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Verwerfung II: Pflichtverteidiger auch nicht da, schwupps Berufung verworfen?

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Nach dem OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2015 – 1 Ss 322/15 (dazu: Verwerfung I: Nachforschen muss das LG, oder: So einfach ist das nicht….) hier nun der OLG Köln, Beschl. v. 24.06.2016 – 1 RVs 114/16 – mit folgender Verfahrenskonstellation: Das AG Aachen hat den Angeklagten u.a. wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Seine dagegen gerichtete Berufung hat das LG in Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO verworfen. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, der am Terminstag erkrankte Pflichtverteidiger habe auf telefonische Nachfrage erklärt, nicht über eine Vertretungsvollmacht „i. S. d. § 329 n. F. StPO“ zu verfügen.

Das geht so nicht, meint das OLG Köln, denn:

„2. Die danach zulässig erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO ist auch begründet. Da vorliegend ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist, durfte die Hauptverhandlung ohne Rechtsanwalt L (oder einen anderen Pflichtverteidiger) nicht stattfinden, § 145 Abs. 1 StPO, und hätte eine Vertagung wegen dessen krankheitsbedingter Verhinderung auch unabhängig von einem Antrag schon von Amts wegen erfolgen müssen. Wenn die Hauptverhandlung aber unabhängig vom Erscheinen des Angeklagten vertagt werden muss, wird durch das Nichterscheinen des Angeklagten nicht die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung eröffnet. Der Zweck des § 329 Abs. 1 StPO besteht darin, zu verhindern, dass der Angeklagte durch sein Nichterscheinen die Entscheidung über die Berufung verhindert. Kann aber ohnehin aus anderen Gründen – hier wegen der krankheitsbedingten Verhinderung des Verteidigers – die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden, wird eine Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO durch den Normzweck nicht mehr gedeckt (vgl. insgesamt SenE v. 29.09.2006 – 81 Ss 117/06; SenE v. 17.02.2016 – III-1RVs 24/16).

Der Senat folgt damit nicht der in der Kommentarliteratur vertretenen – auf eine ältere Entscheidung des OLG Hamm (NJW 1970, 1245) zurückgehenden – Auffassung, dass die Abwesenheit des Verteidigers die Berufungsverwerfung wegen Säumnis nicht hindert (so: Meyer/Goßner-Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 329 Rz. 5;  Löwe-Rosenberg-Gössel, StPO, 26. Auflage 2013, § 329 Rz. 31; SK-StPO-Frisch, 4. Auflage 2013, § 329 Rz. 41; AnwKomm-StPO-Rotsch/Gasa, § 329 Rz. 2). Die hierfür gegebene Begründung, im Falle des § 329 StPO finde keine Sachverhandlung statt, greift nach Auffassung des Senats zu kurz, weil der Verteidiger Entschuldigungsgründe vorbringen (abweichend daher für den Fall, dass sich die „besondere Schwierigkeit“ im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO gerade auf den möglichen Entschuldigungsgrund bezieht OLG Stuttgart NStZ-RR 2004, 338 [339]) oder auch im Verfahren gemäß § 329 Abs. 1 StPO beachtliche Rechtsausführungen – etwa zum Vorliegen von Verfahrenshindernissen – machen kann.

