Schlagwort-Archive: Ausländer

Pflichti I: Der betrunkene Ausländer, oder: Aufklärung der polizeilichen Maßnahmen

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Heute dann mal wieder ein (Teil)Thementag. Thema: Pflichtverteidigung, und dazu vorab noch einmal. Ich danke herzlich für alle Entscheidungen, die mir zugesandt werden, nur: Ich kann sie nicht immer alle sofort hier bringen. Daher kann es manchmal etwas dauern, bis sie einem größeren Publikum vorgestellt werden.

Ich eröffne dann mit dem AG Montabaur, Beschl. v. 12.03.2018 – 12 Ds 2020 Js 51899/17, den mir der Kollege T. Scheffler, Bad Kreuznach, zugesandt hat. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen einer Trunkenheitsfahrt. Der Mandant ist Ausländer und der deutschen Sprache nicht mächtig. Das AG ordnet den Kollegen bei:

Einer Pflichtverteidigung im Sinne des S 140 Abs. 2 StPO bedarf es zwar nicht, wenn die Behinderung in der Verteidigung des Angeklagten allein auf sprachlichen Defiziten beruht und diese bei in tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen durch die Beiordnung eines -für den Angeklagten unentgeltlichen ( § 187 GVG) – Dolmetschers vollständig ausgeglichen werden kann.

Die Verteidigung hat allerdings nachvollziehbar weitergehende Umstände angeführt, die den Angeklagten bei unzureichenden Sprachkenntnissen in seiner Verteidigungsfähigkeit behindern und durch einen Dolmetscher nicht völlig ausgeglichen werden können (Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 60. Auflage, § 140 Rn. 30a m. w. N.). So sind die anfänglichen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen auch unter Würdigung der Sprachdefizite des Angeklagten schon dort ggf. wegen Alkoholeinfluss des Angeklagten mit weiteren zu berücksichtigenden Erwägungen – in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu hinterfragen. Eine sachgerechte Verteidigung des Angeklagten allein durch die gerichtliche Hinzuziehung eines Dolmetschers ist dabei nicht sicher gewährleistet. Dem Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger war stattzugeben.“

Nochmals: Strafbefehl – nur mit Übersetzung ist Zustellung wirksam….

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Klein, aber fein ist der LG Freiburg, Beschl. v. 17.06.2016 – 3 Qs 127/15. Er behandelt eine Problematik, die vor kurzem auch schon das LG Stuttgart im LG Stuttgart, Beschl. v. 12.05.2014 – 7 Qs 18/14entschieden hat (vgl. Strafbefehl: Nur mit Übersetzung ist Zustellung wirksam….). Es geht noch einmal um die Wirksamkeit der Zustellung eines Strafbefehls an einen der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten. Das LG Freiburg sagt ebenso wie das LG Stuttgart:

„Der Angeklagte ist der deutschen Sprache nicht mächtig. Seine Belehrung im Rahmen seines polizeilichen Aufgriffs erfolgte mittels eines in georgischer Sprache abgefassten Vordrucks. Nach Auskunft der Justizvollzugsanstalt Freiburg ist eine Verständigung in deutscher Sprache mit dem Angeklagten nicht möglich. Daher wäre der Strafbefehl dem Angeklagten gemäß § 187 Abs. 2 GVG in einer Übersetzung in die georgische Sprache zuzustellen gewesen. Erst mit der Zustellung eines übersetzten Strafbefehls wird die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl in Gang gesetzt (vgl. hierzu auch Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO, 57. Auflage 2014, § 37 Rn. 28; LG Stuttgart NStZ-RR 2014, 216 ff.).“

Recht hat es.

AG Passau: Zwar „Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik“, aber nicht „Mutti“ als Strafzumessungskriterium

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Ich hatte gestern über das AG Passau-Urt. zur Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern berichtet (vgl. hier Strafzumessung modern/aktuell (?): Strafzumessungskriterium A.Merkel), und zwar auf der Grundlage eines Presseberichtes. Inzwischen liegt mir der Volltext zu einer Entscheidung des AG Passau betreffend Einschleusen von Ausländern vor, es ist das AG Passau, Urt. v. 04.11.2015 – 4 Ls 14 Js 10843/15 III. Im Bericht Richter straft Schleuser wegen Regierungspolitik milde ist allerdings die Rede von einem Urteil v. 05.11.2015. Ich gehe aber mal davon aus, dass das Urteil, das ich übersandt bekomme habe – ein Aktenzeichen hatte ich bei meiner Anfrage nicht -, dasjenige ist, auf das sich der Pressebericht bezogen hat. Auf das Urteil komme ich dann daher hier – wie angekündigt – zurück.

