Schlagwort-Archive: Berufungsverwerfung

Die Gerichtssprache ist deutsch, oder: Unwirksame Ladung?

© fotomek -Fotolia.com

© fotomek -Fotolia.com

Auf den ersten Blick überraschend, aber leider entsprechend der h.M. in der Rechtsprechung der OLG, ist der OLG Hamm, Beschl. v. 25.10.2016 – 3 RVs 72/16. Es geht um die Revision gegen ein nach § 329 Abs. 1 StPo ergangenes Verwerfungsurteil. Der Angeklagte ist jesidischer Kurde, der nur über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfüg. Er erscheint nicht zur Berufungshauptverhandlung und wendet dann gegen das Berufungsurteil ein: Unwirksame Ladung, denn die mit der Ladung erfolgte Belehrung über die Bedeutung und die Folgen des Fernbleibens im Berufungshauptverhandlungstermin sei nicht verständlich gewesen sei. Da die Ladung nebst Belehrung nicht in übersetzter Form an ihn zugestellt worden sei, sei sein Anspruch auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren verletzt und habe die Strafkammer das Nichterscheinen des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen und verwerfen dürfen.

Dazu die Leitsätez des OLG – so weit sie hier interessieren:

  1. Die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung – einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO – ist in deutscher Sprache abzufassen, weil die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG).
  2. Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird.
  3. Zur ordnungsgemäßen Erhebung der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren bedarf es in einem solchen Fall des Vortrags, dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war.
  4. Der Protokollvermerk über eine Rechtsmittelbelehrung beweist nicht nur die Belehrung als solche, deren Richtigkeit und Vollständigkeit, sondern bei Anwesenheit eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung auch deren korrekte Übersetzung.

Überraschend, weil man meint: Wenn die Ladung nicht ordnungsgemäß war, dann ist die Ladung doch auch unwirksam. Mitnichten, denn:

„Da die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG) war die Ladung des Angeklagten – einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO – in deutscher Sprache abzufassen (vgl. BGH NJW 1984, 2050; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., GVG, § 184 Rdnr. 3). Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird (vgl. BayObLG NStZ 1996, 248; OLG Köln NStZ-RR 2015, 317).“

Eine nähere Begründung für diese Auffassung bringt das OLG nicht, sondern es verweist einfach auf die Rechtspechung anderer OLG. Da muss man dann den OLG Köln, Beschluss lesen, um zu erfahren, dass diese Fragen über die Wiedereinsetzung gelöst werden sollen – oder auch nicht.

Im Übrigen: Das OLG legt die Hürden für die Revision mal wieder sehr hoch (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), wenn es vom Angeklagten verlangt, dass vorgetragen werden muss, „dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war.“ Also Vortrag einer Nichttatsache.  Ein schwieriges Feld.

Berufungsverwerfung: Wie muss/sollte die Vertretungsvollmacht formuliert sein.

© Gerhard Seybert - Fotolia.com

© Gerhard Seybert – Fotolia.com

Mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 06.09.2016 – 4 RVs 96/16 – wird ein Strafverfahren abgeschlossen, in dem die Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist. In der Berufungshauptverhandlung war der Verteidiger des Angeklagten anwesend. In der Revision macht der Angeklagte geltend, der Verteidiger sei mit einer schriftlichen Vertretervollmacht versehen gewesen, so dass die Berufung nicht hätte verworfen werden dürfen. Die Revision scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. In dem Zusammenhang macht das OLG Ausführungen zur „Vertretungsvollmacht“, die mich als Verteidiger vielleicht veranlassen sollten, die eigenen Vollmachten mal zu prüfen:

Die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge wegen einer gesetzeswidrigen Verwerfung der Berufung des in der Berufungshauptverhandlung abwesenden Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO entspricht schon nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO. Danach muss eine Verfahrensrüge so ausgeführt werden, dass das Revisionsbericht allein auf Grund der Revisionsrechtsfertigungsschrift prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen.

