Kosten- und Auslagen im Adhäsionsverfahren, oder: Wenn der Angeklagte seinen Einspruch zurücknimmt

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Und dann als zweite Entscheidung dann der LG München II, Beschl. v. 01.12.2023 – 6 Qs 7/23. Zwar nicht von einer Kollegin übersandt, sondern von einem Kollegen. Aber auch richtig.

Entschieden worden ist über die Kosten- und Auslagen im Adhäsionsverfahren (§ 472a StPO). Die Staatsanwaltschaft hatte am 15.02.2023 beantragt, gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung zu erlassen. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, als Fahrer eines Pkws an einem Fußgängerweg den Geschädigten verletzt zu haben, indem er das Vorderrad des vom Geschädigten geschobenen Fahrrads erfasste, wodurch der Geschädigte zu Boden fiel. Das AG hat den Strafbefehl am 01.03.2023 erlassen. Der Angeklagte legte am 07.03.2023 form- und fristgerecht Einspruch ein. Am 21.03.2023 bestimmte das AG Hauptverhandlungstermin auf den 22.06.2023, 11:00 Uhr.

Am 22.06.2023 ging um 08:26 Uhr beim AG ein Adhäsionsantrag des Geschädigten ein, mit dem dieser ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 700,00 EUR forderte. Mit einem am selben Tag um 08:46 Uhr eingegangenen Schreiben geschränkte der Angeklagte seinen Einspruch auf die Tagessatzhöhe und erklärte sein Einverständnis mit der Entscheidung im Beschlusswege. Daraufhin wurde der Termin am 22.06.2023 abgesetzt.

Der Angeklagte nahm über seinen Verteidiger zum Adhäsionsantrag Stellung und machte geltend, dieser sei bereits unzulässig. Das AG hat dann am 05.08.2023 die im Strafbefehl festgesetzte Tagessatzhöhe abgeändert. Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag hat es abgesehen und dem Angeklagten die Kosten des Adhäsionsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Adhäsionsantrag nach vorläufiger Würdigung zulässig und begründet gewesen sei, weshalb die Kosten nach pflichtgemäßem Ermessen gem. § 472a Abs. 2 StPO dem Angeklagten aufzuerlegen seien.

Dagegen die sofortige Beschwerde des Angeklagten, die beim LG Erfolg hatte, das LG hat die Kosten- und Auslagenentscheidung aufgehoben:

„2. Die statthafte Beschwerde des Angeklagten (vgl. BeckOK, 49. Ed., Stand 01.10.2023, Rz. 6 zu § 472a StPO) ist zulässig und in der Sache erfolgreich.

Eine Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen im Adhäsionsverfahren war nicht veranlasst, da aufgrund der Einspruchsbeschränkung keine Entscheidung mehr über den Adhäsionsantrag ergehen konnte.

Endet das Strafverfahren, so ist dem Adhäsionsverfahren die Grundlage entzogen, einer danach getroffene Anordnung dahingehend, dass von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird, kommt lediglich deklaratorische Bedeutung zu (OLG Stuttgart vom 30.09.2022, 1 Ws 201/22, Rz. 10 bei Juris). Dasselbe gilt im vorliegenden Fall für die Beschränkung des Einspruchs auf die Tagessatzhöhe. Denn eine zusprechende Adhäsionsentscheidung kann gem. § 406 Abs. 1 StPO nur erfolgen, wenn der Angeklagte wegen einer Straftat schuldig gesprochen wird. Ein solcher Schuldspruch erfolgt nach Einspruchsbeschränkung nicht mehr, weshalb mit der Einspruchsbeschränkung der Adhäsionsantrag unzulässig wird (AG Kehl vom 09.10.2018, 2 Cs 503 Js 14484/17, bei Juris). Schon deshalb hatte im vorliegenden Fall eine Zustellung des Adhäsionsantrags durch das Gericht nicht mehr zu erfolgen. Aber auch auf die Zustellung des Adhäsionsantrags von Anwalt zu Anwalt kommt es daher nicht an. Zudem ist diese Zustellung – nach Angaben des Adhäsionsklägervertreters laut Empfangsbekenntnis um 08:55 Uhr – nach der Beschränkung des Einspruchs um 08:46 Uhr erfolgt.