Dieselbe Erwägung trägt denn auch die weithin akzeptierte Auffassung, dass die fehlende Ladung des Verteidigers (hierzu: Senat VRS 98, 138 [139]; BayOblG NStZ-RR 2001, 374 = VRS 100, 452 = DAR 2001, 372; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 Rz. 12; Löwe/Rosenberg-Gössel, a.a.O. Rz. 44; SK-StPO-Frisch, a.a.O. Rz. 15; KMR-Brunner, StPO, § 329 Rz. 11; Radtke/Hohmann-Beukelmann, StPO, § 329 Rz. 9 aE) oder dessen fehlende Bestellung im Falle notwendiger Verteidigung (hierzu: OLG Brandenburg zfs 2010, 347 [349]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2008, 312 = StV 2009, 12; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; SK-StPO-Frisch a.a.O. Rz. 28) die Berufungsverwerfung wegen Säumnis des Angeklagten hindert. Für den Senat ist kein Sachgrund ersichtlich, den Fall krankheitsbedingter Verhinderung des Verteidigers abweichend zu behandeln. Es trifft zwar zu, dass in den genannte Fällen ein aus der Sphäre des Gerichts herrührender Fehler vorliegt, doch hätte hier wie dort der anwesende Verteidiger ggf. die Verhandlung zu Gunsten seines Mandanten beeinflussen und eine Verwerfung der Berufung verhindern können (Senat a.a.O.) bzw. wäre es zu einem Ausbleiben des Angeklagten (möglicherweise) nicht gekommen (SK-StPO-Frisch, a.a.O. Rz. 28). Vor diesem Hintergrund ist daher ohne Bedeutung, aus welchem Grund der Angeklagte im Termin zur Berufungshauptverhandlung nicht verteidigt ist. Ebenso ist aus den vorstehend dargestellten Gründen nicht von Belang, ob der Verteidiger über eine Vertretungsvollmacht verfügte.“

Liegt m.E. eigentlich auf der Hand, oder?

Verwerfung I: Nachforschen muss das LG, oder: So einfach ist das nicht….

© Corgarashu – Fotolia.com

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Heute dann mal ein Tag, der sich mit Entscheidungen zur Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO befasst. Ein weites Feld, in dem es, weil die Tatgerichte häufig Fehler machen, häufig zur Aufhebung der Verwerfungsentscheidung kommt. Eröffnen will ich den Reigen mit dem schon etwas älteren OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2015 – 1 Ss 322/15, der zunächst zum Umfang der Ausführungen im Verwerfungsurteil Stellung nimmt, wenn ein zur Entschuldigung vorgelegtes ärztlichen Attestes als nicht ausreichend angesehen und die Berufung des Angeklagten verworfen wird. Dann muss der wesentliche Inhalt des ärztlichen Attestes im Urteil mitgeteilt werden.

Aber das ist noch nicht alles, was das OLG beanstandet hat. Ihm passen auch die Ausführungen des LG zum Entschuldigungsgrund ersichtlich nicht:

„Nach ständiger Rechtsprechung kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte sich entschuldigt hat, sondern nur, ob er entschuldigt ist (vgl. BGHSt 17, 391; OLG Frankfurt am Main -2 Ss 178/11-; -1 Ss 113/10-; OLG Köln StraFo 2006, 213; KG Berlin VRS 108, 110; OLG München StraFo 2014, 79; OLG Stuttgart DAR 2004, 165).

Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigen Zweifel des Richters an der attestierten Erkrankung oder die mangelnde Glaubhaftmachung der Entschuldigung, etwa weil die Art der Erkrankung in dem Attest nicht angegeben ist, grundsätzlich nicht die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO (OLG Frankfurt am Main -I Ss 253/12-; -2 Ss 67/95-; StV 1988, 100; BayObLG VRS 92, 279; OLG Köln 2006, 413; OLG Stuttgart DAR 2004, 165; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, § 329 Rdn. 22). Legt ein Angeklagter — wie hier — ein ärztliches Attest vor, nach dessen Inhalt er am Erscheinen in der Hauptverhandlung gehindert ist, so ist dies jedenfalls solange als Entschuldigung anzusehen, als nicht das Gericht selbst im Wege des Freibeweises belegbar festgestellt hat, dass es inhaltlich unrichtig ist (OLG Frankfurt am Main -2 Ss-OWi 1100/14-, -1 Ss 253/12-; -2 Ss 178/1I-; OLG Düsseldorf VRS 87, 439; OLG Hamm StV 1993, 7).

Hinweisen auf einen Entschuldigungsgrund muss das Gericht deshalb von Amts wegen nachgehen und im Zweifelsfall Nachforschungen im Wege des Freibeweises durch Rückfrage bei dem behandelnden Arzt anstellen (OLG Frankfurt am Main -2 Ss-OWi 330/15-; -1 Ss 253/12-; OLG Düsseldorf VRS 78, 138), der infolge der Vorlage seiner ärztlichen Bescheinigung konkludent von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbunden worden ist (OLG Frankfurt am Main -1 Ss 253/12-; BayObLG NStZ-RR 1999, 143; OLG Karlsruhe NStZ 1994, 141; OLG München StraFo 2014, 79).

