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Der fingierte/manipulierte/gestellte Verkehrsunfall, oder: Welche Umstände sprechen dafür?

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Im „Kessel Buntes“ heute dann seit längerer Teit mal wieder ein landgerichtliches Urteil zu den Umständen und Indizien, die für einen manipulierten/fingierten Verkehrsunfall sprechen. Darüber habe ich früher ja schon häufiger berichtet. Hier ist dann mit dem LG Duisburg, Urt. v. 12.10.2021 – 4 O 175/20 – mal wieder eine Entscheidung.

Das LG führt zum „fingierten“ Verkehrsunfall aus:

„1. Das Gericht ist davon überzeugt, dass es sich um einen zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) fingierten Unfall handelt. Dies stellt eine Einwilligung des Klägers in die Beschädigung seines Eigentums dar, so dass eine Schadensersatzpflicht aus den §§ 823 BGB, 7, 18 StVG entfällt. Für das Vorliegen dieser Einwilligung sind die Beklagten beweispflichtig (vgl. BGH, VersR 1979, 514; BGHZ 71, 339, OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 95). Der Beweis der Einwilligung in die Fahrzeugbeschädigung kann dann als geführt angesehen werden, wenn sich eine Häufung von Umständen findet, die darauf hindeuten. Unerheblich ist dabei, ob diese Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig erklärt werden können. Ausschlaggebend ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise, bei der aus einer Indizienkette auf eine planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann (OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04 m.w.N.)

Dieser Nachweis ist hier erbracht.

a) Zunächst sprechen die am Unfallereignis beteiligten Fahrzeuge für eine Manipulation.

Bei dem PKW des Klägers handelte es sich um ein älteres, hochwertiges Fahrzeug, bei dem in der Regel teurere Schäden zu erwarten sind als bei einem preiswerteren Fahrzeug, mit einer hohen Laufleistung von jedenfalls 160.000 km. Es wies auch erhebliche Vorschäden auf, die der Kläger bei der von ihm veranlassten Bewertung durch den Sachverständigen nicht angegeben hat. Einer dieser, nach Vortrag des Klägers anlässlich eines Urlaubs in der Türkei reparierten, Vorschäden, ist seinerseits bei einem Unfall mit klarer Haftungslage entstanden und auf fiktiver Basis abgerechnet worden.

Auch bei dem von dem Beklagten zu 2) gefahrenen PKW handelt es sich um ein für Unfallfiktionen typischerweise verwendetes Fahrzeug; nämlich um einen Mietwagen, für den eine Vollkasko-Versicherung bestand und für den eine Selbstbeteiligung nicht vereinbart wurde, sodass der Beklagte zu 2) auch nicht fürchten musste, selbst finanziell an der Beseitigung des Schadens beteiligt zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist in der Gesamtschau der Indizien auch zu berücksichtigen, dass die vom Kläger begehrte Abrechnung auf Gutachtenbasis in der Rechtsprechung als Indiz für einen manipulierten Unfall gewertet wird (OLG Frankfurt ZfSch 2004, 501, 503).

b) Hinzu kommt, dass der Kläger seine Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten zu 3) mittels eines erkennbar falschen Gutachtens bezifferte und durchzusetzen versuchte. Zum einen ist im Gutachten ein reparierter Vorschaden im betroffenen Unfallbereich angegeben, den der eigene Privatgutachter des Klägers festgestellt haben will, der Kläger selbst aber bestreitet. Es kann dahinstehen, ob an der Stelle tatsächlich ein Schaden repariert wurde, oder ob der Kläger hiervon ggf. auch nichts wusste, da dies vor seiner Besitzzeit repariert wurde. Jedenfalls hätte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und bei einmaligem Durchblättern des Gutachtens auffallen müssen, dass das Gutachten diesbezüglich nicht stimmen kann.

