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StrEG III: Verfahrenseinstellung nach § 170 StPO, oder: Keine Billigkeitsentscheidung – Cannabissamen aus NL?

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zum StrEG, und zwar zur Entschädigung nach Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO, und zwar:

Stellung genommen hat zunächst das LG Mainz im LG Mainz, Beschl. v. 11.01.2022 – 3 Qs 79/21 – zur Frage: Entschädigung in den Fällen der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nach § 2 StrEG oder nach § 3 StrEG. Das LG sagt:

„Da die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO daher nicht als Ermessensentscheidung erging (vgl. KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, S 170 Rn. 13 f.), bestimmt sich die Entschädigungspflicht insoweit nur nach § 2 StrEG — nicht auch § 3 StrEG —, so dass sie unabhängig von einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls und von Billigkeitsgründen besteht. Entsprechendes gilt auch, soweit der angefochtene Beschluss eine Entschädigungspflicht für die stattgehabte Durchsuchung feststellte, denn diese war — rechtskräftig festgestellt — rechtswidrig, so dass die Erledigung eines daran anknüpfenden Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft einzig nach § 170 Abs. 2 StPO und wiederum ohne Ermessen, nämlich aus tatsächlichen Gründen — wegen fehlenden Anfangsverdachts (vgl. KK-StPO/Moldenhauert a.a.O. Rn. 18) — in Betracht kam.“

Und dann noch der LG Magdeburg, Beschl. v. 25.01.2022 – 21 Qs 1/22, das ebenfalls meint, dass ein Fall des § 3 StrEG, in dem eine Entschädigung lediglich nach Ermessen im Umfang der Billigkeit nach den Umständen des Falles gewährt werden kann, bei einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nicht vorliegt. Zudem macht das LG ganz interessante Ausführungen zu § 5 Abs. 2 StrEG in den Fällen der Bestellung von Cannabissamen in den Niederlanden:

„Es kann dahinstehen, ob die Anwendung dieser Vorschrift nach einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO überhaupt darauf gestützt werden kann, dass der ehemals Beschuldigte sich aufgrund einer eigenen Würdigung des Akteninhalts durch das entscheidende Gericht in Wahrheit im Sinne des ursprünglichen Tatvorwurfs strafbar verhalten habe. Denn jedenfalls vorliegend ist ein solches Verhalten dem Akteninhalt bereits nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu entnehmen. Zwar mag einiges für die Annahme sprechen, der ehemals Beschuldigte habe sich Cannabissamen aus den Niederlanden bestellt. Anders wäre die solche enthaltende an ihn adressierte Briefsendung kaum erklärlich. Jedoch stellt der Erwerb und Besitz von Cannabissamen nicht ohne weiteres vorwerfbares Verhalten dar. Nach Anlage I zum BtMG — Spiegelstrich „Cannabis“, Spiegelstich „ausgenommen“, Buchstabe a) — ist der Samen des Cannabis von den Betäubungsmitteln ausgenommen, sofern er nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt ist. Hieraus folgt, dass verschiedene erlaubte Formen der Verwendung von Cannabissamen denkbar sind, etwa als Tierfutter (vgl. Patzak, in: Körner/PatzakNolkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 29, Rn. 37 <beck-online>). Da bei der Wohnungsdurchsuchung keine anderweitigen mit dem Anbau von Betäubungsmitteln in Verbindung stehenden Utensilien bei dem ehemals Beschuldigten gefunden wurden, kann eine Bestellung von Cannabissamen zu erlaubten Zwecken vorliegend auch nicht aus-geschlossen werden. Da der erlaubte Erwerb von Cannabissamen also in Betracht kommt, kann hierin auch keine grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Einleitung einer Strafverfolgungsmaßnahme liegen. Zwar ist das Entstehen eines Anfangsverdachts gegen den Adressaten durch das Auffinden von Cannabissamen in einer Briefsendung nachvollziehbar, weil nach kriminalistischer Erfahrung aus den Niederlanden bestellte Cannabissamen häufig zum unerlaubten Anbau von — und in der Folge Besitz von und Handel mit — Cannabis verwendet werden. Dies kann jedoch vor dem Hintergrund der ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkung der Einordnung von Cannabissamen als Betäubungsmittel nicht dazu führen, dass jeder Umgang mit solchen ohne weiteres bereits als grob fahrlässig in Bezug auf entsprechende Straf-verfolgungsmaßnahmen anzusehen wäre.“

StrEG II: Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO, oder: Billigkeitsentscheidung ist eine Ausnahme

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In der zweiten Entscheidung geht es um die Entschädigung für eine Durchsuchung nach Einstellung des Verfahrens. Das AG hatte eine Entschädigung abgelehnt, das LG Flensburg bestätigt die Entscheidung im LG Flensburg, Beschl. v. 11.02.2022 – I Qs 54/20 – die Entscheidung:

„2. Soweit die sofortige Beschwerde der ehemals Beschuldigten zulässig ist, hat sie jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, richtet sich die Frage einer Entschädigung im Hinblick auf die Durchsuchungsmaßnahme nach § 3 StrEG, der im Gegensatz zu § 2 StrEG eine Entschädigung nur nach Billigkeitsgesichtspunkten gewährt.