Verbleibende Zweifel an der genügenden Entschuldigung dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen (OLG Frankfurt am Main -1 Ss 253/12-; -2 Ss 178/11-; -1 Ss 113/10-; -1 Ss 117/09-; StV 1988, 100; OLG Stuttgart DAR 2004, 165; OLG Düsseldorf VRS 78, 138; OLG Köln StraFo 2006, 413).

Die Gründe des Verwerfungsurteils lassen besorgen, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung diese Maßstäbe verkannt hat. Denn die Strafkammer hatte Zweifel an dem vorgelegten Attest, hat es jedoch unterlassen, diesen Zweifeln nachzugehen, indem es etwa bei der das Attest ausstellenden Ärztin nachgefragt hätte.

Nachforschungen durften auch nicht deshalb unterbleiben, weil die gleiche Ärztin — wie die Strafkammer in den Urteilsgründen ausführt — dem Angeklagten bereits ein Jahr zuvor ähnliche Beschwerden bescheinigt hatte. Dieser Umstand erlaubt keinen Rückschluss dergestalt, dass dem neuen Attest von vornherein keine entschuldigende Bedeutung mehr zukommen konnte. Soweit das Landgericht im Urteil weiter ausführt, das Attest sei in sich widersprüchlich, weil es darin einmal heißt, der Angeklagte könne weder gehen noch sitzen und dann er könne weder gehen noch stehen, stellt dies keinen derartigen Widerspruch dar, dass es sich bei dem Attest ganz offensichtlich nur um ein Gefälligkeitsattest handeln kann. Denn diese beiden Feststellungen schließen sich keineswegs aus, sondern könnten durchaus auch ergänzend zu verstehen sein. Soweit die Strafkammer schließlich einen weiteren Widerspruch darin erblickt, dass dem Angeklagten einerseits bescheinigt wird, er könne nicht gehen, andererseits aber eine Anamnese im Gang erfolgt sein soll, fehlt es bereits an einer vollständigen Mitteilung der erfolgten Anamnese (siehe dazu bereits oben). Aus der Revisionsbegründung (RB S. 3) geht jedoch hervor, dass das Landgericht, das Attest insoweit unvollständig wiedergegeben hat. Zur Anamnese heißt es nämlich in dem Attest: „ […] Gang in Anteflektion (in Vorneigung). Das vollständige Aufrichten ist nicht möglich mit algischen Bestandteil.“ Demnach ist die Anamnese nur in einem geneigten Gang erfolgt. Ein vollständiges Aufrichten war nicht möglich und es wurden zudem Schmerzen dokumentiert. Ein eindeutiger Widerspruch zu der Feststellung der Angeklagte könne nicht gehen, der jede weitere Nachforschung erübrigt hätte, ergibt sich daraus nicht. Diese Formulierungen sind allenfalls dazu geeignet, Zweifel an dem Aussagegehalt des Attestes zu begründen. Die Unglaubwürdigkeit des Attestes stand damit aber noch nicht fest (vgl. OLG Frankfurt am Main —StV 1988, 100). Die Zweifel hätten das Landgericht dann aber — insbesondere unter Berücksichtigung der weiteren eindeutigen Ausführungen in dem Attest — dazu bewegen müssen, Nachforschungen bei der das Attest ausstellenden Ärztin zu veranlassen.

Schließlich lässt auch die Formulierung in dem angefochtenen Urteil „die angedachte ambulante Behandlung mit insbesondere Schmerzmedikamenten spricht gegen eine andauernde Bewegungsunfähigkeit“ (UA S. 3) besorgen, dass die Strafkammer die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verkannt hat. Denn die Krankheit würde den Angeklagten nicht nur dann entschuldigen, wenn er dauerhaft bewegungsunfähig wäre, sondern bereits dann, wenn sie ihm nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung — auch nur vorübergehend — unzumutbar macht (vgl. OLG Frankfurt am Main -1 Ss 210/09-; -1 Ss 113/10¬; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 281; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 Rn. 26 m.w.N.).“

Ja, so einfach ist das mit der Berufungsverwerfung nicht….

