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Dolmetscher II: Übersetzer im Vollstreckungsverfahren, oder: Es gelten die allgemeinen Regeln

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In der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, geht es um Zuziehung eines Dolmetschers im Strafvollstreckungsverfahren. Folgender Sachverhalt:

Der Verurteilte ist litauischer Staatsangehöriger und der deutschen Sprache nicht mächtig. Er verbüßte eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Die bedingte Entlassung zum Zweidrittelzeitpunkt lehnte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 07.12.2022 ab.

Diesem Beschluss war am 30.11.2022 die mündliche Anhörung des Verurteilten vorausgegangen. Den Termin hatte die Strafvollstreckungskammer mit dem Verteidiger abgestimmt. Der Verteidiger hatte angekündigt, einen Dolmetscher mitbringen zu wollen. Es war insoweit vereinbart worden, dass die Staatskasse die anteiligen Kosten für den Dolmetscher übernehme, sofern dieser auch zu der gerichtlichen Anhörung hinzugezogen werde. Die Dolmetscherleistungen, die die mündliche Anhörung des Verurteilten betrafen, wurden gegenüber dem Gericht geltend gemacht und durch die Staatskasse beglichen.

Gestritten wird nun noch um weitere Auslagen in Höhe von 361,24 EUR. Diese betreffen die Dolmetscherkosten für das im Vorfeld der Anhörung geführte Gespräch zwischen dem Verurteilten und seinem Verteidiger. Die Strafvollstreckungskammer insoweit hat den Festsetzungsantrag abgelehnt. Dagegen hat der Verteidiger für den Verurteilten sofortige Beschwerde eingelegt. Diese hatte beim OLG mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 30.08.2024 – 2 Ws 413/23 – Erfolg:

„c) …. Die angegriffene Entscheidung erweist sich indes in der Sache im Wesentlichen als fehlerhaft.

aa) Die Kammer ist noch zutreffend davon ausgegangen, dass sich ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten für das Vorgespräch mit dem Verteidiger mangels Ver-handlung nicht aus § 185 GVG herleiten lassen kann.

bb) Auch aus § 187 GVG lässt sich ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten für ein Verteidigergespräch nicht ableiten, da die Vorschrift nur regelt, unter welchen Voraussetzungen das Gericht verpflichtet ist, einen Dolmetscher für den Verurteilten heranzuziehen. Hier geht es indes um die Erstattungsfähigkeit derjenigen Kosten, die dadurch entstanden sind, dass der Verteidiger für das Mandantengespräch mit dem Verurteilten einen Dolmetscher hinzugezogen hat.

cc) Ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 3 lit e) EMRK. Nach dieser Vorschrift hat jede angeklagte Person das Recht, unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. Die Vorschrift, die als Berechtigten die „angeklagte Person“ benennt, ist auf das Strafvollstreckungsverfahren nicht anwendbar (OLG Karlsruhe, 2 Ws 300/19 v. 2.9.2019, BeckRS 2019, 44105 Rn. 9 m.w.N.; BeckOK StPO/Valerius, 52. Ed. 1.7.2024, EMRK Art. 6 Rn. 2; Karpenstein/Mayer/Meyer, 3. Aufl. 2022, EMRK Art. 6 Rn. 37).

dd) Ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten für das Gespräch mit dem Verteidiger, das die Anhörung vor der Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung vorbereiten soll, ergibt sich aber unmittelbar aus Art. 3 Abs. 3 GG.

Jeder Ausländer hat im Verfahren vor Gerichten der Bundesrepublik Deutschland dieselben prozessualen Grundrechte und denselben Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren wie jeder Deutsche. Das Recht auf ein faires Verfahren verbietet es, den der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen; er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können (BVerfG, 2 BI« 2032/01 v. 27.8.2003, NJW 2004, 50).

Art. 3 Abs. 3 GG verbietet jede Diskriminierung wegen der Sprache oder anderer dort auf-geführter Merkmale. Die Norm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Die in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Merkmale dürfen grundsätzlich weder unmittelbar noch mittelbar als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Dem Beschuldigten, der die Gerichtssprache nicht versteht oder sich nicht in ihr ausdrücken kann, dürfen daher keine Nachteile im Vergleich zu einem dieser Sprache kundigen Beschuldigten entstehen. Dementsprechend ist für das Ermittlungs- und Erkenntnisverfahren in Ausfüllung dieser Maßstäbe anerkannt, dass der fremdsprachige Angeklagte zum Ausgleich seiner sprachbedingten Nachteile in jedem Verfahrensstadium einen Dolmetscher hinzuziehen darf und ihm die Dolmetscherkosten für die erforderlichen Mandantengespräche nicht nur mit dem Pflichtverteidiger, sondern auch mit einem Wahlverteidiger zu ersetzen sind (BGH, 3 StR 6/00 v. 26.10.2000, NJW 2001, 309; OLG Karlsruhe 2 Ws 305/09 v. 9.9.2009, BeckRS 2009, 139810 Rn. 4 Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 464a, Rn. 9). Die unentgeltliche Beistandsleistung eines Dolmetschers auch für die vorbereitenden Gespräche mit dem Verteidiger ist unabdingbar, da eine wirksame Verteidigung und damit ein faires Verfahren ohne vorbereitende Verteidigergespräche kaum denkbar sind (BVerfG, a.a.O.). Das mit den zusätzlichen Dolmetscher-kosten erhöhte Kostenrisiko soll den Verurteilten auch nicht an der Zuziehung eines Verteidigers hindern (BVerfG, a.a.O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 1 Ws 83/05 v. 27.7.2005, BeckRS 2005, 30360540).

