Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

OWI III: Bußgeldbescheid mit Fahrverbot u. Geldbuße, oder: Beschränkung des Einspruchs nur auf Geldbuße?

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Und zum Tagesschluss dann noch einmal etwas aus dem Bußgeldverfahren, nämlich zu der Frage, ob der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid, mit dem (auch) ein Fahrverbot festgesetzt worden ist, auf die Geldbußenhöhe beschränkt werden kann. Das AG Dortmund sagt im AG Dortmund, Urt. v. 11.08.2022 – 729 OWi-265 Js 881/22-62/22: Ja, das geht:

„Angesichts der vorliegenden Voreintragungen und der als Einspruchsbeschränkung auf die Höhe der Geldbuße zu wertenden Teilrücknahme des Einspruchs (hierzu: Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021,  § 67 Rn. 35) war auch die Festsetzung des 3-monatigen Fahrverbotes nach § 25 StVG, wie sie in dem angefochtenen Buß-geldbescheid enthalten war, bestandskräftig. Zwar besteht zwischen Fahrverbot und Geldbuße anerkanntermaßen eine Wechselwirkung (so etwa: OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 26.4.2022 – 3 Ss OWi 415/22, BeckRS 2022, 9906; OLG Hamm Beschl. v. 3.3.2022 – 5 RBs 48/22, BeckRS 2022, 5633 ; BayObLG Beschl. v. 23.4.2019 – 202 ObOWi 460/19, BeckRS 2019, 7481; Halecker Der „Denkzettel“ Fahrverbot, 2009, S.?233; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2022, § 4 – Verhältnis Geldbuße/Fahrverbot, Rn. 2; BeckOK OWiG/Euler, 35. Ed. 1.7.2022, StVG § 25 Rn. 1). Doch gilt diese nach herrschender Meinung nur einseitig. Während ein Absehen vom vorgesehenen Regelfahrverbot eine erhöhte Bußgeldandrohung zur Folge haben kann (§ 4 Abs. IV BKatV) gilt umgekehrt nicht, dass eine herabgesetzte Geldbuße zu einem erhöhten Fahrverbot führen kann, insbesondere dann nicht, wenn ohnehin das höchst mögliche Fahrverbot von 3 Monaten festgesetzt wurde. Die h.M., nimmt so richtigerweise eine Beschränkbarkeit des Einspruchs innerhalb des Rechtsfolgeausspruchs mit Geldbuße und Fahrverbot auf die Geldbußenhöhe an (Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 67 Rn. 34g; OLG Brandenburg Beschl. v. 28.2.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 28/22, BeckRS 2022, 5849; OLG Hamm, Beschl. v. 16. 1. 2012 – III-2 RBs 141/11, BeckRS 2012, 8582  = DAR 2012, 28; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02. 11. 2016 – IV-2 RBs 157/16, DAR 2017, 92; AG Dortmund Urt. v. 18.7.2017 – 729 OWi-267 Js 1158/17-191/17, BeckRS 2017, 121849; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2022, § 21 – Besonderheiten des OWi-Verfahrensrechts, Rn. 6; a.A. für atypische Verstöße: Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Aufl. 2022, § 67 Rn. 60).

Das Gericht hat klarstellend im Urteilstenor das 3-Monats-Fahrverbot nebst Schon-frist (§ 25 Abs. 2a StVG) gleichwohl tenoriert.  Eine derartige Klarstellung ist nach Einspruchsbeschränkung zulässig und geboten. Sie hat keinen eigenständigen und über den Bußgeldbescheid hinausgehenden vollstreckungsfähigen Inhalt.

Ferner hat es eine Geldbuße von nur 600,00 € festgesetzt und damit die Geldbuße in Höhe von 1.000,00 € aus dem Bußgeldbescheid reduziert aufgrund der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Betroffenen. Das Gericht hat zudem aus denselben Erwägungen eine Ratenzahlungsgewährung vorgenommen.“

„Schöner“ Tenor im Urteil: „Der Betroffene wird wegen der im Bußgeldbescheid der Stadt Dortmund vom 14.04.2022 genannten Tat zu einer Geldbuße von 600,00 € verurteilt.“ 🙂

Pflichti III. Bestellungsantrag in der Hauptverhandlung, oder: Wer muss/darf/soll entscheiden?