Den Fall der späteren Einspruchsrücknahme bzw. -beschränkung, in dem die Adhäsions-klage ursprünglich zulässig war, nun aber unzulässig geworden ist, hat der Gesetzgeber nicht geregelt. Die nach § 472a StPO vorgesehene Billigkeitsentscheidung ist nicht möglich. Die dafür notwendige Bewertung der Erfolgsaussichten der Adhäsionsklage kann das Gericht nicht mehr vornehmen: Durch die Einspruchsrücknahme bzw. -beschränkung ist der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen und dem Gerichte eine Entscheidung darüber entzogen, so dass die Grundlage für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Adhäsionsklage entfallen ist (LG Dortmund, 16.04.2018, 32 Qs – 269 Js 1213/16 V A – 45/18, bei Juris). Zwar erscheint es unbillig, einen Adhäsionskläger mit den Kosten des Adhäsionsverfahrens zu belasten, wenn die Adhäsionsklage erst nachträglich durch die Rücknahme bzw. Beschränkung des Einspruchs unzulässig wird, zumal ein Adhäsionskläger darauf keinen Einfluss hat. § 472a Abs. 1 StPO setzt jedoch die Zuerkennung eines aus der Straftat erwachsenen Anspruchs voraus. Darüber enthält der Strafbefehl jedoch keine Entscheidung. Nach alldem bleibt dem Gericht wegen der festgestellten Regelungslücke nur, von einer Entscheidung über die Verteilung der Kosten des Adhäsionsverfahrens abzusehen. Im Ergebnis muss dies für den Adhäsionskläger nicht unbillig sein, da in Betracht kommt, seine notwendigen Auslagen für die Adhäsionsklage als Rechtsverfolgungskosten im ohnehin anzustrengenden zivilgerichtlichen Verfahren geltend zu machen. (Vgl. zu allem AG Kehl, a.a.O., OLG Stuttgart vom 30.09.2022, 1 Ws 201/22).

Dementsprechend ist vorliegend keine Entscheidung gemäß § 472a Abs. 2 StPO veranlasst.“

Die Entscheidung ist m.E. richtig; manchmal klappt es ja auch in Bayern 🙂 . Ich halte es auch nicht für „unbillig“, den Adhäsionskläger in diesen Fällen mit den Kosten und Auslagen des Adhäsionsverfahrens zu belasten. Denn er ist derjenige, der sich eines Anspruchs gegen den Angeklagten berühmt hat, wobei ihm bewusst gewesen sein muss, dass das Gericht ggf. nach § 406 Abs. 1 Satz 3 u. 4 StPO von der Entscheidung absehen kann bzw. muss, wenn die Voraussetzungen für das Adhäsionsverfahren entfallen sind.  Das ist letztlich das Prinzip: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen.

Als Rechtsanwalt muss man dieses Risiko natürlich im Auge behalten und den geschädigten Mandanten darüber belehren. Je nach der Sachlage empfiehlt es sich- zumindest in den Strafbefehlsfällen mit der dort gegebenen Möglichkeit der Verfahrensbeendigung durch Einspruchsrücknahme -, direkt das Zivilverfahren zu betreiben.

Pflichtverteidiger „nur“ bei Haftbefehlsverkündung, oder: Manche OLG können es :-)

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Und dann heute am Weltfrauentag nichts zu Frauen uns so, sondern, da Freitag ist, natürlich RVG. Und ich nehme auch zwei „richtige“ Entscheidungen, es soll sich ja heute niemand ärgern. Und aus Anlass des Weltfrauentages beginne ich mit einer Entscheidung, die mir eine Kollegin aus Bonn geschickt hat, nämlich mit dem OLG Köln, Beschl. v. 24.01.2024 – 3 Ws 50/23.

Es geht mal wieder um die Gebühren des Terminsvertreter des Pflichtverteidigers „nur“ bei einer Haftbefehlsverkündung. Folgender Sachverhalt: Gegen den Angeklagten erging durch das AG Ingolstadt am 08.03.2023 u.a. wegen des Vorwurfs des versuchten Totschlags Haftbefehl. Hierauf wurde er am 28.03.2023 vorläufig festgenommen und am Folgetag dem AG Bonn vorgeführt. Nach Anhörung des bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht verteidigten Angeklagten beschloss das AG in dem Vorführungstermin die Beiordnung der Kollegin gemäß § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO „für den heutigen Termin als Pflichtverteidigerin“ und für das weitere Verfahren gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO diejenige eines anderen Kollegen. Im Termin erklärte die Kollegin für den Angeklagten, es würden zu den Tatvorwürfen keine Angaben gemacht, und machte Ausführungen zum ihrer Auffassung nach Nichtvorliegen des Haftgrundes.