Diese Grundsätze finden auch auf den vorliegenden Fall Anwendung, bei dem es im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens um die Vorbereitung der Entscheidung über die bedingte Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB geht. Auch hier verbietet sich gerade in Anbetracht der unmittelbaren Grundrechtsrelevanz (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) der anstehenden Entscheidung, bei der es um die Frage geht, ob der Verurteilte zum Halb- oder Zweidrittelzeitpunkt auf freien Fuß gelangt, einen fremdsprachigen Verurteilten im Verhältnis zu einem der deutschen Sprache mächtigen Verurteilten auf Grund seiner fehlenden Sprachkenntnisse ungleich zu behandeln (LG Dresden, 3 Qs 11/19 v. 8.4.2019, Rn. 28, juris; LG Kassel, 3 StVK 62/12 v. 29.1.2019, juris).

Dies gilt auch für das vorbereitende Gespräch mit seinem Verteidiger. Würde man einem fremdsprachigen Verurteilten die Erstattung von Dolmetscherkosten für dieses Gespräch mit seinem Verteidiger verweigern, so stünde er schlechter als ein deutschsprachiger. Beiden stünde zwar gleichermaßen das in § 137 Abs. 1 StPO normierte Recht zu, sich in jeder Lage des Verfahrens – wozu insoweit auch das Strafvollstreckungsverfahren gehört (KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 137 Rn. 2 m.w.N.; BeckOK StPO/Wessing, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 137 Rn. 2) – des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen. Dabei muss ein Verurteilter – soll dieses Recht nicht leerlaufen – die Möglichkeit haben, sich in Vorbereitung der Anhörung mit dem Verteidiger zu besprechen. Dem deutschsprachigen Verurteilten ist dies möglich, ohne dass ihm zusätzliche Kosten durch Dolmetscherleistungen entstehen. Der Verurteilte, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, kann dieses Gespräch nur führen, wenn er einen Dolmetscher hinzuzieht, was mit weiteren Kosten verbunden ist. Würden man nunmehr dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Verurteilten die Erstattung dieser Kosten verweigern, würde er allein auf Grund seiner Sprache schlechter gestellt sein, als ein deutschsprachiger Verurteilter, ohne dass ein sachlicher Grund vorläge (so auch Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, 7. Strafvollstreckung Rn. 54).

Um eine solche Ungleichbehandlung zu vermeiden, ist dem Verurteilten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, jedenfalls im Verfahren über die Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines Dolmetschers zu dem die Anhörung vorbereitenden Gespräch mit dem Verteidiger zuzuerkennen (so auch LG Dresden, a.a.O.). Die Inanspruchnahme eines Dolmetschers für Mandantengespräche durch einen Verteidiger ist nicht von der vorherigen Bewilligung durch das Tatgericht abhängig (OLG Karlsruhe, a.a.O.; BVerfG, a.a.O.).

Dementsprechend kann der Verurteilte hier dem Grunde nach Ausgleichung der verfahrens-gegenständlichen Auslagen verlangen.

d) Bedenken gegen die in Ansatz gebrachten Kosten der Höhe nach bestehen in Bezug auf die Einzelpositionen nicht, zumal die geltend gemachten Dolmetscher- und Fahrkosten den JVEG-Sätzen entsprechen.

……“

Strafe III: Einbeziehung der Gerichtshilfe „vergessen“, oder: Kein schwerer Verfahrensfehler?

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Und als dritte Entscheidung stelle ich den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 02.07.2024 – 18 Qs 22/24 – vor, und zwar noch einmal. Über den Beschluss habe ich bereits wegen der auch angesprochenen Zustellungsproblemati berichtet (vgl. hier: StPO III: Immer wieder Zustellungsproblematik, oder: Vollmacht, ZU-Bevollmächtigter, Ersatzzustellung).

Jetzt stelle ich die Entscheidung vor wegen der Ausführungen des LG zur vom AG unterlassenen Einbeziehung der Gerichtshilfe nach § 463d Satz 2 Nr. 1 StPO:

„Zwar hat das Amtsgericht entgegen der seit dem 01.10.2023 geltenden Fassung des § 463d Satz 2 Nr. 1 StPO eine Einbeziehung der Gerichtshilfe vor seiner Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung nicht erkennbar erwogen. Eine Aufhebung und Rückverweisung der Sache war gleichwohl ebenso wenig veranlasst wie eine Nachholung der Einbeziehung der Gerichtshilfe durch die Beschwerdekammer.

