Gegenstandswert II: Gebühren für die Einziehung, oder: Objektives wirtschaftliches Abwehrinteresse

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Und die zweite Entscheidung, der LG Berlin, Beschl. v. 05.03.2024 – 511 Qs 5 und 10/24 – äußert sich dann noch einmal zum Gegenstandswert für die Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV RVG. Dazu das LG Berlin:

„2. Die Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes ist auch (teilweise) begründet.

Der Gegenstandswert für die Einziehung richtet sich nach dem objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Anordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 22.05.2019 ¬1 StR 471/18, m.w.N.). Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist noch ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt. Ebenfalls ist nicht erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache in Betracht kommt (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 14. Februar 2020 – 1 Ws 40/20 -, Rn. 1, juris). Somit ist vorliegend unschädlich, dass weder in der Anklageschrift oder im Eröffnungsbeschluss noch in der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit der Einziehung hingewiesen oder ein entsprechender Antrag gestellt worden ist. Maßgeblich ist vielmehr, dass nach dem konkreten Anklagesatz, der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, bezüglich des Freigesprochenen (zumindest in jedenfalls sieben von acht ihm zur Last gelegten Taten) eine Einziehung tatsächlich in Betracht kam. Hiervon ist auch das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgegangen.

Wie die Beschwerdebegründung zutreffend wiedergibt, ist ein Vermögensgegenstand oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteil ist im Sinne des § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB „durch“ eine rechtswidrige Tat als Tatertrag erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er seiner faktischen Verfügungsgewalt unterliegt. Auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse kommt es dabei nicht an. Eine solche Verfügungsgewalt ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen kann. Bei mehreren Beteiligten genügt zumindest eine tatsächliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand dergestalt, dass die Möglichkeit eines ungehinderten Zugriffs auf diesen besteht. Für die Bestimmung des Erlangten im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB kommt es allein auf eine tatsächliche Betrachtung an; wertende Gesichtspunkte sind nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht zu berücksichtigen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beteiligte eine zunächst gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. nur Beschluss vom 10. Januar 2023 – 3 StR 343/22 -, Rn. 5, mwN).

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist somit maßgeblich, inwieweit der Freigesprochene ungehindert Zugriff auf vermeintlich betrügerisch erlangte Geldbeträge hatte. Dass er insoweit als Mitglied einer Bande angeklagt war, begründet nach dem Zuvorgesagten und der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade keine gesamtschuldnerische Haftung hinsichtlich aller durch irgendwelche Bandenmitglieder (vermeintlich) erlangten wirtschaftlichen Vorteile (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2018 – 5 StR 196/18 -, juris).

Danach ist, da eine weitergehende faktische Verfügungsgewalt nicht ersichtlich ist, auf die Gutachterkosten abzustellen. Die in dem angefochtenen Beschluss in den acht angeklagten Fällen jeweils im Wege der Schätzung ermittelten 300 Euro erweisen sich hingegen als zu niedrig. Für eine Schätzung war bereits deshalb kein Raum, da in den die früheren Anklagevorwürfen betreffenden Fallakten jedenfalls Gutachten des Freigesprochenen vorlagen. Da nach der Anklagehypothese der Freigesprochene mit den vermeintlichen Unfallverursachern kollusiv zusammengewirkt haben soll, sind die gesamten Gutachterkosten wirtschaftlich wertlos und damit erlangtes „Etwas“ im Sinne des § 73 StGB.

Danach gelten folgende Beträge als erlangt:

Fall 2            589,03 Euro (vgl. BI. 84 FA 3)
Fall 3            619,50 Euro (vgl. BI. 39 FA 5)
Fall 4            863,30 Euro (vg. BI. 39 FA 6)
Fall 5            832,83 Euro (vgl. BI. 187 FA 12)
Fall 6            924,05 Euro (vgl. BI. 103 FA 33)
Fall 8            832,83 Euro (vgl. BI. 69 FA 15)
Fall 12                    1.189,29 Euro (vgl. BI. 138 FA 21)

