Schlagwort-Archiv: Abgrenzung

StPO II: Beweis- oder Beweisermittlungsantrag?, oder: Beweisziel als Beweisthema

Bild von Venita Oberholster auf Pixabay

Im zweiten Posting gibt es dann zwei Entscheidungen zum Beweisantrag, und zwar zur Abgrenzung zum Beweisermittlungsantrag. Von beiden Entscheidungen stelle ich aber nur die Leitsätze vor. Die Einzelheiten bitte aus den verlinkten Volltexten entnehmen.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Soll die beantragte Beweiserhebung erst die Benennung der Wahrnehmungszeugen zum eigentlichen Beweisthema ermöglichen, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, sondern lediglich um einen Beweisermittlungsantrag, über den nach den Maßstäben der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu befinden ist.

Wird in einem Antrag kein bestimmtes Beweismittel (bestimmte Lichtbilder) benannt, sondern lediglich das Ziel des Antrages, nämlich aus einer Vielzahl gleichartiger Beweismittel (hier: Lichtbilder und Videos) erst diejenigen zu ermitteln, die die Beweisbehauptungen bestätigen können, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, sondern nur um einen Beweisermittlungsantrag.

StGB III: Abgrenzung Raub/räuberische Erpressung, oder: Gegeben oder genommen?

Bild von Simon auf Pixabay

Und zum Tagesschluss dann der – schon etwas ältere – BGH, Beschl. v. 22.02.2023 – 6 StR 44/23 – zur Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung, also ein Klassiker.

Das LG hat die Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt. Dagegen die Revision, die zu einer Änderung der schuldsprüche führt:     .

„1. Die Schuldsprüche halten in den Fällen 1, 3 und 4 rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen entnahm der Angeklagte W.  Bargeld aus der Kasse einer Spielothek, die ein Mitarbeiter entriegelt hatte, nachdem ihn der Angeklagte S.    unter Vorhalt einer geladenen Schusswaffe zur Herausgabe von Geld aufgefordert hatte (Fall 1). Anlässlich eines weiteren Überfalls auf eine Tankstelle forderte der Angeklagte S. erneut unter Vorhalt einer geladenen Schusswaffe die Herausgabe von Geld, woraufhin eine Mitarbeiterin die Schublade mit Bargeld auf den Tresen stellte, die er leerte. Der Angeklagte W.  wartete im Fahrzeug (Fall 3). Nachdem beide Angeklagten einen Getränkemarkt betreten hatten, forderte der Angeklagte S. unter Vorhalt einer geladenen Schusswaffe Geld und Zigaretten, die ihm übergeben wurden. Zudem entnahm der Angeklagte aus einem Regal weitere Zigarettenschachteln (Fall 4).

b) Die Wertung des Landgerichts, in allen Fällen liege eine Vermögensverfügung vor, begegnet in den Fällen 1 und 3 durchgreifenden Bedenken.

aa) Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem äußeren Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten. Wird dieser gezwungen, die Wegnahme der Sache durch den Täter selbst zu dulden, so liegt Raub vor; wird er dagegen zur Vornahme einer vermögensschädigenden Handlung, mithin einer Weggabe, genötigt, so ist – sofern eine Absicht rechtswidriger Bereicherung gegeben ist – eine räuberische Erpressung anzunehmen (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09; vom 12. August 2021 – 3 StR 474/20).

bb) Davon ausgehend liegt weder im Fall 1 noch im Fall 3 eine Vermögensverfügung seitens des Verletzten vor. Das mit Waffeneinsatz erzwungene Verhalten der Mitarbeiter hat nur zu einer Gewahrsamslockerung, nicht aber zu einer Gewahrsamsübertragung geführt (vgl. zur Entriegelung einer Kasse BGH, Beschluss vom 3. Juli 2013 – 4 StR 186/13). Es hat lediglich die Möglichkeit zur anschließenden Wegnahme eröffnet, aber noch keinen neuen Gewahrsam der Angeklagten begründet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 476/10; NStZ-RR 2011, 80; vom 24. April 2018 – 5 StR 606/17).

c) Zudem ist im Fall 4 im Hinblick auf die seitens des Angeklagten W.  entnommenen Zigaretten tateinheitlich der Tatbestand des schweren Raubes verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2021 – 6 StR 15/21; Beschluss vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 476/10, aaO; MüKoStGB/Sander, 4. Aufl., § 249 Rn. 43).

2. Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. Das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 StPO wird durch die Schuldspruchänderung nicht verletzt; dieses schließt das Risiko einer Verschärfung des Schuldspruchs nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. September 2015 – 2 StR 71/15; vom 27. Juli 2010 – 4 StR 165/10; vom 18. Februar 2020 – 3 StR 430/19). § 265 StPO steht dem ebenfalls nicht entgegen, weil die im Wesentlichen geständigen Angeklagten sich nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können. Auf den Strafausspruch hat die Schuldspruchänderung wegen des unveränderten Unrechtsgehalts und gleichbleibender Strafrahmen keinen Einfluss.“

Ich glaube, ich wäre bei den Feststellungen gelich zum „Raub“ gekommen 🙂 .

StGB II: Scheinselbständig oder freier Mitarbeiter?, oder: Freie Mitarbeit in einer Rechtsanwaltskanzlei

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die zweite Entscheidung, das BGH, Urt. v. 08.03.2023 – 1 StR 188/22 – befasst sich u.a. mit der Abgrenzung von freien Mitarbeitern und Scheinselbstständigen, und zwar bei Rechtsanwälten.

Das LG hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 189 Fällen verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte, die Strafmaßrevision der StA hatte hingegen Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Der seit 1982 als niedergelassener Rechtsanwalt tätige Angeklagte beschäftigte über ein von ihm praktiziertes „Modell der freien Mitarbeiterschaft“ in seiner Kanzlei “   S. & Kollegen“ im verfahrensgegenständlichen Tatzeitraum von 2013 bis 2017 als alleiniger Kanzleiinhaber zwölf Rechtsanwälte zum Schein als selbständige freie Mitarbeiter, die tatsächlich bei ihm abhängig beschäftigt waren. Vor Beginn ihrer Tätigkeit in der Kanzlei schloss der Angeklagte mit den Rechtsanwälten einen im Wesentlichen gleichlautenden schriftlichen Vertrag („Freier Mitarbeitervertrag“) über eine zeitlich nicht befristete Zusammenarbeit sowie – in zehn dieser Fälle – eine im Wesentlichen gleichlautende weitere schriftliche Zusatzvereinbarung. Während der Mitarbeitervertrag insbesondere regelte, dass der Rechtsanwalt als freier Mitarbeiter für die Kanzlei tätig war, seine Sozialabgaben selbst abführte, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durfte sowie berechtigt war, das vereinbarte Jahresgehalt in monatlichen Teilbeträgen abzurufen, sah die Zusatzvereinbarung namentlich vor, dass die Beschäftigung eigenen Personals und die Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei der Zustimmung der Kanzlei bedurften und Werbemaßnahmen abzustimmen und zu genehmigen waren. Die vorgefertigten Vertragsentwürfe legte der Angeklagte den Rechtsanwälten zur Unterschrift vor, die sie ohne weiteres Aushandeln unterzeichneten.

Während ihrer Beschäftigung waren die Rechtsanwälte nur für den Angeklagten tätig, der ihnen auch die zu bearbeitenden Mandate zuwies. Sofern sie keine auswärtigen Termine wahrzunehmen hatten, erbrachten sie ihre Tätigkeit, wie vom Angeklagten erwartet und eingefordert, zu den Kanzleizeiten nahezu ausschließlich in den Kanzleiräumlichkeiten; hierfür stellte ihnen der Angeklagte, ohne sie an den Kosten zu beteiligen, neben einem eigenen Büro das geschulte kanzleiinterne Personal sowie die gesamte sonstige Infrastruktur seiner Kanzlei zur Verfügung. Das vereinbarte Jahreshonorar riefen die Rechtsanwälte regelmäßig einmal pro Monat anteilig, also in Höhe eines Zwölftels, per Rechnung ab, unabhängig von dem durch sie in dem jeweiligen Abrechnungszeitraum erwirtschafteten Umsatz.