1.a) § 463d StPO hatte bis zum 30.09.2023 folgenden Wortlaut:

„Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen; dies kommt insbesondere vor einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung des Strafrestes in Betracht, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist.“

Seit dem 01.10.2023 hat § 463d StPO folgenden Wortlaut:

„Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen. Die Gerichtshilfe soll einbezogen werden vor einer Entscheidung
1. über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung eines Strafrestes, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist,
2. über die Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, um die Abwendung der Anordnung oder Vollstreckung durch Zahlungserleichterungen oder durch freie Arbeit zu fördern.“

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 30.12.2022 (Drucksache 687/22) bzw. vom 06.03.2023 (Drucksache 20/5913) war folgende Formulierung vorgeschlagen:

„Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen. Dies kommt insbesondere in Betracht vor einer Entscheidung
1. über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung eines Strafrestes, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist,
2. über die Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, um die Abwendung der Anordnung oder Vollstreckung durch Zahlungserleichterungen oder durch freie Arbeit zu fördern.“

In der Begründung hierzu heißt es (Seiten 86/87 bzw. 75/76):

„Derzeit enthält § 463d StPO eine konkretisierende Regelung zur Einschaltung der Gerichtshilfe nur für den Fall des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung. Dieser Regelungsgehalt soll beibehalten und in den neuen Satz 2 Nummer 1 überführt werden.

Durch die neue Nummer 2 soll der Vollstreckungsbehörde ausdrücklich nahegelegt werden, die Gerichtshilfe auch vor der Entscheidung über die Anordnung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe einzuschalten, um die Bereitschaft der verurteilten Person zu Ratenzahlungen oder gemeinnützigen Arbeitsleistungen zu fördern und so die Anordnung oder Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe so weit wie möglich zu vermeiden. Die Einschaltung der Gerichtshilfe, mit der zugleich die Hinweispflicht des neuen § 459e Absatz 2 Satz 2 StPO-E erfüllt werden kann, soll aber im Ermessen der Vollstreckungsbehörde stehen und kann unterbleiben, etwa, wenn die verurteilte Person das Angebot von Zahlungserleichterungen oder der Ableistung freier Arbeit bereits endgültig abgelehnt hat. In Fällen, in denen beispielsweise ein freier Träger die Beratung der verurteilten Person im Wege der aufsuchenden Sozialarbeit übernommen hat, wie dies derzeit bereits in einigen Ländern praktiziert wird, kann sich die Einschaltung der Gerichtshilfe auch darauf beschränken, die dafür notwendigen personenbezogenen Daten an den freien Träger zu übermitteln (siehe vorstehend zu Nummer 3 Buchstabe b). Im Übrigen wird zu Hintergrund und Zweck der Regelung auf die Ausführungen im Allgemeinen Teil unter I. 1. Buchstabe c und II. 1. vor Buchstabe a verwiesen.“

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) vom 26.05.2023 (Drucksache 20/7026) schlugen jedoch folgenden Wortlaut vor (Hervorhebung durch das Gericht):

„Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen. Die Gerichtshilfe soll einbezogen werden vor einer Entscheidung
1. über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung eines Strafrestes, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist,
2. über die Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, um die Abwendung der Anordnung oder Vollstreckung durch Zahlungserleichterungen oder durch freie Arbeit zu fördern.“

Die Fraktion der SPD hatte zur Begründung wie folgt ausgeführt:

„Mit der im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Anpassung des § 463d Satz 2 StPO soll ein intendiertes Ermessen festgeschrieben werden, damit die Gerichtshilfe in den Fällen des § 463d Satz 2 Nr. 1 und 2 StPO-E im Regelfall einbezogen werde.“

Die Fraktion der CDU/CSU hatte dem entgegnet:

„Auch im Hinblick auf die vorgeschlagene Änderung des § 463d StPO komme ein gewisses Misstrauen gegenüber den Gerichten zum Ausdruck, weil der Entscheidungsspielraum zur Frage der Einbindung der Gerichtshilfe eingeschränkt werde.“

Am 22.06.2023 wurde der Gesetzentwurf in der in Kraft getretenen Form mit den Stimmen der Regierungskoalition unter Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen und im Bundesgesetzblatt vom 02.08.2023 veröffentlicht.

b) § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO enthält eine gleichgelagerte Sollvorschrift für die Form der Anhörung des Verurteilten:

„Hat das Gericht über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden, so soll es dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben.“

Die mündliche Anhörung ist dort zwingend, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich erscheint und ihr keine schwerwiegenden Gründe entgegenstehen (vgl. KK-StPO/Appl, 9. Aufl. 2023, StPO § 453 Rn. 7; MüKoStPO/Nestler, 1. Aufl. 2019, StPO § 453 Rn. 11; BeckOK StPO/Coen, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 453 Rn. 7; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 453 StPO, Rn. 16). Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Verurteilte beachtenswerte Gründe für die Nichterfüllung haben kann, aber nicht in der Lage ist, diese Gründe in einer das Gericht überzeugenden Weise schriftlich darzustellen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des 23. StrÄndG – BT-Drucksache 370/84 vom 24.08.1984). Das Gesetz will dort damit von vornherein der Gefahr begegnen, dass schwerwiegende Widerrufsentscheidungen ohne zureichende Tatsachengrundlage ergehen. Die Ausgestaltung als Sollvorschrift eröffnet dem Gericht lediglich die Möglichkeit, von der grundsätzlich zwingend gebotenen mündlichen Anhörung aus schwerwiegenden Gründen abzusehen, anderenfalls ein schwerwiegender Verfahrensmangel vorliegt, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung führt (statt vieler Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 15.12.2008 – 1 Ws 212/08).