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Im dritteN Posting des Tages stelle ich dann noch den OLG Hamm, Beschl. v. 11.10.2022 – 5 Ws 270/22 – vor. Es geht um die funktionelle Zuständigkeit für einen in laufender Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Wer muss entscheiden?

Das AG hatte den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt. In der Hauptverhandlung vor der Berufungskammer des LG hat der Verteidiger dann für die Berufungsverhandlung die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt. Diesen Antrag hat das LG in der Hauptverhandlung per Kammerbeschluss mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorlägen. Dagegen sofortige Beschwerde, die im Ergebnis keinen Erfolg hatte:

„2. Das Rechtsmittel führt zwar zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, da dieser unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften ergangen ist, hat im Ergebnis aber keinen Erfolg.

a) Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls der Berufungsinstanz vom 28. Juni 2022 hat das Landgericht über den Beiordnungsantrag als Kammer unter Mitwirkung der Schöffen entschieden. Funktionell zuständig war gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO jedoch alleine die Vorsitzende. Dies gilt – über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehend – nicht nur für die Bestellung, sondern auch für die Ablehnung eines Antrags auf Beiordnung als Pflichtverteidiger (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 142 Rn. 18).

Der Verstoß gegen die funktionelle Zuständigkeit führt aufgrund der eingelegten Beschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und eigenen Sachentscheidung des Senats.

Soweit teilweise vertreten wird, eine Entscheidung des Kollegialgerichts sei unschädlich, weil sich der Vorsitzende seiner Entscheidungsmöglichkeit nicht begebe (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, ebenda, § 142 Rn. 18, unter Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 18. November 2003 – 1 StR 481/03 – juris und BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 1969 – II WDB 3/69 – juris), teilt der Senat diese Rechtsauffassung nicht (ebenso OLG Bamberg, Beschluss vom 29. April 2021 – 1 Ws 260/21 – juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. November 2021 – 1 Ws 278/21 – juris). Dagegen spricht bereits der eindeutige Wortlaut des § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO, der Ausnahmen nicht vorsieht. Auch handelt es sich bei der Ablehnung eines Antrags auf Pflichtverteidigerbestellung nicht um eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung, gegen die nach § 238 Abs. 2 StPO eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt werden kann (Senatsbeschluss vom 21. Juni 2022 – 5 Ws 118/22 – juris m.w.N.). Anders als bei § 238 Abs. 2 StPO ist es bei Einhaltung der Zuständigkeitsvoraussetzungen daher nicht möglich, dass es im Ergebnis zu einer von der Entscheidung des Vorsitzenden abweichenden Beschlussfassung kommt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die in Bezug genommene höchstrichterliche Rechtsprechung nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen. Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Jahr 2003 war nicht – wie hier – die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers, sondern dessen Bestellung. Hier sei der Verstoß – so der Bundesgerichtshof – angesichts der „Bedeutung einer ordnungsgemäßen Verteidigung“ unschädlich. Das Bundesverwaltungsgericht ging in seiner Entscheidung im Jahr 1969 bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers von einer Auffangzuständigkeit des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO im Rahmen der Hauptverhandlung aus.

b) Eine von dem Grundsatz des § 309 Abs. 2 StPO abweichende Zurückverweisung an die Vorsitzende der kleinen Strafkammer ist nicht geboten. Nachdem die zuständige Vorsitzende an der Entscheidung mitgewirkt hat, ist willkürliches Verhalten des Gerichts nicht erkennbar. Bei einer alleinigen Entscheidung durch die Vorsitzende wäre der Senat gleichermaßen für die Entscheidung über die Beschwerde zuständig gewesen. Damit wird dem Beschwerdeführer auch keine weitere Instanz genommen.

c) In der Sache war der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers unbegründet. Ein Fall der notwendigen Verteidigung war nicht gegeben. …..

Pflichti II: Entpflichtung des Pflichtverteidigers, oder: häufige Verhinderung, gestörtes Vertrauen, Ermessen

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Im zweiten Posting stelle ich drei Entscheidungen zur Entpflichtung vor, und zwar einmal BGH, einmal OLG Köln und einmal LG Hamburg. Ich stelle hier aber nur die Leitsätze der Entscheidungen ein. Die genauen Einzelhieten dann bitte ggf. in den verlinkten Volltexten nachlesen. Hier kommen dann.

