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Elterliche Aufsichtspflicht über ein Rad fahrendes Kind, oder: Familiärer Fahrradausflug

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Und heute dann am ersten „normalen“ Samstag des neuen Jahres wie gewohnt der „Kessel Buntes“.

Und als erste Entscheidung dann das AG Düsseldorf, Urt. v. 03.09.2021 – 37 C 557/20 – zur Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht über ein Rad fahrendes Kind.

Gestritten wird um Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall in Düsseldorf. Der Beklagte ist sorgeberechtigter Vater seiner 6-jährigen Tochter B. Im Rahmen eines familiären Fahrradausflugs befuhr er mit seiner Tochter B sowie dem 11-jährigen Sohn K und dem 15-jährigen Sohn L einen auf der Straße markierten Radweg. Der Beklagte fuhr an erster Stelle, sodann folgte seine Tochter, im Anschluss der jüngere Sohn, an letzter Stelle der ältere Sohn. Vor einem Haus versperrte ein dort abgestellter Pkw den Radweg und einen Teil des allgemeinen Fahrbahnbereichs. Der Beklagte verließ den Radfahrstreifen nach links, um den Pkw zu umfahren. Auch die Tochter B des Beklagten versuchte nach links auszuweichen, beim Ausscheren streifte sie mit dem Fahrradlenker das Fahrzeug der Klägerin, einen Pkw Opel Corsa im Bereich der rechten vorderen Tür. Die fiktiven Reparaturkosten betragen gemäß klägerischem Kostenvoranschlag 790,80 EUR. Die Klägerin forderte die Haftpflichtversicherung des Beklagten auf, den Schaden zu regulieren. Dies lehnte die Haftpflichtversicherung ab. Die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage hat das AG als begründet angesehen:

„Die Klage ist begründet. Der Anspruch gegen den Beklagten ergibt sich wegen Verletzung der Aufsichtspflicht über seine 6-jährige Tochter B aus §§ 832 Abs. 1 S.1, 249ff. BGB. Der Kläger ist als sorgeberechtigter Vater hinsichtlich seiner Tochter im Rahmen der elterlichen Sorge gemäß § 1631 Abs. 1 BGB aufsichtspflichtig. Diese Aufsichtspflicht hat der Beklagte verletzt, indem seine Tochter in seiner Anwesenheit entgegen § 2 Abs. 5 S.1, 2 StVO in Nachfolgen des Beklagten den auf der Fahrbahn markierten baulich nicht abgegrenzten Radweg benutzte. Nach dieser Vorschrift müssen Kinder, die noch nicht das achte Lebensjahr vollendet haben, auf dem Gehweg fahren. Einen Radweg dürfen sie nur benutzen, wenn dieser von der Fahrbahn baulich getrennt ist. Die Klägerin fällt auch in den Schutzzweck dieser Regelung, da mit dem Verbot der Nutzung baulich nicht abgetrennter Radwege Gefährdungen durch unsichere Fahrweise von jüngeren Kindern vermieden werden sollen. Das gilt einerseits zur Abwendung der Gefahr von dem Kind selbst, andererseits fallen aber auch neben dem Radweg verkehrende Fahrzeuge in den Schutzbereich, weil typische Folge unsicherer Fahrweise die Berührung parallel verkehrender Fahrzeuge und die hieraus resultierenden Schäden sind. Es kommt daher für die Haftung nicht darauf an, ob der Beklagte über die Duldung der Benutzung des Radwegs durch die Tochter hinausgehend durch seine konkrete Fahrweise die Aufsichtspflicht weitergehend verletzt hat, insbesondere ob er hinter seiner Tochter hätte verbleiben müssen oder vor der Umfahrung des auf dem Radweg abgestellten Pkw hätte warten müssen, um den Abstand zwischen sich und seiner Tochter zu verringern. Der Beklagte kann sich nicht nach § 832 Abs. 1 S.2 BGB entlasten, weil bei Beachtung der Aufsichtspflicht, also Veranlassung des Fahrens der 6-jährigen Tochter auf dem Gehweg, der Unfall nicht in gleicher Art und Weise geschehen wäre. Dass die Tochter bei Fahrt auf dem Gehweg möglicherweise geparkte Autos hätte beschädigen können, stellt nicht denselben Schaden dar. Überdies resultiert die Gefahrensituation, die hier zum Unfall geführt hat, gerade aus der fehlenden Abtrennung vom Fahrzeugverkehr und der Notwendigkeit des Ausweichens auf die Fahrbahn im Fall einer Blockierung des Radwegs durch abgestellte Pkw. Diese Gefahrensituation hätte bei einer Fahrt auf dem Gehweg nicht bestanden. Die Einhaltung der Aufsichtspflicht war dem Beklagten auch nicht unzumutbar, denn der Beklagte wäre nach § 2 Abs. 5 S.3 StVO selbst berechtigt gewesen, in Beaufsichtigung seiner Tochter ebenfalls den Gehweg zu benutzen. Dass seine Söhne dann ohne Vorausfahrt des Beklagten selbstständig den Radweg hätten benutzen müssen, ist nicht unzumutbar, insbesondere läge hierin keine Verletzung der Aufsichtspflicht über seine Söhne, weil diese altersentsprechend in der Lage sind, ohne Beaufsichtigung und Vorausfahrt eines Erziehungsberechtigten Fahrrad zu fahren. Beide Söhne befinden sich im typischen Alter eines Schülers weiterführender Schulen, die selbstständige Nutzung des Fahrrads als Verkehrsmittel im Alltag ist in dieser Altersgruppe sozialüblich.“