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StPO II: Zustellung an den Verteidiger wirksam?, oder: Form des Nachweises der Vollmacht

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.3.2023 – 1 ORbs 136/23 – nimmt das OLG Stellung zur Wirksamkeit einer Zustellung an den Verteidiger. Es geht um die wirksame Zustellung des (Bußgeld)Urteils.

Das AG hat die Betroffene mit Urteil vom 10.11.2022 verurteilt. Das – nicht mit Gründen versehene – Protokollurteil vom 10.11.2022 hat die Richterin mit Verfügung vom selben Tag der Staatsanwaltschaft , die nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hatte, „gemäß § 41 StPO übersandt“, woraufhin die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 17.11.2022 auf Rechtsmittel verzichtete.

Nach Eingang der Rechtsbeschwerde der Betroffenen am 14.11.2022 gelangten die schriftlichen Urteilsgründe am 25.11.2022 zur Akte. Diese wurden der Betroffenen aufgrund gerichtlicher Verfügung vom 24.11.2022 am 26.11.2022 und dem Verteidiger am 07.12.2022 zugestellt.

Der Verteidiger hat dann am 09.01.2023 die Rechtsbeschwerde begründet. Das AG hat die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, da die Begründung der Rechtsbeschwerde erst am 09. Januar 2023 und somit verspätet eingegangen sei. Maßgeblich für die Berechnung der Monatsfrist nach § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 StPO sei allein das Datum der Zustellung des Urteils an die Betroffene am 26. November 2022, nicht das Datum der am 07. Dezember 2022 erfolgten Zustellung an den Verteidiger, der keine schriftliche Vollmacht zu den Akten gereicht habe.

Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der beim OLG – ebenso wie die Rechtsbeschwerde – Erfolg hatte:

„…Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den § 79 Abs. 3 OWiG, §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebracht worden. Der Eingang der Rechtsbeschwerdebegründung am 09. Januar 2023 wahrt die Monatsfrist ab Zustellung des Urteils (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 1 Satz 3 StPO).

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat wie folgt ausgeführt:

„Die hier gerichtlich verfügte und bewirkte doppelte Zustellung an die Betroffene und ihren Verteidiger ist gesetzlich nicht vorgesehen (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 145a Abs. 3 StPO). Eine dennoch angeordnete und erfolgte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte ist jedoch zulässig. Die Berechnung der Frist richtet sich dann nach der zuletzt bewirkten – wirksamen ¬Zustellung (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 37 Abs. 2 StPO).

Die Zustellung der Urteilsgründe an den Verteidiger der Betroffenen war wirksam.

Der gewählte Verteidiger, dessen Bevollmächtigung nachgewiesen ist, gilt als ermächtigt, Zustellungen für den Betroffenen in Empfang zu nehmen (§ 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Zwar befand sich zum Zeitpunkt der Zustellung keine schriftliche Vollmacht des Verteidigers bei den Akten. Das Vorbringen des Verteidigers, der im Hauptverhandlungstermin anwesende unterbevollmächtigte Verteidiger habe die schriftliche Vollmacht vorgelegt (S. 5 der Antragsschrift vom 07.02.2023, BI. 85 d. A.), findet in den Akten keine Stütze. Im Protokoll ist derartiges nicht vermerkt und- die Richterin hat dies ausdrücklich in Abrede gestellt (BI. 85, 100R d. A.).

Jedoch ist seine Bevollmächtigung hier nachgewiesen.

Auf welche Weise der Nachweis erfolgen kann, bestimmt das Gesetz nicht.