Die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass die Billigkeitsentscheidung nach § 3 StrEG nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Voraussetzung ist, dass sich der Fall von anderen Fällen auffallend abhebt, wobei eine Entschädigung regelmäßig nur dann als billig angesehen werden kann, wenn der Vollzug der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen sich zum Zeitpunkt der Einstellung in der Rückschau als grob unverhältnismäßig herausstellt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.11.2012, Ws 321/12, zitiert nach juris) —insbesondere bei einer Einstellung nach § 153 StPO werden Billigkeitsgründe nur dann vorliegen, wenn der bei der Einstellung bestehende Tatverdacht erheblich hinter dem Tatverdacht zurück-bleibt, der zu der Verfolgungsmaßnahme geführt hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 3 StrEG, Rn. 2).

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Das Amtsgericht Flensburg hat die Durchsuchung mit Beschluss vom 30.05.2016 angeordnet unter anderem auch wegen des Verdachts der Hinterziehung von Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftssteuer. Im Hinblick auf diese Delikte war zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung zwar kein Tatverdacht mehr bezüglich einer täterschaftlichen Begehung gegeben, wohl aber ein Tatverdacht bezüglich einer Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung der Umsatzsteuer für die Jahre 2013 und 2014, der Körperschaftssteuer für das Jahr 2013 sowie bezüglich einer Beihilfe zu einer versuchten Hinterziehung der Körperschaftssteuer 2014. Der gegen die ehemals Beschuldigte bestehende Tatverdacht blieb damit zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung nicht erheblich hinter dem Tatverdacht zurück, der zur Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme geführt hat, vielmehr hätte — wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat — auch dieser Verdacht einer Bei-hilfe zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses führen können, § 102 StPO, denn hierfür reicht, dass aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte oder aufgrund kriminalistischer Erfahrungen angenommen werden kann, dass der Verdächtige .als Teilnehmer einer Straftat in Betracht kommt. Als Verdachtsgrad genügt damit ein Anfangsverdacht (vgl. m.w.N.: BeckOK/Hegmann, StPO, 42. Edition, § 102, Rn. 1, zitiert nach beck-online).

Diese Voraussetzung war vorliegend auch zum Zeitpunkt der Einstellung erfüllt, denn ausweislich ihrer eigenen Ausführungen hat die ehemals Beschuldigte erkannt, dass die ihr vom Geschäfts-führer der „PP UG“ übermittelten Zahlen nicht plausibel waren, dennoch hat sie auf Basis dieser Zahlen die entsprechenden Voranmeldungen getätigt (vgl. BI. 79).“

 

Die Kosten im Verfassungsbeschwerdeverfahren, oder: Billigkeitsentscheidung

Als zweite Entscheidung dann mal etwas ganz Anderes, nämlich etwas Kostenrechtliches vom BVerfG. Das hat im BVerfG, Beschl. v. 10.01.2022 – 2 BvR 1851/21 – zu § 34a Abs. 3 BVerfGG Stellung genommen, also Kostenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren:

„1. Über die Verfassungsbeschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung seines Asylantrags gewendet hat, ist nicht mehr zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer das Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2021 für erledigt erklärt hat.

2. Die Auslagenerstattung war in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen.

a) Über die Auslagenerstattung ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (vgl. BVerfGE 49, 70 <89>) dar (vgl. BVerfGE 66, 152 <154>). Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. So ist es billig, einer beschwerdeführenden Person die Erstattung ihrer Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall ? falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind ? davon ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren der beschwerdeführenden Person selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2021 – 2 BvR 2069/19 -, Rn. 3).

b) Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, die Auslagenerstattung zu zwei Dritteln anzuordnen.

Die Auslagenerstattung ist anzuordnen, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs gerichtet hat. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat diese mit Beschluss vom 26. November 2021 aufgehoben und damit zum Ausdruck gebracht, dass er das Begehren des Beschwerdeführers insoweit selbst für berechtigt erachtet hat.

Soweit sich der Beschwerdeführer auch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts gewendet hat, ist die Auslagenerstattung nicht anzuordnen. Zum einen ist dieses durch den Verwaltungsgerichtshof nicht aufgehoben worden. Zum anderen war die Verfassungsbeschwerde insoweit mangels hinreichender Begründung (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) offensichtlich unzulässig, sodass eine Auslagenerstattung aus Billigkeitsgesichtspunkten ausscheidet (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Februar 2018 – 2 BvR 2628/17 -, Rn. 2).

3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmächtigten für das Verfassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich, soweit das Land Baden-Württemberg zur Kostenerstattung verpflichtet wird (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>; 105, 239 <252>). Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt, weil die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Rechtsverfolgung mangels hinreichender Erfolgsaussicht die Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <112>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2021 – 2 BvR 307/21 -, Rn. 2) nicht erfüllt.

4. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 f.>).“