Da die Rüge sich dagegen richtet, dass das Berufungsgericht die Berufung des Angeklagten verworfen hat, obwohl ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung erschienen sein soll, hätte es des Vortrags bedurft, dass eine solche schriftliche Vollmacht für diesen Verteidiger vorgelegen hat. Das ist nicht der Fall. Der Angeklagte trägt in der Revisionsbegründung lediglich vor, dass sein Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung seine schriftliche Vollmacht zu den Akten gereicht habe. Er trägt auch vor, dass diese Vollmacht von dem Angeklagten unterzeichnet gewesen sei. Er zitiert dann die Vollmacht. Darin heißt es allerdings zum Vollmachtgeber lediglich: „Herr/Frau (Vorname und Name – nachfolgend Mandant)“. Kann man eventuell – trotz der fehlenden Wiedergabe des Namens des Vollmachtsgebers – noch davon ausgehen, dass der Angeklagte die Vollmacht für sich selbst und nicht etwa seinerseits in Vertretung für einen Dritten erteilt hat, so fehlt es jedoch an der Angabe, dass sich die (Vertretungs-)Vollmacht, die auch in dem Vollmachtsformular, welches zur Verteidigerbeauftragung enthalten sein kann (vgl. BGH NJW 1956, 1727, 1728; zweifelnd: OLG Hamm, Beschl. v. 03.04.2014 – 5 RVs 11/14), zumindest auch auf das vorliegende Verfahren bezog. Insoweit heißt es in dem in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegebenen Zitat aus der Vollmacht lediglich: „Herr/Frau (Vorname und Name– nachfolgend Mandant) bevollmächtigt Herrn Rechtsanwalt S (nachfolgend: „Auftragnehmer“) mit der anwaltlichen Beratung und Vertretung in der Angelegenheit gegen … wegen (Gegenstand) [Anm. des Senats: Auslassungen jeweils aus der Revisionsbegründungsschrift übernommen]“. Damit wird zwar deutlich, dass sich die Vollmacht auf eine bestimmte Angelegenheit beziehen soll, offen bleibt aber, auf welche. Der weitere Angriffspunkt, der sich auf die Begründung im angefochtenen Urteil im Zusammenhang mit § 411 Abs. 2 S. 1 StPO bezieht, kann angesichts der schon fehlenden Darlegung einer Vertretungsvollmacht ebenfalls nicht zum Erfolg der Revision führen.

Der Senat kann daher dahinstehen lassen, ob – wie die Generalstaatsanwaltschaft meint – sich aus der Formulierung der Vertretungsregelung in der Vollmacht ergebe, dass sie sich nicht auf die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung beziehe. Dort heißt es: „Die Vollmacht wird ferner erteilt zur Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen, und zwar auch für den Fall der Abwesenheit des Auftraggebers zur Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach §§ 233 Abs. 1, 234 StPO […]“.  Angesichts der klaren Regelung „Vertretung in allen Instanzen“ wird man den Einschub („und zwar auch[…]“), wohl eher nicht als Beschränkung auf diesen Fall, sondern als Verdeutlichung für diesen Fall verstehen müssen. Schon die Formulierung „auch“ deutet nicht auf eine Einschränkung von „in allen Instanzen“ hin. Dafür spricht auch, dass nach zu § 411 Abs. 2 S. 1 StPO ergangener Rechtsprechung eine ausdrückliche Erwähnung der Vertretungsberechtigung für den Fall der Abwesenheit des Mandanten ohnehin nicht erforderlich ist (BGH NJW 1956, 1727; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.05.1991 – 5Ss 171/91 – 53/91 I – juris LS; Gössel in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 411 Rdn. 31 m.w.N.).

Für künftige Fälle gibt es dann noch einen Hinweis an das LG:

„Vorsorglich weist der Senat für zukünftige Fälle darauf hin, dass die Auffassung des Landgerichts, dass der mit einer (ordnungsgemäßen) schriftlichen Vertretungsvollmacht erschienene Verteidiger erklären müsse, dass er für den Angeklagten in dessen Abwesenheit verhandeln wolle, so nicht zutreffen dürfte. In den Gesetzgebungsmaterialien zu § 329 StPO in der aktuellen Fassung heißt es vielmehr: „Im Hinblick auf den Verteidiger setzt ein „Erscheinen“ im Rechtssinne weiterhin voraus, dass der mit Vertretungsvollmacht ausgestattete Verteidiger auch zur Vertretung bereit ist, mit anderen Worten also nicht von vornherein erklärt oder zu erkennen gibt, den Angeklagten nicht vertreten zu wollen.“ (BT-Drs. 18/3562 S. 69). Weiter ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber an den Sinngehalt des „Erscheinen“ nach alter Rechtslage anknüpfen wollte. Nach der seinerzeitigen Rechtsprechung zur vergleichbaren Regelung in § 411 Abs. 2 S. 1 StPO war es so, dass eine ausdrückliche Erklärung seiner Vertretungsbereitschaft durch den Verteidiger nicht erforderlich war, sondern diese lediglich verneint wurde, wenn Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass er es überhaupt nicht zu einer Sachverhandlung habe kommen lassen wollen (OLG Bremen, Beschl. v. 18.12.2007 – Ss 42/07; OLG Celle, Beschl. v. 09.04.2009 – 32 Ss 21/09 – juris; Kurth/Brauer in: HK-StPO, 5. Aufl., § 411 Rdn. 12; vgl. auch: Gössel a.a.O., § 411 Rdn. 30; weitergehend – aber zwflh. – sogar: BayObLG MDR 1981, 73). Auch dem Gesetzeswortlaut lässt für das Erfordernis einer ausdrücklichen Erklärung nichts entnehmen. Es ist also zwar grundsätzlich eine Bereitschaft des Verteidigers zur Vertretung des Angeklagten erforderlich. Diese kann aber nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte in dem o.g. Sinne verneint werden. Solche Anhaltspunkte ergeben sich vorliegend aus dem angefochtenen Urteil nicht. Indes ist die Verneinung der Vertretungsbereitschaft durch das Berufungsgericht nicht von der Angriffsrichtung der Verfahrensrüge erfasst und könnte deswegen auch dann nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, wenn die Rüge – was diesbezüglich dahinstehen kann – ordnungsgemäß ausgeführt worden wäre (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 08.12.2005 – 4 RBs 291/15 – juris m.w.N.). In der Revisionsbegründungsschrift wird auf diesen Umstand überhaupt nicht eingegangen.“

Verwerfung II: Pflichtverteidiger auch nicht da, schwupps Berufung verworfen?

© MK-Photo - Fotolia.com

© MK-Photo – Fotolia.com

Nach dem OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2015 – 1 Ss 322/15 (dazu: Verwerfung I: Nachforschen muss das LG, oder: So einfach ist das nicht….) hier nun der OLG Köln, Beschl. v. 24.06.2016 – 1 RVs 114/16 – mit folgender Verfahrenskonstellation: Das AG Aachen hat den Angeklagten u.a. wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Seine dagegen gerichtete Berufung hat das LG in Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO verworfen. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, der am Terminstag erkrankte Pflichtverteidiger habe auf telefonische Nachfrage erklärt, nicht über eine Vertretungsvollmacht „i. S. d. § 329 n. F. StPO“ zu verfügen.

Das geht so nicht, meint das OLG Köln, denn:

„2. Die danach zulässig erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO ist auch begründet. Da vorliegend ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist, durfte die Hauptverhandlung ohne Rechtsanwalt L (oder einen anderen Pflichtverteidiger) nicht stattfinden, § 145 Abs. 1 StPO, und hätte eine Vertagung wegen dessen krankheitsbedingter Verhinderung auch unabhängig von einem Antrag schon von Amts wegen erfolgen müssen. Wenn die Hauptverhandlung aber unabhängig vom Erscheinen des Angeklagten vertagt werden muss, wird durch das Nichterscheinen des Angeklagten nicht die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung eröffnet. Der Zweck des § 329 Abs. 1 StPO besteht darin, zu verhindern, dass der Angeklagte durch sein Nichterscheinen die Entscheidung über die Berufung verhindert. Kann aber ohnehin aus anderen Gründen – hier wegen der krankheitsbedingten Verhinderung des Verteidigers – die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden, wird eine Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO durch den Normzweck nicht mehr gedeckt (vgl. insgesamt SenE v. 29.09.2006 – 81 Ss 117/06; SenE v. 17.02.2016 – III-1RVs 24/16).