Insgesamt enthielt der Angeklagte den vier zuständigen Einzugsstellen von Februar 2013 bis Dezember 2017 in 189 Fällen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 118.850,58 € vor.§

In rechtlicher Hinsicht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der zwölf näher bezeichneten Anwälte im Tatzeitraum als abhängige Beschäftigung einzustufen sei und die angefallenen Sozialversicherungsabgaben vorenthalten worden sind. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die umfangreiche Begründung der Entscheidung.

Hier nur die Leitsätze zu dem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Urteil:

1. Für die Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend; soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen.

2. Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung lassen nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 und 2 StGB entfallen, sondern sind erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen.

StPO II: Verständigung oder „nur“ Erörterung?, oder: Lasst uns über die Strafhöhe sprechen.

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 03.12.2020 – 1 Ws 361/20 – hat auch – im weiteren Sinn – mit einer Verständigung (§ 257c StPO) zu tun. Das OLG hat in dem Beschluss nämlich zur Unterscheidung/Abgrenzung der Verständigung (§ 257 c StPO) von einer Erörterung des Verfahrensstandes (§ 257b StPO) Stellung nehmen müssen. Der Angeklagte und der Verteidiger hatten beim AG auf die Einlegung von Rechtsmitteln „verzichtet.Später hat der Angeklagte dann doch Berufung eingelegt. Das LG hat die als unzulässig angesehen, da der vom Beschwerdeführer im Rahmen der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht wirksam gewesen sei. In dem protokollierten Austausch der Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung beim AG sei trotz fehlendem Negativtestat im Protokoll keine Verständigung im Sinne des § 257c StPO zu sehen. Die Beteiligten hätten sich lediglich über die Strafhöhe im Falle einer geständigen Einlassung bzw. einer nicht geständigen Einlassung und vollem Tatnachweis ausgetauscht.

Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG keinen Erfolg hatte:

„Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Der vom Beschwerdeführer wirksam erklärte Rechtsmittelverzicht steht einer zulässigen Berufungseinlegung entgegen.

Der wirksame Verzicht eines Angeklagten auf ein Rechtsmittel führt zum Verlust des Rechtsmittels. Ein dennoch eingelegtes Rechtsmittel – hier die Berufung – ist sodann unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019, Az. 3 StR 214/19 in NStZ-RR 219, 318). Die Unwirksamkeit einer solchen Verzichtserklärung kommt dann in Betracht, wenn dem Urteil eine Verständigung im Sinn des § 257c StPO vorausgegangen wäre (§ 302 Absatz 1 Satz 2 StPO), der Angeklagte prozessual handlungsunfähig gewesen wäre und deshalb den Bedeutungsgehalt des Rechtsmittelverzichts verkannt haben könnte, wenn er die Verzichtserklärung irrtumsbedingt aufgrund einer dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zuzurechnenden Täuschung abgegeben hätte oder wenn der Rechtsmittelverzicht auf einer vom Gericht zu verantwortenden unzulässigen Einwirkung des Gerichts beruhte (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019, a.o.O.). Keiner dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben.

