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Wiedereinsetzung: Das fehlende Rechtsmittelmerkblatt – Nachfragen ist ggf. erforderlich

Die unterbliebene Aushändigung eines Merkblatts über Rechtsmittel durch das Gericht rechtfertigt nach Ansicht des OLG Köln, Beschl. v. 06.12.20110 – 2 Ws 790/10 nicht ohne Weiteres die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

Das OLG ist davon ausgegangen, dass der Protokollvermerk über die erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht nur die Belehrung als solche beweise, sondern auch deren Richtigkeit und Vollständigkeit. Zwar entspreche es ständiger Rechtsprechung, dass ein nicht anwaltlich vertretener, rechtsunkundiger Angeklagter ergänzend durch die Aushändigung eines Merkblatts zu belehren sei, sofern es sich um eine schwierige Belehrung handele. Wenn der Angeklagte die Belehrung missverstehe und deshalb das Rechtsmittel nicht frist- oder formgerecht einlegt, könne das ein Verschulden ausschließen. Ein solcher Fall des Missverständnisses liege allerdings nicht vor, wenn der Angeklagte lediglich vergesse, bei welchem Gericht er das Rechtsmittel einlegen muss. Hierzu hätte er bei Gericht nachfragen können.

Verstoß gegen Belehrungspflicht – kein Beweisverwertungsverbot – mal wieder Verständigung

Der Beschl. des BGH v. 19.08.2010 – 2 StR 226/10 – setzt sich mit der in § 257c Abs. 5 StPO normierten Belehrungspflicht auseinander. Diese dient nach Auffassung des BGH dem Schutz des Angeklagten, dem vor Augen gehalten werden soll, dass und unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von der Strafrahmenzusage abweichen kann. Diese Belehrung muss – so der BGH – zusammen mit der Bekanntgabe des gerichtlichen Verständigungsvorschlags (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO) erteilt werden. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht führt aber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich eines nach dem Zustandekommen einer Verständigung abgelegten Geständnisses; insoweit verweist der BGH auf die ausdrückliche Regelung in § 257c Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Satz 1 und StPO. Ein Beweisverwertungsverbot knüpfe die StPO allein an das Scheitern der Verständigung Dementsprechend bleibe das Gericht trotz des Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO an die Verständigung gebunden.

Der BGH hat zudem im Zusammenhang mit der von ihm verneinten Beruhen (§ 337 StPO) zum erforderlichen Inhalt der Belehrung Stellung genommen. Interessante und lesenswerte Entscheidung, auch wenn die Revision keinen Erfol ghatte.

(Neues) Recht auf Übersetzung und Belehrung im Strafverfahren

Der DAV hat vor kurzem über Neuerungen im EU-Recht berichtet: Es heißt da:

„Der Justiz- und Innenministerrat hat am 7./8. Oktober 2010 die Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistung und Übersetzung in Strafverfahren angenommen. Damit ist die erste der verschiedenen Maßnahmen des Fahrplans zur Stärkung der Verfahrensrechte im Strafverfahren abgeschlossen (s. EiÜ 21/10 und EiÜ 37/09). Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt haben die Mitgliedstaaten für die Umsetzung 36 Monate Zeit. Der DAV hat während des Gesetzgebungsverfahrens zahlreiche Bedenken in Einzelfragen vorgebracht (s. SN 15/2010). Insgesamt ist das Ergebnis als wichtiger erster Meilenstein bei der Stärkung der Verfahrensrechte anzusehen. Weiter begrüßte der Rat den Richtlinienvorschlag KOM(2010) 392 über das Recht auf Belehrung im Strafverfahren (s. EiÜ 29/10). Diskutiert wurde im Rat u. a. über eine Aufnahme des Schweigerechts, das Recht auf Akteneinsicht und Kostentragungsfragen. Eine gemeinsame Position des Rates hierzu wird für Ende 2010 erwartet. „

Mal sehen, was und wann etwas daraus wird.

Wann bzw. wie lange ist eine Befragung eigentlich (noch) eine „informatorische Befragung“?