Der Senat folgt damit nicht der in der Kommentarliteratur vertretenen – auf eine ältere Entscheidung des OLG Hamm (NJW 1970, 1245) zurückgehenden – Auffassung, dass die Abwesenheit des Verteidigers die Berufungsverwerfung wegen Säumnis nicht hindert (so: Meyer/Goßner-Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 329 Rz. 5;  Löwe-Rosenberg-Gössel, StPO, 26. Auflage 2013, § 329 Rz. 31; SK-StPO-Frisch, 4. Auflage 2013, § 329 Rz. 41; AnwKomm-StPO-Rotsch/Gasa, § 329 Rz. 2). Die hierfür gegebene Begründung, im Falle des § 329 StPO finde keine Sachverhandlung statt, greift nach Auffassung des Senats zu kurz, weil der Verteidiger Entschuldigungsgründe vorbringen (abweichend daher für den Fall, dass sich die „besondere Schwierigkeit“ im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO gerade auf den möglichen Entschuldigungsgrund bezieht OLG Stuttgart NStZ-RR 2004, 338 [339]) oder auch im Verfahren gemäß § 329 Abs. 1 StPO beachtliche Rechtsausführungen – etwa zum Vorliegen von Verfahrenshindernissen – machen kann.

Dieselbe Erwägung trägt denn auch die weithin akzeptierte Auffassung, dass die fehlende Ladung des Verteidigers (hierzu: Senat VRS 98, 138 [139]; BayOblG NStZ-RR 2001, 374 = VRS 100, 452 = DAR 2001, 372; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 Rz. 12; Löwe/Rosenberg-Gössel, a.a.O. Rz. 44; SK-StPO-Frisch, a.a.O. Rz. 15; KMR-Brunner, StPO, § 329 Rz. 11; Radtke/Hohmann-Beukelmann, StPO, § 329 Rz. 9 aE) oder dessen fehlende Bestellung im Falle notwendiger Verteidigung (hierzu: OLG Brandenburg zfs 2010, 347 [349]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2008, 312 = StV 2009, 12; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; SK-StPO-Frisch a.a.O. Rz. 28) die Berufungsverwerfung wegen Säumnis des Angeklagten hindert. Für den Senat ist kein Sachgrund ersichtlich, den Fall krankheitsbedingter Verhinderung des Verteidigers abweichend zu behandeln. Es trifft zwar zu, dass in den genannte Fällen ein aus der Sphäre des Gerichts herrührender Fehler vorliegt, doch hätte hier wie dort der anwesende Verteidiger ggf. die Verhandlung zu Gunsten seines Mandanten beeinflussen und eine Verwerfung der Berufung verhindern können (Senat a.a.O.) bzw. wäre es zu einem Ausbleiben des Angeklagten (möglicherweise) nicht gekommen (SK-StPO-Frisch, a.a.O. Rz. 28). Vor diesem Hintergrund ist daher ohne Bedeutung, aus welchem Grund der Angeklagte im Termin zur Berufungshauptverhandlung nicht verteidigt ist. Ebenso ist aus den vorstehend dargestellten Gründen nicht von Belang, ob der Verteidiger über eine Vertretungsvollmacht verfügte.“

Liegt m.E. eigentlich auf der Hand, oder?

Verwerfung I: Nachforschen muss das LG, oder: So einfach ist das nicht….

© Corgarashu – Fotolia.com

© Corgarashu – Fotolia.com

Heute dann mal ein Tag, der sich mit Entscheidungen zur Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO befasst. Ein weites Feld, in dem es, weil die Tatgerichte häufig Fehler machen, häufig zur Aufhebung der Verwerfungsentscheidung kommt. Eröffnen will ich den Reigen mit dem schon etwas älteren OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2015 – 1 Ss 322/15, der zunächst zum Umfang der Ausführungen im Verwerfungsurteil Stellung nimmt, wenn ein zur Entschuldigung vorgelegtes ärztlichen Attestes als nicht ausreichend angesehen und die Berufung des Angeklagten verworfen wird. Dann muss der wesentliche Inhalt des ärztlichen Attestes im Urteil mitgeteilt werden.

Aber das ist noch nicht alles, was das OLG beanstandet hat. Ihm passen auch die Ausführungen des LG zum Entschuldigungsgrund ersichtlich nicht:

„Nach ständiger Rechtsprechung kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte sich entschuldigt hat, sondern nur, ob er entschuldigt ist (vgl. BGHSt 17, 391; OLG Frankfurt am Main -2 Ss 178/11-; -1 Ss 113/10-; OLG Köln StraFo 2006, 213; KG Berlin VRS 108, 110; OLG München StraFo 2014, 79; OLG Stuttgart DAR 2004, 165).

Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigen Zweifel des Richters an der attestierten Erkrankung oder die mangelnde Glaubhaftmachung der Entschuldigung, etwa weil die Art der Erkrankung in dem Attest nicht angegeben ist, grundsätzlich nicht die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO (OLG Frankfurt am Main -I Ss 253/12-; -2 Ss 67/95-; StV 1988, 100; BayObLG VRS 92, 279; OLG Köln 2006, 413; OLG Stuttgart DAR 2004, 165; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, § 329 Rdn. 22). Legt ein Angeklagter — wie hier — ein ärztliches Attest vor, nach dessen Inhalt er am Erscheinen in der Hauptverhandlung gehindert ist, so ist dies jedenfalls solange als Entschuldigung anzusehen, als nicht das Gericht selbst im Wege des Freibeweises belegbar festgestellt hat, dass es inhaltlich unrichtig ist (OLG Frankfurt am Main -2 Ss-OWi 1100/14-, -1 Ss 253/12-; -2 Ss 178/1I-; OLG Düsseldorf VRS 87, 439; OLG Hamm StV 1993, 7).

Hinweisen auf einen Entschuldigungsgrund muss das Gericht deshalb von Amts wegen nachgehen und im Zweifelsfall Nachforschungen im Wege des Freibeweises durch Rückfrage bei dem behandelnden Arzt anstellen (OLG Frankfurt am Main -2 Ss-OWi 330/15-; -1 Ss 253/12-; OLG Düsseldorf VRS 78, 138), der infolge der Vorlage seiner ärztlichen Bescheinigung konkludent von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbunden worden ist (OLG Frankfurt am Main -1 Ss 253/12-; BayObLG NStZ-RR 1999, 143; OLG Karlsruhe NStZ 1994, 141; OLG München StraFo 2014, 79).

Verbleibende Zweifel an der genügenden Entschuldigung dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen (OLG Frankfurt am Main -1 Ss 253/12-; -2 Ss 178/11-; -1 Ss 113/10-; -1 Ss 117/09-; StV 1988, 100; OLG Stuttgart DAR 2004, 165; OLG Düsseldorf VRS 78, 138; OLG Köln StraFo 2006, 413).

Die Gründe des Verwerfungsurteils lassen besorgen, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung diese Maßstäbe verkannt hat. Denn die Strafkammer hatte Zweifel an dem vorgelegten Attest, hat es jedoch unterlassen, diesen Zweifeln nachzugehen, indem es etwa bei der das Attest ausstellenden Ärztin nachgefragt hätte.

Nachforschungen durften auch nicht deshalb unterbleiben, weil die gleiche Ärztin — wie die Strafkammer in den Urteilsgründen ausführt — dem Angeklagten bereits ein Jahr zuvor ähnliche Beschwerden bescheinigt hatte. Dieser Umstand erlaubt keinen Rückschluss dergestalt, dass dem neuen Attest von vornherein keine entschuldigende Bedeutung mehr zukommen konnte. Soweit das Landgericht im Urteil weiter ausführt, das Attest sei in sich widersprüchlich, weil es darin einmal heißt, der Angeklagte könne weder gehen noch sitzen und dann er könne weder gehen noch stehen, stellt dies keinen derartigen Widerspruch dar, dass es sich bei dem Attest ganz offensichtlich nur um ein Gefälligkeitsattest handeln kann. Denn diese beiden Feststellungen schließen sich keineswegs aus, sondern könnten durchaus auch ergänzend zu verstehen sein. Soweit die Strafkammer schließlich einen weiteren Widerspruch darin erblickt, dass dem Angeklagten einerseits bescheinigt wird, er könne nicht gehen, andererseits aber eine Anamnese im Gang erfolgt sein soll, fehlt es bereits an einer vollständigen Mitteilung der erfolgten Anamnese (siehe dazu bereits oben). Aus der Revisionsbegründung (RB S. 3) geht jedoch hervor, dass das Landgericht, das Attest insoweit unvollständig wiedergegeben hat. Zur Anamnese heißt es nämlich in dem Attest: „ […] Gang in Anteflektion (in Vorneigung). Das vollständige Aufrichten ist nicht möglich mit algischen Bestandteil.“ Demnach ist die Anamnese nur in einem geneigten Gang erfolgt. Ein vollständiges Aufrichten war nicht möglich und es wurden zudem Schmerzen dokumentiert. Ein eindeutiger Widerspruch zu der Feststellung der Angeklagte könne nicht gehen, der jede weitere Nachforschung erübrigt hätte, ergibt sich daraus nicht. Diese Formulierungen sind allenfalls dazu geeignet, Zweifel an dem Aussagegehalt des Attestes zu begründen. Die Unglaubwürdigkeit des Attestes stand damit aber noch nicht fest (vgl. OLG Frankfurt am Main —StV 1988, 100). Die Zweifel hätten das Landgericht dann aber — insbesondere unter Berücksichtigung der weiteren eindeutigen Ausführungen in dem Attest — dazu bewegen müssen, Nachforschungen bei der das Attest ausstellenden Ärztin zu veranlassen.

