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Gerichtssprache ist deutsch, oder: Der BGH und „Blow-Job“ oder „Doggy-Style“

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Heute dann mal Entscheidungen, die ein wenig aus dem Rahmen fallen. Da ist zunächst der BGH, Beschl. v. 23.01.2018 – 1 StR 625/17, eine sog. Leitsatzentscheidung des BGH. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Es geht – der BGH teilt den Sachverhalt nicht näher mit – um sexuelle Übergriffe des Angeklagten auf die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alte Nebenklägerin, bei er es sich um die Tochter der Frau gehandelt hat, mit der der Angeklagte in einer „lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft“ gelebt hat. Allerdings hatte der Angeklagte im Tatzeitraum lediglich noch an den Wochenenden regelmäßig in der im Übrigen von der geschädigten Nebenklägerin und ihrer Mutter bewohnten Wohnung gewohnt. Der BGH sagt: Das reicht für die Annahme des § 174 Abs. 1 Nr. StGB. Er kommt zu folgenden Leitsätzen:

  1. Eine lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft i.S.v. § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist eine Lebensgemeinschaft von zwei Personen, die auf Dauer angelegt ist, keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen und damit über die Beziehung einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.
  2. Eine solche kann im Einzelfall auch dann vorliegen, wenn die Partner lediglich an Wochenenden gemeinsam wohnen.

In dem Beschluss über die Ausführungen des BGH zu dieser Problematik eine weitere Passage, die einen Hinweis wert ist. Es war in der Revision offenabr ein Verstoß gegen § 184 GVG – Gerichtssprache ist deutsch – gerügt worden. Dazu der BGH:

„Das Landgericht hat durch die Verwendung weniger einzelner, ursprünglich aus der englischen Sprache stammender Begriffe (wie „Blow-Job“ oder „Doggy-Style“) bei der Wiedergabe der Aussagen der Nebenklägerin im Urteil nicht gegen § 184 GVG (i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob die genannten Begriffe nicht ohnehin bereits in die deutsche Sprache übernommen worden sind, worauf der Generalbundesanwalt hinweist. Das aus § 184 GVG folgende Gebot, Urteile in deutscher Sprache sowie in verständlicher Form (dazu OLG Hamm, Beschluss vom 22. April 2010 – 2 RVs 13/10, NStZ-RR 2010, 348 mwN) abzufassen, wäre allenfalls dann verletzt, wenn das Urteil wegen der Verwendung fremdsprachlicher Begriffe nicht mehr die durch § 267 StPO vorgegebenen Inhalte in einer nachvollziehbaren Weise darstellt (vgl. zu dem entsprechenden Maßstab bei der Wirksamkeit einer englischsprachige Begriffe beinhaltenden Anklageschrift BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 1 StR 302/11, NStZ 2012, 523, 525 Rn. 32 ff.). Das ist angesichts der umfassenden Beschreibung der den Schuldsprüchen zugrunde liegenden sexuellen Handlungen des Angeklagten in deutscher Sprache offensichtlich nicht der Fall.“

Die Gerichtssprache ist deutsch, oder: Unwirksame Ladung?

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Auf den ersten Blick überraschend, aber leider entsprechend der h.M. in der Rechtsprechung der OLG, ist der OLG Hamm, Beschl. v. 25.10.2016 – 3 RVs 72/16. Es geht um die Revision gegen ein nach § 329 Abs. 1 StPo ergangenes Verwerfungsurteil. Der Angeklagte ist jesidischer Kurde, der nur über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfüg. Er erscheint nicht zur Berufungshauptverhandlung und wendet dann gegen das Berufungsurteil ein: Unwirksame Ladung, denn die mit der Ladung erfolgte Belehrung über die Bedeutung und die Folgen des Fernbleibens im Berufungshauptverhandlungstermin sei nicht verständlich gewesen sei. Da die Ladung nebst Belehrung nicht in übersetzter Form an ihn zugestellt worden sei, sei sein Anspruch auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren verletzt und habe die Strafkammer das Nichterscheinen des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen und verwerfen dürfen.

Dazu die Leitsätez des OLG – so weit sie hier interessieren:

  1. Die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung – einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO – ist in deutscher Sprache abzufassen, weil die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG).
  2. Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird.
  3. Zur ordnungsgemäßen Erhebung der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren bedarf es in einem solchen Fall des Vortrags, dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war.
  4. Der Protokollvermerk über eine Rechtsmittelbelehrung beweist nicht nur die Belehrung als solche, deren Richtigkeit und Vollständigkeit, sondern bei Anwesenheit eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung auch deren korrekte Übersetzung.