Mit der Änderung des § 51 Abs. 3 OWiG soll zwar ergänzend zur früheren Regelung, nach welcher eine schriftliche Vollmacht eingereicht werden musste, nunmehr grundsätzlich die Übermittlung einer Kopie ausreichen (§ 51 Abs. 3 Satz 2 OWiG). Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit eingefügt, um die elektronische Einreichung der Verteidigervollmacht zu erfassen und nicht nur – wie zuvor – die Original-Vollmacht gelten zu lassen (BT Drs. 19/27654, S. 40). Dabei ist davon auszugehen, dass nach Vorstellung des Gesetzgebers die Kopie bzw. das elektronische Dokument wie vormals die schriftliche Vollmacht tatsächlich zu den Akten gelangt. Ob eine Verteidigervollmacht besteht, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, allerdings muss der Nachweis an formale Kriterien geknüpft sein, da sich daraus die entsprechenden Rechtsfolgen für den Betroffenen ergeben, über die aus Rechtssicherheitsgründen Klarheit bestehen muss (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20.09.2009 – 2 Ss (OWi) 129B/09, BeckRS 2009, 26373).

Die Form des Nachweises der Bevollmächtigung durch Überreichung eines Dokumentes zu den Akten ist jedoch nicht die einzig zulässige. Es muss allerdings klar in den Akten dokumentiert werden oder aus ihnen ersichtlich sein, dass die Bevollmächtigung erfolgt ist. Denn anders als bei der Wirksamkeit der Vertretung durch den Verteidiger im Verfahren allgemein (vgl. dazu Meyer-Go ßner/Schmitt, StPO, vor § 137 Rdnr. 9), genügt eine ausschließlich mündlich erteilte Vollmacht grundsätzlich nicht. Anhand einer Gesamtschau der im Einzelfall vorliegenden Tatsachen, insbesondere durch wiederholtes Tätigwerden als Verteidiger in der fraglichen Rechtssache kann auf seine unbeschränkte Bevollmächtigung als Verteidiger geschlossen werden (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12.06.2019 – (1B) 53 Ss-OWi 206/19 (124/19); Beschluss vom 28.11.2022 -1 OLG – 53 Ss-OWi 456/22; jeweils bei juris).

So liegt es hier. Der Verteidiger ist hier bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde aufgetreten, hat für die Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, Akteneinsicht genommen und gegenüber dem Gericht Anträge für sie gestellt und den im Termin auftretenden Rechtsanwalt unterbevollmächtigt.

Die Zustellung eines schriftlichen Urteils kann zudem auch dann wirksam erfolgen, wenn dem Verteidiger vor Ausführung der Zustellung bereits eine rechtsgeschäftliche Vollmacht zur Entgegennahme von Zustellungen erteilt worden war (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.05.2016 (1B) 53 Ss-OWi 200/16 (110/16) bei juris m. w. N.). Eine entsprechende bereits bei Urteilszustellung erteilte rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht des Verteidigers ist hier – durch inzwischen erfolgte Nachreichung der Vollmacht zu den Akten (BI. 86 d. A.) – belegt.“

Und die Rechtsbeschwerde hatte dann auch Erfolg. Denn das insoweit allein maßgebliche „Protokollurteil“ des AG enthielt keine schriftlichen Urteilsgründe. Die nachträglich erfolgte Ergänzung der Urteilsgründe gemäß § 275 Abs. 1 StPO i. V. m. §46 Abs. 1, § 71 Abs. 1 OWiG war unzulässig und damit für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr relevant. Denn das AG hatte das Urteil bereits aus dem inneren Dienstbereich des AG herausgegeben – an die StA – und es konnte nicht mehr ergänzt werden (wegen der Einzelheiten insoweit Deutscher in: Burhoff (Hrsg.) Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn 3805 ff.).

Im Übrigen: Gilt dann natürlich auch für das Strafverfahren.

StPO I: Zustellung an Betroffenen/Angeklagten, oder: Umfang der Unterrichtungspflicht des Verteidigers

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Und heute dann drei StPO-Entscheidungen, alle drei haben mit Zustellung bzw. Vollamcht zu tun, aber es passt weder „Zustellung“ noch „Vollmacht“ als  (Unter)Kategorie, daher dann eben „StPO“. Das passt immer.

Den Opener mache ich mit dem BayObLG, Beschl. v. 01.02.2023 – 201 ObOWi 49/23 – zum Umfang der Unterrichtungspflicht der Verteidigung bei Zustellungen an Betroffene.