Was ein Laie so alles wissen können soll/muss, oder: Spitzfindig?

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Die fehlerhafte Interpretation einer Ladung zu einem Fortsetzungstermin als Mitteilung einer Verlegung des Beginns einer Berufungshauptverhandlung, die bei sorgfältigem Lesen des weiteren Ladungsschreibens vermeidbar gewesen wäre, vermag ein Ausbleiben bei Beginn der Berufungshauptverhandlung nicht genügend zu entschuldigen. So das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 29.04.2016 – 1 Ss 20/16, in dem die Revision gegen einnach § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil verworfen worden ist.

Wenn man den Beschluss liest, fragt man sich, was ein Laie so alles wissen können soll/muss. Ausgangspunkt bei § 329 StPO und der Beantwortung der Frage, ob ein Ausbleiben im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO genügend entschuldigt ist, ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung doch imemr, dass zu Gunsten eines nicht erschienenen Angeklagten ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (BGHSt 17, 391, 397; s. auch Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl., 2016, Rn. 710 ff. m.w.N.). Entscheidend ist danach, ob dem Angeklagten nach den Umständen des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise ein Vorwurf zu machen ist.

Davon geht  zwar auch das OLG aus, hat dann aber dennoch das Ausbleiben der Angeklagten als nicht genügend entschuldigt angesehen. Denn in dem Ladungsschreiben, dass der Angeklagte falsch verstanden hatte, war von einer Ladung zu einem weiteren Hauptverhandlungstermin die Rede. Die Formulierung „ist Termin zur Fortsetzung der Berufungshauptverhandlung vom 28.01.2016 (…) bestimmt auf (…)“ mache – so das OLG – zweifelsfrei deutlich, dass der (ursprüngliche) Hauptverhandlungstermin nicht verlegt, sondern zusätzlich ein weiterer Termin bestimmt worden war. Denn Fortsetzen lasse sich nur eine bereits begonnene Hauptverhandlung. Bei dem Begriff „Fortsetzung“ handele es sich auch nicht um einen juristischen Fachterminus, sondern um ein Wort aus der Alltagssprache. Etwas anderes soll nach Auffassung des OLG wohl gelten, wenn von einem „Fortsetzungstermin“ die Rede ist (so auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 4. 9. 08 – 1 Ws 170/08).

Eine m.E. für einen juristischen Laien doch recht spitzfindige Unterscheidung.

Berufungsverwerfung: Neues Recht – altes Recht?

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Am 25.07.2015 ist „Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ vom 17. Juli 2015 mit der in § 329 Abs. 1 StPO erweiterten Vertretungsmöglichkeit des Angeklagten in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung durch einen „vertretungsbereiten Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht“ in Kraft getreten (BGBl. I, S. 1332; vgl. dazu Heute in Kraft getreten: Änderungen im Berufungsrecht und im RVG). Dazu liegt jetzt die erste – soweit ich das übersehe – obergerichtliche Entscheidung vor, nämlich der KG, Beschl. v. 16.09.2015 – (2) 121 Ss 141/15 (051/15).

Allerdings: Der behandelt keine materielle Verfahrensfrage der eigentlichen Änderungen im § 329 StPO, sondern es geht um eine Übergangsproblematik. Und zwar wie folgt: Das LG Berlin hatte am 07.07.2015 – also noch nach altem Recht – eine Berufung verworfen. Dagegen ist Revision eingelegt worden, mit der  die Verletzung formellen und materiellen Rechts durch die fehlerhafte Anwendung des § 329 StPO a.F. gerügt worden ist. Der Angeklagte hat geltend gemacht, das LG habe die Berufung trotz seines Ausbleibens nicht gemäß § 329 Abs. 1 StPO a.F. verwerfen dürfen. Vielmehr hätte es ihn in konventionskonformer Auslegung der genannten Vorschrift als durch seine Verteidigerin in zulässiger Weise vertreten ansehen müssen. In dem Zusammenhang prüft das KG die Frage, ob für das Revisionsverfahren § 329 StPO in der alten oder in der ab 25.07.2015 geltenden Fassung zugrunde zu legen ist. Es entscheidet sich für § 329 StPO a.F.