Die Kollegin hat dann an Gebühren aus der Staatskasse verlangt eine Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG und eine Verfahrensgebühr Nr.  4105 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer. Die Urkundsbeamtin des AG Bonn hat demgegenüber lediglich festgesetzt eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit gemäß Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer. Dagegen hat die Kollegin Erinnerung eingelegt, die das AG zurückgewiesen hat. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde hat das LG dem Festsetzungsantrag entsprochen und zudem die weitere Beschwerde zugelassen. Dagegen dann die – natürlich, denn es kann ja nicht sein, dass es bei der (richtigen) Entscheidung verbleibt – die weitere Beschwerde der Bezirksrevisorin beim LG. Die Vertreterin der Landeskasse – beim OLG – hat sich aber der Auffassung des LG angeschlossen, dass die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abzurechnen seien. Und das das OLG hat die weitere Beschwerde der Landeskasse verworfen:

„1. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass Rechtsanwältin E. ihre Tätigkeit nach den in Teil 4 Abschnitt 1 der Anlage 1 zum RVG aufgeführten Gebührentatbeständen abrechnen kann, und eine weitere Vergütung in Höhe von 423,64 EUR festgesetzt.

a) Die von der Rechtsanwältin im Rahmen der Wahrnehmung des Haftverkündungstermins vom 29.03.2023 entfalteten Handlungen sind nicht lediglich als Einzeltätigkeit im Sinne von Anl. 1 Teil 4 Abschnitt 3 RVG, namentlich nicht als Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung nach dessen Ziff. 4301 anzusehen, sondern als Tätigkeit eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 des vorbezeichneten Vergütungsverzeichnisses.

aa) In rechtlicher Hinsicht gilt dabei:

(1) Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG regelt die Vergütung des Verteidigers. Diese ist dabei unabhängig davon zu bemessen, ob die Verteidigung als Wahl- und Pflichtverteidigung durchgeführt wird. Liegt ein Verteidigungsverhältnis vor, macht es grundsätzlich auch keinen Unterschied, ob sich die Tätigkeit – insbesondere in den Fällen des sog. „Terminsvertreters“ – auf die Wahrnehmung eines einzelnen Termins beschränkt. Dies gilt für die Fälle der Pflichtverteidigung auch dann, wenn sich die vorangegangene Bestellung durch das Gericht nur auf einen bestimmten Termin bezogen hat. Dies hat das Oberlandesgericht Köln bereits für die auf einen einzelnen Hauptverhandlungstag beschränkte Beiordnung eines Pflichtverteidigers entschieden (Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10, juris). Dieser Rechtsprechung des 2. Strafsenats schließt sich der Senat an. Auch wenn sich die Wahrnehmung der Pflichtverteidigung auf einen oder mehrere einzelne Termine beschränkt, begründet die Beiordnung ein eigenständiges Beiordnungsverhältnis, in dessen Rahmen der Pflichtverteidiger die Verteidigung umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine gebührenrechtlich unterschiedliche Behandlung dieses Verteidigers gegenüber dem Hauptverteidiger würde dem nicht gerecht und ließe eine Entwertung des Instituts der Pflichtverteidigung und damit einhergehend des Rechtes des Angeklagten auf eine effektive, rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Verteidigung besorgen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10, juris Rn. 6; OLG München, Beschluss vom 23.10.2008 – 4 Ws 140/08, NStZ-RR 2009, 32; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2008 – 3 Ws 281/08, NJW 2008, 2935).