Gegen die Betroffene ist ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Gegen diesen der Betroffenen am 20.04.2022 zugestellten Bußgeldbescheid legte der Verteidiger form- und fristgerecht Einspruch ein und legte eine von der Betroffenen erteilte schriftliche Strafprozessvollmacht vom 02.05.2022 vor (!). Das AG verurteilte die Betroffene aufgrund der Hauptverhandlung vom 20.10.2022, an der sowohl die Betroffene als auch ihr Verteidiger teilnahmen. Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 27.10.2022, beim AG eingegangen über das besondere Anwaltspost-fach (beA) am selben Tag, Rechtsbeschwerde ein. Die Amtsrichterin ordnete unter dem 11.11.2022 die Zustellung des Urteils an die Betroffene und die formlose Übersendung der Entscheidungsabschrift an den Verteidiger mit Zusatz „Die Zustellung erfolgt an Ihren Mandanten“ an. Die Zustellung an die Betroffene ist am 18.11.2022 erfolgt. Die Begründung der Rechtsbeschwerde, mit welcher der Verteidiger die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist am 21.12.2022 formgerecht beim AG eingegangen.

Es wird jetzt um Wiedereinsetzung gestritten und zur Begründung ausgeführt, dass dem Verteidiger das Urteil des Amtsgerichts erst am 21.12.2022 zugestellt worden sei und ihm – unter Verstoß gegen § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO auch nicht vorab mitgeteilt worden sei, wann das Urteil des AG an die Betroffene zugestellt wurde. Der Antrag hatte keinen Erfolg:

„Die Frist zur Begründung der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde wurde versäumt. Die Frist begann mit der Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an die Betroffene am 18.11.2022 (§ 345 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und endete mit Ablauf des 19.12.2022, nachdem der 18.12.2022 ein Sonntag war.

Die gemäß § 36 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG richterlich angeordnete Zustellung an die Betroffene erweist sich als wirksam. Nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ist im Fall der Zustellung an den Betroffenen auch der Verteidiger zu benachrichtigen, dessen Vollmacht nicht nachgewiesen ist; erst recht gilt dies demnach für den schriftlich bevollmächtigten Verteidiger.

Zwar gilt der Verteidiger gemäß § 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG als ermächtigt, Zustellungen für den Betroffenen in Empfang zu nehmen. Die Vorschrift gestattet demnach Zustellungen an den Verteidiger, begründet jedoch keine Rechtspflicht, entsprechend zu verfahren. Daher sind an den Betroffenen persönlich gerichtete Zustellungen gleichwohl wirksam und setzen die Rechtsmittelfristen in Lauf (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. Aufl. § 145a Rn. 6 m.w.N.). Nichts anderes folgt daraus, dass eine solche Verfahrensweise der Regelung in Nr. 154 Abs. 1 RiStBV widerspricht (vgl. BGH, Beschl. v. 18.09.2018 – 3 StR 92/18 bei juris = NStZ-RR 2019, 24 = BeckRS 2018, 28285 und 12.02.2014 – 4 StR 556/13 bei juris = BeckRS 2014, 5620; KG, Beschl. v. 27.11.2020 – [5] 161 Ss 155/20 [47/20] bei juris = StraFo 2021, 69 = OLGSt StPO § 145a Nr 7 = NJW-Spezial 2021, 58 = BeckRS 2020, 36756), die als bloße Verwaltungsvorschrift den Richter nicht bindet. Selbst ein etwaiger Verstoß gegen die in § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO normierte Ordnungsvorschrift, den Verteidiger von der Zustellung an den Betroffenen zu unterrichten, begründet nicht die Unwirksamkeit der Zustellung, sondern kann lediglich im Einzelfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 31.01.2006 – 4 StR 403/05 bei juris = wistra 2006, 188 = BGHR StGB § 44 Verschulden 9 = NStZ-RR 2006, 211 = BeckRS 2006, 1918; KG, a.a.O; KK/Willnow StPO 9. Aufl. § 145a Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 14; i.E. so auch BGH, Beschl. v. 13.09.2022 – 5 StR 279/22 bei juris = BeckRS 2022, 27294).