Jeder Verteidiger kennt das Problem: Der Mandant hat bei der Polizei gequasselt und sich – mehr oder weniger – um Kopf und Kragen geredet. Nun soll/will er schweigen. Da stellt sich dann die Frage, wie halte ich sein ihm schadendes Quasseln aus dem Verfahren raus. Das geht ggf., wenn der Mandant vor dem Quasseln nicht belehrt worden ist (§ 136 StPO lässt grüßen), aber hätte belehrt werden müssen. Dann können die Angaben gegenüber den Polizeibeamten nicht in das Verfahren eingeführt werden.

Es spitzt sich also auf die Frage zu: Belehrung ja oder nein? Dazu sind schon umfangreiche Abhandlungen geschrieben worden: In dem Zusammenhang spielt eben auch der Begriff der informatorischen Befragung eine Rolle. Denn so lange es sich (noch) darum handelt, muss nicht belehrt werden. Dazu verhält sich jetzt auch noch einmal der Beschl. des OLG Zweibrücken v. 16.08.2010 – 1 SsBS 2/10, über den wir schon in anderem Zusammenhang berichtet hatten (vgl. hier, aber auch hier).

Zum Sachverhalt heißt es da:

Nach den in erster Instanz getroffenen Feststellungen fuhr der Betroffene am Donnerstag, den 20. November 2008 gegen 14.30 Uhr mit dem Pkw von Speyer nach Germersheim, wo er auf der Polizeiinspektion einen Bekannten abholen wollte. Der auf der Dienststelle anwesende Polizeibeamte B. gewann den Eindruck, der Betroffene stehe unter Drogeneinfluss. Auf seine Frage, wie er nach Germers­heim gekommen sei, erklärte der Betroffene, er sei mit dem Auto gefahren. Daraufhin belehrte der Polizeibeamte den Betroffenen als Beschuldigten und setzte die Befra­gung fort, wobei sich der Betroffene in Widersprüche verwickelte.

Der Verteidiger hatte geltend gemacht, dass der Betroffene vor der Frage, wie er nach Germersheim gekommen sei, hätte belehrt werden müsse. Das OLG sagt:

„Es begründet keine Verletzung des Verfahrensrechts, dass das Amtsgericht auch die vor der Beschuldigtenbelehrung gefallene Äußerung des Betroffenen verwertet hat, er sei mit dem Auto nach Germersheim gefahren. Seit einer Grundsatz­entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1992 ist zwar anerkannt, dass der Verstoß gegen die Belehrungspflicht bei der ersten Vernehmung des Beschuldig­ten durch die Polizei (§§ 163a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO; hier i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich zieht (BGH NJW 1992, 1463 = BGHSt 38, 214; vgl. a. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 136 Rn. 20). Dabei wird aber davon ausgegangen, dass nicht jeder unbestimmte Tatverdacht bereits die Beschuldigteneigenschaft begründet mit der Folge einer entsprechenden Beleh­rungspflicht; vielmehr kommt es auf die Stärke des Verdachts an. Es obliegt der Strafverfolgungsbehörde, nach pflichtgemäßer Beurteilung darüber zu befinden, ob dieser sich bereits so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter oder Beteiligter der untersuchten Straftat in Betracht kommt. Falls der Tatverdacht aber so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde anderenfalls willkürlich die Gren­zen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn der Betreffende ohne Beschuldigtenbelehrung vernommen wird (BGH NJW 1992, 1463, 1466; NJW 2007, 2706, 2707 f.; Meyer-Goßner a.a.O. Einl. Rn. 77.)