Gesamt:       5.850,83 Euro

Bezogen auf Fall 14 war der Gegenstandswert mit 0 Euro zu bemessen, da es nach der Anklage beim Versuch verblieb und keine Regulierung erfolgte. Mithin hat der Freigesprochene auch aus der Tat nichts erlangt.“

Gegenstandswert I: Gebühren im Adhäsionsverfahren, oder: Wert im Revisionsverfahren

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Und dann am Freitag Gebühren, heute zwei Entscheidungen zum Gegenstandswert.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 12.02.2024 – 5 StR 243/23 – zum Gegenstandswert  für die Rechtsanwaltsgebühren des Verteidigers des Angeklagten im Adhäsionsverfahren in der Revisionsinstanz.

Das LG hat im Adhäsionsverfahren den Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger U.L. 9.319,38 EUR „nebst 5 % über Basiszins“ ab dem 30. Dezember 2022 zu zahlen, soweit „diese nicht auf Dritte übergegangen sind“. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass der Angeklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, an die Adhäsionskläger U. und H. L. alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden, die ihnen aus der Tötung des J.L. entstanden sind, zu zahlen, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergegangen ist. Im Übrigen hat es von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge abgesehen.

Der Pflichtverteidiger hat beantragt, den Gegenstandswert des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG). Eine bindende Wertfestsetzung durch das Gericht (§ 32 RVG, § 63 GKG) gibt es bislang nicht.

Der BGh führt aus:

„Der Gegenstandswert im Adhäsionsverfahren bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller. Im Rechtsmittelverfahren ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG iVm § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG der Antrag des Rechtsmittelführers maßgeblich, wobei der Wert durch denjenigen des Streitgegenstands im ersten Rechtszug beschränkt ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 GKG). Insoweit kommt es hier auf die vom Angeklagten im Revisionsverfahren abgewehrten Ansprüche der Adhäsionskläger an, mithin diejenigen wegen derer es zu einer Verurteilung durch das Landgericht gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2023 – 6 StR 198/22).

Danach beträgt der Gegenstandswert des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz 23.319,38 Euro. Dieser Betrag setzt sich aus dem ausgeurteilten Zahlungsbetrag in Höhe von 9.319,38 Euro und dem geschätzten Wert des Gegenstands des Ausspruchs über die Feststellungsanträge, soweit ihnen stattgegeben worden ist, zusammen (6.000 Euro betreffend den Adhäsionskläger U. L, 8.000 Euro betreffend die Adhäsionsklägerin H.L.).“

StGB III: Gewaltsame Entwendung eines BVB-Fanschals, oder: Zueignungsabsicht?

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Und dann habe ich zum Schluss des Tages noch das AG Dortmund, Urt. v. 07.11.2023 – 767 Ls-530 Js 101/23 -67/23.

Das AG hat den Angeklagten wegen Raubes (§ 249 StGB) und wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) verurteilt und dazu folgende Feststellungen getroffen:

„Am 08.04.2023 besuchte der Angeklagte das Fußballbundesligaspiel zwischen Borussia Dortmund und Union Berlin im Westfalenstadion in Dortmund. Der Angeklagte war in einer größeren Fangruppe angereist. Am Stadion bemerkte er den Zeugen B, welcher einen keine 15 Euro teuren mit Vereinsfarben versehenen gelb-schwarzen BVB-Schal mit der sich für Dortmunder Fanverhältnisse ausreichend reimenden Aufschrift „Mein Herz pumpt. Mein Herz schlägt. Du bist alles was, in mir lebt“ trug. Der Zeuge hatte den Schal um seinen Hals gelegt. Der Angeklagte schubste den Zeugen aus einem spontanen Entschluss heraus mehrfach, rammte ihm dann schmerzhaft ein Knie in den Bauchbereich, wodurch sich der Zeuge bückte und der Angeklagte den Schal des Zeugen an sich nehmen konnte. Der Angeklagte machte sich von hier aus auf den Weg ins Stadion zu den anderen mitgereisten Union Berlin-Fans. Er präsentierte den Schal als Trophäe und steckte den Schal dann ein. Im Laufe des Bundesligaspiels befand sich der Angeklagte somit mit dem Schal im Stadion, hatte den Schal im linken Jackenärmel versteckt und fühlte mehrfach, ob der Schal noch im Ärmel vorhanden war. Er zog dann den Schal heraus und steckte ihn in eine mitgeführte kleine Umhängetasche. In der 65. Spielminute konnte der Angeklagte von der Polizei im Stadion mit dem Schal angetroffen werden. Der Angeklagte hatte vor, sich nach Spielende des Schals noch im Stadion zu entledigen.