Maßgeblich für den Fristbeginn war vorliegend insoweit allein die gemäß § 36 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG von der Tatrichterin angeordnete und von der Geschäftsstelle bewirkte Zustellung an die Betroffene am 18.11.2022. Die von der Tatrichterin angeordnete formlose Bekanntgabe des Urteils an den Verteidiger, die am 21.11.2022 erfolgt ist, war keine Zustellung im Rechtssinne, sodass der Eingang des Urteils bei dem Verteidiger entgegen der in seiner Gegenerklärung vom 31.01.2023 geäußerten Rechtsauffassung für den Fristbeginn ohne Bedeutung war. Die erst am 21.12.2022 eingegangene Rechtsbeschwerdebegründung war daher verfristet.

2. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde, die voraussetzt, dass die Betroffene ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG), kommt nicht in Betracht. Der Antrag der Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde ist in mehrfacher Hinsicht bereits unzulässig, §§ 44, 45 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

a) Das Vorbringen im Schriftsatz der Verteidigung vom 31.01.2023 erfüllt die Voraussetzungen eines zulässigen Wiedereinsetzungsantrags schon deshalb nicht, weil ihm nicht zu entnehmen ist, dass die Betroffene ohne Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten; der Vortrag legt nämlich nicht dar, dass sie ihren Verteidiger überhaupt mit der Einlegung und Begründung des Rechtsmittels beauftragt hatte. Eine Frist versäumt nur diejenige, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat (BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – 1 StR 240/17 bei juris = BeckRS 2017, 119054; OLG Bamberg, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 Ss OWi 330/17 bei juris = BeckRS 2017, 106539; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 44 Rn. 5). Allein aus der Einlegung der Rechtsbeschwerde ergibt sich ein entsprechender Auftrag der Betroffenen nicht, da der Verteidiger seinerseits gemäß § 297 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG die Befugnis hat, selbstständig Rechtsmittel einzulegen.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag der Betroffenen leidet darüber hinaus an weiteren durchgreifenden Mängeln im Tatsachenvortrag und dessen Glaubhaftmachung im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb dieser Frist muss der Antragsteller auch Angaben über den Wiedereinsetzungsgrund machen. Die erforderlichen Angaben sind, ebenso wie ihre Glaubhaftmachung, Voraussetzung der Zulässigkeit des Antrags (vgl. BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 StR 573/14 bei juris = NStZ-RR 2015, 145). Ein Wiedereinsetzungsantrag muss daher unter konkreter Behauptung von Tatsachen so vollständig begründet werden, dass ihm die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers entnommen werden kann (vgl. LR/Graalmann-Scherer StPO 27. Aufl. § 45 Rn. 13). Vorzutragen ist stets ein Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

So wird schon nichts zu der Frage vorgetragen, aus welchen Gründen die Betroffene nach Zustellung des Urteils an sie am 18.11.2022 davon abgesehen hat, sich an ihren Verteidiger zu wenden. Soweit die Betroffene im Rahmen ihres Wiedereinsetzungsantrags geltend macht, dass ihrem Verteidiger entgegen § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO nicht mitgeteilt worden sei, wann das Urteil an sie selbst zugestellt wurde, vermag dieses Vorbringen eine Wiedereinsetzung nicht zu begründen. Denn die von ihr in den Raum gestellte gesetzliche Verpflichtung besteht nicht. Die Verfahrensvorschrift des § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO verlangt im Falle der Zustellung an den Betroffenen, dass der Verteidiger hiervon zugleich unterrichtet wird. Das Gericht nimmt insoweit seine prozessuale Fürsorgepflicht wahr und gewährleistet einen ausreichenden Informationsstand der Verteidigung (vgl. BeckOK/Krawczyk StPO [46. Ed., Stand: 01.01.2023] § 145a Rn. 10). Die Regelung soll sicherstellen, dass der Verteidiger die nötigen Maßnahmen insbesondere zur Fristenkontrolle treffen kann, auch wenn ihn der Betroffene ihn nicht von sich aus benachrichtigt (vgl. MüKo/Kämpfer/Travers 2. Aufl. StPO § 145a Rn. 15). Insoweit ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Verteidiger von der Zustellung an den Betroffenen zugleich zu unterrichten ist. Die Benachrichtigung soll also gleichzeitig mit der Zustellung zur Post gegeben werden (vgl. LR/Jahn a.a.O. § 145a Rn. 14). Eine darüberhinausgehende Verpflichtung des Gerichts, insbesondere die Unterrichtung des Verteidigers über den Zeitpunkt der Zustellung an den Betroffenen, welcher sich erst nach Eingang des Zustellungsnachweises bei Gericht feststellen lässt, beinhaltet die Vorschrift nicht. Die Pflicht zur Kontrolle der einzuhaltenden Fristen verbleibt bei dem bevollmächtigten Verteidiger (LR/Jahn a.a.O.), der sich erforderlichenfalls durch Rückfrage bei dem Betroffenen über den Zeitpunkt der Zustellung in Kenntnis setzen muss.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Betroffenen ist nach alledem als unzulässig zu verwerfen.“