c) aa) Die Einführung dieser Soll-Regelung in § 463d Satz 2 StPO macht die Einbeziehung der Gerichtshilfe für die dort genannten Fälle – insbesondere bei Entscheidungen der nach § 462a Abs. 2 StPO zuständigen Gerichte, wo in der Mehrzahl kein Bewährungshelfer bestellt ist – bei einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung seit dem 01.10.2023 zum Regelfall und zwingend. Die Nichteinbeziehung der Gerichtshilfe ist in den dort genannten Fällen nun begründungsbedürftig und damit implizit justiziabel (Pollähne in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 463d StPO, Rn. 2). Sie kann jedoch unterbleiben, wenn sie keinerlei zusätzlichen Erkenntnisse oder Erfolgsaussichten verspricht oder ihr zwingende Gründe entgegenstehen. Vertreten wird, dass die Nichteinschaltung der Gerichtshilfe – wie bei § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO – aber ermessensfehlerhaft sei und einen Verfahrensfehler begründen könne, der in Abweichung von § 309 Abs. 2 StPO eine Aufhebung und Rückverweisung rechtfertigen könne (BeckOK StPO/Coen, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 463d Rn. 4; KK-StPO/Appl, 9. Aufl. 2023, StPO § 463d Rn. 3).

bb) Eine dahingehende Differenzierung zwischen einem Widerruf der Strafaussetzung wegen der in § 56f Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 StGB genannten Verstöße, bei denen die Einbeziehung der Gerichtshilfe zu erfolgen hätte, und solchen der Begehung einer Straftat in der Bewährungszeit nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, bei der von ihrer Einbeziehung abgesehen werden könnte, ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht zulässig, der nur von „Widerruf der Strafaussetzung“ spricht und gerade nicht differenziert. Aus dem Umstand, dass die Sätze 2 und 4 in § 453 Abs. 1 StPO ausdrücklich differenzieren und die mündliche Anhörung nur im Fall eines „Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen“ vorsehen, hingegen die Neufassung in § 463d Satz 2 Nr. 1 StPO nicht in gleicher Weise verfährt, ist zu schließen, dass der Gesetzgeber dort eine entsprechende Differenzierung gerade nicht anstrebte, sondern die Einbeziehung der Gerichtshilfe in allen Fällen eines Widerrufes der Strafaussetzung wollte. Dass die konsequente Befolgung der durch den Gesetzgeber ausdrücklich so gewollten Anordnung des § 463d Satz 2 StPO in der Form, grundsätzlich in allen Fällen die Gerichtshilfe einzubeziehen, in denen bei Fehlen eines Bewährungshelfers – aus welchem Grund auch immer – über den Widerruf der Strafaussetzung oder die Aussetzung eines Strafrestes entschieden werden muss, zu einer erheblichen Mehrbelastung der Gerichtshilfestellen führen wird, der diese in der gegenwärtigen personellen Ausstattung kaum standhalten können, hat für die nach § 462a StPO und im Beschwerdeverfahren zuständigen Gerichte ebenso wenig entscheidungserheblich zu sein wie die Frage der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit dieser in § 463d Satz 2 StPO getroffenen Regelung.

2. Die entgegen § 463d Satz 2 StPO gewählte Vorgehensweise des Amtsgerichts rechtfertigt jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation, in der die Beschwerdekammer angesichts des ausführlichen Beschwerdevorbringens im Schriftsatz vom 02.05.2024, des psychiatrischen Gutachtens vom 15.02.2024, des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.04.2024 und der Stellungnahme des Hauses [ ] vom 02.05.2024 über alle zur Entscheidung notwendigen Informationen mit aktuellem Stand verfügt, weder eine Rückverweisung an das Amtsgericht zur Nachholung der Einbeziehung der Gerichtshilfe noch deren Nachholung durch die Beschwerdekammer selbst.

a) Anders als im Falle des § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO und unterbliebener mündlicher Anhörung des Verurteilten durch das Beschwerdegericht rechtfertigt der Verstoß gegen § 463d Satz 2 StPO durch Nichteinbeziehung der Gerichtshilfe – entgegen der insoweit bereits geäußerten Rechtsmeinung – keine Aufhebung und Zurückverweisung.