Der Angeklagte war später mit der außergerichtlichen Einziehung des Schals und die Übergabe an den Zeugen B einverstanden.

Der Zeuge B hatte auch nach dem Spiel noch Schmerzen im Bauchbereich. Er hat jedoch keine weiteren schwerwiegenden Folgen des Vorfalls davongetragen.“

Grundlage der Verurteilung war u.a. das Geständnis des Angeklagten, die Aussage des Geschädigten und die Inaugenscheinnahme eines Videos zum Verhalten des Angeklagten, das den Angeklagten im Stadion während des Anschauens des Fußballspiels zeigte. Hier war – so das AG – erkennbar, dass der Angeklagte immer wieder kontrollierend in seinen linken Jackenarm griff, um das Vorhandenseins des Schals zu prüfen. Schließlich war erkennbar, dass der Angeklagte den Schal zusammengedrückt aus seinen linken Ärmel zog und in eine rechtsseitig an seinen Körper sich befindende kleine Umhängetasche steckte.

Auf der Grundlage hat das AG dann Raub gemäß § 249 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Körperverletzung (§§ 223, 230 StGB) angenommen und führt dazu aus:

„Angesichts der glaubhaften Einlassung, des videografierten Verhaltens des Angeklagten („Verstecken des Schals, Umlagern in Tasche“) und der Dauer der Gewahrsamsaufrechterhaltung bis zur 65. Minute (also über die Halbzeitpause hinweg) hat das Gericht nach Maßgabe der Entscheidungen des BGH v. 27.1.2011 – 4 StR 502/10, HRRS 2011, Nr. 375 und des OLG Nürnberg v. 7.11.2012 – 1 St OLG Ss 258/12, openjur 2012, 130662 die für § 249 StGB nötige Zueignungsabsicht bejahen können.“

Ich denke, das lässt sich halten/vertreten. Was mich an dem Urteil stört, ist die Formulierung: „einen keine 15 Euro teuren mit Vereinsfarben versehenen gelb-schwarzen BVB-Schal mit der sich für Dortmunder Fanverhältnisse ausreichend reimenden Aufschrift „Mein Herz pumpt. Mein Herz schlägt. Du bist alles, was in mir lebt“ Ich frage mich, was bringt für die Verurteilung das „Merkmal“ „mit der sich für Dortmunder Fanverhältnisse ausreichend reimenden Aufschrift „Mein Herz pumpt. Mein Herz schlägt. Du bist alles was in mir lebt…“ M.E. nichts. Das hätte man getrost weglassen können. Daher habe ich auch diesen Teil des vom AG vorgeschlagenen „amtlichen“ Leitsatzes, der lautete: „Mein Herz pumpt. Mein Herz schlägt. Du bist alles, was in mir lebt“ reimt sich in Dortmund.“ beim Einstellen der Entscheidung gestrichen. Das ist mit zu albern.

StGB II: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, oder: „öffentlich“ oder „nicht öffentlich“?

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Im zweiten Posting stelle ich heute dann den OLG Celle, Beschl. v. 22.11.2023 – 1 ORs 7/23 – vor. Der behandelt mehrere Fragen. Hier geht es um die Verurteilung des Angeklagten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB).

