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Auch Kleinvieh macht Mist, oder: Amtsrichter liest Rechtspfleger die Leviten

© froxx - Fotolia.com

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Um nicht mehr viel ging es in einem Erinnerungsverfahren beim AG Essen, das eine dort als Verteidigerin tätige Kollegin durchgeführt hat; den ergangenen AG Essen, Beschl. v. 06.11.2014 –  64 Ls 202 328/11-42/12 – habe ich dann über den Kollegen Stephan aus Dresden erhalten.

Im Streit waren noch 8,78 € Fotokopiekosten, die der Rechtspfleger bei der Kostenfestsetzung als nicht erforderlich vom Antrag der Kollegin abgesetzt hatte. Die hatte sich damit aber nicht zufrieden gegeben und Erinnerung eingelegt. Dem Rechtspfleger werden dann vom Amtsrichter „die Leviten gelesen“, wenn es dann in dessen Beschluss, mit dem die 8,78 € zuerkannt worden sind, heißt:

„Eine antragsgemäße Festsetzung hatte auch zu erfolgen, soweit der Erinnerungsführer über die ihm bereits zuerkannten Auslagen in Form der Dokumentenpauschale hinaus weitere 7,35 Euro geltend macht. Weder der angefochtenen Festsetzung noch der NichtabhiIfeentscheidung lässt sich konkret entnehmen, welche der (offenbar tatsächlich gefertigten) Fotokopien als angeblich nicht zur sachgemäßen Bearbeitung der Sache geboten abgesetzt wurden. Dem erkennenden Gericht ist es ebenso wenig wie dem Verteidiger zuzumuten, sich diese Informationen aus handschriftlich auf dem Kostenfestsetzungsantrag angebrachten Zusätzen und Klebezetteln zusammenzusuchen.

Man sieht: Nie die Flinte zu früh ins Korn werfen, denn auch Kleinvieh macht Mist.

Behindern der Polizei – Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort?

© Deyan Georgiev - Fotolia.com

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Mit einem sicherlich nicht alltäglichen Fall hatte ich vor einiger Zeit das AG Essen zu befassen, nämlich mit der Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB). Wenn man es so liest, fragt man sich zunächst: Geht das überhaupt? Nun, natürlich geht das, aber so ganz „einfach“ ist das nicht, wie das AG Essen, Urt. v. 10.10.2013 – Cs-43 Js 211/13-292/13 – zeigt. Da ist die Verurteilung des Angeklagten nämlich an den subjektiven Voraussetzungen einer Beihilfe „gescheitert“ und der Angeklagte frei gesprochen worden.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten Essen dem Angeklagten zur Last gelegt, dass dieser sich einer Polizeibeamtin, die nach einem Verkehrsunfall einen flüchtenden Fahrzeugführer verfolgte, in den Weg gestellt und sie daran gehindert hatte, dem Fahrzeugführer weiter zu folgen.

Das AG spricht frei, da es einen „Beihilfevorsatz“ nicht feststellen kann.

„Erforderlich ist dafür jedoch ein Vorsatz des Angeklagten dahingehend, einem anderen Hilfe zu dessen rechtswidriger Vortat zu leisten. Diesen konnte das Gericht nicht feststellen. Erforderlich ist, dass der Angeklagte bereits bei Beginn seiner Handlung den Vorsatz gehabt hat, einen anderen bei dessen vorsätzlicher rechtswidriger Tat Hilfe zu leisten. Dies kann vorliegend allein dann der Fall sein, wenn er in dem Moment, in dem er sich der Polizeibeamtin erstmals in den Weg stellt, bereits von der Tat weiß und diese unterstützen will. Dies konnte das Gericht jedoch nicht feststellen. Die Polizeibeamtin, die Zeugin M. hat bekundet, dass sie dem Angeklagten, als dieser sich in den Weg gestellt hat, nochmals erklärt habe, dass sie einen flüchtigen Fahrzeugteilnehmer verfolgt. Sie erklärte jedoch auch, dass sie nicht wisse wo genau der Angeklagte hergekommen sei. Sie könne daher auch nicht ausschließen, dass er sie nicht sofort als Polizeibeamtin erkannt hat, zumal sie in zivil unterwegs gewesen sei. In dubio pro reo muss das Gericht davon ausgehen, dass der Angeklagte erstmals in dem Moment, als er bereits vor der Zeugin stand und sie an der weiteren Verfolgung gehindert hat, erfahren hat, warum diese in seinen Garten möchte. Zu diesem Zeitpunkt hat der Angeklagte jedoch bereits den wesentlichen Teil seiner Handlung, das kurzfristige Aufhalten der Zeugin, begonnen. Erst danach hat er von dem Unfall und von der möglichen Vortat des Fliehenden erfahren. Erforderlich für ein vorsätzliches Hilfe leisten ist jedoch, dass der Angeklagte bei Beginn seiner Handlung diesen Vorsatz hat. Eine begangene Handlung, die zwar objektiv eine Beihilfe darstellt, nicht jedoch vorsätzlich geschah, kann nicht durch spätere Kenntnis der Haupttat und möglicherweise Billigung derselben zu einer Beihilfe werden.

