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Pflichti I: Dauerbrenner rückwirkende/nachträgliche Bestellung, oder: Siebenmal: „Yes we do.“

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Am Mittwoch heute mal wieder einiges zum Pflichtverteidiger. Hrezlichen Dank vorab allen Kollegen, die mir zu dem Bereich Entscheidungen geschickt haben.

Und ich beginne die Berichterstattung mit Entscheidungen zur rückwirkenden/nachträglichen Bestellung – meist in den Fällen, in denen das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und man den Beiordnungantrag „übersehen“ hat. Da zeichnet sich – wie schon nach altem Recht – das Bild ab, dass die LG und AG wohl weitgehend der Auffassung sind, dass die Beiordnung noch möglich – ja geboten ist. Die OLG lehnen das ab.

Hier dann folgende neuere Entscheidungen

Für die nachträgliche Bestellung:

Ein besonderer Hinweis auf die Entscheidung des LG Hamburg, die von der Rechtsprechung des „übergeordneten“ OLG abweicht, und auf LG Leipzig, das sehr schön auch zu den Voraussetzungen der Bestellung Stellung nimmt.

Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr, oder: So viel gibt es beim AG Hagen

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Heute dann der erste Gebührenfreitag am neuen (Wohn)Ort.

Ich beginne dann mit dem AG Hagen, Beschl. v. 22.05.2019 – 61 Ls 512 Js 444/17 – 53/18, den mit der Kollege P. Ziental geschickt hat. Nichts Weltbewegendes, aber an der ein odr anderer Stelle kann man ihn als Argumentationshilfe vielleicht dann doch mal ganz gut gebrauchen.

Festgesetzt sind die dem Nebenkläger vom Angeklagten zu erstattenden Kosten, und zwar wie folgt:

„Der mit Übernahme des Mandats entstehende Arbeitsaufwand wird mit der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG abgegolten. Erfasst werden das erste Mandantengespräch und die Informationsbeschaffung. Maßgeblich sind folglich die Dauer des ersten Gesprächs mit dem Mandanten und eventuelle tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Angelegenheit sowie der Umfang der Akte (LG Hagen, Beschluss vom 21.06.2010, 51 Qs 34/10). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass Nr. 4100 VV RVG für alle Angelegenheiten in Strafsachen gilt, die gebührenmäßig in Teil 4 Abschnitt 1 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG geregelt sind, also für alle Verfahren vor dem Strafrichter beim Amtsgericht bis hin zum Strafsenat beim Bundesgerichtshof.

Bei der Akteneinsicht bestand die Akte aus 121 Seiten. Da das Aktenstudium von bis zu 50 Seiten noch als unterdurschnittlich einzustufen ist, dürfte es sich vorliegend um eine leicht über dem Durchschnitt liegende Tätigkeit handeln(vgl. LG Hagen, Beschluss vom 07.06.2000, 44 Qs 82/200). Die Grundgebühr wird daher auf 230,00 € festgesetzt.

Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG honoriert das Betreiben des Geschäfts bis zur Anklageerhebung, soweit es nicht in den Abgeltungsbereich der Grundgebühr nach VV 4100 RVG fällt. Der Nebenklägervertreter trägt vor, dass er mehrere Rücksprachen mit den Angehörigen geführt hat, sodass die Gebühr unzweifelhaft entstanden ist. Aus der Akte sind jedoch keine weitergehenden Tätigkeiten, die in diesen Abgeltungsbereich fallen ersichtlich, sodass hier lediglich die Mittelgebühr i.H.v. 165,00 € festsetzungsfähig ist.
Mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG werden sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung abgegolten. Der Rechtsanwalt trägt vor, dass mehrere Rücksprachen mit dem Auftraggeber sowie eine persönliche in Augenscheinnahme. der Unfallörtlichkeit erfolgt sind. Ferner ist mit der Gebühr die Tätigkeit für die Vorbereitung der Hauptverhandlung abzugelten, sodass insgesamt von einer leicht über dem Durchschnitt liegenden Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die Gebühr ist daher i.H.v. 200,00 € zu berücksichtigen.