Gleiches gilt für den unstreitig vormals vorhandenen Vorschaden auf der rechten Fahrzeugseite sowie den im Mai 2019 behobenen Wasserschaden, bei dem auch das Tachometer ausgewechselt wurde. Es kann dahinstehen, ob der Kläger diese Schäden gegenüber seinem Gutachter erwähnt und dieser sie fahrlässig nicht aufgenommen hat, wobei der Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung zunächst angegeben hat, diese nicht erwähnt zu haben und auf erneute Nachfrage dann angab, dass man „bestimmt“ darüber gesprochen habe. Bezüglich des unrichtigen Tachostandes erscheint dies im Übrigen zweifelhaft, da jedenfalls davon auszugehen ist, dass der Gutachter nicht den abgelesenen Tachostand in das Gutachten aufgenommen hätte, wenn offengelegt worden wäre, dass der richtige Tachostand nicht bekannt ist. Unabhängig davon hat der Kläger aber vor Einreichung des Gutachtens bei der Beklagten zu 3) zwecks Schadensregulierung auch an diesen für ihn offenbaren Unrichtigkeiten – insbesondere, wenn er die Schäden gegenüber dem Gutachter erwähnt hätte, hätte ihm dies auffallen müssen – keinerlei Anstalten gemacht, das Gutachten diesbezüglich berichtigen zu lassen und so in Kauf genommen, dass die Beklagte auf Grundlage eines für sie aufgrund des Weglassens von Vorschäden ggf. nachteiligen Gutachtens reguliert.

c) Der behauptete Unfall fand im Winter abends in einer ruhigen Straße statt, in der zu dieser Zeit mit neutralen Zeugen nicht zu rechnen ist.

d) Zwar ist das an sich weiter heranzuziehende Indiz für eine Unfallmanipulation, das Nichterscheinen der beklagten Partei in der mündlichen Verhandlung, hier nicht gegeben. Der Beklagte zu 2) war nämlich im Termin anwesend und hat Angaben zur Sache gemacht.

Der von Ihm im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegebene Ablauf, der zu seiner Anwesenheit am Unfallort geführt haben soll, ist jedoch unplausibel. So gab er an, kurz zuvor seine Mutter am Düsseldorfer Flughafen abgesetzt und sich nunmehr auf dem Rückweg zu seiner damaligen Wohnung in Oberhausen befunden zu haben. Er sei dann von der Autobahn abgefahren, um in der Umgebung des Unfallorts etwas zu essen und konnte sich auch noch erinnern, dass er einen Döner essen wollte. Auf Nachfrage konnte er weder den Laden benennen, in dem er essen war oder zumindest essen gehen wollte, noch konnte er Restaurants in der Umgebung benennen. Stattdessen gab er – wiederholt – an, dass dort „viele“ Läden seien, wie bereits ausgeführt ohne Nennung derer Namen, und er einen Parkplatz finden wollte, um einen der dort ansässigen Imbisse auszusuchen. Sodann gab er selbst an, dass er die T.-Straße, auf der die Fahrgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt ist, mit 40 km/h befahren habe. Auf die Frage des Gerichts, warum er denn zu schnell gefahren sei, räumte er dann zwar ein, dass dies nicht richtig sei, konnte jedoch nicht erklären, wieso er mit 40 km/h eine Straße befuhr, in der er nach eigenen Angaben einen Parkplatz suchte, obwohl er bereits nach eigenen Angaben aufgrund der links stehenden Transporter und dem rechts stehenden Fahrzeug des Klägers ohnehin nur einen geringen Spielraum zum Fahren hatte.

Gleichermaßen konnte er nicht erklären, weshalb er in der Umgebung des Unfallorts, die er nach eigenen Angaben nicht kannte, einen Imbiss aufsuchen wollte, den er ebenfalls nicht kannte, und dies nicht in der Nähe seines Wohnorts tat. Die Antwort des Beklagten zu 2), in D. würden die Döner einfach besser schmecken, ist nicht geeignet, um den Hergang plausibel erscheinen zu lassen.

Für den von ihm angegebenen Grund der Anmietung des Fahrzeugs, sein eigenes Fahrzeug habe sich in Reparatur befunden, gibt es, da die Reparatur nach seinen Angaben durch einen Freund ohne Rechnung erfolgte, keinerlei nachvollziehbare objektive Anknüpfungspunkte.

Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 2) – auch wenn er glaubhaft erklärt hat, dass er im Vorlauf zum Termin keinen Anwalt beauftragt habe, weil die Versicherung ihm mitgeteilt habe, dies sei nicht notwendig – auch im Nachgang des Termins, in dem ihm ausführlich erklärt wurde, dass die Versicherung ihm einen Betrug vorwirft, keine Schritte unternommen hat, um seine Rechte entsprechend zu verteidigen. Auch in der Verhandlung selbst äußerte er Empörung nicht etwa darüber, dass ihm ein versuchter Betrug vorgeworfen wird, sondern darüber, dass ihm nicht bewusst war, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1) und 3) nicht seine Interessen vertrete. Obwohl er sodann ausführte, dass er nicht eigens aus Berlin angereist wäre, wenn er gewusst hätte, dass er nicht anwaltlich vertreten ist und damit auch keine Anträge stellen kann, und dies getan hätte, wenn ihm nicht seitens der anderen Beklagten mitgeteilt worden wäre, dass er sich nicht kümmern müssen, beauftragte er auch nach dem Erlass des Versäumnisurteils und der Anberaumung des Einspruchstermins keinen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Rechte.

e) Auch der Schadenshergang spricht für eine Unfallmanipulation. Der Schaden entstand durch das Auffahren des PKW der Beklagten gegen den am Straßenrand geparkten Pkw des Klägers. Dieser Schadenshergang ließ sich leicht steuern. Dabei entstanden für den Beklagten zu 2) keine nennenswerten gesundheitlichen Risiken. Zugleich aber konnte, wie an dem langen Streifschaden am Fahrzeug des Klägers zu sehen ist, ein hoher Schaden verursacht werden. Außerdem brauchte bei der eindeutigen Schuldzuweisung nicht mit einer Anspruchskürzung durch den Einwand von Mitverschulden oder mitwirkende Betriebsgefahr gerechnet zu werden (vgl. OLG Hamm OLG-Report Hamm 2001, 58, 60 und VersR 2002, 700 f.).

Weiterhin begründet die Art des Schadens, ein „lukrativer“ Streifschaden, ein Indiz für eine Unfallmanipulation (vgl. LG Essen, Urt. v. 16.12.2010, 3 O 190/10). Bei dem Schaden an dem auf Klägerseite beteiligten Fahrzeug handelt es sich um einen Streifschaden über eine beachtliche Länge des Fahrzeuges.

f) Bei der genannten auffälligen Häufung manipulationstypischer Indizien wird der sich hieraus ergebende Anscheinsbeweis für einen gestellten Unfall (vgl. OLG Celle OLG-Report Celle 2004, 175 ff.) nicht dadurch erschüttert, dass die Schäden an den beteiligten Fahrzeugen kompatibel sind (vgl. HansOLG Bremen VersR 2003, 1553, 1554). Es kann hier also dahinstehen, ob die Schäden der Fahrzeuge kompatibel sind und zu der Schadensschilderung passen, was die Beklagten zu 1) und 3) bestreiten. Damit entfällt nämlich nur ein Einzelindiz, ohne dass die Indizienkette aufgrund der übrigen Umstände reißt.

Nach alledem reichen die Indizien aus, um dem Gericht die Überzeugung des Vorliegens eines fingierten Verkehrsunfalls zu verschaffen. Der Umstand, dass ein vorheriger persönlicher Kontakt zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) nicht nachgewiesen werden konnte, vermag diese Überzeugung nicht infrage zu stellen, da die nicht erwiesene Bekanntschaft der Beteiligten aufgrund der Beweisschwierigkeiten der KFZ-Versicherer ohnehin nur ein schwaches Indiz darstellt.“

Elterliche Aufsichtspflicht über ein Rad fahrendes Kind, oder: Familiärer Fahrradausflug

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Und heute dann am ersten „normalen“ Samstag des neuen Jahres wie gewohnt der „Kessel Buntes“.

Und als erste Entscheidung dann das AG Düsseldorf, Urt. v. 03.09.2021 – 37 C 557/20 – zur Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht über ein Rad fahrendes Kind.

Gestritten wird um Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall in Düsseldorf. Der Beklagte ist sorgeberechtigter Vater seiner 6-jährigen Tochter B. Im Rahmen eines familiären Fahrradausflugs befuhr er mit seiner Tochter B sowie dem 11-jährigen Sohn K und dem 15-jährigen Sohn L einen auf der Straße markierten Radweg. Der Beklagte fuhr an erster Stelle, sodann folgte seine Tochter, im Anschluss der jüngere Sohn, an letzter Stelle der ältere Sohn. Vor einem Haus versperrte ein dort abgestellter Pkw den Radweg und einen Teil des allgemeinen Fahrbahnbereichs. Der Beklagte verließ den Radfahrstreifen nach links, um den Pkw zu umfahren. Auch die Tochter B des Beklagten versuchte nach links auszuweichen, beim Ausscheren streifte sie mit dem Fahrradlenker das Fahrzeug der Klägerin, einen Pkw Opel Corsa im Bereich der rechten vorderen Tür. Die fiktiven Reparaturkosten betragen gemäß klägerischem Kostenvoranschlag 790,80 EUR. Die Klägerin forderte die Haftpflichtversicherung des Beklagten auf, den Schaden zu regulieren. Dies lehnte die Haftpflichtversicherung ab. Die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage hat das AG als begründet angesehen:

„Die Klage ist begründet. Der Anspruch gegen den Beklagten ergibt sich wegen Verletzung der Aufsichtspflicht über seine 6-jährige Tochter B aus §§ 832 Abs. 1 S.1, 249ff. BGB. Der Kläger ist als sorgeberechtigter Vater hinsichtlich seiner Tochter im Rahmen der elterlichen Sorge gemäß § 1631 Abs. 1 BGB aufsichtspflichtig. Diese Aufsichtspflicht hat der Beklagte verletzt, indem seine Tochter in seiner Anwesenheit entgegen § 2 Abs. 5 S.1, 2 StVO in Nachfolgen des Beklagten den auf der Fahrbahn markierten baulich nicht abgegrenzten Radweg benutzte. Nach dieser Vorschrift müssen Kinder, die noch nicht das achte Lebensjahr vollendet haben, auf dem Gehweg fahren. Einen Radweg dürfen sie nur benutzen, wenn dieser von der Fahrbahn baulich getrennt ist. Die Klägerin fällt auch in den Schutzzweck dieser Regelung, da mit dem Verbot der Nutzung baulich nicht abgetrennter Radwege Gefährdungen durch unsichere Fahrweise von jüngeren Kindern vermieden werden sollen. Das gilt einerseits zur Abwendung der Gefahr von dem Kind selbst, andererseits fallen aber auch neben dem Radweg verkehrende Fahrzeuge in den Schutzbereich, weil typische Folge unsicherer Fahrweise die Berührung parallel verkehrender Fahrzeuge und die hieraus resultierenden Schäden sind. Es kommt daher für die Haftung nicht darauf an, ob der Beklagte über die Duldung der Benutzung des Radwegs durch die Tochter hinausgehend durch seine konkrete Fahrweise die Aufsichtspflicht weitergehend verletzt hat, insbesondere ob er hinter seiner Tochter hätte verbleiben müssen oder vor der Umfahrung des auf dem Radweg abgestellten Pkw hätte warten müssen, um den Abstand zwischen sich und seiner Tochter zu verringern. Der Beklagte kann sich nicht nach § 832 Abs. 1 S.2 BGB entlasten, weil bei Beachtung der Aufsichtspflicht, also Veranlassung des Fahrens der 6-jährigen Tochter auf dem Gehweg, der Unfall nicht in gleicher Art und Weise geschehen wäre. Dass die Tochter bei Fahrt auf dem Gehweg möglicherweise geparkte Autos hätte beschädigen können, stellt nicht denselben Schaden dar. Überdies resultiert die Gefahrensituation, die hier zum Unfall geführt hat, gerade aus der fehlenden Abtrennung vom Fahrzeugverkehr und der Notwendigkeit des Ausweichens auf die Fahrbahn im Fall einer Blockierung des Radwegs durch abgestellte Pkw. Diese Gefahrensituation hätte bei einer Fahrt auf dem Gehweg nicht bestanden. Die Einhaltung der Aufsichtspflicht war dem Beklagten auch nicht unzumutbar, denn der Beklagte wäre nach § 2 Abs. 5 S.3 StVO selbst berechtigt gewesen, in Beaufsichtigung seiner Tochter ebenfalls den Gehweg zu benutzen. Dass seine Söhne dann ohne Vorausfahrt des Beklagten selbstständig den Radweg hätten benutzen müssen, ist nicht unzumutbar, insbesondere läge hierin keine Verletzung der Aufsichtspflicht über seine Söhne, weil diese altersentsprechend in der Lage sind, ohne Beaufsichtigung und Vorausfahrt eines Erziehungsberechtigten Fahrrad zu fahren. Beide Söhne befinden sich im typischen Alter eines Schülers weiterführender Schulen, die selbstständige Nutzung des Fahrrads als Verkehrsmittel im Alltag ist in dieser Altersgruppe sozialüblich.“

 

Zur Erstattung von Corona-Desinfektionskosten, oder: AG Altena, AG Heinsberg. LG Aachen, LG Hamburg: Ja

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Und heute dann zum letzten Mal in 2021 der „Kessel Buntes“, denn am nächsten Samstag ist der 1. Weihnachtsfeiertag und dann ist das Jahr auch schon vorbei.