Soweit die Tat möglicherweise eine Strafvereitelung darstellen könnte, da der Angeklagte jedenfalls erkannt haben könnte, dass es sich hier um eine Verfolgung einer Person durch die Polizei geht, unabhängig von der Frage, warum und was diesem zur Last gelegt wird, ist jedoch In dubio pro reo davon auszugehen, dass es sich bei der flüchtigen Person um einen Angehörigen des Angeklagten handelt. Die Zeugen geht davon aus, es handele sich um den Sohn, in dem Haus wohnt ein Großteil der „Sippe“, der der Angeklagte angehört. Er selber hat sich als „Sippenchef“ bezeichnet.“

Fahrradfahren auf dem Gehweg – und dann noch Schadensersatz

In einem nicht nur für Münster – der Weltstadt des Fahrrads – interessanten Entscheidung hat sich das AG Essen mit der Klage eines Fahrradfahrers befasst, der mit seinem Fahrrad den Gehweg einer Straße gegen die Fahrtrichtung befuhr, obwohl sich auf der gegenüberliegenden Seite ein ausgewiesener Radweg, der Radfahrverkehr in beiden Richtungen aufnimmt, befand. Es kam zur Kollision mit einem Pkw, der vom Beklagten gesteuert wurde. Der beabsichtigte aus einer Ausfahrt nach rechts in den fließenden Verkehr einzubiegen. Um auf die Straße zu gelangen, musste der Beklagte den von dem Kläger mit dem Rad befahrenen Gehweg überqueren. Im Einmündungsbereich auf den Gehweg befand sich eine Hecke, so dass der Gehweg für den Kläger nach rechts schwer einsehbar war. Es kam zum Zusammenstoß. Der Fahrradfahrer verlangte Schadensersatz. Das AG Essen, Urt. v. 27.08.2013 – 11 C 265/13 – hat seine Klage abgewiesen, und tzwar:

„Der Kläger befuhr mit ihrem Fahrrad den Gehweg. Damit verstieß er gegen § 2 Abs. 4 StVO. Nach dieser Bestimmung müssen Radfahrer, wenn Radwege vorhanden sind, diese benutzen, ansonsten haben sie die Fahrbahn zu benutzen. Lediglich Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr müssen, ältere Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen (§ 2 Abs. 5 StVO). Ein Verschulden des Beklagten an dem Zustandekommen des Unfalles hat nicht mitgewirkt, der Beklagte durfte darauf vertrauen, dass der Kläger sich vorschriftengemäß verhalten würde (sogenannter Vertrauensgrundsatz). Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Beklagte sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen könnte, weil er sich selbst verkehrswidrig verhalten hätte. Das wäre dann anzunehmen, wenn der Beklagte bei dem Auffahren auf den Gehweg den Kläger hätte erkennen und rechtzeitig abbremsen können. Entsprechendes konnte er jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts beweisen. Den Nachweis dafür, dass der Beklagte sich nicht vorsichtig auf den Gehweg vorgetastet hat, nämlich nicht zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt nach rechts geschaut hat, hat der Kläger nicht führen können. Vielmehr ist das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung nach der Anhörung des Beklagten zu der Überzeugung gelangt, dass dieser die erforderlichen Sorgfaltsanforderungen beachtet hat. Er hat bekundet, dass er langsam auf die Ausfahrt zugerollt sei. Er habe zunächst nach links geschaut, da ihm die Sicht nach rechts durch die Hecke versperrt gewesen sei. Als er dann die freie Sicht auf den Weg gehabt habe, habe er nach rechts geschaut, dann sei es jedoch schon zu der Kollision gekommen. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte, dieser Schilderung keinen Glauben zu schenken. Der Beklagte konnte sich an seine Fahrweise erinnern und hat diese glaubhaft wiedergegeben. Der Kläger selbst konnte hierzu hingegen keinerlei Angaben machen, da er bekundet hat, das Beklagtenfahrzeug erst unmittelbar vor der Kollision wahrgenommen zu haben.“

 

Sonntagmorgens gegen 7.45 Uhr 100m am Ende einer Sackgasse gefahren – kein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung

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Im Moment häufen sich die Entscheidungen, in denen bei Trunkenheitsfahrten von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen wird; zuletzt hatte ich am 10.04.2012 über eine Entscheidung des AG Düsseldorf berichtet.