Es ist aus einem „sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet, wenn der Pflichtverteidiger an acht von 16 Hauptverhandlungstagen verhindert ist. Bei der Prüfung der insoweit maßgeblichen Grundsätze ist das Interesse des Angeklagten an der Beibehaltung des bisherigen, terminlich verhinderten Pflichtverteidigers gegenüber der insbesondere in Haftsachen gebotenen Verfahrensbeschleunigung abzuwägen.

    1. Das Strafverfahren im Sinne von § 143 Abs. 1 StPO umfasst auch dem Urteil nachfolgende Entscheidungen, die den Inhalt des rechtskräftigen Urteils zu ändern oder zu ergänzen vermögen. Hierzu gehören auch Entscheidungen nach § 57 JGG.
    2. Liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, ist diese grundsätzlich gemäß § 143 a Abs: 1 Satz 1 StPO vorzunehmen. Ein Ermessen des Vorsitzenden des Gerichts, die Bestellung eines Verteidigers gleichwohl fortdauern zu lassen, besteht schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht.
    1. Der Beschuldigte muss die für eine etwaige Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses sprechenden Umstände, die zu einer Entpflichtung des Pflichtverteidigers führen soll,  hinreichend konkret vorbringen. Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe rechtfertigen, eine Entpflichtung nicht.
    2. Hinsichtlich des Entpflichtungsantrag eines Verteidigers gilt, dass die Frage, ob das Vertrauensverhältnis endgültig gestört ist, vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen ist. Der Beschuldigte soll die Entpflichtung nicht durch eigenes Verhalten erzwingen können. Ein im Verhältnis des Beschuldigten zum Verteidiger wurzelnder wichtiger Grund ist deshalb regelmäßig nicht anzuerkennen, wenn dieser Grund allein vom Beschuldigten verschuldet ist.

 

U-Haft III: Geringe Terminsdichte verzögert 7 Monate, oder: Warum meldet sich der Verteidiger nicht mal?

In der dritten Entscheidung des Tages, dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.10.2022 – 1 Ws 184/22 – geht es u.a. auch um die Terminsdichte.

Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache seit dem 13.03.2020 in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft erhob unter dem 27.07.2020 Anklage zur Jugendkammer des LG. Die Anklageschrift, beim LG am 10.08.2020 eingegangen, wurde dem Angeklagten, seiner ihn gesetzlich vertretenden Mutter und dem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt pp. aufgrund Verfügung des Vorsitzenden vom gleichen Tag zugestellt. Am 11.08.2020 wurden mit der Kanzlei des Verteidigers telefonisch Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung abgestimmt. Mit Beschluss vom 21.08.2020 ordnete der Vorsitzende der Jugendkammer Rechtsanwalt pp. als weiteren Pflichtverteidiger bei. Mit Beschluss vom 07.09.2020 ließ die Jugendkammer die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Zugleich wurde der Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift und des Eröffnungsbeschlusses neu gefasst und Haftfortdauer angeordnet. Mit Verfügung vom 08.09.2020 bestimmte der Vorsitzende der Jugendkammer Termin zur Hauptverhandlung auf den 21.09.2020 sowie abgestimmte 13 Fortsetzungstermine bis 28.01.2021.

Die Hauptverhandlung fand schließlich zwischen dem 21.09.2020 und dem 02.08.2022 an insgesamt 57 Verhandlungstagen statt. Mit Urteil vom 02.08.2022 wurde der Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von 10 Jahren verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Frankenthal legten Revision gegen das Urteil ein.

Der Angeklagte wendet sich mit seiner am 04.08.2022 erhobenen Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung unter Verweis auf eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes. Die Jugendkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerde hatte dann aber beim OLG Erfolg.

Das OLG nimmt zum Beschleunigungsgrundsazu auf der Grundlage der obergerichtlichen Rechtsprechung Stellung und legt da, dass er hier irreparabel verletzt ist, was zur Aufhebung des Haftbefehls führe:

„2. Das Verfahren ist gemessen an diesen Grundsätzen nicht mit der für Haftsachen erforderlichen Beschleunigung betrieben worden.

Bis zum Beginn der Hauptverhandlung ist zwar keine Verzögerung eingetreten. Auch hat die Hauptverhandlung bereits sechs Wochen nach Eingang der Anklageschrift begonnen. Die Planung und Durchführung der Hauptverhandlung ist aber dem Gebot einer vorausschauenden, auch größere Zeiträume umfassenden Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07 –, Rn. 52, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12 –, Rn. 52, juris), nicht gerecht geworden.