Die Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG honoriert die Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Termin (vgl. Vorbemerkung 4 Abs. 3 S. 1 VV RVG). Außerhalb des Termins entfaltete Tätigkeiten werden nicht von der. Terminsgebühr VV 4108 RVG, sondern von der Verfahrensgebühr VV 4106 abgegolten (LG Hagen, Beschluss vom 21.03.2006, 44 Qs 61/06). Das Wesentliche Kriterium bei der Bemessung der Terminsgebühr ist die Dauer der Hauptverhandlung. Die Grenze bei einer zumindest durchschnittlichen Tätigkeit dürfte bei einem amtsgerichtlichen Verfahren etwa bei einer Stunde zu suchen sein ( vgl. LG Hagen, Beschluss vom 23.02.2005, 44 QS 1/05). Der Termin am 12.03.2019 dauerte eine Stunde und fünfzig Minuten, sodass unter der Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG eine Gebühr i.H.v. 300,00 € als erstattungsfähig angesehen wird.“

Lebensakte im Bußgeldverfahren – es gibt sie – und wenn nicht sind wenigstens Auskünfte zu erteilen – gut so

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Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – sicherlich nichts aus dem Sommerloch, sondern ein Thema, dass die Gerichts nun schon länger beschäftigt. Das zeigt sich für mich nicht zuletzt daran, dass ich immer wieder von Kollegen Entscheidungen der AG zu den damit zusammenhängenden Fragen zugesandt bekomme., mit der Bitte, über diese Entscheidungen dann hier zu berichten.

Tue ich gerne, vor allem, wenn man so schöne Entscheidungen bekommt wie den AG Hagen, Beschl. v. 28.06.2012 – 97 OWi 5/12 (b) -, den man überschreiben könnte: Und es gibt sie doch – die Lebensakte. Und wenn es sie nicht gibt bzw. sie nicht geführt wird, hat Verwaltungsbehörde „Auskunft zu erteilen über Reparaturen, Wartungen, vorgezogene Neueichungen oder vergleichbare, die Funktionsfähigkeit des Messgeräts berührende Ereignisse, die im betroffenen Eichzeitraum stattgefunden haben.“ M.E. richtig.

Interessant ist die Entscheidung auch noch aus einem zweiten Grund. Sie lässt es der Verwaltungsbehörde nicht durchgehen, wenn sie überhaupt oder zögerlich entscheidet. Auch dann ist der Antrag nach § 62 OWiG zulässig.

„Die Verwaltungsbehörde hat vorliegend zwar den Antrag des Verteidigers nicht ausdrücklich abgelehnt. Aus ihrem gesamten Verhalten ergibt sich jedoch, dass die Verwaltungsbehörde das Akteneinsichtsrecht nicht oder jedenfalls nicht hinreichend erfüllt hat. Zunächst wurde am 06.02.2012 ausdrücklich auch Einsicht in die im Tenor näher bezeichneten Unterlagen begehrt. Dem ist die Behörde nicht nachgekommen, sondern sie hat stattdessen einen Bußgeldbescheid erlassen. Nachdem der Verteidiger im Einspruchsverfahren seinen Antrag wiederholt und eine gerichtliche Entscheidung beantragt hat, hat die Verwaltungsbehörde nicht etwa abgeholfen, sondern zunächst zu einer möglichen Abhilfe angehört. Sie hat auch nicht etwa zeitgleich eine Einholung der Auskünfte verfügt, woraus ein ernsthafter Abhilfewille zumindest objektiv erkennbar geworden wäre. Schließlich wurde die Akte, wiederum ohne objektiv erkennbare Abhilfebemühungen, dem Gericht vorgelegt.

Eine solch zögerliche Sachbehandlung kommt für den Betroffenen einer Ablehnung gleich. Der Betroffene hat insofern zu Recht eine gerichtliche Entscheidung verlangt, die allein aus Gründen der Rechtssicherheit auch zu ergehen hat, wenngleich eine förmliche Ablehnung seines Begehrens bislang nicht erfolgt ist. Indem die Verwaltungsbehörde aber das Verfahren ohne objektive Bemühungen der Abhilfe weiterbetrieben und sogar einen Bußgeldbescheid erlassen hat, zeigt sie zumindest so unzureichend ihren Willen zur Abhilfe, dass eine gerichtliche Entscheidung zugunsten des Betroffenen geboten war.“

Die zweite Entscheidung, über die ich in dem Zusammenhang „Akteneinsicht“ berichten will, ist weniger „schön“. Der AG Aurich, Beschl. v. 06.07.2012 – 5 OWi 1647/12 – stärkt der Fraktion den Rücken, die bei der Akteneinsicht mehr die Interessen der Verwaltungsbehörden im Blick hat. Das Argument: Akteneinsicht durch Übersenden einer Kopie ist für die Behörde unzumutbar, zieht m.E. aber nicht. Das geht mit einem PDF ganz einfach. Und das gibt es sicherlich auch schon in Aurich :-).