(2) Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Verteidigung im Rahmen der Hauptverhandlung, sondern auch für andere Tätigkeiten wie vorliegend die Verteidigung im Rahmen einer Haftbefehlseröffnung nach § 115 StPO (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.06.2023 – 1 Ws 105/23, StraFo 2023, 335). Soweit aus der von der Bezirksrevisorin angeführten Entscheidung des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 15.05.2007 (2 Ws 189/07, juris) anderes folgen sollte, schließt sich der Senat dem nicht an. Es besteht kein sachlich gerechtfertigter Anlass, die Verteidigung im Verfahren nach § 115 StPO gebührenrechtlich anders zu beurteilen als eine solche im Rahmen der Hauptverhandlung. Das Verfahren nach § 115 StPO ist kein formalistischer Selbstzweck. Es trägt dem hohen Rang des von der Haftanordnung betroffenen, grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechtes Rechnung und stellt sicher, dass der Beschuldigte möglichst schnell von dem Richter über die Grundlagen des Haftbefehls unterrichtet wird und Gelegenheit erhält, sich sowohl gegen den Tatvorwurf als auch die Annahme von Haftgründen zu verteidigen (KK-StPO/Graf, 9. Aufl., § 115 Rn. 1a). Dieser Bedeutung entsprechend ist das Verfahren nach § 115 StPO seiner Natur nach zwingend und der Verzicht des Beschuldigten auf dessen Einhaltung nur in besonderen Fällen möglich (vgl. BeckOK StPO/Krauß, 49. Ed., § 115 Rn. 4 mwN; KK-StPO/Graf, 9. Aufl., § 115 Rn. 6; LR/Lind, StPO, 27. Aufl., § 115 Rn. 11). Der gebührenrechtlichen Gleichbehandlung der Verteidigungstätigkeit im Verfahren nach § 115 StPO mit derjenigen in der Hauptverhandlung steht auch nicht entgegen, dass sich Vorführungen nach § 115 StPO oftmals in der Verkündung des Haftbefehls nebst entsprechender Belehrung erschöpfen und nur von kurzer Dauer sind. Dem hat der Gesetzgeber gebührenrechtlich durch die Ausgestaltung der Voraussetzungen Rechnung getragen, unter denen nur die Terminsgebühr nach Ziff. 4102 Nr. 3 VV RVG anfällt (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 223). Ist absehbar, dass sich die Vorführung des Beschuldigten nach § 115 StPO auf die Verkündung des Haftbefehls und die erforderlichen Belehrungen durch das Gericht beschränken wird, kann der gebotenen Bestellung eines Pflichtverteidigers in geeigneten Fällen bei Verhinderung des Hauptverteidigers auch dadurch Rechnung getragen werden, dass dem Beschuldigten zunächst Gelegenheit zur telefonischen Rücksprache mit dem von ihm gewünschten Hauptverteidiger gegeben wird und beide auf die Teilnahme eines Verteidigers zu dem Termin nach § 115 StPO verzichten. Jedenfalls für diese Fälle ist die Bestellung eines Terminsvertreters bzw. die Bestellung eines weiteren Verteidigers neben dem Hauptverteidiger nicht geboten (vgl. zu der Frage der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers im Fall des § 115 StPO auch MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 115 Rn. 34 ff. mwN, § 128 Rn. 27; vgl. zu dieser Frage auch BGH, Beschluss vom 14.08.2019 – 5 StR 228/19, BeckRS 2019, 21921 [zu § 141 Abs. 3 StPO aF]). Denn im Rahmen des § 115 StPO besteht zwar gemäß § 168c Abs. 1 Satz 1 StPO das Recht auf Anwesenheit eines Verteidigers, aber keine Pflicht zu dessen Teilnahme. Ob der Senat im Übrigen der Auffassung folgen könnte, dass die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers neben dem von dem Beschuldigten gewünschten und seitens des Gerichts bestellten Hauptverteidigers stets ohne Weiteres schon dann erforderlich ist, wenn dieser Verteidiger verhindert ist und der Beschuldigte gleichwohl auf die Anwesenheit im Rahmen des Vorführtermins besteht, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

bb) Vorliegend entfaltete Rechtsanwältin E. nach alledem entgegen der Auffassung der Bezirksrevisorin nicht lediglich eine Beistandsleistung im Sinne von Ziff. 4301 Nr. 4 VV RVG. Vielmehr war sie durch das Amtsgericht Bonn ausdrücklich zur Pflichtverteidigerin bestellt und in dieser Funktion tätig geworden….“

Tja, manche OLG können es 🙂 . Denn die Entscheidung ist richtig. Den Ausführungen des Senats ist nichts hinzuzufügen außer dem Hinweis darauf, dass außer dem OLG Zweibrücken, dessen Entscheidung das OLG anführt, noch weitere Gerichte in dem zutreffenden Sinn entschieden haben (vgl. u.a. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159 = JurBüro 2023. 195; LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20 ; LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.4.2023 – 1 Qs 76/23, AGS 2023, 219; LG Tübingen, Beschl. v. 6.2.2023 – 9 Qs 25/23, AGS 2023, 238; AG Halle (Saale), Beschl. v. 20.5.2022 – 398 Gs 540 Js 594/22 (259/22), AGS 2022, 311; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 3.3.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22,AGS 2023, 217. Die Entscheidungen waren auch alle hier im Blog.

Auf zwei Punkte will ich dann aber doch hinweisen:

Offen bleiben kann hier m.E. die Frage, ob die Ausführungen des OLG zur Anwesenheit des Pflichtverteidigers bei einer Haftvorführung und zum Recht und der Möglichkeit des Beschuldigten auf die Anwesenheit so zutreffend sind. Das kann man auch anders sehen.