In dem protokollierten Austausch der Verfahrensbeteiligten über die mögliche Höhe des Strafmaßes lag keine konkludente Verständigung im Sinne des § 257c StPO, sondern es handelte sich um eine Erörterung gemäß § 257b StPO. Nach dem Willen des Gesetzgebers beschränkt sich diese Vorschrift auf kommunikative Elemente, die der Transparenz und Verfahrensförderung dienen, aber nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung, wie sie der § 257c StPO vorsieht, gerichtet sind. Sie trägt dem Gedanken eines transparenten Verfahrensstils in der Hauptverhandlung Rechnung, ohne dass sich der Richter dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt sehen soll. Gegenstand einer solchen Erörterung kann auch die Angabe einer Ober- und Untergrenze nach gegenwärtigem Verfahrensstand zu erwartenden Strafe durch das Gericht sein (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S.12 f.; BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019, Az. 1 StR 2/19 in NStZ 2019, 684; Beschluss vom 14. April 2015, Az. 5 StR 9/15 in NStZ 2015, 535), ebenfalls kann die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses zur Sprache kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019, Az. 1 StR 2/19 a.a.O.; Az. 3 StR 153/16; Beschluss vom 14. April 2015, Az. 5 StR 9/15 a.o.O.). Eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO kommt hingegen zustande, wenn das Gericht ankündigt, wie die Verständigung aussehen könnte (§ 257c Absatz 3 Satz 1 StPO) und wenn der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft zustimmen (§ 257c Absatz 3 Satz 4 StPO). Kennzeichen der Verständigung ist die synallagmatische Verknüpfung der Handlungsbeiträge der Beteiligten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016, Az. 2 BvR 1422/15 in NStZ 2016, 422). Voraussetzungen für ihr formwirksame Zustandekommen ist die Zustimmung der Verfahrensbeteiligten (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 13; BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019, Az. 1 StR 169/19 in NStZ 2019, 688). Sie muss – nicht zuletzt wegen der Bindungswirkung – ausdrücklich erfolgen; eine konkludente Erklärung genügt nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019, Az. 1 StR 169/19 a.a.O.; Beschluss vom 7. Dezember 2016, Az. 5 StR 39/16 in NStZ-RR 2017, 87). Vorliegend fehlt es an einer solchen ausdrücklichen Zustimmung sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Beschwerdeführers. Dies ergibt sich zum einen aus dem Protokoll der Hauptverhandlung, zum anderen auch aus den dienstlichen Stellungnahmen der Prozessbeteiligten und wird vom Vortrag des Beschwerdeführers auch nicht angegriffen. Darüber hinaus genügt der Hinweis des Gerichts auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses – selbst wenn das Gericht wie vorliegend geschehen die Höhe des Strafmaßes eingrenzt und die Beweisaufnahme schon fortgeschritten ist – nicht, um eine gegenseitige Verknüpfung des Geständnisses mit einem bestimmten Strafmaß anzunehmen, wie es die Verständigung nach § 257c StPO vorsieht. Vielmehr ist in der protokollierten Erklärung eine Offenlegung der gerichtlichen Einschätzung des Verfahrenstandes in Bezug auf den bisherigen Verfahrensgang und die möglichen Folgen für das Strafmaß zu sehen, die dem Angeklagten zwar nochmals die Vorteile eines Geständnisses vor Augen führen sollte, aber weder eine unzulässige Drohkulisse aufbaute, noch das Angebot einer das Gericht bindende Verständigung darstellte. Diese Bekanntgabe diente allein der Transparenz und der Verfahrensförderung und war in ihrem Umfang von der Regelung des § 257b StPO gedeckt. Eine versteckte Verständigung im Sinne des § 257c StPO, die einen wirksamen Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen hätte, war hierin nicht zu erkennen.

Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer prozessual handlungsunfähig gewesen sein und deshalb den Bedeutungsgehalt des Rechtsmittelverzichts verkannt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Prozessual handlungsfähig ist, wer aufgrund seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, seine Interessen verständig wahrzunehmen und Prozesshandlungen mit Verständnis und Vernunft auszuführen. In Zusammenhang mit einem Rechtsmittelverzicht ist die Fähigkeit ausschlaggebend, die verfahrensrechtliche Bedeutung des Verzichts zu erkennen. Diese Fähigkeit wird erst durch schwerwiegende psychische oder körperliche Beeinträchtigungen aufgehoben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019 a.a.O mit Verweis auf Beschluss vom 24. August 2016, Az. 1 StR 301/16 in NStZ-RR 2017, 92 m.w.N). Hinweise auf eine solche Beeinträchtigung sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, dass er keine Kenntnis über die Bedeutung eines Rechtsmittelverzichts gehabt habe und diese ihm vor der Abgabe der Verzichtserklärung auch nicht erläutert worden sei, genügt dies allein für die Unwirksamkeit einer Verzichtserklärung nicht. Zudem vermag dieser Vortrag im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer ausweislich der Bundeszentralregisterauskunft bereits 27 mal verurteilt wurde und 3 Urteile am Tag der Verkündung in Rechtskraft erwachsen sind – das letzte am 11. April 2017 -, was auf einen entsprechenden Rechtsmittelverzicht in der Hauptverhandlung schließen lässt, auch nicht zu überzeugen.“

OWi I: Beschilderte Infrastruktureinrichtung/Beschränkung des Durchgangsverkehrs, oder: Abgrenzung mit Folgen

entnommen wikimedia.commons

In die 26. KW./2020 starte ich mit zwei OWi-Entscheidungen. Beide stammen vom bayObLG, beide behandeln – seit längerem mal wieder – Fragen des Fahrverbotes nach § 25 StVG.