Eine Zurückverweisung der Akten an die erste Instanz zum Zwecke der weiteren Aufklärung ist nicht zulässig. Lediglich in Ausnahmefällen kann das Beschwerdegericht aus rechtlichen Gründen die Sache an die Vorinstanz zurückverweisen (MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl. 2024, StPO § 309 Rn. 10; BeckOK StPO/Cirener, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 309 Rn. 10, KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl. 2023, StPO § 309 Rn. 7). Solche liegen nur dann vor, wenn die Entscheidung des Erstgerichts an einem schweren Mangel leidet und von einer ordnungsgemäßen Justizgewährung nicht mehr auszugehen ist, bspw. wenn das Erstgericht eine gesetzlich vorgeschriebene mündliche Anhörung nicht durchgeführt hat (MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl. 2024, StPO § 309 Rn. 36; BeckOK StPO/Cirener, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 309 Rn. 17 m. w. N.).

Ein derart schwerwiegender Verfahrensmangel liegt jedenfalls nicht im Verstoß des Erstgerichts gegen § 463d Satz 2 StPO. Insbesondere wurden keine (mündlichen) Anhörungsrechte der Beschwerdeführerin verletzt. Eine Rückverweisung in dieser Konstellation wäre unzulässig, weil sie letztlich auf eine weitere Aufklärung durch das Erstgericht durch Einbeziehung der Gerichtshilfe gerichtet wäre.

b) Eine Nachholung der Einbeziehung der Gerichtshilfe durch die Beschwerdekammer war nicht veranlasst. Über die Inhalte der oben zitierten Fundstellen hinaus könnten durch die Einbeziehung der Gerichtshilfe keine weiteren für die Entscheidung wesentlichen Informationen erlangt werden, über die die Beschwerdekammer nicht schon verfügt.“

StPO II: Einstellung der Einziehungsvollstreckung, oder: Sporadische erfolglose Vollstreckung

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch noch einmal aus dem Bereich „Einziehung“.

Der Verurteilte ist im April 2018 wegen Steuerhinterziehung zu einer ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Außerdem wurde die Einziehung von Wertersatz i.H.v. 52.801,38 EUR angeordnet. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin die Vollstreckung ein, um die Verfahrenskosten und den Wertersatz beizutreiben. Dabei hatte sie nur insoweit Erfolg, als sie vom mittlerweile in die Türkei ausgewanderten Verurteilten bei dessen Wiedereinreise über den Berliner Flughafen am 26.01.2023 200 EUR an Bargeld zugunsten des Finanzamtes beschlagnahmen konnte.

Der Verurteilte bezieht in der Türkei eine Rente von 11.367,62 Türkischen Lira (entspricht aktuell rund 310 EUR), sowie eine deutsche Rente von 423,80 EUR. Beide werden nicht gepfändet. Inländisches Vermögen ist nicht bekannt.

Mit E-Mail vom 23.04.2024 beantragte der Verurteilte unter Vorlage von Belegen bei der Staatsanwaltschaft einen Zahlungserlass. Er sei mittellos, von den beiden Renten könne er sich in der Türkei nicht einmal eine Mietwohnung leisten und er werde auch künftig nicht in der Lage sein, den geforderten Betrag zu bezahlen. Auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft machte er sodann weitere Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, die seine Mittellosigkeit bestätigten.

Die Staatsanwaltschaft lehnte den Antrag ab und legte die Sache dem LG vor. Sie beantragte, den Antrag auf Einstellung der Vollstreckung abzulehnen. Das LG ist dem im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 06.08.2024 – 12 KLs 505 Js 871/18 – gefolgt:.

„1. Die Kammer war als Gericht des ersten Rechtszugs zur Entscheidung berufen (§ 459g Abs. 5, § 462 Abs. 1 Satz 1, § 462a Abs. 1, 2 Satz 1 StPO).

2. Der Antrag ist nach § 459g Abs. 5 StPO n.F. (also i.d.F. vom 25. Juni 2021) zu beurteilen. Es handelt sich bei dieser Vorschrift im Kern um eine verfahrensrechtliche Bestimmung, für die die Regelungen über die Anwendung des milderen Rechts (§ 2 Abs. 3, 4 StGB) keine Anwendung finden (KG, Beschluss vom 7. Juni 2024 – 5 Ws 47/24-161 GWs 24/24, juris Rn. 6; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Mai 2023 – Ws 307/23, juris Rn. 13; OLG Hamburg, Beschluss vom 5. Januar 2023 – 5 Ws 52/22, juris Rn. 11 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Dezember 2022 – 4 Ws 514/22, juris Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 459g Rn. 13c m.w.N. auch zur a.A.).