Das AG hat zur Strafzumessung u.a. mit folgenden allgemeinen Erwägungen ausgeführt:

Darüber hinaus ist zu sehen, dass die Tat nur vor dem Hintergrund der jetzigen Flüchtlingskrise möglich war, da es sich bei den geschleusten Personen bereits um in der EU befindliche Kriegsflüchtlinge gehandelt hat,

Nur aufgrund des Versagens der europäischen Flüchtlingspolitik, die eine europaweite Verteilung der Flüchtlinge bisher nicht zustande gebracht hat, ist die verfahrensgegenständliche Tat möglich geworden.

Dies lässt zwar die Strafbarkeit des Angeklagten nicht entfallen, ist jedoch bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Negativ kann hingegen die Anzahl der geschleusten Personen sowie das von dem Angeklagten für die Flüchtlinge eingegangene erhebliche abstrakte Risiko gewertet werden, zu beachten ist jedoch hierbei, dass die Geschleusten diese Transportbedingungen freiwillig hingenommen haben.

Betreffend der Anzahl der geschleusten Personen sind bei der Strafzumessung auch die inzwischen veränderten Verhältnisse hinsichtlich des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland zu beachten.

Insoweit ist amtsbekannt, dass mittlerweile täglich mehrere tausend Flüchtlinge im Großraum Passau nach Deutschland gelangen, dies unter Beteiligung österreichischer und deutscher Behörden, womit sich die Anzahl der hier geschleusten 26 Personen unter Berücksichtigung des Schutzzweckes des Aufenthaltsgesetztes (§ 1 AufenthG) erheblich relativiert.

Des Weiteren hat das Gericht innerhalb des Strafrahmens des § 96 ll Nr 5 AufenthG zu bewerten, dass auch die zuletzt zeitweilig an den hiesigen Grenzübergängen von den österreichischen und deutschen Behörden geduldeten Zustände für die Flüchtlinge gesundheitsbedrohlich waren, nämlich deren stundenlanges Warten in zum Teil sommerlicher Kleidung bei Temperaturen unter 10 Grad, so dass sich auch insoweit der Schuldgehalt hinsichtlich des Schutzes der Unversehrtheit der Geschleusten zumindest relativiert.

Insgesamt erscheint daher im vorliegenden Falle eine Freiheitsstrafe von 2 Jahr erforderlich aber auch ausreichend, dies auch unter Würdigung der vom Schöffengericht sonst ausgesprochenen Freiheitsstrafen in Strafverfahren mit vergleichbarem Schuldgehalt.

Verwiesen wird insoweit u. a. auf Straftaten nach § 224 StGB und die dort bei identischem Strafrahmen in der Regel bei Ersttätern ausgeworfenen Freiheitsstrafen.“

Liest sich dann m.E. doch etwas anders als in dem Welt-Bericht: „Richter straft Schleuser wegen Regierungspolitik milde„ Abgesehen davon, dass dort von einem Urteil vom 05.11.2015 die Rede ist, fehlt in dem mir vorliegenden Urteil die Passage, die es nach der Welt am Sonntag-Artikel an sich haben müsste, wenn dort ausgeführt wird:

Das Strafmaß wurde nicht voll ausgeschöpft. Der Richter begründete dies so: „Angesichts der Zustände an den Grenzen ist die Rechtsordnung von der deutschen Politik ausgesetzt, deshalb wird keine unbedingte Haftstrafe erteilt. Asylsuchende werden von der deutschen Bundeskanzlerin eingeladen.“

Also doch nicht Strafzumessung modern/aktuell (?): Strafzumessungskriterium A.Merkel, jedenfalls nicht ex pressiv verbis. Für mich im Übrigen mal wieder der Beweis, dass man/ich lieber nicht auf der Grundalge zu Presseberichten bloggt/berichtet.

Klein, aber fein: Pflichtverteidiger für einen „Ausländer mit Verständigungsschwierigkeiten“

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Klein, aber fein, ist m.E. die Entscheidung einer Wirtschaftsstrafkammer des LG Freiburg, die mir der Kollege, der sie erstritten hat, übersandt hat. Es geht um die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Beschuldigter ist ein Ausländer, der Verständigungsschwierigkeiten hat. Das LG bestellt im LG Freiburg, Beschl. v. 18.08.2015 – 8 Qs 7/15 – einen Pflichtverteidiger, und zwar schon aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung. Es sieht das Verfahren als wohl rechtlich schwierig an, aber es geht bei dem Beschuldigten auch von „Unfähigkeit zur Selbstverteidigung“ i.S. des § 140 Abs. 2 StPO aus;