Erfreut nimmt man aber im Übrigen zur Kenntnis, dass auch die Vertreterin der Landeskasse beim OLG die zutreffende Sicht der Dinge hatte und den Ausführungen des LG im Rahmen der Anhörung durch den Senat des OLG beigetreten ist. Sollte insoweit tatsächlich ein Umdenken bei den Vertretern der Justiz einsetzen? Das wäre zu begrüßen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die richtige Rechtanwendung, sondern vor allem auch darauf, dass dann manche Rechtsmittelentscheidung überflüssig würde. Das setzt allerdings voraus, dass sich die Instanzgerichte und vor allem auch die Vertreter der Landeskassen in der Instanz dem anschließen. Die Hoffnung stirbt insoweit zuletzt.

Und zur Feier des Tages gibt esd ann auch ein neues Bild 🙂 .

OWi III: „Schild war für den Fahrer nicht erkennbar“, oder: Das hilft bei der Halterhaftung nicht.

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Und als dritte Entscheidung dann die angekündigte AG-Entscheidung, und zwar der AG Maulbronn, Beschl. v. 01.02.2024 – 4 OWi 135/23. Er behandelt eine in Zusammenhang mit § 25a StVG – Stichwort: Halterhaftung – stehende Frage.

Die Bußgeldbehörde hat dem Antragsteller als Halter einer Fahrzeugs gem. § 25a Abs. 1 StVG die Kosten eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens wegen eines mit diesem Fahrzeug am 20.01.2023 begangenen Parkverstoßes auferlegt, und zwar eine Gebühr von 20,00 EUR und Auslagen in Höhe von 3,50 EUR auf. Dagegen legt der Halter Antrag auf gerichtliche Entscheidung ein, der keinen Erfolg hatte:

„Gemäß § 25a Abs. 1 StVG werden dem Halter eines Kraftfahrzeugs die Kosten eines Bußgeldverfahrens wegen eines Parkverstoßes auferlegt, wenn der für den Verstoß verantwortliche Führer des Fahrzeugs vor Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht ermittelt werden kann oder seine Ermittlung einen unangemessenen Aufwand erfordern würde. Dabei ist auch im Rahmen der Kostenfrage nach § 25a StVG Voraussetzung, dass objektiv ein Parkverstoß begangen wurde (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, StVG § 25a Rn. 20; Hentschel/König/Dauer/König, 47. Aufl. 2023, StVG § 25a Rn. 3, 5; jeweils m.w.N.). Bei einem mittels Verkehrszeichen eingerichteten Halte- oder Parkverbots erfordert dies, dass die entsprechenden Zeichen tatsächlich vorhanden und objektiv auch erkennbar waren. Dagegen können subjektive Aspekte, also etwa Fragen der Erkennbarkeit für einen konkreten Fahrer oder etwaige dessen Verantwortlichkeit ausschließende Aspekte naturgemäß keine Rolle spielen, weil dieser – als weitere Bedingung der Kostenauferlegung nach § 25a Abs. 1 StVG – ja gerade nicht bekannt ist.

Die genannten Voraussetzungen für die Kostenauferlegung sind hier erfüllt. Das Fahrzeug der Marke VW mit dem amtlichen Kennzeichen pp. war am 20.01.2023 gegen 09:56 Uhr in K. in der S-Straße auf Höhe der Hausnummer 5 ohne vorgeschriebene Parkscheibe geparkt. Das Erfordernis der Parkscheibe ergab sich aus dem Umstand, dass dort eine mittels der Verkehrszeichen 314.1 und 318 kenntlich gemachte Parkraumbewirtschaftungszone eingerichtet war. Die Verkehrszeichen waren ausweislich der vorliegenden Lichtbilder auch objektiv ohne Weiteres erkennbar. Der Antragsteller war zum damaligen Zeitpunkt Halter des Fahrzeugs. Der verantwortliche Fahrer konnte nicht ermittelt werden, weil dieser vom Antragsteller nicht benannt wurde und keine sonstigen erfolgversprechenden Möglichkeiten bestanden, diesen zu ermitteln. Verfolgungsverjährung ist spätestens am 24.04.2023 eingetreten.

Da somit die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 StVG vorlagen, waren durch die Bußgeldbehörde dem Antragsteller als Halter des Fahrzeugs die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Ein Ermessensspielraum, der es der Behörde ermöglicht hätte, hiervon abzusehen, besteht nicht. Die erhobenen Kosten sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist daher zurückzuweisen.“

M.E. zutreffend.

OWi II: Messbeamte kennt die Messvorschriften nicht, oder: Auswirkungen auf die Geldbuße?