3. Anders als in den Vorgängerfassungen des § 459g Abs. 5 StPO n.F. reicht es für die Einstellung der Vollstreckung nicht mehr aus, dass der Wert des Erlangten – was hier der Fall zu sein scheint – nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei die frühere gesetzliche Einordnung des Falls, dass der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Einziehungsadressaten vorhanden sei (§ 459g Abs. 5 Satz 1 StPO a.F.), als unverhältnismäßig zu weitgehend gewesen. Sie widerspreche der Zielsetzung, durch Straftaten erlangtes Vermögen effektiv abzuschöpfen und den Wertungen des Bereicherungsrechts. Soweit der Wertersatzeinziehung die Funktion zukomme, eine durch die Begehung einer Straftat geschaffene rechtswidrige Vermögenslage zu beseitigen, führe die zwischenzeitliche Entreicherung durch Verbrauch des Erlangten – wozu auch die hier ersparten Aufwendungen für die Einkommensteuer gehören (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 73 Rn. 18 m.w.N.) – im Grundsatz nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung. Die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit würde nämlich denjenigen privilegieren, der die Tatbeute schnell verbrauche. Der Straftäter könnte sich alleine dadurch der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung entziehen, dass er den erlangten Vermögenswert schnell ausgebe (BT-Drs. 19/27654, S. 111). Dem Übermaßverbot werde durch die Pfändungsschutzvorschriften ausreichend Rechnung getragen (vgl. § 459 Abs. 1 Satz 2 StPO, § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 850 ff. ZPO), sodass als unverhältnismäßig im Wesentlichen die Fälle in Betracht kämen, in denen das vom Gesetz zugrunde gelegte Bedürfnis der Vermögensordnung stark herabgesetzt sei, beispielsweise, weil der Einziehungsadressat das Erlangte auf schicksalhafte und nicht von ihm zu vertretende Weise (etwa infolge schwerer Krankheit) verloren habe (BT-Drs. 19/27654, S. 112). Derlei ist hier weder vorgetragen noch ersichtlich.

Mit Blick auf ihre tatsächliche Durchführung ist die Vollstreckung aber auch sonst nicht unverhältnismäßig. Denn sie findet quasi nur virtuell statt. Auf die laufenden deutschen Rentenbezüge des Antragstellers – die auch mit der türkischen Rente zusammengerechnet die Pfändungsfreigrenzen des deutschen Rechts unterschreitet (vgl. § 54 Abs. 4 SGB I mit § 850c ZPO) – greift die Staatsanwaltschaft nicht zu. Die diffizile Frage, ob und inwieweit mit Blick auf den türkischen Wohnort des Antragstellers und die dort möglicherweise niedrigeren Lebenshaltungskosten ein Abschlag von den Pfändungsfreigrenzen vorzunehmen sein könnte (vgl. dazu etwa LG Kaiserslautern, Beschluss vom 26. Mai 2023 – 5 T 37/23, juris Rn. 23 ff.), hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht zum Nachteil des Antragstellers aufgegriffen. Die einzige Gefahr, die dem Antragsteller aktuell droht, liegt darin, dass er bei einer Wiedereinreise in die Bundesrepublik wegen der aktiven Fahndung zur Einziehung von Taterträgen aufgegriffen wird. Diese Gefahr hat sich seit Einleitung der Vollstreckung vor rund sechs Jahren bislang einmalig realisiert, wobei 200 € beschlagnahmt wurden. Das mag dem Antragsteller lästig gefallen sein. Zu einer ernstlichen Beeinträchtigung seiner Lebensführung im Alltag führte das Vorgehen der Staatsanwaltschaft bislang jedoch nicht. Treffen die Ausführungen des Antragstellers zu seinen Vermögensverhältnissen zu, so hat er auch in Zukunft keine einschneidenden Beeinträchtigungen durch die Vollstreckungsbemühungen der Staatsanwaltschaft zu befürchten.

In der praktischen Handhabung stellt sich der Sachverhalt fast als Anwendungsfall des § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO dar, der ähnlich auch schon in der alten Fassung der Norm geregelt war. Danach wird die Vollstreckung wieder aufgenommen, wenn Umstände bekannt werden oder eintreten, die einer Einstellung der Vollstreckung entgegenstehen, insbesondere, weil der Vollstreckungsschuldner doch Vermögen hat oder solches erwirbt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 459g Rn. 14; KK-StPO/Appl, 9. Aufl., § 459g Rn. 19). Das entspricht – bis auf das Erfordernis der gerichtlichen Anordnung – dem hiesigen Vorgehen. Denn die ansonsten ruhende Vollstreckung wird nur beim Aufgreifen des Antragstellers im Inland und nur in dem Fall aktiviert, dass er pfändbare Wertsachen bei sich führt.

Einziehung I: Entreicherung des Einziehungsadressaten, oder: Entreicherung in den sog. „Verschiebungsfällen“

In die 33. KW. geht es dann heute mit Entscheidungen zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Hier zunächst der KG, Beschl. v. 07.06.2024 – 5 Ws 47/24 – 161 GWs 24/24 – zur Anwendung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO bei Entreicherung des Einziehungsadressaten, insbesondere in den sog. „Verschiebungsfällen“.

Zugrunde liegt folgender Sachverhalt:

Mit seit dem 30.032022 rechtskräftigem Urteil vom 30.07,2021 verhängte das LG Berlin gegen den Beschwerdeführer wegen (gemeinschaftlich begangenen) Computerbetruges eine Freiheitsstrafe. Außerdem ordnete es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 12.291.092,37 EUR – davon 12.198.276,83 EUR als Gesamtschuldner – an. Dem lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Jahre 2011 gemeinsam mit dem Mitangeklagten V. unter Rückgriff auf eine Vielzahl von Fälschungen und Täuschungen im maschinellen Mahnverfahren einen Mahn- sowie einen Vollstreckungsbescheid über eine in Wahrheit nicht bestehende Forderung von mehr als 23 Mio. Euro gegen einen libyschen Staatsfonds (L.) erwirkt und im Wege der Zwangsvollstreckung die Überweisung eines Geldbetrages in Höhe des genannten Einziehungsbetrages auf ein unter seinem Namen geführtes Konto, über welches er allein verfügungsbefugt war, erreicht hatte. Von dem Betrag entfiel auf den Beschwerdeführer als Taterlös letztlich (nur) ein Anteil von insgesamt 165.000,– Euro, während der Rest (nach Abzug von Bankgebühren) über eine einziehungsbeteiligte Gesellschaft, die R. GmbH, an den Mitangeklagten sowie an weitere Beteiligte floss.

