Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay
Am heutigen „Gebührenfreitag“ stelle ich zwei amtsgerichtliche Entscheidungen zu RVG-Fragen vor.
Den Opener mache ich mit dem AG Halle/Saale, Beschl. v. 16.06.2021 – 322 Ds 370 Js 16649/20 – zur Thematik des Abgeltungsbereichs/Anfalls der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren bei Rücknahme der Berufung. Die Entscheidung hat mir der Kollege Siebers aus Braunschweig geschickt.
Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den ehemaligen Angeklagten am 10.02.2021 zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 17.02.2021 hat der Kollege Berufung eingelegt. Ergänzend bat er für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlegt oder ein eingelegtes Rechtsmittel zurücknimmt, um „einen kurzen Hinweis per Fax oder Mail, damit hier neu überdacht werden kann, wie mit dem diesseitigen Rechtsmittelverfahren wird.“ Am 26.02.2021 wurde dem Kollegen dann mitgeteilt. dass von der Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittelschrift eingegangen sei. Darauf ging am 28.02.2021 ein Schreiben des Kollegen beim AG ein, in dem er mitteilte, das „wir nach der Mitteilung, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, die Sache nochmals erörtert [haben], mit dem Ergebnis, dass ich nunmehr namens und in Vollmacht des Angeklagten und kraft besonderer Ermächtigung die Berufung zurück nehme.“
Der Kollege hat die Festsetzung seiner in der Berufungsinstanz entstandenen Gebühren, u.a. auch die Verfahrensgebühr Nr. 4125 VV RVG, beantragt. Das AG/der Rechtspfleger hat den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat ist im Wesentlichen angeführt, dass die Verfahrensgebühr nicht entstanden sei, weil sowohl Einlegung als auch die Rücknahme des eingelegten Rechtsmittels noch zur 1. Instanz gehörten, wenn ein Rechtsmittel des Gegners nicht eingelegt war und der Rechtsanwalt nur vorbereitend tätig geworden sei. Zur nächsten Instanz gehöre etwa die Begründung des Rechtsmittels. Eine Begründung des Rechtsmittels sei nicht eingegangen.
Die dagegen gerichtete Erinnerung des Kollegen hatte Erfolg:
„In der Sache ist die Erinnerung auch begründet. Dem Verteidiger stehen die ihm im Antrag vom 28.02.2021 geltend gemachten Gebühren zu. Bei der von ihm beschriebenen Tätigkeit handelt es sich nicht mehr um eine Tätigkeit im 1. Rechtszug. sondern bereits um eine solche des Rechtsmittelzugs.
Fest steht, dass gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 die Einlegung von Rechtsmitteln bei dem Gericht desselben Rechtszuges durch den Verteidiger, der in dem Rechtszug tätig war, mit der Verfahrensgebühr des 1. Rechtszugs abgegolten ist. Auch die Beratung über die Aussichten eines noch nicht eingelegten Rechtsmittels durch den Verurteilten oder anderer Verfahrensbeteiligter zählt noch zu dem 1. Rechtszug.
Welche Handlungen des Verteidigers die Verfahrensgebühr hingegen nach Rechtsmitteleinlegung auslösen, lässt sich anhand der Bedeutung der Verfahrensgebühr ermitteln. Danach wird mit der Verfahrensgebühr jedes Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information abgegolten (Ziffer 2 VV Vorbemerkung zu Teil 4). Ausschlaggebend ist daher, ob der Verteidiger entsprechende Handlungen durchgeführt hat. Die Gebühr erfasst damit nicht nur Rechtsmittelbegründungen, sondern bereits die anwaltliche Prüfung und Beratung, ob und gegebenenfalls mit welchen Anträgen das Rechtsmittelverfahren weiter durchgeführt werden soll (KG Beschl. v. 20.1.2009 — 1 Ws 382/08, BeckRS 2010, 23725). Ist die Verfahrensgebühr dadurch entstanden, entfällt sie nicht dadurch, dass im Ergebnis der Besprechung das Rechtsmittel zurückgenommen wird (KG aaO). Auch Gespräche mit der Staatsanwaltschaft und/oder mit dem Gericht mit dem Ziel der Rücknahme der Berufung oder der Einleitung von Verständigungsgesprächen lösen die Verfahrensgebühr aus (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4124 Rn. 8).
Davon zu unterscheiden ist der von der Bezirksrevisorin herangezogene Fall. den das Landgericht Hannover zu entscheiden hatte (LG Hannover. Beschluss vom 07.05.2013 – 58 Qs 6413 Js 95170/11 (13/13), juris). In jenem Fall hat der Verteidiger die Berufung ausdrücklich vorsorglich eingelegt. um im Falle eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft vorbereitet zu sein und die Frist zu wahren. Ausdrücklich wurde dort bereits mitgeteilt, dass bei dem Ausbleiben eines solchen Rechtsmittels die Berufung zurückgenommen werden sollte. In diesem Fall haben die entsprechenden Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem dort Angeklagten bereits vor der Rechtsmitteleinlegung stattgefunden mit der Bedingung. dass im Falle. dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlegt. der Verteidiger von vornherein beauftragt wurde, die Berufung zurückzunehmen. Insofern haben die entscheidenden Gespräche bereits vor Berufungseinlegung stattgefunden und gehören damit mit zu den Gebühren des 1. Rechtszugs. Nachdem die Staatsanwaltschaft dort kein Rechtsmittel eingelegt hatte, waren weitere Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem dort Angeklagten nicht mehr erforderlich, sodass eine Verfahrensgebühr nicht entstehen konnte.
Abweichend davon hat der Verteidiger des hier Angeklagten bereits in der Berufungsschrift zwar mitgeteilt, dass er lediglich einen Hinweis erbat, ob ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Darin liegt noch nicht die Bedingung, das Rechtsmittel im Falle des Ausbleibens eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft. dieses zurückzunehmen. Ausdrücklich wird mitgeteilt, dass in dem Fall neu überdacht werden könne, wie mit dem Rechtsmittelverfahren werde. Darin liegt gerade nicht die Ankündigung, das Rechtsmittel zurückzunehmen. Denkbar wäre auch, die Berufung lediglich auf das Strafmaß zu beschränken. Explizit erklärt der Verteidiger in dem Schreiben vom 28.02.2021 darüber hinaus, dass er die Sache mit dem Angeklagten nochmals erörtert habe, mit dem Ergebnis, dass die Berufung zurückgenommen werden solle. Hier behauptet der Verteidiger explizit die Erörterung der Sache mit dem Angeklagten nach Berufungseinlegung, womit alleine dieses Gespräch die Verfahrensgebühr auslöst (entsprechend des in der oben zitierten Entscheidung des Kammergerichts geschilderten Sachverhalts).
Ob dieses Gespräch tatsächlich stattgefunden hat. hat das Gericht mangels anderweitiger Hinweise nicht zu prüfen (KG aaO zumindest dem Sinn nach; explizit LG Hannover aaO).“
Stimmt/passt 🙂 .