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Und die zweite Entscheidung kommt dann vom OLG Celle. Das hat sich im OLG Celle, Beschl. v.  19.01.2024 – 2 ORbs 348/23 – mit dem Einwand eines Betroffenen gegen die Festsetzung der Regelgeldbuße bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auseinandergesetzt, der dahin ging, dass der Messbeamte die nach der (niedersächsischen) Richtlinie für die Geschwindigkeitsüberwachung aufgeführte Qualifikation, nicht habe nachweisen können. Das habe schuldmindernd berücksichtigt werden müssen.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und dann in „Dreier-Besetzung“ verworfen:

„b) Der Rechtsfolgenausspruch lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Amtsgericht hat zutreffend die Regelgeldbuße nach BKat Nr.11.1.4. (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für Lkw außerhalb geschlossener Ortschaften um 16 – 20 km/h) in Höhe von 140,00 € festgesetzt und festgestellt, dass Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend nicht um einen Regelfall handelt, nicht ersichtlich sind.

Ein solcher Anhaltspunkt ergibt sich entgegen der Ansicht des Betroffenen auch nicht aus dem vom Amtsgericht festgestellten Umstand, dass der Messbeamte die in den Niedersächsischen Richtlinien für die Überwachung des fließenden Straßenverkehrs durch Straßenverkehrsbehörden unter 3.3 des Abschnitts 3 aufgeführte Qualifikation, die eine Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung) vorsieht, nicht nachweisen konnte.

In Ziffer 3.3 „Personal“ des Abschnitts 3 der Richtlinie heißt es:

„Das Messpersonal der Straßenverkehrsbehörden für den Umgang mit mobil-stationären Messgeräten muss qualifiziert sein, mit dem eingesetzten Messgerät beweissichere Geschwindigkeitsmessungen vorzunehmen.

Qualifikationsmerkmale sind insbesondere:

  • Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung),.

Als reine Verwaltungsvorschrift entfaltet diese Richtlinie keine Außenwirkung. Allerdings dürfen die Verkehrsteilnehmer erwarten, dass sich die Verwaltungsbehörde über Richtlinien zur Handhabung des Verwaltungsermessens, die eine gleichmäßige Behandlung sicherstellen sollen, im Einzelfall nicht ohne sachliche Gründe hinwegsetzt. Insoweit können sich solche Richtlinien über Art. 3 GG für den Bürger rechtsbildend auswirken, so dass im Einzelfall der Schuldgehalt einer Tat geringer erscheint (vgl. hiesiger 1. Bußgeldsenat, Beschluss vom 25.07.2011 – 311 SsRs 114/11 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 04.09.1995 – 1 ObOWi 375/95 -, juris; OLG Dresden DAR 2010, 29).

Die gilt aber nicht für jede Art von Abweichung von der Richtlinie. Abweichungen von Verwaltungsvorschriften sind insoweit mit Abweichungen von der Bedienungsanleitung vergleichbar. Einzelne Abweichungen etwa im Hinblick auf die Protokollierung des Messvorgangs nehmen einer Messung nicht den Charakter eines standardisierten Messverfahrens, weil ihnen keine eigenständige Bedeutung für die Integrität der Messung zukommt (vgl. Senat, Beschluss vom 28.03.2023, 2 ORbs 68/23, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.02.2023, 2 ORbs 35 Ss 4/23, juris; BayOblG, Beschluss vom 21.11.2022, 201 ObOwi 1291/22, juris). Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf die Abweichung von Verwaltungsvorschriften in der Weise übertragen, dass sich eine Abweichung nur dann schuldmindernd auswirken kann, wenn ein Einfluss der Abweichung auf das Verhalten des Betroffenen oder das Messergebnis denkbar ist.

Anders als bei einer Unterschreitung des Regelabstandes zwischen geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen und Messstelle (Nr. 4 der Anlage 1 „Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten“ der Richtlinie), die jeweils Gegenstand der oben zitierten Entscheidungen zum geringeren Schuldgehalt waren, ist es aber gerade nicht denkbar, dass allein die fehlende Kenntnis des Messbeamten von den mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften das Verhalten des Betroffenen beeinflusst. Ebenfalls ist nicht erkennbar, dass sich die fehlende Schulung des Messbeamten zu Verkehrsvorschriften im vorliegenden Fall auf das Messergebnis ausgewirkt hätte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand des Betroffenen, die B  sei bereits im Bereich ihrer einspurigen Zuführung als Kraftfahrstraße ausgewiesen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen hierfür noch gar nicht gegeben seien, nach Erweiterung der B  zu zwei Spuren erfolge dann die Aufhebung der Kraftfahrstraße, obwohl hier doch de facto noch eine Kraftfahrstraße vorliege mit der Folge, dass für den Betroffenen im einspurigen Bereich eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zulässig gewesen sei, im Verlauf des zweispurigen Bereichs dann aber nur noch eine solche von 60 km/h, weil er einen 7,5 t-Lkw gefahren habe. Obwohl das in der Beschwerdeschrift nicht weiter dargelegt wird, scheint der Betroffene damit einen Zusammenhang ziehen zu wollen zwischen der fehlenden Rechtskenntnis des Messbeamten und der Durchführung der Messung an einer Stelle, an der ein Lkw-Fahrer damit rechne, sich noch auf einer Kraftfahrstraße zu befinden und deshalb statt nur 60 km/h bis zu 80 km/h fahren zu dürfen.