Bereits terminiert wurde mit einer Frequenz von durchschnittlich weniger als einem Verhandlungstag pro Woche. In der mehr als 22 Monate dauernden Hauptverhandlung wurde dann gerade einmal an 57 Tagen tatsächlich verhandelt, darunter waren zehn Kurztermine von unter einer halben Stunde. Selbst bei Berücksichtigung dieser Kurztermine (vgl. hierzu BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12, Rn. 52; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.12.2005 – 2 BvR 1964/05, Rn. 102) ergibt dies eine durchschnittliche wöchentliche Sitzungsdichte von 0,59 Tagen, die damit deutlich unter den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts liegt. Auch bei der Terminierung ab Februar 2021, mithin mehr als vier Monate nach Beginn der Hauptverhandlung, ist weiterhin mit durchschnittlich weniger als einem Verhandlungstermin pro Woche geplant worden. Insbesondere mit fortschreitender Dauer der Untersuchungshaft wäre jedoch eine Verdichtung der Termine – gegebenenfalls auch nur unter Teilnahme des Sicherungsverteidigers – zwingend erforderlich gewesen. Hier hätte das Landgericht berücksichtigen müssen, dass sich der Angeklagte im März 2021 bereits ein Jahr in Untersuchungshaft befand und dies nur in ganz besonderen Ausnahmefällen seine Rechtfertigung finden kann. Bis zum Ende der annähernd zwei Jahre dauernden Hauptverhandlung fand keine erkennbare Verdichtung der Termine statt.

Erkrankungen von Verfahrensbeteiligten können als schicksalhafte Ereignisse die Fortdauer der Untersuchungshaft trotz objektiv feststehender Verzögerung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73, juris Rn. 27; Beschluss vom 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, juris Rn. 18; Beschluss vom 11.06.2018 – 2 BvR 819/18, juris Rn. 30; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 70). Der Senat hat deshalb berücksichtigt, dass es zu Terminsaufhebungen wegen Krankheit, auch COVID-19-Erkrankungen sowie in diesem Zusammenhang erforderlichen Quarantänezeiten auf Seiten des Gerichts sowie weiterer Verfahrensbeteiligter gekommen ist.

Die für die 28.01.2021, 19.07.2021, 05.01.2022, 10.01.2022, 14.01.2022, 26.01.2022, 17.03.2022, 21.03.2022, 12.05.2022 und 19.07.2022 bestimmten Termine konnten aufgrund Erkrankung auf Seiten des Gerichts, des Sachverständigen, des Angeklagten oder der Verteidigung nicht stattfinden. Der Termin vom 06.12.2021 wurde wegen Verdachts einer COVID-19 Erkrankung aufgehoben. Zudem waren Termine am 08.10.2020, 21.01.2021, 24.01.2022 und 11.02.2022 aufgrund Erkrankung eines Sachverständigen nur als Kurztermine wahrnehmbar, da die eigentlich vorgesehene Beweisaufnahme nicht stattfinden konnte.

Es kann auch offen bleiben, ob sich die Zeiträume, in denen wegen Urlaubs der Kammermitglieder keine Termine stattfanden, in angemessenem Rahmen gehalten haben. Denn selbst bei Berücksichtigung aller Zeiten, in denen sowohl durch Urlaub von Kammermitgliedern als auch der Verteidigung eine Terminierung nicht möglich war, sowie der Termine, die infolge Krankheit auf Seiten des Gerichts und der weiteren notwendigen Verfahrensbeteiligten aufgehoben werden mussten, ergibt sich lediglich eine durchschnittliche wöchentliche Verhandlungsdichte von 0,86 Tagen.

Die Terminsdichte ist auch unabhängig von der Frage des Umfangs der durchzuführenden Beweisaufnahme sowie deren Komplexität, der Anzahl von – hier nicht relevanten – gestellten Verfahrens- und Befangenheitsanträge und der hierdurch bewirkten Verfahrensverzögerung zu beurteilen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07 –, Rn. 55 m.w.N., juris). Solche Gesichtspunkte können lediglich die Dauer der Hauptverhandlung, nicht aber die geringe Terminsdichte erklären. Besonderheiten, die zu der geringen Terminsdichte geführt haben, etwa die Durchführung weiterer Ermittlungen, die Suche nach erst während der Hauptverhandlung bekannt gewordenen Zeugen oder die Ladung von Auslandszeugen, sind nicht erkennbar und von dem Vorsitzenden in seiner dienstlichen Erklärung auch nicht angeführt worden.