„Hinzu kommt, dass das Amtsgericht Freiburg mit Vermerk vom 30.01.2015 festgestellt hat, dass für den Angeklagten zum Termin ein türkischer Dolmetscher zu laden ist. Hat ein Angeklagte als Ausländer aber Verständigungsschwierigkeiten, so ist ihm wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung regelmäßig ein Verteidiger beizuordnen (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2015, § 140 Rn. 30 a). Dies gilt zwar nicht ausnahmslos. Insbesondere hat dies jedoch dann zu gelten, wenn ein Fall tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten von Gewicht aufweist, die unter Heranziehung eines Dolmetschers nicht ohne weiteres ausräumbar erscheinen. Aufgrund der vorgenannten Problematik ist jedenfalls dies hier der Fall.“

Schöne Formulierung, die das LG da aus der Literatur übernimmt: „regelmäßig“ …..

Im wahrsten Sinn: Kommst du wieder rein, kommst du wieder rein

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Für den OLG Hamm, Beschl. v. 18.06.2013 – 1 VAs 32713 gilt im wahrsten Sinn des Wortes: Kommst du wieder rein, kommst du wieder rein, was bedeutet: Eine Wiedereinreise nach einer Aussetzung der Vollstreckung führt zur Fortsetzung des Strafvollzugs. Im Verfahren ging es um einen Ausländer, der zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war. Deren Vollstreckung wurde nach 10 Jahren wegen der Ausweisung des Ausländers ausgesetzt. Der Ausländer ist jedoch nicht endgültig ausgereist bzw.  wieder eingereist. Er wurde verhaftet. Er hat dann bei der StA erneut die Aussetzung der Haftstrafe und seine erneute Ausweisung beantragt mit der Begründung, er sei unwissentlich nach Deutschland eingereist. Er sei mit seinem Arbeitgeber in den Niederlanden unterwegs gewesen. Sein Chef, der von seiner Haftstrafe nichts gewusst hatte, sei mit ihm nach Deutschland zu Kunden gefahren. Er habe davon aber nichts mitbekommen, da er während der Fahrt geschlafen habe.

Das OLG hat das nicht geglaubt und eine erneute Aussetzung abgelehnt:

Gemessen daran, sind die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und des Generalstaatsanwalts nicht zu beanstanden. Der Betroffene ist in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, obwohl er über die Folgen einer Wiedereinreise belehrt worden war. Eine schuldhafte Wiedereinreise oder ein erneuter Verstoß gegen ausländerrechtliche Bestimmungen ist nicht erforderlich. Die Einreise muss lediglich von einem natürlichen Willen des Betroffenen getragen sein (KG Berlin NStZ-RR 2004, 312, 313 ). Schon der Wortlaut des § 456a Abs. 2 StPO verlangt kein schuldhaftes Verhalten, sondern nur den faktischen Umstand der Wiedereinreise. Die Norm ist allerdings einschränkend dahin auszulegen, dass die Rückkehr von einem natürlichen Willen getragen sein muss, da man ihm eine ohne oder gegen seinen Willen erfolgte Rückkehr nicht zurechnen kann, so dass die daran anknüpfende Rechtsfolge einer weiteren Vollstreckung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde. Es wäre nämlich nicht erforderlich, durch die weitere Strafverfolgung die Strafzwecke zu verfolgen, wenn der Betroffene gewillt ist, sich an das Rückkehrverbot zu halten und so dem Zweck des § 456a Abs. 1 StPO (s.o.) Rechnung zu tragen. Hier ist eine solche von einem natürlichen Willen getragene Wiedereinreise gegeben. Dies schließt der Senat aus folgenden Umständen: In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Krefeld (32 Cs 7 Js 798/12 – 592/12) vom 08.03.2013 wegen des Vorwurfs der illegalen Einreise hat der Betroffene sich dahin eingelassen, dass er zwar geschlafen habe, als sein Chef aus den Niederlanden kommend nach Bielefeld gefahren sei. Er wusste auch von deutschen Kunden. Wörtlich hat er geäußert: „Ich habe das Risiko auf mich genommen“. Diese Äußerung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Betroffene über die Folgen einer Wiedereinreise belehrt worden war. Nach der Aussage des vor dem Amtsgericht vernommenen Zeugen S. (des Chefs des Betroffenen) war zudem auch Zweck der Fahrt, Aufträge einzuholen. Man sei zunächst bei Firmen in Holland gewesen. In Hengelo, also nur wenige Kilometer von der deutsch-niederländischen Grenze entfernt, habe der Zeuge das Fahrzeug als Fahrer übernommen und sei dann nach Bielefeld gefahren. Ob der Betroffene geschlafen habe, könne er nicht sagen, dieser habe aber die Augen geschlossen gehabt.