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StPO III: Polizei vor Ort ==> Gefahr im Verzug?, oder: OStAin sieht das anders ==> Beweisverwertungsverbot

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Ich hatte im Frühsommer über das AG Hamburg- St. Georg, Urt. v. 19.04.2022 – 942 Ls 209/21 berichtet (vgl. Durchsuchung II: OStAin sollte zur Fortbildung, oder: Wenn Polizei vor Ort keine “Gefahr im Verzug”). Dem Verfahren lag u.a. das Ergebnis einer Durchsuchung bei dem Angeklagten zugrunde, die wegen Gefahr im Verzug von der (zuständigen) OStAin angeordnet worden war, nachdem sich eine Polizeibeamtin bei ihr gemeldet hatte, die morgens um gegen 10.00 Uhr eine Durchsuchung durchführte, die sich gegen andere Beschuldigte richtete. Dabei war man auch bei dem in der Wohnugn anwesenden Angeklagten auf BtM gestoßen. Die Polizei war und blieb vor Ort. Eine richterliche Anordnung der Durchsuchung der Räume des Angeklagten wurde nicht eingeholt.

Wegen des genauen Sachverhalts verweise ich auf das o.a. AG-Urteil und auf das LG Hamburg, Urt. v. 02.11.2022 – 711 Ns 45/22, das nun vorliegt. Denn: Die Staatsanwaltschaft ist gegen den Freispruch durch das AG natürlich in Berufung gegangen und hat sich jetzt auch beim LG eine Abfuhr geholt. Denn auch das LG geht von der Unverwertbarkeit der gefundenen „Beweismittel“ aus:

„Die im Rahmen der Zimmerdurchsuchung aufgefundenen Gegenstände konnten auf Grund eines Beweisverwertungsverbotes nicht zu Lasten des Angeklagten bei den Fest-stellungen berücksichtigt werden, so dass er aus rechtlichen Gründen freizusprechen war.

Die erfolgte Durchsuchung war rechtswidrig. Eine Durchsuchung darf nur mit Zustimmung des Betroffenen oder nach §§ 102, 105 StPO nach richterlichem Beschluss oder bei Gefahr im Verzuge durchsucht werden. Eine gemäß § 105 Abs. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die handelnden Beamten haben auch keine Zustimmung des Angeklagten im Vorwege eingeholt. Das bloße Dulden einer Durchsuchung stellt keine konkludente Zustimmung zur Durchsuchung dar (vgl. Urteil des OLG Köln vom 27.10.2009, 81 Ds 65/09, juris).

Die Anordnung der Durchsuchung durch die Staatsanwältin beruhte auch nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der Eilkompetenz.

Es lag keine Gefahr im Verzug vor, da ein Beweismittelverlust nicht zu befürchten war. Gefahr im Verzug liegt vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. BVerfGE 103, 142 ff., BGHSt 51, 285ff). Die Ermittlungsbehörden haben dabei grundsätzlich ein eigenes Prüfungsrecht, ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht oder nicht, dürfen aber Gefahr im Verzug nicht vor-schnell annehmen, damit bei Wohnungsdurchsuchungen nicht die grundgesetzlich verankerte Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen wird. Aus diesem Grund reichen Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf Alltagserfahrungen gestützte fallunabhängige Vermutungen nicht aus, Gefahr im Verzug zu begründen. Regelmäßig ist daher der Versuch zu unternehmen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.

Gemessen hieran ist die Annahme von Gefahr im Verzug nicht tragfähig begründet. Das Zimmer war gesichert, der Angeklagte machte keinerlei Anstalten, sein Zimmer betreten zu wollen. Auf die Frage, ob der Angeklagte mit Zwangsmitteln an einem Betreten seines Zimmers hätte gehindert werden dürfen oder nicht kommt es daher nicht an. Es handelt sich hierbei um eine nicht durch Tatsachen belegte hypothetische Erwägung, die im Widerspruch zum tatsächlichen Geschehen stand. Es drohte kein Beweismittelverlust, was die Beamtin vor Ort auch so eingeschätzt hat. Die zuständige Ermittlungsrichterin oder ein Vertreter im Amt wäre an einem Donnerstag um 10.30 Uhr unfraglich unverzüglich erreichbar gewesen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass hier keine zügige Entscheidung hätte ergehen können.

Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt im vorliegenden Fall auch zu einem Beweisverwertungsverbot.

Grundsätzlich muss im Einzelfall auf Grund einer umfassenden Abwägung des Interesses der Allgemeinheit nach einer wirksamen Strafverfolgung mit dem Interesse des Betroffenen an der Einhaltung der Verfahrensvorschriften geprüft werden, ob eine rechtswidrige Durchsuchung auch eine Unverwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel zur Folge hat. Bei der Abwägung bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall angenommen werden kann. Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis durch das Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes. Dabei ist ein Beweisverwertungsverbot zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wurden (vgl. Urteil des BGH vom 6.10.2016 mwN, NStZ 2017, S. 367ff.).

Ein solcher schwerwiegender Verfahrensverstoß lag zur Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall vor.

In der vorgenannten Entscheidung vom 6. Oktober 2016 hat der BGH es für einen schwerwiegenden Verstoß ausreichen lassen, dass die Staatsanwältin nach einem Kontakt mit dem Eildienstrichter, der eine Papierlage verlangte, um zu entscheiden, Eilbedürftigkeit angenommen hat. Der BGH hat in einem anderen Fall, in dem ein Angeklagter nachmittags wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln festgenommen wurde, eine Durchsuchung aber erst um 20 Uhr auf Gefahr im Verzuge von der Staatsanwaltschaft angeordnet wurde, einen vergleichbar schwerwiegenden Verstoß angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007, BGHSt 51, 285ff.). Danach habe der Staatsanwalt eine Stunde vor Beginn der Nachtzeit nicht einmal erwogen, einen Ermittlungsrichter zu kontaktieren und auch nicht die ihm obliegende Pflicht erfüllt, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens und damit für die Einhaltung des Richtervorbehaltes durch die Polizei Sorge zu tragen, nämlich möglichst frühzeitig auf den Erlass eines Beschlusses hinzuwirken.

Das hier vorliegende Geschehen ist mit dem Verhalten der Staatsanwaltschaft in den vom BGH entschiedenen Fällen vergleichbar, zur Überzeugung der Kammer sogar schwerwiegender. Vorliegend hatte die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal versucht, ei-nen Ermittlungsrichter zu erreichen, sondern hatte die Gefahr im Verzug auf eine hypothetische Annahme gestützt. Die Beamtin Noack war nach ihren Angaben in der Hauptverhandlung davon ausgegangen, dass die StAin versucht habe, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, dafür sei genügend Zeit gewesen. Die Annahme wegen Gefahr im Verzug wurde im vorliegenden Fall zumindest ohne Nachfrage zur konkreten Situation einfach aus allgemeinen kriminalistischen Überlegungen dahingehend, dass bei einer geplanten Durchsuchung eines bei der Durchsuchung anwesenden Beschuldigten stets ein Beweismittelverlust drohe, getroffen. Würde man dies zulassen, könnte in der Folge in allen Fällen der An-wesenheit des Beschuldigten Gefahr in Verzug angenommen werden. Eine solche generelle Regel wäre aber grob grundrechtswidrig und würde den Richtervorbehalt erheblich aushöhlen.

Im vorliegenden Fall hat die Polizeibeamtin entweder unvollständige oder unklare Angaben gemacht zur Situation, so dass hierin ein erheblicher Verstoß zu liegen wäre oder die Staatsanwältin hat es versäumt, zur konkreten Situation und einem drohenden Beweismittelverlust nachzufragen, was ihr als „Herrin des Verfahrens“ oblegen hätte. Bereits bei Nachfrage zur aktuellen Situation wäre der Staatsanwältin von der Beamtin erklärt worden, dass keine Gefahr im Verzug vorlag, so dass die Annahme von Gefahr in Verzug nicht erfolgt wäre. Damit wurde die konkrete Situation nicht ausreichend aufgeklärt, was ein erheblicher Verstoß gegen die notwendige Aufklärungspflicht darstellt.