Überraschend, weil man meint: Wenn die Ladung nicht ordnungsgemäß war, dann ist die Ladung doch auch unwirksam. Mitnichten, denn:

„Da die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG) war die Ladung des Angeklagten – einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO – in deutscher Sprache abzufassen (vgl. BGH NJW 1984, 2050; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., GVG, § 184 Rdnr. 3). Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird (vgl. BayObLG NStZ 1996, 248; OLG Köln NStZ-RR 2015, 317).“

Eine nähere Begründung für diese Auffassung bringt das OLG nicht, sondern es verweist einfach auf die Rechtspechung anderer OLG. Da muss man dann den OLG Köln, Beschluss lesen, um zu erfahren, dass diese Fragen über die Wiedereinsetzung gelöst werden sollen – oder auch nicht.

Im Übrigen: Das OLG legt die Hürden für die Revision mal wieder sehr hoch (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), wenn es vom Angeklagten verlangt, dass vorgetragen werden muss, „dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war.“ Also Vortrag einer Nichttatsache.  Ein schwieriges Feld.

Warum es gut ist, wenn der Beschuldigte Englisch versteht…..

Frage: Warum sollte der Beschuldigte Englisch verstehen? Nun, darauf kann es an sich doch nicht ankommen, denn die Gerichtssprache ist doch nach § 184 GVG „deutsch“. So hatte es auch eine Strafkammer des LG Leipzig gedacht und war in einem Wirtschaftsstrafverfahren von einem teilweisen Verfahrenshindernis hinsichtlich einiger gegen die Angeklagten auch erhobenen Untreuevorwürde ausgegangen. Der BGH hat – wie die PM Nr. 177/11 v. 09.11.2011 meldet – das Urteil aufgehoben (Beschl. v. 09.11.2011 – 1 StR 302/11):

„.…Soweit den Angeklagten vorgeworfen wurde, zugleich mit den Korruptionsdelikten an Untreuetaten beteiligt gewesen zu sein, hat das Landgericht Verfahrenshindernisse angenommen, weil die zugrundeliegenden Vertragstexte mit der Anklageschrift nur in englischer Sprache mitgeteilt worden seien und dies einen Verstoß gegen § 184 Satz 1 GVG darstelle, ferner, weil sich der staatsanwaltschaftliche Verfolgungswille auf eine der beiden Taten nicht erstrecke. Gegen die genannten rechtlichen Würdigungen wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft Dresden mit ihrer Revision.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil in weitem Umfang aufgehoben. Die Vorgehensweise des Landgerichts war rechtsfehlerhaft. Für die Wirksamkeit der Anklage genügt es, wenn diese in ihren wesentlichen Teilen in deutscher Sprache abgefasst ist und den Verfahrensgegenstand ausreichend umgrenzt, sodass der Angeschuldigte den ihm gemachten Tatvorwurf erkennen kann. Diesen Anforderungen wird die Anklage gerecht. Das Landgericht hätte deshalb die ihm zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalte auch unter dem Gesichtspunkt möglicher Untreue des Angeklagten H. und ggf. hierzu geleisteter Beihilfe der Angeklagten B. und. S. befassen müssen. Im Falle einer Verurteilung werden alle Rechtsfolgen, insbesondere auch für die Steuerhinterziehung, neu festzusetzen sein….“

Also. Ein wenig Englisch ist gut, weil man sonst ggf. die Anklage nicht versteht

Die Gerichtssprache ist Deutsch – Fachbegriffe dürfen aber verwendet werden

Die Gerichtssprache ist Deutsch, so heißt es in § 184 GVG. Darauf hat jetzt auch das OLG Hamm in seinem Beschl. v. 22.04.2010 – III-2 RVs 13/10 – noch einmal hingewiesen. Anlass war eine Entscheidung, durch die das LG den angeklagten Arzt wegen fahrlässiger Tötung verurteilt hatte. In dem Urteil wurden dann sehr viele medizinische Fachbegriffe verwandt. Das OLG hat das „durchgehen lassen“, weil das Urteil für das Revisionsgericht und den Angeklagten noch verständlich war, aber angemerkt, dass eine „Übersetzung“ der Begriffe sicherlich besser gewesen sei.

Der Beschluss ist auch wegen eines zweiten Argumentationsstranges zur Aufklärungsrüge interessant. Lesen!