Schließlich lässt auch die Formulierung in dem angefochtenen Urteil „die angedachte ambulante Behandlung mit insbesondere Schmerzmedikamenten spricht gegen eine andauernde Bewegungsunfähigkeit“ (UA S. 3) besorgen, dass die Strafkammer die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verkannt hat. Denn die Krankheit würde den Angeklagten nicht nur dann entschuldigen, wenn er dauerhaft bewegungsunfähig wäre, sondern bereits dann, wenn sie ihm nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung — auch nur vorübergehend — unzumutbar macht (vgl. OLG Frankfurt am Main -1 Ss 210/09-; -1 Ss 113/10¬; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 281; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 Rn. 26 m.w.N.).“

Ja, so einfach ist das mit der Berufungsverwerfung nicht….

Was ein Laie so alles wissen können soll/muss, oder: Spitzfindig?

© fotomek -Fotolia.com

© fotomek -Fotolia.com

Die fehlerhafte Interpretation einer Ladung zu einem Fortsetzungstermin als Mitteilung einer Verlegung des Beginns einer Berufungshauptverhandlung, die bei sorgfältigem Lesen des weiteren Ladungsschreibens vermeidbar gewesen wäre, vermag ein Ausbleiben bei Beginn der Berufungshauptverhandlung nicht genügend zu entschuldigen. So das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 29.04.2016 – 1 Ss 20/16, in dem die Revision gegen einnach § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil verworfen worden ist.

Wenn man den Beschluss liest, fragt man sich, was ein Laie so alles wissen können soll/muss. Ausgangspunkt bei § 329 StPO und der Beantwortung der Frage, ob ein Ausbleiben im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO genügend entschuldigt ist, ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung doch imemr, dass zu Gunsten eines nicht erschienenen Angeklagten ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (BGHSt 17, 391, 397; s. auch Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl., 2016, Rn. 710 ff. m.w.N.). Entscheidend ist danach, ob dem Angeklagten nach den Umständen des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise ein Vorwurf zu machen ist.

Davon geht  zwar auch das OLG aus, hat dann aber dennoch das Ausbleiben der Angeklagten als nicht genügend entschuldigt angesehen. Denn in dem Ladungsschreiben, dass der Angeklagte falsch verstanden hatte, war von einer Ladung zu einem weiteren Hauptverhandlungstermin die Rede. Die Formulierung „ist Termin zur Fortsetzung der Berufungshauptverhandlung vom 28.01.2016 (…) bestimmt auf (…)“ mache – so das OLG – zweifelsfrei deutlich, dass der (ursprüngliche) Hauptverhandlungstermin nicht verlegt, sondern zusätzlich ein weiterer Termin bestimmt worden war. Denn Fortsetzen lasse sich nur eine bereits begonnene Hauptverhandlung. Bei dem Begriff „Fortsetzung“ handele es sich auch nicht um einen juristischen Fachterminus, sondern um ein Wort aus der Alltagssprache. Etwas anderes soll nach Auffassung des OLG wohl gelten, wenn von einem „Fortsetzungstermin“ die Rede ist (so auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 4. 9. 08 – 1 Ws 170/08).

Eine m.E. für einen juristischen Laien doch recht spitzfindige Unterscheidung.