Ich stelle hier dann zunächst vier Entscheidungen zur Erstattung von Desinfektionkosten vor, und zwar:

Alle vier Gerichte haben die Desinfektionskosten erstattet, ich erspare mir hier die Einzelheiten, sondern ordne das Selbstleseverfahren an. Das LG Hamburg hat die Revision zugelassen, vielleicht hören wir dann ja mal etwas vom BGH dazu.

Doe Volltexet zu AG Heinsberg und LG Aachen findet man übrigens nicht bei mir, sondern beim Kollegen Frese aus Heinsberg. Ich habe auf die von ihm eingestellten Entscheidungen verlinkt. Ging schneller 🙂 .

 

Dieselskandal II: Neufahrzeugkauf vom Händler, oder: Herausgabeanspruch nach Eintritt der Verjährung

Na ja, ganz sauber war der Ordner noch nicht. Eine Entscheidung habe ich noch gefunden, und zwar das OLG Celle, Urt. v. 04.11.2021 – 7 U 4/21. Von dem stelle ich aber auch nur den Leitsatz ein. Das Urteil ist 18 Seiten lang. Und: Bei diesen Verfahren tue ich mich bei der inzwsichen unüberschaubaren Rechtsprechung immer etwas schwer mit Auszügen :-).

Also hier der Leitsatz:

Bei einem Neuwagenkauf von einem Autohändler hat der Fahrzeughersteller, der im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt, auf Kosten des Fahrzeugkäufers den Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge im Sinne von § 852 Satz 1 BGB erlangt.

Dazu werden wir dann sicherlich bald etwas vom BGH hören. Das OLG hat die Revision zugelassen.

Dieselskandal I: Kleine Rechtsprechungsübersicht, oder: Der BGH war fleißig

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Heute dann der „Kessel-Buntes-Tag“. Und den eröffne ich mit einerm Reigen von Entscheidungen zum Dieselskandal, und zwar alles, was derzeit in meinem Blogordner gehangen hat. Das ist – man merkt, dass die Gerichte „aufarbeiten“ – eine Menge. Dazu kann man nicht Einzelpostings bringen. Daher diese Übersicht von Entscheidungen, die ich auch nur mit Leitsatz einstellt:

1. Zur sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem beklagten Fahrzeughersteller getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

2. Ein Schaden im Sinne des § 826 BGB kann auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen. Nach deren Erfüllung setzt sich der Schaden in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fort.

Zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller in einem sogenannten Dieselfall.

Zum Umfang der Haftung eines Motorenherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Ersatzfähigkeit von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, Deliktszinsen).

1. Die Annahme grober Fahrlässigkeit (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) setzt im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal zumindest in einem ersten Schritt die Feststellung voraus, dass der geschädigte Fahrzeugerwerber von dem sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hat.

2. Die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB setzt lediglich voraus, dass die Musterfeststellungsklage selbst innerhalb der Verjährungsfrist erhoben wird. Dagegen kann die Anspruchsanmeldung zum Klageregister – im zeitlichen Rahmen des § 608 Abs. 1 ZPO – auch später erfolgen.

2. Die Berufung auf den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB verstößt nicht allein deshalb gegen Treu und Glauben, weil der Gläubiger seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet hat.

1. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Motortyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 Rn. 19, ZIP 2021, 297 und Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 Rn. 28, VersR 2021, 661).

2. Bei einer Abschalteinrichtung, die – wie hier – im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt.

3. Allein aus der hier zu unterstellenden objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer.

Zum Inhalt und zur Reichweite einer Beschaffungspflicht des Verkäufers beim Verbrauchsgüterkauf im Nacherfüllungsfall bei Einstellung der Produktion der ursprünglichen Kaufsache und Markteinführung eines Nachfolgemodells (hier: Neufahrzeug) – im Anschluss an Senatsurteil vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt.

So, damit ist der Ordner derzeit von der Problematik befreit.