Soweit die geringe Terminsdichte auf von der Verteidigung geltend gemachte Terminkollisionen zurückzuführen ist, führt dies nicht grundsätzlich dazu, dass der Justiz die Verfahrensverzögerung nicht anzulasten ist. Dies gilt auch dann, wenn derartige Terminkollisionen durch eine vorausschauende, weit in die Zukunft reichende Terminplanung wegen der Terminsbelastung des Verteidigers und des Sicherungsverteidigers nicht vermieden werden können. Die Strafkammer darf nicht ausnahmslos auf Terminkollisionen der Verteidiger Rücksicht nehmen. Vielmehr stellt sich dann die Frage, ob nicht bereits vor Beginn der Hauptverhandlung andere Pflichtverteidiger hätten bestellt werden müssen oder inwieweit die Verteidiger in der laufenden Hauptverhandlung mit Blick auf das Beschleunigungsgebot hätten verpflichtet werden können, andere – weniger dringliche – Termine zu verschieben, um eine Beschleunigung einer bereits lang dauernden Hauptverhandlung zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17.07.2006 – 2 BvR 1190/06 –, juris).

Das Recht eines Angeklagten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens vertreten zu lassen, gilt nicht uneingeschränkt, sondern kann entsprechend den einfachgesetzlichen Vorschriften der § 142 Abs. 5 Satz 3, § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO durch wichtige Gründe begrenzt sein (vgl. BVerfGE 9, 36, 38; 39, 238, 243 m.w.N.; siehe auch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25.09.2001 – 2 BvR 1152/01 –, NStZ 2002, S. 99 f.). Ein solcher Grund kann in bestimmten Konstellationen auch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen sein. Es ist deshalb von vornherein verfehlt, bei der Terminierung jede Verhinderung eines Verteidigers zu berücksichtigen. Vielmehr muss zwischen dem Recht des Angeklagten, in der Hauptverhandlung von einem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden, und seinem Recht, dass der Vollzug von Untersuchungshaft nicht länger als unbedingt nötig andauert, sorgsam abgewogen werden. Die Terminslage des Verteidigers kann angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) nur insoweit berücksichtigt werden, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.02.2007 – 2 BvR 2563/06 –, BVerfGK 10, 294-308, Rn. 37 f.).

Soweit sich aus der Akte ergibt, dass der Pflichtverteidiger bereits bei der ersten Absprache der Termine dargestellt hatte, dass er nicht an einer an den dargelegten Voraussetzungen zu messenden Terminsfrequenz zur Verfügung stehen könne, hätte folglich der Austausch des Pflichtverteidigers nahe gelegen.

Ob eine Terminsverdichtung auch mit Blick auf weitere Haftsachen der Kammer nicht erfolgt ist, kann offen bleiben. Die außerordentliche Belastung der Jugendkammer des Landgerichts kann eine Verfahrensverzögerung nicht rechtfertigen. Eine Überlastung der Kammer ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen.

3. Damit ist die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig.

Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung befand sich der Angeklagte seit über 28 Monaten in Untersuchungshaft. Bereits die ursprüngliche Terminsbestimmung blieb mit 14 Verhandlungstagen in 19 Wochen hinter den Anforderungen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zurück. Auch die weitere Planung der Hauptverhandlung wurde diesen Vorgaben mit 68 Verhandlungstagen in (mehr als) 97 Wochen nicht gerecht, zumal verschiedene Termine lediglich als Ersatztermine für ausgefallene Verhandlungstage bestimmt wurden. Tatsächlich wurde in dem genannten Zeitraum dann lediglich an 57 Tagen verhandelt. An 20 dieser Verhandlungstage wurde weniger als zwei Stunden verhandelt. Im Durchschnitt ist in dem Verhandlungszeitraum nur etwas mehr als 1 1/2 Stunden pro Woche verhandelt worden. Da es sich bei dem in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten zunächst noch um einen Jugendlichen, später Heranwachsenden handelte, war dem Beschleunigungsgebot auch gem. § 72 Abs. 5 JGG besonders Rechnung zu tragen (Pfälzisches OLG Zweibrücken, Beschluss vom 09.04.2002 – 1 HPL 12/02 –, juris).