Ein Kollege hat mir daraufhin das AG Essen, Urt. v. 13.05.2011 – 49 Cs-49 Js 501/11-185/11 geschickt, gegen das die StA zunächst Berufung eingelegt hatte, diese inzwischen aber wieder zurück genommen hat. Das  AG Essen hat auch einen Regelfall bei § 316 StGB mit 1,53 Promille verneint, und zwar mit folgender Begründung:

Das Gericht hatte einen Regelfall nach § 69 StGB angesichts der Umstände der Fahrt verneint. Die von dem Angeklagten gefahrene Fahrstrecke von weniger als 100 Metern am Ende einer Sackgasse am Sonntagmorgen gegen 7.45 Uhr ohne Verkehr entsprechen nicht dem Durchschnittsfall einer normalen Trunkenheitsfahrt. Zudem kommen besondere Umstände, die in der Person des Angeklagten liegen, hinzu, die die Vermutung der mangelnden Eignung widerlegen: Er fuhr bisher unbeanstandet im Straßenverkehr und hätte bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes zu rechnen. Die bisherige Beschlagnahme des Führerscheins hat auf ihn bereits einen entscheidenden Eindruck hinterlassen, da er auf den Führerschein angewiesen ist und berufliche Nachteile spürt.“

Kann sich also lohnen, die Tatumstände auf Besonderheiten abzuklopfen.

Kopieren der ganzen Akte erlaubt

Allmählich setzt sich die m.E. zutreffende Ansicht in der Rechtsprechung, die davon ausgeht, dass in Strafverfahren der Verteidiger grundsätzlich berechtigt ist, die ganze Akte zu kopieren, durch. So jetzt auch der AG Essen, Beschl. v. 21.11.2011 – 50 Ls-6 Js 778/09-119/11.

Nach Nr. 7000 1.a VV RVG ist die Pauschale für Ablichtungen aus Gerichtsakten zu gewähren, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Vielfach wird die Auffassung vertreten, der Rechtsanwalt müsse vor der Ablichtung ihm zur Einsicht überlassener Akten hinsichtlich jeder einzelnen Seite prüfen, ob die Ablichtung erforderlich sei oder nicht. Im Einzelnen hat sich hierzu eine umfangreiche Rechtsdogmatik entwickelt. So seien Ablichtungen der behörden- und gerichtsintemen Verfügungen, der eigenen Schriftsäfte, der bereits übersandten Entscheidungen, der Aktendeckel usw. nicht zu erstatten. Im Einzelnen ist vieles streitig (mit weiteren Nachweisen: Landgericht Essen, Beschluss vom 9.6.2011 – 56 Qs 28/11).

 Das Gericht schließt sich der im zuletzt genannten Beschluss des Landgerichts Essen vertretenen Rechtsauffassung an. Zu Gunsten einer einfachen und ressourcen- schonenden Rechtsanwendung ist auf kleinteilige Differenzierungen nach verschiedenen Aktenbestandteilen zu verzichten. Denn jeder Aktenbestand hat einen Informationswert und sei es nur, dass sich das betreffende Schriftstück bei den Akten befindet. Welche Bedeutung ein Aktenbestand für die sachgemäße Bearbeitung der Rechtssache tatsächlich hat, erweist sich jedoch regelmäßig erst im Nachhinein. Schon um Haftungsrisiken zu vermeiden, wird der Verteidiger ex-ante einen weiten Maßstab anlegen müssen. Daher begegnet es mit Blick auf die Erstattung von Auslagen grundsätzlich keine Bedenken, wenn ein Verteidiger die Akten einer Kanzleikraft übergibt und vollständig (einschließlich Beiakten, der Aktendeckel und lose einliegender Blätter) ablichten lässt, wie es in der Regel auch allein praktikabel sein dürfte. Eine Ausnahme mag etwa dann gelten, wenn in größeren Verfahren eine Vielzahl von Beiakten übersandt wird. Hier erscheint es zumutbar, dass der Verteidiger vor dem Kopieren jeweils die Verfahrensrelevanz einzelner Aktenbände prüft. Für eine solche Sichtweise spricht auch der dem RVG innewohne Grundsatz der Effizienz. Der Gesetzgeber hat für Nr. 7000 VV RVG eine pauschale und damit verein- fachte Berechnung der Höhe der Ablichtungskosten als sinnvoll erachtet, indem er einen Festbetrag je Ablichtung bestimmt hat. Dieser Grundsatz der Effizienz ist auch bei der Auslegung des Auslagentatbestands zu berücksichtigen. Das kleinteilige nachträgliche Prüfen von Ablichtungen im Kostenfestsetzungsverfahren verbraucht letztlich mehr staatliche Ressourcen als eine großzügige Erstattungspraxis dieser fast immer untergeordneten Auslageposition.“

Dem ist m.E. nichts hinzuzufügen.