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Pflichti II: Und immer wieder nachträgliche Bestellung, oder: LG Gera und AG Heidelberg tun es auch

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Was wäre ein „Pflichti-Tag“ ohne Entscheidungen zu rückwirkenden/nachträglichen Bestellung des Pflichtverteidigers. Dazu stehen bereits viele Entscheidungen – die meisten wohl positiv auf meiner Homepage. Und ich werde weiter berichten, damit man einen guten Überblick bekommt, welches Gericht wie entscheidet. Daher danke ich allen Kollegen, die Entscheidungen zu der Problematik ein geschickt haben und auch denen, die noch einschicken werden.

Ich weise heute dann auf:

Eine nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung kann erfolgen, wenn zum Zeitpunkt des rechtzeitig gestellten und entscheidungsreifen Antrags auf Beiordnung ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag und das Erfordernis der Unverzüglichkeit bei der Bestellung nicht ausreichend beachtet wurde.

Die nachträgliche Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zulässig, wenn der Bestellungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist, die Voraussetzungen für eine Bestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen und dem Erfordernis der Unverzüglichkeit der Beiordnung nicht genügt worden ist.

Pflichti I: Dauerbrenner rückwirkende/nachträgliche Bestellung, oder: Siebenmal: „Yes we do.“

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Am Mittwoch heute mal wieder einiges zum Pflichtverteidiger. Hrezlichen Dank vorab allen Kollegen, die mir zu dem Bereich Entscheidungen geschickt haben.

Und ich beginne die Berichterstattung mit Entscheidungen zur rückwirkenden/nachträglichen Bestellung – meist in den Fällen, in denen das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und man den Beiordnungantrag „übersehen“ hat. Da zeichnet sich – wie schon nach altem Recht – das Bild ab, dass die LG und AG wohl weitgehend der Auffassung sind, dass die Beiordnung noch möglich – ja geboten ist. Die OLG lehnen das ab.

Hier dann folgende neuere Entscheidungen

Für die nachträgliche Bestellung:

Ein besonderer Hinweis auf die Entscheidung des LG Hamburg, die von der Rechtsprechung des „übergeordneten“ OLG abweicht, und auf LG Leipzig, das sehr schön auch zu den Voraussetzungen der Bestellung Stellung nimmt.

„…Popillen“, was ist das?

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Popillen„? Ja, was ist das? das habe ich mich auch gefragt, als ich den LG Gera, Beschl. v. 25.04.2016 – 9 Qs 123/16 – gelesen habe. Der Beschluss enthält nichts weltbewegend Neues, aber „Popillen“ kannte ich nicht. Nun aus dem Kontext, in dem die Forumuierung auftaucht, wird dann aber sehr schnell klar, worum es sich handelt, natürlich um einen Schreibfehler (und das in einem „Präsidentenbeschluss“ 🙂 ), denn es muss heißen „erweiterte Pupillen„. Und die spielen ja, wenn es um eine Drogenfahrt geht, ggf. eine Rolle bei der Frage, ob der Beschuldigte sein Fahrzeug sicher führen konnte (§ 316 StGB).  Dazu hat das LG noch einmal ein paar Hinweise gegeben:

„Der Tatrichter wird somit zu entscheiden haben, ob der Angeklagte wegen einer Straftat nach § 316 Abs. 1, 2. Alternative (unter Einfluss berauschender Mittel) StGB zu verurteilen ist. Zwar steht fest, dass der Angeklagte unter Einfluss von Cannabinoiden ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehr geführt hat. Ob und inwieweit der Angeklagte jedoch in der Lage gewesen war, das Fahrzeug sicher zu führen, ergibt sich nicht ohne Weiteres aus dem bisherigen Akteninhalt. Eine mit der 1,1 Promillegrenze nach Alkoholgenuss vergleichbare Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit nach Cannabiskonsum ist bislang medizinisch-naturwissenschaftlich nicht begründbar. Bei einer Verurteilung nach § 316 Abs. 1, 2. Alternative muss vielmehr ein erkennbares äußeres Verhalten des Fahrzeugführers festgestellt werden, das auf seine durch den Cannabiskonsum hervorgerufene Fahruntüchtigkeit hindeutet. Als solche Ausfallerscheinungen, die durch den Cannabiskonsum zumindest mit verursacht sein müssen, kommen insbesondere in Betracht: eine auffällige, sei es regelwidrige, sei es besonders sorglose und leichtsinnige Fahrweise, ein unbesonnenes Benehmen bei Polizeikontrollen, aber auch ein sonstiges Verhalten, das rauschbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt, sowie Beeinträchtigungen der Körperbeherrschung, wie z. B. Stolpern und Schwanken beim Gehen, vgl. BGH in BGHSt 31, 42. Bei einer psychotropwirksamen Menge an THC von ca. 36 ng/ml Blut kann daher eine Fahruntüchtigkeit nur bei Hinzutreten rauschbedingter Ausfallerscheinungen angenommen werden, vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1994, 2428 f. Ausweislich des toxikologischen Befundberichts vom 10.12.2014 (BI. 9-11) hatte der Angeklagte eine THC-Konzentration von 37 ng/ml im Blut. Auch wenn es in der Zusammenfassung des vorgenannten Berichtes heißt, dass die beim Angeklagten festgestellte hohe Konzentration auf einen chronischen Konsum von Cannabis hinweise und daher dessen generelle Fahreignung zu hinterfragen sei, ergibt sich aus dem Feststellungsprotokoll der Polizeibeamten vom 13.11.2014 indes keine der vorgenannten Ausfallerscheinungen, die auf den Cannabiskonsum zurückzuführen sind. Allein der Umstand, dass der Angeklagte auf der engen, etwa 3 m breiten Straße durch auffallend zügiges Fahren aufgefallen sei, kann nicht ausschließlich auf den vorhergehenden Cannabiskonsum zurückgeführt werden, denn es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass nur unter Einwirkung von Cannabinoiden stehende Fahrzeugführer auffallend zügig unterwegs sind, auch wenn die Straße nicht sehr breit ist. Die Feststellung der Fahruntüchtigkeit setzt zwar nicht stets das Vorliegen eines Fahrfehlers voraus, sondern kann sich auch aus dem Zustand und dem Verhalten des Fahrzeugführers bei einer Kontrolle ergeben. Das setzt aber Auffälligkeiten voraus, die sich unmittelbar auf eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit beziehen, z. B. schwerwiegende Einschränkungen der Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit, mangelnde Ansprechbarkeit, Unfähigkeit zu koordinierten Bewegungen, extrem verlangsamte Reaktion. Allgemeine Merkmale des Drogenkonsums reichen hier nicht aus, wie z. B. gerötete Augen, erweiterte Popillen, „verwaschene Sprache“, verlangsamte oder unsichere Motorik, verzögertes Aufnahmevermögen, schläfriges Erscheinungsbild oder unvermittelte Stimmungs-schwankungen, vgl. Fischer StGB, § 316, Rn. 40ff. Die von den Polizeibeamten in dem Feststellungsprotokoll vom 13.11.2014 festgehaltenen Beobachtungen reichen insoweit nicht aus, um von einer Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zweifelsfrei auszugehen. Die Feststellungen des das Blut abnehmenden Arztes in seinem ärztlichen Bericht vom 13.11.2014 beruhen auf dessen Beobachtungen um 18.35 Uhr, somit eine Stunde nach den Feststellungen der Polizeibeamten. Ob und in welchem Rahmen diese verwertbar sind, um beim Angeklagten zur Tatzeit (17.35 Uhr) eine Fahruntüchtigkeit anzunehmen, wird der Tatrichter zu entscheiden haben.“

Die Ausführungen entsprechen der h.M., ebenso wie die Ausführungen zu den beiden anderen Fragen, die der Beschluss behandelt, nämlich die Fragen des Zusammenhangs zwischen unwerlaubtem Besitz von BtM und der Verhältnismäßigkeit mit den Leitsätzen:

  1. Zwischen dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln und der zeitgleich begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG liegt verfahrensrechtlich keine Tatidentität im Sinne des § 264 StPO, sondern Realkonkurrenz vor, wenn das Mitsichführen der Betäubungsmittel im Kraftfahrzeug in keinem inneren Zusammenhang bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht.
  2. Zur Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

„For religious only“, oder: Fronleichnam ist ein Grund, Familienfreizeit ist kein Grund für Terminsverlegung…

Der Kollege Winter aus Kornwestheim – Verteidiger und Betroffener in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren – hat mir den LG Gera, Beschl. v. 29.05.2013 – 1 Qs 183/13 – zugesandt mit der Bitte, ihn bekannt zu machen. Tue ich gerne, da er eine allgemein interessante Problematik behandelt und der Kollege auch gleich einen Kommentar in Reimform beigefügt hat.

Im Verfahren ging es um die Verlegung eines Termins in einem Bußgeldverfahren, das gegen den Kollegen anhängig war. Terminiert war beim AG Stadtroda – gelegen in Thüringen – auf den 3o.05.2013. Der Kollege wohnt in Kornwestheim, das ist Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg ist/war der 30.05.2013 arbeitsfreier (kirchlicher) Feiertag, nämlich der katholische Feiertag „Fronleichnam„. In Thüringen ist der Tag kein Feiertag (gewesen). Der Kollege hat nun Terminsverlegung beantragt mit der Begründung: Der 31.05.2013 ist hier Feiertag und ich möchte den freien Tag mit meiner Familie verbringen, die hat eh schon kaum etwas von mir. Das AG Stadtroda lehnt ab, der Kollege geht in die Beschwerde. Und: Das LG Gera weist die Beschwerde zurück:

„Die Beschwerde des Betroffenen ist unzulässig, da die Ablehnung des Terminsverlegungsantrages des Betroffenen durch das Amtsgericht nicht grob ermessensfehlerhaft erfolgt ist.