Der Angeklagte ist wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von 10 Jahren verurteilt worden. Zu Recht führt die Generalstaatsanwaltschaft dazu aus, der Angeklagte sei wegen schwerster Straftaten schuldig gesprochen und zur Höchststrafe verurteilt worden, die gegen einen Jugendlichen nach dem Jugendgerichtsgesetz verhängt werden kann.Das Verfahren war schon aufgrund der Tatvorwürfe auch durchaus komplex. Die Hauptverhandlungstermine bedurften nicht nur der Abstimmung mit den Verteidigern, sondern auch mit weiteren Rechtsanwälten, mehreren Sachverständigen und vier Schöffen; allerdings ist insoweit zu beachten, dass von den Sachverständigen allenfalls der psychiatrische Sachverständige während der gesamten Beweisaufnahme anwesend sein musste und eine Verhinderung der anwaltlichen Vertreter der Nebenkläger gem. § 398 StPO der Terminierung nicht entgegenstand. Schließlich gestaltete sich die Vernehmung der Nebenklägerinnen schon im Hinblick auf die Tatvorwürfe sicherlich ausgesprochen schwierig, bedurfte deshalb einer entsprechenden organisatorischen Vorbereitung und konnte auch nicht unter Zeitdruck durchgeführt werden.

Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Einzelnen und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates ist zu berücksichtigen, dass sich das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs durch die Verurteilung des Angeklagten ganz erheblich vergrößert hat.

Die durch die geringe Terminsdichte eingetretene Verzögerung beträgt mehr als sieben Monate (32 Wochen). Der Senat ist bei dieser Schätzung davon ausgegangen, dass die tatsächlich für die Hauptverhandlung benötigten 57 Verhandlungstage regelmäßig in weniger als 57 Wochen stattfinden müssen. Die 20 Sitzungstage mit einer Dauer von unter zwei Stunden hat der Senat lediglich als halbe Verhandlungstage berücksichtigt mit der Folge, dass sich die an sich notwendige Verhandlungsdauer auf 47 Wochen reduziert. Danach hat der Senat die von dem Vorsitzenden genannten Urlaubszeiten der Richter und Verfahrensbeteiligten (in den Kalenderwochen 42, 43, 44, 52 sowie 53 im Jahr 2020 und in den Kalenderwochen 13, 14, 21, 22, 31, 32, 33, 34, 41 und 42 im Jahr 2021) sowie die Krankheitszeiten (in den Kalenderwochen 3, 4 und 29 im Jahr 2021) hinzugerechnet. Mithin hätte die Hauptverhandlung nach 65 Wochen beendet sein müssen, hat sich aber tatsächlich 97 Wochen hingezogen. Allerdings wurde mit dem besonders zügigen Beginn der Hauptverhandlung ein Zeitraum von sechs Wochen kompensiert, was die Verzögerung auf knapp sechs Monate (26 Wochen) zurückführt. Eine weitere Kompensation der Verzögerung im Revisionsverfahren ist nicht mehr zu erwarten. Dies ist zwar – etwa durch eine besonders beschleunigte Absetzung der Urteilsgründe – theoretisch möglich; auf die entsprechende Anfrage hat der Vorsitzende der Strafkammer allerdings am 22.09.2022 mitgeteilt, dass die Urteilsgründe noch nicht abgesetzt sind.

Die schon von ihrer Dauer her erhebliche Verzögerung wiegt im vorliegenden Fall besonders schwer, weil sie nicht durch schicksalhafte Ereignisse eingetreten ist, sondern bereits durch die unzureichende Terminierung angelegt war. Hinzukommt, dass nicht nur an zu wenigen Tagen in dem langen Zeitraum der Hauptverhandlung verhandelt worden ist, sondern auch noch die tatsächlich stattgefundenen Verhandlungstage mit einer durchschnittlichen Verhandlungsdauer von knapp drei Stunden nur unzureichend genutzt worden sind. Ein Bemühen, die Verhandlungsdichte im Laufe der Hauptverhandlung zu irgendeinem Zeitpunkt zu erhöhen, ist nicht erkennbar. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Senat bei der Schätzung des Ausmaßes der Verfahrensverzögerung lediglich eine Terminsdichte zugrunde gelegt hat, bei der das Landgericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben gerade noch eingehalten gehabt hätte.