U.a. mit Schriftsatz seiner Verteidigerin hat der der Beschwerdeführer dann beantragt, von der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO abzusehen. Er macht insbesondere geltend, § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO sei in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung  heranzuziehen, die gegenüber der aktuellen Rechtslage das mildere Recht im Sinne des § 2 Abs. 3 und 5 StGB darstelle. Er sei im Sinne des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO a. F. entreichert, weil er das Erlangte (ganz überwiegend) an die R. GmbH weitergereicht habe. Jedenfalls aber sei eine Einziehung unverhältnismäßig. Die Weitergabe des Erlangten gebiete eine Korrektur der tatgerichtlichen Einziehungsentscheidung, bei der Verhältnismäßigkeitserwägungen keine Berücksichtigung hätten finden können. Außerdem sei er zur Begleichung des Einziehungsbetrages nicht in der Lage. Die Verpflichtung, neu erwirtschaftetes Vermögen oberhalb der Pfändungsgrenzen zeitlich unbegrenzt an den Staat abzuführen, sei allenfalls dann zumutbar, wenn das abgeschöpfte Vermögen an den Verletzten ausgekehrt (§ 459h Abs. 2 StPO) und der Einziehungsadressat damit letztlich nur einem abweichenden Vollstreckungsregime unterworfen werde. Anderes gelte jedoch, wenn der Verletzte – wie hier – keine dem Einziehungsbetrag entsprechenden Ansprüche gegen den Betroffenen habe, so dass der Betrag dem durch die Straftat nicht geschädigten Staat verbleibe; dies sei mit dem kondiktionsähnlich ausgestalteten, auf die Beseitigung deliktisch entstandener Vermögenslagen gerichteten Institut der Einziehung nicht vereinbar. Das LG den Beschwerdeführer auf eine Klage des L. mit insoweit rechtskräftigem Urteil vom 02.06.2022 (…) zur Zahlung von (lediglich) 164.620,81 Euro nebst Zinsen als Schadenersatz nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 852 Satz 1 BGB) verurteilt; deliktische Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263a StGB habe das Gericht als verjährt angesehen. Zahlungen an den L. könne der Verurteilte derzeit nur im Wege der Hinterlegung leisten, weil das Vermögen des L. auf der Grundlage der Verordnung (EU) 2016/44 eingefroren sei. Eine Vollstreckung hätte außerdem erdrosselnde und desozialisierende Wirkung. Die Bestellung des Beschwerdeführers zum Notar sei aufgrund der Verurteilung erloschen. Als Mitgesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ständen ihm monatliche Vorabentnahmen im Umgang von 5.000,– EUR (brutto) zu; hiervon habe er Steuervorauszahlungen von monatlich 1.485,– EUR, Krankenversicherungsbeiträge von 701,50 EUR sowie Mietzahlungen von 1.237,58 EUR zu leisten und sei seiner nicht berufstätigen Ehefrau und seinen vier minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er drohe durch die Vollstreckung in Vermögensverfall zu geraten und deshalb seine Anwaltszulassung zu verlieren. Wegen der weiteren Einzelheiten verweist der Senat auf den Inhalt der genannten Schriftsätze.

Das LG hat unter (stillschweigender) Ablehnung des Antrags angeordnet, dass die Vollstreckung der Einziehung fortgesetzt wird. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidungen des KG:

    1. Die Vorschrift des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO, nach welcher die Vollstreckung der zu einer Geldzahlung verpflichtenden Nebenfolge unterbleibt, soweit sie unverhältnismäßig wäre, ist in ihrer seit dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung auch auf Fälle anzuwenden, in denen die zugrundeliegende Straftat bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits beendet war.
    2. § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist nach seinem Regelungsgehalt eine verfahrensrechtliche Vorschrift, auf welche § 2 Abs. 3 StGB keine Anwendung findet, weil sie lediglich eine den Anordnungen nach § 455 StPO vergleichbare vorläufige (§ 459 Abs. 5 Satz 2 StPO) Unterbleibensanordnung vorsieht, welche die Höhe des durch das Tatgericht materiellrechtlich abschließend bestimmten Einziehungsbetrages unberührt lässt.
    3. Unverhältnismäßig im Sinne des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist die Vollstreckung nur dann, wenn mit ihr aufgrund besonderer Umstände eine außerhalb des Einziehungszwecks liegende besondere Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Einziehung nicht zugemutet werden kann. Dies gilt auch für die nach bisher geltendem Recht als Unterfall der Unverhältnismäßigkeit gesondert geregelte Konstellation, dass der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist (Entreicherung).
    4. Hat der Einziehungsadressat den von ihm erlangten Betrag tatplangemäß an einen Mittäter weitergereicht („Verschiebung“ von Taterlösen), so eröffnet dies regelmäßig keine Anwendung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO. Eine Begrenzung der Vollstreckung auf den einem Einziehungsbeteiligten verbleibenden Betrag findet im Gesetz keine Stütze und widerspräche nicht nur den materiellrechtlichen Einziehungsvorschriften, nach denen von einer Einziehungsanordnung lediglich in der Ausnahmekonstellation eines nur „transitorischen Besitzes“ abzusehen ist, sondern auch den Wertungen des zivilrechtlichen Bereicherungsrechts (§ 819 Abs. 1 i. V. m. § 818 Abs. 4 BGB), an denen sich der Gesetzgeber explizit orientiert hat.