Gilt natürlich auch bei Zustellungen an den Beschuldigten.

Pflichti III: Beschuldigtenanhörung nicht feststellbar, oder: Pflichtverteidigeraustausch zulässig

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Und dann zum Tagesschluss noch der LG Gera, Beschl. v. 18.04.2023 – 11 Qs 70/23.

Es geht um einen Pflichtverteidigerwechsel. Das AG hatte den abgelehnt, das LG kommt dem Antrag hingegen nach:

„Der Beschwerdeführer ist Beschuldigter eines Strafverfahrens wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Mord durch Unterlassen gern. §§ 211, 227, 13, 52 StGB.

Die Staatsanwaltschaft Gera beantragte, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 31.01.2023 wurde der Beschuldigte zur Auswahl eines Pflichtverteidigers mit einer Stellungnahmefrist von 10 Tagen angehört. Das Schreiben wurde dem Beschuldigten formlos übersandt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 15.02.2023, dem Beschuldigten am 24.02.2023 zugestellt, wurde dem Beschuldigten Rechtsanwalt pp. zum Pflichtverteidiger bestellt. Auf der Zustellungsurkunde erklärte der Beschuldigte, dass er sich um eine Anwältin gekümmert habe, die sich in den nächsten Tagen mit ihm in Verbindung setzen werde.

Mit Schreiben vom 28.02.2023 zeigte sich Rechtsanwältin pp. unter Vorlage einer Vollmacht für den Beschuldigten an und beantragte, Rechtsanwalt pp. zu entpflichten und stattdessen sie dem Beschuldigten als Pflichtverteidigerin beizuordnen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 10.03.2023 wurde der Wechsel des Pflichtverteidigers abgelehnt.

Hiergegen wendet sich der Beschuldigte, vertreten durch Rechtsanwältin pp., mit der sofortigen Beschwerde.

II.

Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 143a Abs. 4, 311 Abs. 1 StPO.

Die Voraussetzungen für einen Wechsel des Pflichtverteidigers gern. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO liegen vor. Demnach ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn dem Beschuldigten ein anderer als der von ihm benannte Verteidiger beigeordnet wurde oder ihm zur Auswahl des Verteidigers nur eine kurze Frist gesetzt wurde, er innerhalb von drei Wochen seit der Bekanntmachung der Beiordnung einen entsprechenden Antrag stellt und dem kein wichtiger Grund entgegensteht.

