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Frist/beA I: Beweiswirkung eines elektronischen EB, oder: Entkräftung der Beweiswirkung

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Und dann zum Abschluss der 11 KW/2025 zwei Entscheidungen zum beA bzw. zu Fristen und zur Fristwahrung.

Den Reigen eröffne ich mit dem OLG Celle, Beschl. v. 31.01.2025 – 20 U 8/24 – zur Entkräftung der Beweiswirkung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses. Es handelt sich um die Zurückweisung einer Berufung, zu der das OLG schon vorab in einem Hinweisbeschluss Stellung genommen hatte. Zu dem Hinweisbeschluss war eine Stellungnahme des Klägers eingegangen, zu deren fristegmäßen Eingang das OLG sich dann auch geäußert hat. Das ganze – inklusive der Ausführungen des OLG zum Klagegegenstand – auf rund 26 Seiten. Daher gibt es es hier zur die Leitsätze des OLG zum elektronischen Empfangsbekenntnis und der Entkräftung der Beweiswirkung:

1. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 17.01.2024 – VII ZB 22/23, NJW 2024, 1120 Rn. 10; v. 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10 und v. 18.04,2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 11).

2. Für den Gegenbeweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt erreicht hat, muss die Beweiswirkung vollständig entkräftet sein, also jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 11 und v. 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10; Urt. v. 07.06.1990 – III ZR 216/89, NJW 1990, 1026).

3. Ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem dokumentierten Zeitpunkt der elektronischen Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum (hier: sechs Wochen) erbringt den Beweis der Unrichtigkeit der Datumsangabe für sich genommen noch nicht (Anschluss an: BGH, Beschlüsse vom 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 11 und vom 19.04,2012 – IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117 Rn. 8). Es dürfen jedoch auch keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Anschluss an: BGH, Beschlüsse vom 14.10.2008 – VI ZB 23/08, NJW 2009, 855, 856 und vom 08.05.2007 – VI ZB 80/06, NJW 2007, 3069).

4. In einem solchen Fall kann die Partei deshalb nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast verpflichtet sein, sich substantiiert zu den Umständen zu erklären, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen, und zu dem tatsächlichen Zeitpunkt der subjektiv empfangsbereiten Kenntnisnahme vorzutragen. Außerdem kann das Gericht nach §§ 142, 144 ZPO die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals des Rechtsanwalts der Partei anordnen.

5. Hieraus und aus den Erklärungen der Partei können sich jedenfalls Anhaltspunkte für den Zeitpunkt der empfangsbereiten Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch den Rechtsanwalt und damit ein von dem Empfangsbekenntnis abweichendes Zustelldatum ergeben. Erklärt sich die Partei nicht und legt auch das beA-Nachrichtenjournal ihres Rechtsanwalts nicht vor, kann – in entsprechender Anwendung von § 427 ZPO – der Beweis der Unrichtigkeit des in dem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatums geführt sein.

Dieselskandal I: Kleine Rechtsprechungsübersicht, oder: Der BGH war fleißig

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Heute dann der „Kessel-Buntes-Tag“. Und den eröffne ich mit einerm Reigen von Entscheidungen zum Dieselskandal, und zwar alles, was derzeit in meinem Blogordner gehangen hat. Das ist – man merkt, dass die Gerichte „aufarbeiten“ – eine Menge. Dazu kann man nicht Einzelpostings bringen. Daher diese Übersicht von Entscheidungen, die ich auch nur mit Leitsatz einstellt:

1. Zur sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem beklagten Fahrzeughersteller getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

2. Ein Schaden im Sinne des § 826 BGB kann auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen. Nach deren Erfüllung setzt sich der Schaden in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fort.

Zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller in einem sogenannten Dieselfall.

Zum Umfang der Haftung eines Motorenherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Ersatzfähigkeit von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, Deliktszinsen).

1. Die Annahme grober Fahrlässigkeit (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) setzt im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal zumindest in einem ersten Schritt die Feststellung voraus, dass der geschädigte Fahrzeugerwerber von dem sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hat.

2. Die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB setzt lediglich voraus, dass die Musterfeststellungsklage selbst innerhalb der Verjährungsfrist erhoben wird. Dagegen kann die Anspruchsanmeldung zum Klageregister – im zeitlichen Rahmen des § 608 Abs. 1 ZPO – auch später erfolgen.

2. Die Berufung auf den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB verstößt nicht allein deshalb gegen Treu und Glauben, weil der Gläubiger seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet hat.

1. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Motortyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 Rn. 19, ZIP 2021, 297 und Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 Rn. 28, VersR 2021, 661).

2. Bei einer Abschalteinrichtung, die – wie hier – im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt.

3. Allein aus der hier zu unterstellenden objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer.

Zum Inhalt und zur Reichweite einer Beschaffungspflicht des Verkäufers beim Verbrauchsgüterkauf im Nacherfüllungsfall bei Einstellung der Produktion der ursprünglichen Kaufsache und Markteinführung eines Nachfolgemodells (hier: Neufahrzeug) – im Anschluss an Senatsurteil vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt.

So, damit ist der Ordner derzeit von der Problematik befreit.