Einzelheiten dann bitte im verlinkten Volltext nachlesen.

KCanG II: Besitz von Kleinmengen und § 51 BZRG?, oder: Amnestie auch für Besitz von Cannabis in einer JVA?

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Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen aus der Instanz, nun ja fast 🙂 .

Die erste Entscheidung stammt vom BayObLG. Das hat sich im BayObLG, Beschl. v. 17.07.2024 – 204 StRR 215/24 – noch einmal mit verfahrensrechtlichen Fragen befasst und mit dem „richtigen“ Strafausspruch. Ich stelle hier, da die Begründung des BayObLG – wie immer – recht umfangreich ist, im Wesentlichen nur die Leitsätze ein, die lauten:

    1. Der Schuldspruch eines hinsichtlich Betäubungsmittelstraftaten rechtskräftigen Urteils muss im Revisionsverfahren an die Vorschriften des seit 1.4.2024 geltenden KCanG angepasst werden (§ 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO).
    2. Bei der Beurteilung, welches das mildere von zwei Gesetzen ist, ist zu prüfen, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt, wobei es in erster Linie auf die konkret in Frage kommenden Hauptstrafen ankommt.
    3. Beim Strafausspruch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung eines eigenen, grundsätzlich milderen Strafrahmenregimes in Bezug auf den Umgang mit Cannabis im Vergleich zu den dem Betäubungsmittelgesetz unterstellten Suchtstoffen deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass Taten, wenn sich diese auf Cannabis beziehen, mit einem geringeren Unwerturteil einhergehen.
    4. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter auch in einem Fall, in dem sich die Tat nur teilweise auf Cannabis bezieht, trotz des tateinheitlich hinzutretenden Schuldspruchs wegen eines Vergehens gegen das Konsumcannabisgesetz und der Anwendung desselben Strafrahmens zu einer milderen Strafe gelangt.
    5. Vorstrafen, die den Besitz und Erwerb von Kleinmengen von Cannabis betreffen, der zwischenzeitlich straffrei gestellt ist, unterliegen derzeit nicht dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, da sie erst ab dem 1.1.2025 tilgungsfähig sein werden; ihnen kommt nach wie vor eine Warnfunktion zu.

Zwei Anmerkungen: Wer die Entscheidung liest, wird feststellen, dass das BayObLG auf die auch von ihm angesprochene Frage der „nicht geringen Menge“ kein Wort der eigenen Begründung mehr verwendet, sondern nur feststellt: Die liegt bei 7,5 G und dazu dann nur einige BGH-Entscheidungen anführt. Der „Zug ist als abgefahren“ bzw. davon wird kein Gericht mehr abweichen.

Und: Besonders hinweisen möchte ich auf die o.a. Nr. 5 der Leitsätze. Das muss man derzeit noch im Auge haben.

Und dann als zweite Entscheidung der LG Stralsund, Beschl. v. 29.05.2024 – 23 StVK 114/24 – zur Anwendung der sog. Amnestieregelung auf eine Verurteilung wegen Besitzes von Cannabis in einer JVA während des Vollzugs einer Freiheitsstrafe. Der Angeklagte war am 23.05.2023 durch das AG wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt word. Hintergrund des Urteils war, dass sich am 15.12.2022, nachdem eine Haftraumkontrolle in der JVA. durchgeführt wurde, in der Kaffeedose des Angeklagten 21,7 g Cannabis in einer Plastikfolie aufgefunden wurden. Der Angeklagte hatte die Drogen in der Haftanstalt erworben. Die Vollstreckung der Strafen ist nach Verbüßung von 2/3 bzw. mehr als 2/3 ausgesetzt worden. Die Staatsanwaltschaft hat nun aufgrund der Amnestieregelung des Artikel 313 EGStGB zu Cannabisaltfällen den Antrag auf Einstellung der Vollstreckung gestellt.

Die StVK hat abgelehnt: Nach ihrer Auffassung der Kammer ist der Besitz von Cannabis in einer Justizvollzugsanstalt während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe nicht von der Amnestieregelung umfasst, so dass ein Erlass dieser Strafe nicht geboten ist. Einzelheiten bitte im verlinkten Volltext nachlesen.