So liegt der Fall auch hier. Durch die Staatsanwaltschaft Gera wurde beantragt, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Mit gerichtlicher Verfügung vom 31.01.2023 erhielt der Beschuldigte Gelegenheit, sich zur Auswahl eines Pflichtverteidigers binnen einer Frist von 10 Tagen zu äußern. Ein Zugang dieses gerichtlichen Schreibens lässt sich nicht verzeichnen, da das Schreiben an den Beschuldigten formlos gesandt wurde, sodass ein zeitnaher Zugang und damit der Beginn der Frist nicht belegbar sind. Dabei ist unerheblich, dass der Ermittlungsrichter zum Zeitpunkt der Bestellung auf Grund des eingetretenen Zeitablaufs grundsätzlich davon ausgehen durfte, dass der Beschuldigte keinen Verteidiger seiner Wahl benennen wird. Das Gericht hätte jedoch die Möglichkeit gehabt, mittels förmlicher Zustellung des Schreibens den Zeitpunkt des Zugangs beim Beschuldigten nachzuweisen. Auf der Grundlage von üblichen Postlaufzeiten, insbesondere unter Berücksichtigung von stattgefundenen Warnstreiks bei der Deutschen Post AG im Januar und Februar 2023 und der Entfernung kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass mit Beschlussfassung am 15.02.2023 die Frist zur Stellungnahme von 10 Tagen bereits abgelaufen war. Dies steht auch im Einklang mit der Erklärung des Beschuldigten auf der Zustellungsurkunde, dass er sich um eine Anwältin gekümmert habe, die sich in den nächsten Tagen mit ihm in Verbindung setzen werde.“

Pflichti II: Kein Rechtsmittel gegen Bestellung?, oder: Kein Rechtsmittel gegen Aufhebung der Bestellung

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Und im zweiten „Pflichti-Posting“ hier dann zwei Entscheidungen zu Rechtsmitteln in Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung, und zwar:

Auch nach Inkrafttreten der Vorschriften § 143 Abs. 3 StPO ist die Aufhebung der Bestellung als Pflichtverteidiger durch diesen selbst grundsätzlich nicht anfechtbar.

Ein Wahlverteidiger ist durch seine (von Amts wegen erfolgte) Beiordnung zum Pflichtverteidiger nicht beschwert. Er kann deshalb gegen seine Bestellung kein Rechtsmittel einlegen.

Der zweite Beschluss erstaunt schon ein bisschen…..

Verkehrsrecht II: Vorläufige Entziehung nach Berufung, oder: Die Annahme einer „Retourkutsche“ liegt nahe

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Und als zweite verkehrsstrafrechtliche Entscheidung dann etwas zur (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB i.V.m. § 111a StPO).

Folgender Sachverhalt: Das AG hat den Angeklagten durch Urteil vom 17.01.2023 des unerlaubten Entfernens vom Unfallort für schuldig gesprochen. Es hat ihn verwarnt und ihn angewiesen, am nächsten Fahrsicherheitstraining teilzunehmen. Es hat ihm außerdem aufgegeben, einen Geldbuße in Höhe von 300,-EUR zu zahlen. Zudem entzog es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis und zog dessen Führerschein ein.

Das AG-Urteil hat festgestellt, dass der Angeklagten am Abend des 11.06.2022 auf einem Fest Alkohol in nicht mehr bestimmbarer Menge konsumiert hatte. Am 12.06.2022 trat er vor 01:00 Uhr zusammen mit einem Freund und einer Freundin den Heimweg an. Auf dem Heimweg steuerte zunächst der Freund den Pkw des Angeklagten, nach einem Fahrerwechsel steurte der Angeklagte selbst. Dabei verlor er wegen überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug und stieß gegen drei am Fahrbahnrand geparkte Fahrzeuge. Durch die jeweiligen Kollisionen entstand an den drei Fahrzeugen Schäden. Das AG hat den insgesamt entstandenen Schaden an den drei Fahrzeugen auf mindestens 7.000,- EUR geschätzt.

Obwohl der Angeklagte den Unfall bemerkte, verließ er mit seinemFahrzeug die Unfallstelle. Er stellte das Fahrzeug etwa 500 Meter entfernt von der Unfallstelle an einem Feldwegrand ab, entfernte die Kennzeichen, verschloss den Wagen und begab sich mit der Bahn nach Hause. Eine am 12.06.2022 um 04:20 Uhr durchgeführte Atemalkoholprüfung ergab einen Wert von 0,70 Promille beim Angeklagten.

Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Rechtsmittel eingelegt. Daraufhin hörte das AG ihn mit Schreiben vom 24.01.2023 zur beabsichtigen vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis an. Die Staatsanwaltschaft hat die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt. Das AG hat dann dem Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass die Anordnung nach § 111a StPO bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig sei. Es handle sich um eine Ermessensentscheidung. Im Vorfeld der Hauptverhandlung habe das Gericht hiervon keinen Gebrauch gemacht, da absehbar gewesen sei, dass zeitnah verhandelt werden würde und einer Entscheidung im Hauptverfahren Vorrang eingeräumt worden sei. Nachdem nunmehr für das Gericht die Verwirklichung des Tatbestandes, der die Annahme einer Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen indiziere, zweifelsfrei feststehe, sei nach Eingang des Rechtsmittels eine Anordnung nach § 111a StPO unerlässlich.

Dagegen die Beschwerde, die beim LG mit dem LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 13.03.2023 – 5/3 Qs 8/23 – Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist nach §§ 304, 305 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Mangels Vorlage der Akten an das Berufungsgericht nach § 321 StPO ist die Kammer auch als Beschwerdekammer für die unerledigte Beschwerde zuständig.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Nach § 111a StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis im Urteil entzogen werden wird (§ 69 StGB). Die Fahrerlaubnis wird nach § 69 Abs. 1 StGB entzogen, wenn jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt wird, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

Die Prüfungskompetenz der Beschwerdekammer ist in Fällen, in denen die Beschwerde eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis betrifft, die mit einem erstinstanzlichen Urteil erfolgt ist, eingeschränkt. Das Beschwerdegericht darf den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt bei der Frage der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht anders würdigen als der frühere Richter im Urteil. Denn das Tatgericht verfügt aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung über eine größere Sachkenntnis und bessere Erkenntnismöglichkeiten als das Beschwerdegericht, das sich nur auf den Akteninhalt stützen kann. Dies bedeutet aber nicht, dass das gesetzlich vorgesehene Rechtsmittel in einem solchen Fall leer läuft. So ist eine Abweichung von der erstinstanzlichen Beurteilung insbesondere dann veranlasst, wenn nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung neue Umstände entstanden sind, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen offensichtlich fehlerhaft sind, oder wenn die erstinstanzliche Bewertung der Eignungsfrage rechtsfehlerhaft ist (LG Berlin Beschl. v. 16.12.2011 — 517 Qs 142/11, BeckRS 2012, 1174 m.w.N.). Hierzu ist ferner auch die Frage zu zählen, ob die vorläufige Entziehung wegen Zeitablaufes unverhältnismäßig ist und das Tatgericht daher an einer vorläufigen Entziehung gehindert war.

Bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis handelt es sich um eine eilige vorbeugende Maßnahme, die die Allgemeinheit bereits vor Urteilserlass vor den Gefahren schützen sollen, die von einem ungeeigneten Kraftfahrer ausgehen (Huber, in: BeckOK StPO, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 111a Rn. 1). Mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Tatgeschehen und dem Zeitpunkt des vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis gehen daher erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz der Allgemeinheit einerseits sowie dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis andererseits einher (vgl. Henrichs/Weingast, in: KK-StPO, 9. Aufl. 2023, StPO § 111a Rn. 3).

Nach ständiger, gerichtsbekannter Rechtsprechung der 9. Strafkammer des Landgerichts Frankfurts, die für Beschwerden gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erwachsenen im Landgerichtsbezirk ausschließlich zuständig ist, ist eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis dabei nach Ablauf von 6 Monaten im Regelfall unverhältnismäßig. Die Kammer tritt dieser Auffassung bei, da sie nicht nur klare und seit Jahren im hiesigen Bezirk etablierte Orientierung, sondern auch noch hinreichend Raum dafür lässt, die Sicherheitsbelange der Allgemeinheit und die weiteren Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gründe des eingetretenen Zeitablaufs, in den Blick zu nehmen (hierzu: Hauschild, in MüKoStPO, 2. Aufl. 2023, StPO § 111a Rn. 17).