„Der Nachprüfung war die bis zum 24. Juli 2015 geltende Fassung des § 329 StPO zugrunde zu legen. Das „Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheits-entscheidungen in der Rechtshilfe“ vom 17. Juli 2015 mit der in § 329 Abs. 1 StPO erweiterten Vertretungsmöglichkeit des Angeklagten in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung durch einen „vertretungsbereiten Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht“ ist erst am 25. Juli 2015 in Kraft getreten (BGBl. I 1332) und findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Regelungen über eine Rückwirkung enthält das Gesetz nicht. Nach dem Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts erfasst eine Änderung des Verfahrensrechts, soweit – wie hier – nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, zwar auch bereits anhängige Verfahren (vgl. BVerfGE 87, 48; BGHSt 22, 321; BGHSt 26, 288; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. März 2007 – 3 Ws 240/07 –, [juris]; OLG Hamburg NStZ-RR 2003, 46; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 354a, Rdn. 4). Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Rechtsvorschriften, sondern auch für Bestimmungen, welche die Stellung von Ver-fahrensbeteiligten, ihre Befugnisse und Pflichten betreffen, sowie für Vorschriften über die Vornahme und Wirkungen von Prozesshandlungen (vgl. BGHSt 22, 321, 325). Die Änderung erfasst das Verfahren aber in der Lage, in der es sich bei Inkrafttreten der neuen Vorschrift befindet (vgl. BGHSt 22, 325). Für ein bereits beendetes prozessuales Geschehen gilt eine Verfahrensänderung nicht (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamm NJW 1975, 701, BayObLGSt 1954, 92; Franke in Lö-we/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 354a Rdn. 6; Gericke in KK, StPO 7. Aufl., § 355 Rdn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., Einl. Rdn. 203). „

Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht: In diesem Sonderfall also altes Recht, ansonsten – wenn es in am 25.07.2015 bereits anhängigen Verfahren jetzt oder demnächst um die Berufungsverwerfung geht bzw. seit dem 25.07.2015 gegangen ist: Neues Recht.

Berufungsverwerfung: Privatärztliches Attest reicht zur Entschuldigung

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Ich habe vor einigen Tagen über den KG, Beschl. v. 04.06.2015 – 3 Ws (B) 264/15 – 122 Ss 73/15 berichtet (vgl. Arztpraxis nicht erreichbar – ok, dann verwerfe ich eben…) sowie über den KG, Beschl. v. 29.06.2015 – 3 Ws (B) 222/15 —162 Ss 36/15, vgl. dazu Niemand anwesend?, ok, dann verwerfe ich eben nach 2 Minuten….) berichtet. In den Kontext passt ganz gut der OLG Köln, Beschl. v. 03.02.2015 – 1 RVs 3/15. Der hat auch eine Verwerfungsproblematik zum Inhalt, allerdings nicht im Bußgeldverfahren, sondern im Berufungsverfahren (§ 329 Abs. 1 StPO). Es geht um die Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung des krankheitsbedingten entschuldigten Fernbleibens von der Hauptverhandlung.

Der Angeklagte war in der Hauptverhandlung ausgeblieben. Seine Berufung ist dann nach § 329 Abs. 1 StPO a.F. verworfen worden. Dagegen hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu vorgetragen, dass er  – so die Ausführungen im OLG, Beschluss -, „am 08.09.2014 verhandlungsunfähig gewesen sei. Dieser leide „seit geraumer Zeit an einer nicht näher bezeichneten somatoforme(n) Störung, einer Gastritis, einer Achalasie, sowie an einer anankastischen Persönlichkeitsstörung.“ Hierbei handele es sich um eine chronische Erkrankung, die mit täglichem Erbrechen einhergehe und zu einem starken Gewichtsverlust des Mandanten geführt habe, der aktuell nur noch 46 kg wiege. Am Verhandlungstag sei der Mandant fiebrig, bettlägerig und aufgrund von akuten Brechzuständen nicht in der Lage gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Zur Glaubhaftmachung hat er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Hausarztes Dr. med. C vom 10.09.2014 für die Zeit vom 08.09.2010 bis zum 10.09.2010 vorgelegt, die eine „Somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet, G. {F45.9G}“ ausweist (Bl. 127 d. A.), sowie eine ausführliche ärztliche Bescheinigung vom 17.06.2014, welche sämtliche bislang erhobenen Diagnosen, die Anamnese und Medikationen beschreibt (Bl. 124 ff. d. A.). ….„.

Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, das OLG hat dann Wiedereinsetzung gewährt. Es verweist nochmals darauf, dass der Begriff der genügenden Entschuldigung nicht eng ausgelegt werden dürfe. Eine Entschuldigung sei dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seiner öffentlich-rechtlichen Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d. h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolge dessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden könne.  Eine krankheitsbedingte Verhinderung liegt nicht etwa erst dann vor, wenn Verhandlungsunfähigkeit begründet ist. Zur Glaubhaftmachung der Krankheit genügt in der Regel die Vorlage eines privatärztlichen Attestes. Und dann:

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Angeklagte sein Fernbleiben am 8. September 2014 mit den vorgelegten Unterlagen hinreichend entschuldigt.

Dem Gesamtzusammenhang der vorgelegten Atteste und Bescheinigungen vom 17. Juni 2014, 10. September 2014 und 17. September 2014 ist zu entnehmen, dass die gravierende chronische Erkrankung des Angeklagten – somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet, G. {F45.9G}, die sich beim Angeklagten u.a. auch in einer Gastritis, einer Achalasie der Speiseröhre, Gewichtsabnahme und Brechzuständen äußert – seit 2013 und auch am 8. September 2014 vorgelegen hat. Ausweislich der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 10. September 2014 war der Angeklagte vom 8. bis zum 10. September 2014 arbeitsunfähig aufgrund ebendieser Diagnose. Alle vorgelegten Bescheinigungen sind vom Hausarzt des Angeklagten ausgestellt worden, bei dem er sich seit 2005 in Behandlung befindet. Der Verteidiger hat zudem mitgeteilt, der Angeklagte sei am Verhandlungstag fiebrig und bettlägerig und aufgrund von akuten Brechzuständen nicht in der Lage gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Gerade diese Brechzustände sind Folgen der beim Angeklagten bestehenden chronischen Erkrankung. Die ärztliche Bescheinigung vom 17. Juni 2014 bescheinigt dem Angeklagten seit 2012 Schluckbeschwerden und Erbrechen. Da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 10. September 2014 dieselbe Diagnose der chronischen Erkrankung enthält, kann hieraus geschlossen werden, dass der Angeklagte am Terminstag tatsächlich an den vom Verteidiger mitgeteilten körperlichen Beschwerden litt. Dabei führt insbesondere das Erbrechen zur Unzumutbarkeit der Terminswahrnehmung. Anhaltspunkte für die Annahme, es handele sich um durch Täuschung erschlichene oder erbetene „Gefälligkeitsatteste“ (vgl. SenE v. 25.04.2002 – Ss 38/02 -), sind nicht ersichtlich.

Nach allem hat der Angeklagte die Unzumutbarkeit einer Teilnahme an der Hauptverhandlung ausreichend glaubhaft gemacht.

Und: Das OLG hat nicht nur Wiedereinsetzung gewährt, sondern das Verfahren auch gleich eingestellt, weil kein wirksamer Eröffnungsbeschluss vorgelegen hat. Das ist doch mal ein Erfolg, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob das OLG einstellen konnte/durfte oder nicht hätte zurückverweisen müssen. Denn duch die Wiedereinsetzung ist die Revision des Angeklagten gegen das Urteil gegenstandslos, insoweit konnte/durfte das OLG also gar nicht prüfen. Habe ich jetzt aber nicht zu Ende gedacht. Und den Angeklagten wird es eh nicht interessieren.