Soweit der BGH in dem Urteil vom 17. Februar 2016 (2 StR 25/15, juris) angenommen hat, dass trotz Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei einer Durchsuchung kein Verwertungsverbot vorliege, besteht der wesentliche Unterschied darin, dass es hier nicht um die grundgesetzlich geschützte Durchsuchung einer Wohnung ging, sondern um die Durchsuchung eines in einem sichergestellten und zuvor entwendeten Autos befindlichen Rucksackes und einer darin befindlichen Geldkassette zur Identitätsfeststellung.

In dem Beschluss des BGH vom 21. April 2016 (2 StR 394/15, juris) wurde wiederum vom BGH ein Beweisverwertungsverbot angenommen: Die Polizei hatte den dortigen An-geklagten wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung festgenommen und ihm Fahrzeugschlüssel abgenommen und 10 Tage später das passende Fahrzeug auf der Straße abgeparkt entdeckt. Der Staatsanwalt, der nicht wusste, dass die Tat 10 Tage zuvor begangen worden war, ordnete eine Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug an ohne auch nur versucht zu haben, einen Ermittlungsrichter zu kontaktieren. Der BGH hat in diesem Verfahren deutlich gemacht, dass es auf die Frage einer etwaigen Fehlvorstellung des Staatsanwaltes nicht ankomme, da diese Fehlvorstellung – wie im vorliegenden Fall – auf nicht nachzuvollziehender unvollständiger Information beruht und diese auch nicht rechtfertige, dass es an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten nicht einmal versucht wurde, eine richterliche Entscheidung zu erlangen. Zwar war im dortigen Fall der An-geklagte in Untersuchungshaft und nicht wie im vorliegenden Fall vor Ort, jedoch bestand dennoch eine damit vergleichbare stabile Situation ohne drohender Gefahr eines Beweismittelverlustes und eine Entscheidung auf unvollständiger Datenbasis.

Insoweit kommt es auch auf die Tatsache, ob bei einem hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlauf ein Durchsuchungsbeschluss erlassen worden wäre und ob es sich bei der Durchsicht des Zimmers des Angeklagten um tatsächlich eine solche handelte, da man bereits von der Tür aus erkennen konnte, ob jemand im Zimmer ist oder nicht, nicht an.

Dem Aspekt des möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufes kommt bei -wie hier – grober Verkennung des Richtervorbehaltes nämlich keine Bedeutung zu. Würde man in solchen Fällen stets anerkennen, dass der hypothetische rechtmäßige Ersatzeingriff eine Rolle spielen dürfte, würde dadurch der Richtervorbehalt unterlaufen werden und auf eine nachträgliche Überprüfung beschränkt werden, was vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt war. Es würde sogar ein Ansporn entstehen, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde aber das wesentliche Erfordernis eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen.

Angemerkt sei darüber hinaus, dass die Staatsanwältin vorliegend auch nur von dem Verdacht des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln ausgegangen ist und nicht von einem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und eine Wohnungsdurchsuchung regelmäßig dann nicht rechtmäßig ist, wenn konkrete Hinweise auf größere Mengen von Betäubungsmitteln nicht vorliegen (vgl. Urteil des OLG Hamburg vom 23. März 2007, 3-4/07 (REV) 1 Ss 5/07, juris).“

StPO II: „Ausforschungsdurchsuchung“ ist unzulässig, oder: Durchsuchung erst nach 11 Monaten

