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Wer zurückkehren will, ist nicht flüchtig, und zwar auch nicht der Ausländer

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In der Praxis spielt bei der Verteidigung ausländischer Mandanten häufig die Frage, ob ggf. deshalb bei ihnen Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) zu bejahen ist, weil sich der Mandant (wieder) in sein Heimatland begeben hat, eine Rolle. Dazu verhält sich jetzt noch einmal der KG, Beschl. v. 01.03.2013 – 4 Ws 14/13 – mit den (amtlichen) Leitsätzen:

Keine Flucht bei Aufenthalt im Ausland bei feststehendem Rückkehrwillen

1. Begibt sich ein ausländischer Beschuldigter in Kenntnis des gegen ihn in Deutschland geführten Ermittlungsverfahrens in sein Heimatland, ist er flüchtig im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO, wenn sein Verhalten von dem Willen getragen ist, sich dauernd oder länger dem Strafverfahren zu entziehen. Reist er dagegen mit Rückkehrwillen zu einem nur vorübergehenden Aufenthalt in sein Heimatland, ist er auch dann nicht flüchtig, wenn die Wirkung der Unerreichbarkeit für die deutschen Strafverfolgungsbehörden und das Gericht tatsächlich eintritt, weil sein Heimatland eigene Staatsangehörige grundsätzlich nicht an Deutschland zum Zwecke der Strafverfolgung ausliefert.

2. Ernsthafte Rückkehrbemühungen stehen der Annahme entgegen, der ausländische Beschuldigte verbleibe im Ausland, um sich den Zugriffsmöglichkeiten der deutschen Justiz zu entziehen. Sie sprechen gegen das Vorliegen des für die Annahme einer Flucht im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlichen subjektiven Elements (Fluchtwillen).

Die britische „driving license“ in Deutschland

Folgender Sachverhalt:
Der Angeklagte, dem die Fahrerlaubnis in Deutschland entzogen worden war, befuhr mit einem Pkw öffentliche Straßen. Er war lediglich im Besitz eines für die erforderlichen Fahrerlaubnisklassen ausgestellten
britischen Führerscheins („driving licence“) mit dem Ausstellungsdatum 26. November 2008, den er im Wege des Umtausches seines deutschen Führerscheins (Code 70D) erworben hatte. Anklage und Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Die Revision hatte beim OLG Oldenburg keinen Erfolg. Der Leitsatz des OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.09.2011 – 1 Ss 116/11:

„Eine britische „driving licence“ stellt keine in Deutschland anzuerkennende Erteilung einer Fahrerlaubnis eines EU-Staates dar, wenn sie lediglich im Wege des Umtausches eines deutschen Führerscheins
ausgestellt wurde.“

Ähnlich vor kurzem der OLG Hamm, Beschl. v. 26.07.2011, III – 5 RVs 32/11.

Wochenspiegel für die 29. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Berichtenswert sind m.E.

  1. Natürlich hat der zweite „Blitzerbeschluss“ des BVerfG eine große Rolle gespielt, vgl. u.a. hier, hierhier, hier, hier und hier).
  2. Der Beck-Blog berichtet über eine mutige, m.E. zumindest angreifbare Entscheidung des AG Tiergarten.
  3. Eine Lanze für junge Richter(innen) bricht man hier.
  4. Mit der „Durchsuchung im Kinderzimmer“ befasst sich der LawBlog.
  5. Tipps zur Anhörung gibt der Schadenfixblog.
  6. Mit der Untersuchungshaft bei Bagatellstraftaten von Ausländern befasst man sich hier.
  7. Nochmals mit dem Richtervorbahlt befasste man sich hier.
  8. Auch die Drogenfahrt ist immer interessant, vgl. hier und hier.

Humanitäre Gründe stehen Strafbarkeit nur ausnahmsweise entgegen

Heute mal wieder etwas Materielles. Das OLG Hamm hat jetzt in seinem Beschl. v. 01.06.2010 – 3 RVs 310/09 zur Frage der Strafbarkeit von gegenüber einem ausreisepflichtigen Ausländer erbrachten Unterstützungshandlungen Stellung genommen. Bei dem Angeklagten handelte es sich um einen Pfarrer, dem das OLG ins Stammbuch geschrieben hat:

Werden gegenüber einem ausreisepflichtigen Ausländer Unterstützungshandlungen erbracht, durch die objektiv die Verletzung der Ausreisepflicht gefördert und erleichtert wird, so können humanitäre Gründe nur in Ausnahmefällen zur Straflosigkeit solcher Unterstützungshandlungen führen, etwa wenn die Hilfeleistungen der Behebung einer akuten Notsituation dienen und ihr Umfang nicht über das Maß der im Einzelfall gebotenen – in der Regel kurzfristigen – Nothilfemaßnahmen hinausgeht.

Wird in Zukunft von „Unterstützern“ zu beachten sein.

Anhörung des ausgewiesenen Verurteilten – das wird schwierig werden…

Auch ein ausgewiesener Verurteilter, der die Aussetzung seiner Reststrafe zur Bewährung in der Bundesrepublik begehrt, ist zwingend anzuhören, wenn nicht von dieser Anhörung ausnahmsweise abgesehen werden darf. Ist das Gericht der Auffassung, dass ein Absehen von der mündlichen Anhörung angezeigt ist, so muss es dies darlegen und auch begründen. Hat der Verurteilte aber nicht dargetan, ob er sich dem Risiko einer möglichen Verhaftung bei Erfolglosigkeit seines Antrages nach Wiedereinreise stellen möchte oder nicht, kann auch nicht von einem Verzicht auf die Anhörung ausgegangen werden. Ebenso wenig kommt die Anhörung durch ein ersuchtes Gericht in der Türkei in Betracht, da dies dem Gesetzeszweck zuwider läuft, der vorsieht, dass sich ein persönlicher Eindruck von dem Verurteilten zu verschaffen ist.

So  OLG Hamm, Beschl. v. 04.05.2010 – III-5 Ws 142/10.  Wird in der Praxis sicherlich nicht ganz einfach werden, die Vorgabe zu erfüllen.