Ich beginne mir dem BayObLG, Beschl. v. 22.01.2020 – 201 ObOWi 2752/19 – zur Abgrenzung von Verstößen gegen beschilderte Infrastruktureinrichtungen zu Verstößen gegen Beschränkungen des Durchgangsverkehrs. Liest sich sperrig und ist auch sperrig.

Es geht um folgenden Sachverhalt. Das AG hat gegen den Betroffenen wegen „vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 43 Abs. 3, 49 StVO (Missachtung des durch Zeichen 265 angeordneten Verkehrsverbotes, obwohl die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen gekennzeichnet war)“ u.a. eine Geldbuße von 500 EUR ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.

Grundlage waren folgende Feststellungen:

„Nach den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 17.04.2019 mit einem LKW mit Containeranhänger den G-Weg in O. vom Hafen kommend in Richtung F. Gegen 16:34 Uhr befand er sich nach der Abzweigung zur M-Straße in Richtung G. auf dem im Urteil näher bezeichneten Teilstück. Dort befinden sich drei Brücken, die in Richtung G. durchfahren werden müssen. Die zulässige Höhe ist für Fahrzeuge durch das mehrfach angebrachte Zeichen 265 auf 3,9 Meter beschränkt. Die Container auf dem Anhänger des vom Betroffenen geführten LKW-Gespannes wiesen bei der Durchfahrt unter der gegenständlichen Brücke eine Höhe von 3,98 Meter am hinteren Container und von 3,95 Meter am vorderen Container auf, was der Betroffene zumindest billigend in Kauf nahm. An der zweiten und dritten Brücke dieses Teilstückes ist jeweils erneut das Zeichen 265 mit der Beschränkung auf 3,9 Meter befestigt sowie links und rechts von diesem Zeichen zusätzlich „über beide nach G. führenden Spuren reichend die Verkehrseinrichtung Zeichen 600 im Sinne von Anlage 4 Nr. 1 zu § 43 Abs. 3 StVO angebracht“. Hinsichtlich der Beschaffenheit der Beschilderung und der Markierung hat das Amtsgericht insoweit ausdrücklich die Bilder Nrn. 13, 15 – 16 sowie 17 – 18 auf Blatt 42 bis 45 der Akten benannt und am Ende der Aufzählung wegen der weiteren Einzelheiten auf diese Lichtbilder verwiesen.“

Das BayObLG verurteilt den Betroffenen nur noch zu einer Geldbuße von 40 EUR und lässt das Fahrverbot entfallen:

„a) Der Betroffene hat demnach keine Zuwiderhandlung gegen § 49 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 2 StVO begangen. Nach den Urteilsfeststellungen i.V.m. den Lichtbildern, auf die wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG in wirksamer Weise Bezug genommen worden ist, ergibt sich, dass der Betroffene hier nicht, wie es Nummer 250a BKat verlangt, eine durch Verkehrseinrichtungen nach Anlage 4 laufender Nummer 1 – 4 zu § 43 Abs. 3 StVO gekennzeichnete Straßenfläche befahren hat. § 43 Abs. 3 Satz 2 StVO untersagt es, die durch Verkehrseinrichtungen nach Anlage 4 Nrn. 1 bis 7 gekennzeichneten Straßenflächen zu befahren. Die Rechtsauffassung des Amtsgerichts, wonach das an der Unterseite des quer zur Fahrbahn des Betroffenen verlaufenden Brücke angebrachte Warnzeichen eine Absperrschranke (Zeichen 600) nach Anlage 4 zur StVO darstellt, vermag der Senat nicht zu teilen. Dies legt bereits der Wortlaut der Straßenverkehrsordnung nahe. Das Zeichen 600 ist mit dem Begriff „Absperrschranke“ Der Begriff Absperrschranke setzt voraus, dass das Verkehrszeichen die Funktion hat, einen Straßenbereich – wie durch eine Schranke – abzusperren. Diese Auslegung wird insbesondere auch gestützt durch die Ausführungen, die das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit am 12.07.2017 über das Bundeskanzleramt dem Bundesrat mit der Bitte um Zustimmung übersandt haben. Zur Begründung führt der Verordnungsgeber an, dass derzeit eine Vielzahl von Brücken auf ihre Standfestigkeit hin überprüft werde und deshalb vermehrt Geschwindigkeits- und Gewichtsbeschränkungen, teilweise auch in Verbindung mit Höhenbeschränkungen, angeordnet seien, um große und schwere LKW von den Brücken fernzuhalten (BR-Drs. 556/17, Seite 3). Der Verordnungsgeber wollte deshalb mit der Neuschaffung von Nummer 250a BKat durch eine erhebliche Anhebung der Geldbuße und die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes sicherstellen, dass derartige Verbote beachtet werden. In diesem Zusammenhang verweist der Verordnungsgeber darauf, dass Orientierungspunkt bei der Höhe der Bebußung die Missachtung einer geschlossenen Schranke bei Bahnübergängen sei (BR-Drs. 556/17, Seite 37). Hinweise auf derartige Verbote zum Schutz von Infrastruktureinrichtungen würden mehrfach angekündigt und gleichwohl zur Vermeidung von Umwegen bewusst missachtet. Soweit die entsprechenden Beschränkungen mit weiteren Verkehrseinrichtungen begleitet werden, die zu einer Verengung der Fahrstreifen oder einer Höhenbeschränkung führen, um auch rein tatsächlich durch Schaffung derartiger körperlicher Hindernisse ein Befahren von großen und damit auch meist schweren LKW zu verhindern, komme dies einer baulichen Hürde wie einer Schranke gleich, die mechanisch bereits das Befahren der Straße kaum möglich mache (BR-Drs. 556/17 Seite 37/38). Der Verordnungsgeber wollte demnach die Nichtbeachtung oder das Überfahren von körperlichen Hindernissen durch eine deutliche Erhöhung der Geldbuße verhindern. Dies bedeutet, dass – wie vorliegend – unmittelbar an der Infrastruktureinrichtung durch Schilder angebrachte rot-weiße Markierungen keine über die durch eine niedrige Brücke ohnedies gegebene Beschränkung des Durchfahrtverkehrs darstellen. Diese Markierungen stellen damit keine Absperrschranke im Sinne von Zeichen 600 der StVO dar. Vielmehr handelt es sich bei einer solchen Markierung lediglich um ein sogenanntes Leitmal (Zeichen 627) und damit um eine Einrichtung zur Kennzeichnung von dauerhaften Hindernissen oder sonst gefährlichen Stellen. Nach den Erläuterungen zu Anlage 4 laufende Nummer 10 zur StVO kennzeichnen Leitmale in der Regel den Verkehr einschränkende Gegenstände. Ihre Ausführung richtet sich nach der senkrechten (VzKat Nr. 627-10 und Nr. 627-20), waagrechten (VzKat Nr. 627-30) oder gewölbten bzw. gebogenen Anbringung (VzKat Nr. 627-50) beispielsweise an Bauwerken, Bauteilen und Gerüsten. Auch wenn das unter Anlage 4 laufende Nummer 10 zur StVO abgebildete Leitmal gebogen ist, steht aufgrund der hierzu angegebenen Erläuterung eindeutig fest, dass ein Leitmal – wie hier – auch dann gegeben ist, wenn es waagrecht an einer quer zur Fahrbahn verlaufenden Brücke angebracht ist. Demgegenüber liegt dem Tatbestand von lfd. Nr. 250a BKat zugrunde, dass die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen gekennzeichnet ist, wobei Verkehrseinrichtungen in diesem Sinne Schranken, Leitbaken, Leitschwellen und Leitborde sind (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 01.02.2019 – 1 RBs 28/19 bei juris). Derartige Absperreinrichtungen sind hier aber nicht vorhanden.

b) Der Betroffene hat damit vorsätzlich gegen § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 lfd. Nr. 39 (Zeichen 265) verstoßen und damit eine Zuwiderhandlung nach § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO begangen. Der Schuldspruch des Urteils des Amtsgerichts war daher dahingehend abzuändern. § 265 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG steht dem nicht entgegen, da Gegenstand der dem Betroffenen zur Last liegenden Ordnungswidrigkeit bereits die Missachtung der Höhenbeschränkung (Zeichen Nr. 265) war.“