Die Prozessbeteiligten haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Verlegung eines Termins. Über einen Terminsverlegungsantrag entscheidet der Vorsitzende vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei hat er auch unter Beachtung der prozessualen Fürsorgepflicht die Interessen der Beteiligten, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung und die Terminsplanung — unter Berücksichtigung der Belastung angemessen zu berücksichtigen und alle Belange entsprechend gegenüber abzuwägen.

Für die Festsetzung des Terminstages sind auch die örtlichen Feiertage — am Sitz des Prozessgerichts -, auch wenn sie gesetzlich nicht anerkannt sind, von Bedeutung. Grundsätzlich können auch bei Personen, die außerhalb des Sitzungsortes wohnen, die dort örtlichen Feiertage berücksichtigt werden, insbesondere dann, wenn sie durch religiöse Konfessionen gebunden sind. Als bekannt vorausgesetzt, ist in Baden-Württemberg der 30. Mai Fronleichnam, ein katholischer Feiertag. Der Betroffene hat nicht vorgetragen, dass er wegen seiner religiösen Konfession an den kirchlichen Feierlichkeiten teilnehmen möchte, sondern trägt vielmehr vor, dass er den Feiertag nutzen wolle, den geringen Freizeitanspruch, der seiner Familie zugutekommen solle, durch die Terminierung völlig zu Nichte gemacht werde.

Unter dem Gesichtspunkt, dass in Thüringen der 30.05. ein regulärer Arbeitstag ist, hat das Amtsgericht in seinem Beschluss unter Abwägung der Interessen des Betroffenen einerseits und der Terminsplanung und Belastung des Gerichts andererseits, nicht grob ermessensfehlerhaft gehandelt.“

Was lernt man daraus? Nun, der Kollege hat es falsch gemacht. Er hätte nicht vortragen sollen, dass er den Feiertag mit seiner Familie verbringen will, sondern: „Ich möchte an den „kirchlichen Feierlichkeiten“ teilnehmen.“ Dann hätte es wahrscheinlich gereicht für die Verlegung. Also: „For religous only…“, oder: Mit der Wahrheit kommt man dann doch nicht weiter…

Der Kollege hat es allerdings mit Fassung ertragen, wie seine nachfolgenden Gedanken zeigen:

For religious only…

 Wand´rer kommst du nach Stadtroda,

egal, ob du wohnst fern, ob nah,

beachte, dass man dort verhandelt,

auch zu Zeiten, an denen wandelt,

der Normalbürger in Freizeit.

Denn dort übt man Gerechtigkeit,

auch an auswärtig´ Feiertagen…,

gegen die, welche es nicht wagen,

 zu lügen und zu Gottes Hohn,

vorschieben die Religion.

 Wer ehrlich ist, hat nichts zu lachen,

nein- er muss auf den Weg sich machen,

trotz Feiertag zum Amtsgericht

woanders gibt es sowas nicht.

Merk´also, Gerichte im Osten,

sind jederzeit auf ihrem Posten.

Ist dies gerecht, wird mancher fragen

ich lächle und werde nichts sagen.

Michael Winter, Rechtsanwalt und Betroffener

 

Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Symbole – ja, nein oder vielleicht doch?

Der BGH hat gestern das Urteil des LG Gera, das einen Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB) zu einer Geldstrafe von 4.200 Euro veruteilt hatte aufgehoben.

Das LG Gera hatt den fremdsprachigen Gebrauch einer NS-Parole als auch unter § 86a StGB fallend angesehen. Der Senat hat – anders als das Landgericht – entschieden, dass der fremdsprachige Gebrauch einer NS-Parole nicht dem Straftatbestand des § 86 a StGB unterfällt. Diese Vorschrift stelle nicht jedes Bekenntnis zu einer NS-Organisation – was fraglos vorliege – unter Strafe, sondern nur die Verwendung von Kennzeichen dieser Organisationen, etwa ihrer Parolen, Abzeichen, Fahnen etc.. Gleichermaßen strafbar ist auch der Gebrauch von Symbolen, die den Originalen zum Verwechseln ähnlich sind. Eine Verwechslungsgefahr liege jedoch nur dann vor, wenn die Nachahmung und das Original in wesentlichen Vergleichspunkten übereinstimmen, was bei leichten Abwandlungen des Originalsinnbilds regelmäßig der Fall ist. Durch die Übersetzung in eine andere Sprache erfahre eine NS-Parole, die nicht nur durch ihren Sinngehalt sondern ebenso durch die deutsche Sprache ihre charakteristische Prägung erfahren hat, jedoch eine grundlegende Verfremdung, die der Tatbestand des § 86 a StGB nicht erfasst.

Nach Auffassung des BGH kann der Angeklagte kann sich jedoch gleichwohl wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen strafbar gemacht haben, wenn er nämlich den Namen der in Deutschland verbotenen Vereinigung „Blood & Honour“ symbolhaft verwendet hat.  Diese Frage muss jetzt in der neuen Hauptverhandlung geklärt werden.

BGH, Urt. v. 13.08.2009 – 3 StR 228/09