Das LG hatte dazu folgende Feststellungen getroffen:

„Am 18. April 2021 lief der Angeklagte mit aktivierter Videofunktion an seinem Handy durch die Innenstadt von C. Dabei traf er auf KHK H.; da dieser zwar im Dienst, jedoch zivil gekleidet war, hielt der Angeklagte ihn für einen Journalisten. Der Angeklagte suchte das Gespräch mit KHK H., wobei er dessen Frage, ob der Angeklagte das Gespräch aufzeichne, wahrheitswidrig verneinte. Tatsächlich filmte der Angeklagte den Boden und nahm den Ton auf. Später überspielte er die Datei von dem Handy auf sein Notebook, wo sie im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung entdeckt wurde. KHK H. hat Strafantrag gestellt.“

Das genügt dem OLG nicht für die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 201 StGB:

„1. Im Hinblick auf das Tatgeschehen am 18. April 2021 wird die Annahme, der Angeklagte habe sich durch das festgestellte Verhalten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB strafbar gemacht, von den dazu getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Nichtöffentlich im Sinne der Vorschrift ist das gesprochene Wort, wenn es weder für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten noch für einen bestimmten, aber innerlich nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis ohne weiteres wahrnehmbar ist (vgl. Graf/Jäger/Wittig/Valerius, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 201 StGB Rn. 7; NK/Kargl, StGB, 6. Aufl., § 201 Rn. 8; jew. mwN). Darauf, ob die Worte privaten oder dienstlichen Charakter hatten, kommt es nicht an (aaO; ebenso Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3109). Maßgeblich für die Frage der Nichtöffentlichkeit sind der Wille des Sprechers sowie die objektiven Umstände (Graf/Jäger/Wittig/Valerius aaO Rn. 9; NK/Kargl aaO; Ullenboom aaO; LK/Hilgendorf, StGB, 13. Aufl., § 201 Rn. 9). Wegen der Berücksichtigung objektiver Umstände liegt keine Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes vor, wenn nach den Umständen erkennbar ist, dass Dritte den Wortbeitrag zur Kenntnis nehmen können und somit eine sog. „faktische Öffentlichkeit“ besteht (Graf/Jäger/Wittig/Valerius aaO Rn. 10; vgl. auch NK/Kargl aaO).

Umstritten ist, wie Wortwechsel zwischen Polizeibeamten und Privatpersonen im Zusammenhang mit Demonstrationen/Versammlungen unter freiem Himmel einzuordnen sind; gleiches gilt für Äußerungen in belebter Umgebung (vgl. etwa MK/Graf, StGB, 4. Aufl., § 201 Rn. 18 (Straßen und Plätze); LG Kassel, Beschl. v. 9. August 2019 – 273 Gs 2138/19, BeckRS 2019, 38252 (Hauptbahnhof)).

Nach der Auffassung des Landgerichts München ist maßgeblich, ob die Worte nur an eine Person gerichtet gewesen seien; in diesem Fall sind die Worte im Sinne der Vorschrift nicht öffentlich gesprochen. Dann sollen auch weitere Mithörende keine Rolle spielen (Urt. v. 29. August 2018 – 845 Cs 116 Js 165870/17, Beck RS 2019, 22586 Rn. 20).

Richtigerweise aber sind Worte im Sinne der Vorschrift öffentlich gesprochen, wenn sich ein Polizeibeamter bei einer Versammlung unter freiem Himmel an eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis wendet, weil der Beamte nach den objektiv gegebenen Umständen nicht sicherstellen kann, dass seine Äußerung nicht durch umstehende Teilnehmer oder Passanten wahrgenommen wird (so auch die ganz überwiegende Ansicht: NK/Kargl aaO Rn. 9; Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3110; Reuschel, NJW 2021, 17, 18; MK/Graf aaO Rn. 18; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 201 Rn. 9; Kudlich, JA 2023, 342 ff. Anm. zu OLG Düsseldorf, Urt. v. 4. November 2022 – 3 RVs 28/22; Kienzerle, FD-StrafR 2022, 446742 Anm. zu LG Hamburg, Beschl. v. 21. Dezember 2021 – 610 Qs 37/21; LG Osnabrück, Beschl. v. 24. September 2021 – 10 Qs 49/21, FD-StrafR 2021, 442512; LG Kassel, Beschl. v. 9. August 2019 – 273 Gs 2138/19 aaO Rn. 7 ff.).

