitigen Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten verlesen wurden (vgl. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO ), aber ohne den erforderlichen Gerichtsbeschluss nach § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO .

b) Der Senat schließt allerdings aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls aus, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht:

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass das Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen das Beschlusserfordernis in § 251 Abs. 4 StPO ausgeschlossen werden kann, wenn allen Beteiligten der Grund der Verlesung klar und von der persönlichen Vernehmung der Zeugen keine weitere Aufklärung zu erwarten war (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 – 3 StR 113/15 , NStZ 2016, 117; LR-StPO/Cirener/Sander, 27. Aufl., § 251 Rn. 97; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 251 Rn. 45; MüKo-StPO/Kreicker, § 251 Rn. 92, jeweils mwN).

Beides war vorliegend der Fall. Allen Verfahrensbeteiligten war aufgrund des Verfahrensablaufs klar, dass die Zeugenaussagen nur vernehmungsersetzend verlesen wurden, weil alle damit einverstanden waren und mithin die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO vorlagen. Auf die Vernehmung der Geschädigten A. , M. und X. war zudem allseits verzichtet worden. Von der persönlichen Vernehmung der Zeugen war keine weitere Aufklärung zu erwarten. Die überwiegend im Ausland lebenden Geschädigten konnten im Wesentlichen nur darüber berichten, dass sie bei einem Autokauf über das Internet mit unter bestimmten Namen auftretenden Verkäufern verhandelt, Geld im Voraus auf bestimmte Konten überwiesen und anschließend keinen Gegenwert erhalten hatten. Die Zeugin R. konnte insoweit ohnehin nur von den Angaben des Geschädigten A. ihr gegenüber berichten. Dass die persönliche Vernehmung der Zeugen ein Mehr an relevanter Erkenntnis erbracht hätte, ist ungeachtet entsprechenden – spekulativen – Revisionsvortrags nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auf einem dem Angeklagten rechtsfehlerfrei zugeordneten Laptop für alle Betrugsfälle umfangreiche Verkaufsunterlagen festgestellt werden konnten. Durch den nachfolgenden Gerichtsbeschluss, wonach von einer Vernehmung der Geschädigten A. , M. und X. abgesehen werden könne, nachdem alle Verfahrensbeteiligten auf sie verzichtet hätten und auch die Strafkammer eine Vernehmung zur weiteren Sachaufklärung nicht für erforderlich halte, hat das gesamte Gericht zudem konkludent die Verantwortung für die Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes diese Zeugen betreffend übernommen (vgl. zu diesem Aspekt BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 – 2 StR 78/10 , NStZ 2010, 649). Dies erfasste konkludent auch die Zeugin R. , die lediglich mittelbar zu den Angaben des Geschädigten A. hätte bekunden können.

c) Die insoweit auch erhobene Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO erweist sich bereits deswegen als unzulässig, weil nicht vorgetragen wird, was die Strafkammer zur Erhebung des vermissten Beweises hätte drängen müssen. Den Behauptungen der Revision, die Zeugen hätten den Angeklagten als Täter ausgeschlossen, fehlt es an Anknüpfungstatsachen.“

Selbstständiges Einziehungsverfahren, oder: Entscheidung durch Beschlus oder aufgrund Hauptverhandlung?

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Dresden, Beschl. v. 27.09.2019 – 2 Ws 212 u. 213/19 – hat eine verfahrensrechtliche Problematik in Zusammenhang mit Einziehung zum Gegenstand. Es geht nämlich um die Frage, ob und wann im selbstständigen Einziehungsverfahren aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden ist. Das OLG Dresden sagt – anders als zuvor das LG: Wenn ein Verfahrensbeteiligter einschließlich des Einziehungsbeteiligten dies beantragt, muss aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden. Daran hat sich durch die Refomr nichts geändert:

„1. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im selbständigen Einziehungsverfahren und Entscheidung durch Urteil nach entsprechendem Antrag eines Einziehungsbeteiligten waren bereits gemäß dem vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. Teil I, S. 872) geltenden Verfahrensrecht obligatorisch. Nach § 441 Abs. 3 Satz 1 StPO in der vom 01. Oktober 1968 bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung (a.F.) hatte das zuständige Gericht über einen zulässigen Antrag auf selbständige Einziehung (§ 440 StPO a.F.) aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, wenn die Staatsanwaltschaft oder „sonst ein Beteiligter“ es beantragt hatte oder das Gericht es anordnete. Diese Regelung sollte der bis zum 30. Juni 1968 geltenden Regelung des § 431 Abs. 1 StPO entsprechen, wonach aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden war, wenn „ein Beteiligter“ es beantragt oder das Gericht es angeordnet hatte (siehe BT-Drs. V/1319, S. 82). Mithin war die mündliche Verhandlung zwingend geboten, wenn auch nur einer der Beteiligten am selbständigen Einziehungsverfahren, also die Staatsanwaltschaft, der antragstellende Privatkläger oder ein Einziehungsbeteiligter es beantragten (siehe Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. [2009], § 441 Rn. 10; Karlsruher Kommentar zur StPOISchmidt,7. Aufl. [2013), § 441 Rn. 6: „die StA, der antragstellende Privatkläger oder ein Nebenbeteiligter“). Hiervon geht ausweislich der Beschlussgründe – im Ausgangspunkt zutreffend – auch das Landgericht aus (S. 17 des angefochtenen Beschlusses, Bi. 467 (JA).

2. An der oben dargestellten Rechtslage hat sich entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nach der Gesetzesreform (jetzt §§ 436 Abs. 2, 434 Abs. 3 Satz 1 StPO) nichts geändert.

a) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Aufhebung des § 441 StPO a.F. und die neue Verfahrensregelung durch einen Verweis in § 436 Abs 2 StPO auf eine entsprechende Anwendung des § 434 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht dazu führen, dass der Einziehungsbeteiligte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr durch Antrag erzwingen kann. Dies ergibt sich aus der Begründung des Entwurfs zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Darin heißt es zum Entwurf des § 436 StPO: „Die Vorschrift regelt die Zuständigkeit, die Entscheidungsform und das Rechtsmittel für das selbständige Einziehungsverfahren. Sie entspricht in somit dem bisherigen § 441 StPO.“ (BT-Drs. 18/9525, S. 92). Auch in der hier entsprechend anwendbaren, unmittelbar nur für das Nachverfahren geltenden Vorschrift des § 434 Abs. 3 Satz 1 StPO hat der Reformgesetzgeber entgegen der Darstellung des Landgerichts nicht „bewusst“ den Begriff „Antragsteller“ statt „Beteiligter“ gewählt, um zum Ausdruck zu bringen, dass nur der jeweilige Antragsteller, der das Verfahren einleitet, eine mündliche Verhandlung erzwingen können soll. Denn in der Gesetzesbegründung zu § 434 StPO-E heißt es ebenfalls, dass diese Vorschrift im Hinblick auf die Entscheidungsform dem bisherigen § 441 StPO entspreche (BT-Drs. 18/9525, S. 91). § 441 Abs. 1 StPO a.F. sah aber auch für das Nachverfahren eine obligatorische mündliche Verhandlung nach Antrag der Staatsanwaltschaft oder eines sonstigen „Beteiligten“ vor.