Dieser krasse Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz ist auch vor dem Hintergrund des hohen Gewichts des Strafanspruchs im vorliegenden Fall und unter Berücksichtigung der Überlegung, dass nach einer Verurteilung Verfahrensverzögerungen geringeres Gewicht beizumessen ist, nicht hinnehmbar.

Dass die Verteidigung während der annähernd zwei Jahre laufenden Hauptverhandlung zu keinem Zeitpunkt eine Verzögerung des Verfahrens gerügt hat, ist befremdlich, aber unerheblich und macht lediglich deutlich, dass eine Rücksichtnahme auf stark ausgelastete Verteidiger und die Bestellung eines Sicherungsverteidigers, der regelmäßig mit demselben (Haupt-)Verteidiger die Verteidigung übernimmt, mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigungsmaxime nur schwer vereinbar ist….“

Warum sich der Verteidiger beim dem Ablauf nicht mal „gemeldet“ hat, erschließt sich mir (auch) nicht.

U-Haft II: Zahl/Dichte von gerichtlichen Terminen, oder: „Wäre sowieso nicht möglich gewesen“ Argumentation“

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Die zweite Entscheidung zu Haftfragen, der OLG Hamm, Beschl. v. 15.09.2022 – 5 Ws 243/22 – befasst sich mit dem Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S. von § 121 Abs. 1 StPo – also „Sechs-Monats-Prüfung“.

Der Sachverhalt der Entscheidung lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen: Der Angeklagte befindet sich seit dem 02.03.2022 ununterbrochen in U-Haft. Die StA hat am 23.05.2022 Anklage gegen ihn wegen schwerer Körperverletzung und zwei weitere Angeklagte wegen Beihilfe beim LG erhoben. Das LG hat eine Frist zur Stellungnahem von drei Wochen festgesetzt. Am 18.07.2022 hat der Berichterstatter vermerkt, dass ihm die Akte nunmehr das erste Mal vorgelegen habe. Eine Entscheidung zu einem früheren Zeitpunkt sei der Kammer aufgrund Überlastung durch zahlreiche laufende Verfahren sowie der Erkrankungen des Vorsitzenden und dessen Stellvertreters nicht möglich gewesen. Die Kammer hat am selben Tag die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem AG beschlossen.

Nach Eingang der Akten am 19.07.2022 hat das AG am 25.07.2022 Terminsvorschläge für den 25.08.2022, 15.09.2022 und 06.10.2022 unterbreitet. Während der Verteidiger des Angeklagten alle drei Termine hätte wahrnehmen könnte, war der Verteidiger eines Mitanklagen verhindert; der Verteidiger des anderen Mitangeklagten hat nicht reagiert. Unter dem 16.08.2022 schlug die Vorsitzende des Schöffengerichts sodann als weitere Termine den 17.10.2022, 31.10.2022, 10.11.2022, 17.11.2022, 21.11.2022, 24.11.2022 und dem 01.12.2022 vor.

Mit Beschluss vom 16.8.2022 hat das AG die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die Akten gem. §§ 121, 122 StPO dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Das OLG hat die Voraussetzungen des Haftbefehls bejaht und die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet.

Das OLG meint, dass das Verfahren zwar nicht hinreichend gefördert worden sei, meint aber dann:

„(4) Die vorstehend unter (3) beschriebene, nicht hinreichende Verfahrensförderung hat jedoch im Ergebnis nicht zu einer Verfahrensverzögerung geführt, so dass insofern keine Verletzung des Beschleunigungsgebots gegeben ist.

Auf die Anfrage des Senats haben sämtliche Verteidiger mitgeteilt, an welchen Tagen eine Terminierung im Oktober 2022 hätte stattfinden können, wenn diese am 16.08.2022 vom Amtsgericht angefragt worden wäre. Nach den erteilten Auskünften ist davon auszugehen, dass nach Urlaubsrückkehr der Vorsitzenden zum 04.10.2022 Rechtsanwalt S am 12.10.2022, 17.10.2022 und 24.10.0222 verhindert gewesen wäre und Rechtsanwalt O lediglich am 05.10.2022, 07.10.2022, 10.10.2022, 13.10.2022 und 18.10.2022 zur Verfügung gestanden hätte. Rechtsanwalt R hätte sich – die etwaige außerplanmäßige Fortsetzung des von ihm in der Stellungnahme vom 12.09.2022 angesprochenen Schwurgerichtsverfahrens ließ keine andere Planung zunächst im Zeitraum vom 04.10.2022 bis zum 16.10.2022 im Urlaub befunden und war im Zeitraum vom 17.10.2022 bis 31.10.2022 vollständig austerminiert. Selbst bei der gebotenen Verfahrensförderung durch die Unterbreitung weiterer Terminsvorschläge wäre daher eine Terminierung unter Beteiligung der weiteren Pflichtverteidiger Rechtsanwalt R und Rechtsanwalt O im Oktober 2022 nicht zustande gekommen.