Es wäre dann aber nicht die fehlende Rechtskenntnis des Messbeamten, sondern letztlich der Standort der die Kraftfahrstraße aufhebenden Verkehrszeichen, der schuldmindernd zu würdigen wäre. Das Amtsgericht hat jedoch hinreichend überprüft und festgestellt, dass die Aufhebung der Kraftfahrstraße an dieser Stelle nicht willkürlich ist, sondern der nachfolgenden Zusammenführung mit dem aus A. kommenden Verkehr geschuldet ist. Soweit der Betroffene diesbezüglich einem Tatbestandsirrtum unterlegen sein sollte, ist dem bereits dadurch Rechnung getragen worden, dass ihm ohnehin nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird. Im Übrigen folgt die Einordnung einer Straße als Kraftfahrstraße nach § 18 Abs. 1 StVO allein aus ihrer Beschilderung durch die zuständigen Behörden und nicht aus ihrer Bauart. Weder den Kraftfahrern noch dem Messpersonal obliegt es, den verkehrsrechtlichen Charakter einer Straße unabhängig von ihrer Beschilderung zu interpretieren.“

Der Einwand des Betroffenen lässt mich ein wenig ratlos zurück. Denn warum soll die Unkenntnis des Messbeamten vom Inhalt der Richtlinie nur Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße haben, und nicht auch auf das Fahrverbot? In Betracht käme doch ein Wegfall des Fahrverbotes, wenn man die Rechtsprechung zur Unterschreitung des vorgeschriebenen Mindestabstands der Messstelle zum Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung heranziehen würde. M.E. muss man ggf. früher ansetzen und versuchen, die Verwertbarkeit der Messung anzugreifen, weil die Vorgaben für ein standardisiertes Messverfahren nicht (mehr) vorgelegen haben.

Und: Die Entscheidung ist mal wieder Gelegenheit <<Werbemodus an>> auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, zu verweisen, das man hier vorbestellen kann; das Werk kommt bald. <<Werbemodus aus>>.

OWi I: Poliscan FM 1 ist weiterhin standardisiert, oder: Das KG schaut in die Glaskugel des BVerfG?

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Und heute am Donnerstag dann dreimal OWi, und zwar zweimal OLG, einmal AG.

Ich mache den Opener mit dem KG, Beschl. v. 08.12.2023 – 3 ORbs 229/23 -, in dem das KG noch einml/mal wieder zur Standardisierung von Poliscan FM 1 Stellung nimmt.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschindigkeitsüberschreitung verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Feststellungen Urteilsfeststellungen hat der Betroffene einen PKW auf öffentlichem Straßenland geführt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 31 km/h nach Toleranzabzug überschritten. Die Geschwindigkeit von 64 km/h hat ein Geschwindigkeitsüberwachungsgerät vom Typ Poliscan FM 1 gemessen.

In der Hauptverhandlung hatte die Verteidigerin einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt und ihn wie folgt begründet:

„Das Sachverständigengutachten wird ergeben,

– dass nicht festgestellt werden kann, dass zur Ermittlung der Geschwindigkeit nur Messwerte verwendet worden sind, die innerhalb des zugelassenen Bereiches (maximal 50 m, minimal 20 m) entstanden sind;

– dass anhand der gespeicherten Daten nicht bestätigt werden kann, dass die gemessene Geschwindigkeit 64 km/h (nach Abzug der Toleranz 3 km/h) betragen hat.

Es kann nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden. Es ist weder sichergestellt, noch nachgewiesen, dass die Bestimmung der Geschwindigkeit ausschließlich unter Verwendung von Messwerten im zugelassenen Bereich (max. 50 m. min. 20 m.) erfolgte.

In der XML-Datei sind bei „PositionFirstMeasurement“ und „PositionLastMeasurement“ bei der verwendeten Softwareversion 4.4.9. fixe Werte hinterlegt – nämlich als Uhrzeit jeweils der Beginn der Messreihe und als Entfernung die fixen Werte aus der Bauartzulassung. Es liegt eine gezielte Datenvernichtung vor. Es geht dabei nicht um die Frage der Speicherung aller Rohmessdaten, sondern um den Nachweis, dass das Messgerät im zugelassenen Messbereich gearbeitet hat“.