b) Im Gegensatz zur Ansicht des Landgerichts kann ein dem Antragsrecht des Einziehungsbeteiligten entgegenstehender Wille des Reformgesetzgebers schon deswegen nicht dem Wortlaut des § 434 Abs. 3 Satz 1 StPO entnommen werden, weil die Verweisungsvorschrift des § 436 Abs. 2 StPO diese Regelung nicht für unmittelbar, sondern lediglich für entsprechend anwendbar erklärt. Zu Recht weist der Verfahrensbevollmächtigte des Einziehungsbeteiligten zu 1. darüber hinaus darauf hin, dass die systematische Auslegung der genannten Vorschriften sowie deren ratio legis ebenfalls für ein eigenes Antragsrecht des Antragstellers sprechen. Denn auch in dem dem selbständigen Einziehungsverfahren vergleichbaren Verfahren nach Abtrennung der Einziehung (§§ 422, 423 StPO) hat jeder, „gegen den sich die Einziehung richtet“ (§ 423 Abs. 4 Satz 2 StPO), also jeder Einziehungsadressat einschließlich des Angeklagten im rechtskräftig abgeschlossenen Hauptverfahren, das Recht, durch seinen Antrag eine mündliche Verhandlung zu erzwingen. Weder aus den Gesetzesmaterialien noch sonst ist ein sachlicher Grund ersichtlich, dass und warum man einem ehemals beschuldigten Einziehungsadressaten, dessen Schuld gegebenenfalls sogar im Rahmen einer vorangehenden mündlichen Verhandlung festgestellt worden ist, im Verfahren der Einziehung nach Abtrennung ein eigenes Recht auf Erzwingung einer mündlichen Verhandlung einräumen sollte, dem ehemals beschuldigten Einziehungsadressaten im selbständigen Einziehungsverfahren aber nicht, obwohl dieser möglicherweise gar nicht Gelegenheit hatte, sich in einer vorangegangenen mündlichen Verhandlung gegen den der Einziehung zugrundeliegenden Tatvorwurf zu verteidigen.

c) Mithin ist auch nach der Gesetzesreform von einem eigenen Antragsrecht jedes Verfahrensbeteiligten einschließlich der Einziehungsbeteiligten auszugehen  (siehe Meyer-Goßner/Köhler, StPO, 62. Aufl., § 436 Rn. 10; Karlsruher Kommentar zur StPO/Schmidt, 8. Aufl., § 436 Rn. 9; Graf, StPO, 3. Aufl. § 436 Rn. 6; Köhler/Burkhard, Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, NStZ 2017, 665).“

Keine Berichtigung eines BGH-Beschlusses, oder: Auch der BGH macht Fehler

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Auch beim BGH wird nur mit Wasser gekocht. Das war mein Gedanke beim Lesen des BGH, Beschl. v. 15.01.2019 – 4 StR 56/16. Warum? Nun, der BGH hat in seinem BGH, Beschl. v. 17.03.2016 – 4 StR 56/16 – einen Fehler gemacht. In dem Beschluss hatte er das angefochtene Urteil des LG Frankenthal im Adhäsionsausspruch ergänzt, die weiter gehende Revision als unbegründet verworfen und der Angeklagten die Kosten des Rechtsmittels auferlegt. Allerdings hatte er vergessen, der Angeklagten auch die Kosten der Nebenklägerin aufzuerlegen. Das hatte jetzt nachträglich die Nebenklägerin beantragt. Sie ist damit beim BGH gescheitert:

„Bei seiner Entscheidung über die Revision der Angeklagten hat es der Senat versehentlich versäumt, der Angeklagten auch die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Neben- und Adhäsionsklägerin aufzuerlegen. Dieser Fehler, der die Entscheidung selbst und nicht nur deren Verlautbarung betrifft, ist einer Berichtigung nicht zugänglich (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Januar 1999 – 1 StR 577/98, NStZ-RR 2000, 39; vgl. Ott in KK-StPO, 7. Aufl., § 260 Rn. 13 mwN). Eine nachträgliche inhaltliche Änderung der Kostenentscheidung des – grundsätzlich nicht abänderbaren (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2015 – 4 StR 24/15, BGHR StPO § 349 Abs. 2 Beschluss 6 mwN) – Senatsbeschlusses vom 17. März 2016 ist rechtlich ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2012 – 4 StR 631/11, NStZ-RR 2012, 159; vom 24. Juli 1996 – 2 StR 150/96, NStZ-RR 1996, 352; vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 464 Rn. 8, 12 mwN).“

Es beruhigt (?), dass auch beim BGH Fehler gemacht werden. Die Nebenklägerin natürlich nicht, denn sie bleibt auf ihren Kosten sitzen.

Ich komme auf die Entscheidung am Freitag im RVG-Rätsel noch einmal zurück. Denn daran knüpfen sich gebührenrechtliche Fragen 🙂 .