(5) Für den Monat November 2022 sind von der Vorsitzenden Richterin insgesamt vier Terminsvorschläge unterbreitet worden. Der Senat kann offen lassen, ob diese Anzahl hinreichend ist. Jedenfalls sind am 10.11.2022 und 17.11.2022 Hauptverhandlungstermine und damit der erste Termin noch im ersten Drittel des Monats November 2022 zustande gekommen, so dass es insofern nicht zu einer wesentlichen Verfahrensverzögerung gekommen ist.

(6) Schließlich ist bis zum jetzigen Verfahrensstadium nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende Richterin nicht durch Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten eine zügigere Terminierung ermöglicht hat. Soweit ein früherer Prozessbeginn an der Verhinderung des Verteidigers des nicht inhaftierten Angeklagten scheitert, ist zwar an die Möglichkeit der Trennung der Verfahren in diesem Zusammenhang zu denken. (Gärtner in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 121 StPO). Die Trennung steht gleichwohl im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, 8. Aufl. 2019, § 2 StPO Rn. 14). In die Gesamtabwägung sind hierbei insbesondere der Freiheitsanspruch des Betroffenen und das Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit einzustellen. Danach ist vorliegend einerseits zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bis zum Beginn der Hauptverhandlung acht Monate und eine Woche in Untersuchungshaft verbracht haben wird. Zum anderen wären die abgetrennten Angeklagten, worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift zutreffend hingewiesen hat, ebenfalls zu laden gewesen und hätten von ihrem Recht auf Verweigerung der Aussage Gebrauch machen können. Insbesondere im Hinblick darauf dass der Mitangeklagte D sich am 27.05.2022 umfangreich gegenüber der Polizei eingelassen hat, wäre daher eine erhebliche Behinderung der Sachaufklärung zu besorgen gewesen. Wegen des gewichtigen Tatvorwurfs überwiegt jedenfalls gegenwärtig das Strafverfolgungsinteresse noch den Freiheitsanspruch des Angeklagten, so dass dieser (noch) zurückzutreten hat.

(7) Gleiches gilt im Ergebnis, soweit der Verteidiger des Angeklagten nunmehr die Auffassung vertritt, dass die Pflichtverteidiger der Mitangeklagten von ihren Pflichten hätten entbunden werden können, um eine zügigere Durchführung des Verfahrens zu ermöglichen. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs überwog jedenfalls im damaligen Verfahrensstadium das Interesse der Angeklagten von den Verteidiger ihres Vertrauens verteidigt zu werden. Dass Rechtsanwalt R zwischenzeitlich mitgeteilt hat, dass aufgrund seiner starken Terminsbelastung nunmehr die Terminswahrnehmung durch seinen Kanzleikollegen Rechtswalt T angedacht sei, rechtfertigt keine andere Bewertung, da dies für das Gericht nicht erkennbar und dies nicht gehalten war, dem Mitangeklagten E einen Verteidigerwechsel anzusinnen.“

Ob das so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Mich würde schon interessieren, was das BVerfG dazu sagen würde. Denn das OLG argumentiert mit einer „Kompensation verkehrt“, nämlich nicht damit, dass, was zum Teil als zulässig angesehen wird, Verzögerungen durch spätere besondere Beschleunigung kompensiert werden können, sondenr segnet die Verzögerungen mit der hypothetischen Überlegung ab, die Verhandlung habe an den grundsätzlich gerichtlich im Oktober zusätzlich anberaumten Terminen wegen Verhinderung der Verteidiger der Mitangeklagten ohnehin nicht durchgeführt werden können. Also eine „Wäre sowieso nicht möglich gewesen“ Argumentation“. Und. Die Ausführungen des OLG zur Frage der Abtrennung des Verfahrens gegen den inhaftierten Angeklagten sind m.E. auch nicht überzeugend. Fazit: Man will den Haftbefehl eben halten.