Das folgt aus dem Schutzzweck der Norm, das unbefangene Wort dann besonders zu schützen, wenn der Sprechende keinen Anlass zu sehen braucht, im Hinblick auf die Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt zu wahren (vgl. LK/Hilgendorf aaO Rn. 10). Denn wenn sich der Sprecher darüber bewusst ist, dass seine Worte ohnehin von Dritten ohne besondere Bemühungen mitgehört werden können und er die Reichweite seiner Worte nicht unter Kontrolle behalten kann, ist eine unbefangene Äußerung regelmäßig nicht möglich (Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3110). Für das maßgebliche Vorstellungsbild des Sprechers sind dabei auch die äußeren Umstände von Belang (LK/Hilgendorf aaO).

Daran gemessen genügen die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil nicht, um von „nichtöffentlich“ gesprochenen Worten ausgehen zu können. Vielmehr lassen die mitgeteilten Umstände – das Gespräch erfolgte in der Innenstadt von Cuxhaven im Umfeld eines sog. „Sonntagsspaziergangs“ – eine Mithörmöglichkeit für andere naheliegend erscheinen. Um dies abschließend beurteilen zu können, bedarf es genauerer Feststellungen zu der Gesprächssituation.

In diesem Zusammenhang weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass in der Verweisung auf eine Videosequenz, die sich auf einem elektronischen Speichermedium befindet, keine wirksame Bezugnahme gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO liegt (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 7. April 2022 – 2 Ss (OWi) 39/22, BeckRS 2022 35445 Rn. 6 f. mwN). Sollte das Landgericht anhand der neu getroffenen Feststellungen erneut zu einer Annahme von § 201 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB gelangen, wird ferner im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sein, dass mit dem schlichten einmaligen Kopieren einer Datei – das heutzutage üblicherweise außerhalb eines Wiedergabeprogramms erfolgt (vgl. MK/Graf aaO Rn. 26) – jedenfalls keine signifikante Vertiefung der Rechtsgutsverletzung verbunden ist.“

Wegen der anderen Fragen „ordne“ ich das Selbstleseverfahren an 🙂 .

StGB I: BayObLG reichen die Urteilgründe nicht, oder: Verkehrsgefährdung, Unfallflucht, Trunkenheitsfahrt

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Und dann heute StGB-Entscheidungen, und zwar aus der Instanz. Es kommen zwei OLG-Entscheidungen und ein AG-Urteil.

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 27.11.2023 – 203 StRR 381/23. Der nimmt noch einmal zur Straßenverkehrsgefährdung, dem unerlaubten Entfernen und der Trunkenheitsfahrt Stellung. Das BayObLG rügt zu knappe Feststellungen des AG.

Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze zu der Entscheidung, da die Entscheidung letztlich nur die vorliegende Rechtsprechung bestätigt, und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext:

    1. Eine Verurteilung wegen einer Straßenverkehrsgefährdung – auch in der Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeitskombination des § 315c Abs. 3 Nr. 2; Abs. 1 Nr. 1a StGB – setzt im Falle einer Gefährdung von Sachwerten Feststellungen dazu voraus, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt und, falls ja, ob der gefährdeten Sache auch ein bedeutender Schaden gedroht hat.
    2. Der Vorsatz des Täters nach § 142 StGB muss sich darauf beziehen, dass ein Unfall stattgefunden hat und dass der Schaden nicht ganz unerheblich war.
    3. Setzt der alkoholisierte Täter nach einem Streifvorgang seine Fahrt ohne Unterbrechung fort, bedarf eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr tatsachenfundierter Feststellungen zum Bemerken des Streifvorgangs und zum Vorstellungsbild bezüglich des Umfangs des Schadens und der Fahrtüchtigkeit.

Wegen der Ausführungen des BayObLG zur Verfahrensrüge komme ich dann demnächst noch einmal auf die Entscheidung zurück.