Diese Grenze der sog. informellen Befragung erachtet der Senat als hier noch nicht überschritten. Der Tatbestand der Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG setzt einer­seits einen durch den Genuss von Drogen geschaffenen körperlichen Zustand vor­aus, und andererseits, dass in diesem Zustand ein Fahrzeug geführt wird. Die Wahr­nehmungen des Polizeibeamten deuteten zunächst nur auf den Einfluss von Drogen hin. Der Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs wurde erst durch die Antwort hergestellt, die der Betroffene auf die an ihn gestellte erste Frage gegeben hatte. Die Wertung des Beamten, der erst hierdurch den zur Belehrungspflicht füh­renden Verdachtsgrad als erfüllt erachtete, ist nicht zu beanstanden.“

Na, ich weiß nicht. Noch kein bestimmter Tatverdacht? Da steht ein offenbar erkennbar unter Drogeneinfluss stehender Betroffener und die Polizei fragt, wie biste hierher gekommen? Erst die Antwort auf die Frage, bringt dann den Tatverdacht? M.E. nein, die Frage zielt doch gerade auf den Umstand des Fahrens. Denn was sollte es sonst die Polizei interessieren, wie ein Betroffener von A nach B gekommen ist.

In die Diskussion passt dann dann auch die Entscheidung des KG v. 05.06.2009 – 2 Ss 131/09. Dieses sagt:

„Hinsichtlich des geltend gemachten Verwertungsverbots ist darauf hinzuweisen, dass sich die Ermächtigung zur Durchführung der verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle aus § 36 Abs. 5 Satz 1 StVO ergibt. Die im Rahmen einer solchen Kontrolle durchgeführte informatorische Befragung des Betroffenen – um nichts anderes handelt es sich bei der allgemeinen Frage nach Alkohol- und/oder Drogenkonsum – zwingt noch nicht zu einer Belehrung gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 136 StPO. Die so gewonnene Information über den Drogenkonsum des Betroffenen am Vortag, andere Informationen sind ausweislich der Urteilsgründe und der Rüge des Betroffenen im vorliegenden Verfahren weder unmittelbar noch mittelbar verwertet worden, ist daher verwertbar (vgl. BayObLG NStZ-RR 2003, 343). Einer zusätzlichen späteren qualifizierten Belehrung (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 136a Rdn. 30) bedurfte es folglich nicht.“

Na ja, kann man so sehen, allerdings passt der Hinweis auf die Entscheidung des BayObLG nicht. Denn da handelte es sich zwar auch um eine verdachtsunabhängige Verkehrs-Alkoholkontrolle durch die Polizei in einem Fahrzeug. Es war dann aber Alkoholgeruch festgestellt worden., Damit haben wir m.E. einen Tatverdacht, oder?

„…Ich weise dich darauf hin, dass du hier als Beschuldigter vor der Polizei keine Angaben machen brauchst…“

… so lautete u.a. eine Beschuldigtenbelehrung, über deren Ordnungsgemäßheit jetzt der BGH in seinem Urteil v. 29.04.2010 – 3 StR 63/10 zu entscheiden hatte.

Das LG hatte die Belehrung als nicht i.S. der §§ 163a, 136 StPO ordnungsgemäß angesehen, weil diese Belehrung den Schluss nahe lege, dass der Beschuldigte zwar vor der Polizei keine Angaben machen müsse, vor einer anderen Stelle, wie der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht aber doch. Die Strafkammer vermochte daher nicht auszuschließen, dass der Entschluss des Beschuldigten, bei der Polizei Angaben zu machen, von der Erwägung beeinflusst gewesen sei, dass er letztlich eben doch Angaben machen müsse.

Der BGH hat das – in der Sache wohl zutreffend – anders gesehen, weil die Auslegung der von dem Polizeibeamten verwendeten Belehrungsformel ergebe, dass Unklarheiten darüber, dass es dem Angeklagten freistand, in der anschließenden polizeilichen Vernehmung Angaben zu machen oder dies zu unterlassen, nicht auftreten konnten. Der Wortlaut sei insoweit eindeutig. Für die Annahme des LG, wegen der – über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden – Wendung „hier als Beschuldigter vor der Polizei“ sei die Möglichkeit nicht auszuschließen, der Angeklagte habe dies dahin missverstehen können, in einer späteren Vernehmung durch einen Staatsanwalt oder Richter doch zur Aussage verpflichtet zu sein und aus diesem Grund bereits bei der Polizei Angaben gemacht, bestanden nach Ansicht des BGH auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte.

Trotzdem: Immer aufgepasst, wenn von der Formulierung des Gesetzes bei Belehrungen abgesehen wird.