In dem Zusammenhang hatte die Verteidigerin auf einen Beschluss des KG vom 24.01.2020 verwiesen, welcher denktheoretisch die Möglichkeit einer staatlich veranlassten Vereitelung der Rekonstruktion in den Raum gestellt, sich aber mangels entsprechender Anhaltspunkte weder zum Vorliegen noch zu möglichen Konsequenzen einer solchen willkürlichen Vereitelung verhalten habe.

Das AG hat den Antrag abgelehnt, da die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Es stützt seine Verurteilung u.a. auf die Messung, die ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Es handle sich um ein standardisiertes Messverfahren.

Der Betroffene hat Rechtsbeschwerde eingelegt, die keinen Erfolg hatte. Da der Beschluss recht umfangreich begründet ist, stelle ich hier nur die Leitsätze ein, und zwar:

    1. Die fehlende Erfassung des Messbereichs bei der konkreten Messung mit der Geschwindigkeitsmessverfahren Poliscan FM1 mit der Softwareversion 4.4.9. – einer sog. Hilfsgröße – führt ebenso wie die fehlende Speicherung der Rohmessdaten nicht zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses (Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 1 OWi 2 SsBs 100/21).
    2. Die Veränderung der Gerätesoftware lässt die Standardisierung in der Regel nicht entfallen.
    3. Dem Beschwerdeführer steht weder ein einfachgesetzlicher noch gar ein verfassungsrechtlich verankerter Anspruch auf die Generierung von Beweismitteln – hier: die Erfassung von Messgrößen im Messbereich – zu.
    4. Auch die mit der aktualisierten Gerätesoftware gewonnenen Messdaten unterliegen nicht einem (ungeschriebenen) Beweisverwertungsverbot. Ein solches käme ohnedies nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Rechtsverstößen in Betracht, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch unberücksichtigt geblieben sind.

Den Rest dann bitte selbst lesen. Und wer das tut, stößt sich vielleicht auch an einer Formulierung/Passage, wenn es nämlich heißt:

„bb) Dieser Rechtsprechung ist das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 1167/20 –, juris) auch nicht entgegengetreten.

Mit der dem Verfahren zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Rechts auf ein faires Verfahren durch die Nichtspeicherung von Rohmessdaten des Geschwindigkeitsmessgerätes LEIVTEC XV 3 verletzt seien. Die nachträgliche Prüfung der Messung sei dadurch unmöglich. Er könne seine Verteidigerrechte nicht wahrnehmen und die Handhabung konterkariere den Grundsatz der Waffengleichheit.

Zwar ist die Verfassungsbeschwerde u.a. wegen nicht hinreichender Substantiierung nicht zur Entscheidung angenommen worden, aber den Beschlussgründen ist zu entnehmen, dass die Nichtspeicherung nur dann problematisch sei, wenn dem Beschwerdeführer ein Anspruch aufgrund eines verfassungsrechtlich verankerten Rechts auf Schaffen bzw. Vorhalten potentieller Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten zustünde. Das Gericht hebt erneut hervor, dass das standardisierte Messverfahren und die damit verbundenen reduzierten Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung, Beweiswürdigung und Darlegungserfordernissen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sind. Es betont zugleich, dass der Beschwerdeführer nur aufgrund ordnungsgemäß zustande gekommener Messergebnisse verurteilt werden darf und ihm ein Einsichts- und Auskunftsanspruch gegen die Behörden hinsichtlich anlässlich der Messung entstandener, aber nicht zu den Akten gelangter Daten zusteht (vgl. grundlegend BVerfG NJW 2021, 455).

Dieser Anspruch des Betroffenen wird nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet ist, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Durch das Stellen von Beweisanträgen, Beweisermittlungsanträgen und Beweisanregungen hat der Betroffene ausreichende prozessuale Möglichkeiten, weiterhin auf Inhalt und Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023 a.a.O.; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 15. September 2023 – Vf. 20-VI-21 –, juris).

Der Anspruch umfasst aber nicht ein Recht auf Erfassen und Speicherung von bei der Messung entstandener Daten zwecks nachträglicher Überprüfung bzw. Plausibilisierung durch die Verteidigung.“

Na? Ja, ist in meinen Augen schon putzig. Da nimmt das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Und dann fängt man als OLG an, die – nicht tragende (!!!) – Begründung des BVerfG auszulegen und anzunehmen, was das BVerfG wohl gemeint hat. Ich habe zumindest Bedenken, wenn sich OLG als Wahrsager/Glaskugelgucker betätigen.