Die vom Amtsgericht durch das erstinstanzliche Urteil festgestellte Anlasstat erfolgte bereits am 12.06.2022, so dass bis zur vorläufigen Entziehung durch Beschluss vom 31.01.2023 über 7 Monate verstrichen sind. Es liegen keinerlei Erkenntnisse dafür vor, dass der Beschwerdeführer seither nochmals im Straßenverkehr aufgefallen ist. Vielmehr wurde sein zeitweise sichergestelltes Fahrzeug am 05.07.2022 durch die Staatsanwaltschaft freigegeben, die auch hiernach über Monate keinen Antrag nach § 111a StPO stellte. Der Beschwerdeführer hatte seither und bis zur Zustellung des angefochtenen Beschlusses die Möglichkeit der Teilnahme am Straßenverkehr, ohne dass zwischenzeitlich erneute verkehrsrechtliche Verstöße bekannt wurden. Wenn ein Beschuldigter indes nicht zeitnah nach Bekanntwerden der Tat daran gehindert wird, mit einem von ihm geführten Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen, so ist eine Entscheidung über die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis abzuwarten, zumal diese vorliegend auch in Gestalt des erstinstanzlichen – wenn auch nicht rechtskräftigen – Urteils erging, ohne dass zugleich mit dem Urteil die vorläufige Entziehung angeordnet wurde. Es ist ohne neuerliche Verkehrsauffälligkeiten aufgrund des Zeitablaufs insoweit kein Raum mehr für eilige vorbeugende Maßnahme zum Schutze der Allgemeinheit nach § 111a StPO. Ein zur Schwere des Eingriffs in Verhältnis stehendes Eilbedürfnis kann nunmehr nicht mehr erkannt werden, zumal in Verfahren gegen Jugendliche oder Heranwachsende eine besonders sorgfältige und einzelfallorientierte Prüfung für erforderlich erachtet wird (Huber, in: BeckOK StPO, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 111a Rn. 3).

Die anderweitige Argumentation des Amtsgerichts vermag jedenfalls im hiesigen Fall nicht zu überzeugen. Zwar ist es im Grundsatz zutreffend, dass eine vorläufige Entziehung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens möglich ist. Wenn hiermit indes bei einem zur Tatzeit noch Heranwachsenden über 7 Monate und bis zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen das erstinstanzliche Urteil zugewartet wird, dann lässt sich mit Blick hierauf und durch die seither bestehende Unauffälligkeit des Betroffenen kein hinreichendes Eil- und Sicherungsbedürfnis mehr begründen, das die vorläufige Entziehung noch verhältnismäßig erscheinen lässt. Eine andere Beurteilung rechtfertigt vorliegend auch die Schwere der erstinstanzlich festgestellten Tat oder ein vermeintliches Vorrangverhältnis einer Klärung im Hauptverfahren nicht. Es sind vorliegend auch keine Gründe aus der Sphäre des Beschwerdeführers ersichtlich, die hier den Zeitablauf bedingt haben könnten und eine andere Beurteilung rechtfertigen.“

Das LG begründet m.E. recht „vornehm“, warum die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht – mehr – zulässig war. Denn man hätte auch etwas dazu sagen können, dass die amtsgerichtliche Entscheidung schon den „Beigeschmack“ einer „Retourkutsche“ = Antwort auf die Berufungseinlegung hatte. Denn, wenn nicht biw zum Urteil und dann im Urteil entzogen wurde, fragt man sich schon, warum dann nach der Berufungseinlegung.

Den Beschluss hat mir übrigens die Kollegin Bender-Paukens geschickt. Ja, das ist die Kollegin, die die schöne Werbung für meine Handbücher gemacht hat (vgl. hier: Wenn „Staatsanwältinnen“ Werbung machen, oder: „Das Strafverfahren steht Kopf“). Sie kann also nicht nur „Staatsanwältin“ 🙂 .