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Die zweite Entscheidung, dem LG Rostock, Beschl. v. 02.11.2022 – 11 Qs 126/22 (2) – hat eine Durchsuchungsmaßnahme zum Gegenstand, die auf den Angaben der ehemaligen Lebensgefährtin des Beschuldigten beruht. Die erstattet am 19.06.2020 Anzeige gegen den Beschuldigten wegen Körperverletzung zum Nachteil ihres Sohnes. Dabei gibt sie an, der ehemalige Lebensgefährte sei „dauerhafter Betäubungsmittelkonsument“, konsumiere überwiegend Alkohol und. Kokain in regelmäßigen Abständen. Er habe ihr auch mal Cannabis im Wert von 20,- EUR verkauft, woher er die Betäubungsmittel beziehen würde, wisse sie nicht. Daraufhin wird am 24.07.2020 eine Strafanzeige von Amts wegen gegen den Beschulidgten wegen Besitzes und Abgabe von Betäubungsmitteln erstattet, das Verfahren jedoch ohne weitere Ermittlung nach Gewährung rechtlichen Gehörs am 22.02.2021 an die Staatsanwaltschaft abverfügt. Auf entsprechende Ermittlungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 31.03.2021 wird die Zeugin dann am 10.06.2021 zu ihren Angaben aus Juni 2020 ergänzend förmlich vernommen. Zum Erwerb des Cannabis vom Beschwerdeführer gibt sie an, dass sie dazu „nicht wirklich was wisse“, dies schon eine ganze Zeit her sei und sie dazu eigentlich auch nichts sagen wolle. Sie habe für die 20,- EUR ungefähr zwei Gramm Cannabis erhalten, dies sei das einzige Mal gewesen. Ob der Beschuldigte auch anderen Personen Betäubungsmittel verkauft habe, wisse sie nicht. Sie habe ihn seit dem Vorfall vor einem Jahr auch nicht mehr gesehen, sie sei sich aber sicher, dass er bis dahin Kokain konsumiert habe. Woher er das Kokain beziehe, wisse sie nicht. Auf die Frage, ob sie wisse, ob und ggf. wo der Beschuldigte in seiner Wohnung Betäubungsmittel lagere, verweigerte sie Angaben.

Das AG hat daraufhin mit Beschluss vom 24.06.2021 die Durchsuchung der Wohnung und der Person des Beschuldigten angeordnet. Ohne zwischenzeitliche weitere Ermittlungsmaßnahmen ist fünfeinhalb Monate nach Erlass der Durchsuchungsanordnung festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer umgezogen war, so dass die Staatsanwaltschaft eine entsprechende „Abänderung“ des Durchsuchungsbeschlusses beantragt hat. Mit Beschluss vom 02.12.2021, der sich im Wortlaut von der Anordnung aus Juni 2021 lediglich in der Wohnanschrift des Beschuldigten unterschied, hat das AG die Durchsuchung angeordnet. Der Vollzug der Durchsuchungsanordnung vom 02.12.2021 erfolgte am 17.05.2022, mithin fünfeinhalb Monate nach deren Erlass.

Die Beschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg:

„Vorliegend bestehen bereits durchgreifende Bedenken, dass bei der Durchsuchung aufgrund kriminalistischer Erfahrung die begründete Aussicht bestanden hat, dass der Zweck der Durchsuchung erreicht werden kann. Denn die Durchsuchungsanordnung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die erst zur Begründung eines Verdachtes erforderlich sind (BVerfG StV 2013, 609), sog. Ausforschung. Nach Angaben der Zeugin pp. im Juni 2020 war offenkundig nicht zu erwarten, dass eine Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer Beweismittel für die einmalige Abgabe von zwei Gramm Cannabis erbringen werde. Ebenso wenig war wahrscheinlich, dass bei der Durchsuchung der Wohnung – eineinhalb Jahre nach dem Hinweis der Zeugin – Kokain zum Eigenkonsum aufgefunden werde, zumal über die Regelmäßigkeit, Menge und Lagerung von der Zeugin gerade keine Angaben gemacht worden sind. Angesichts dieser geringen Aussicht auf einen Durchsuchungserfolg hinsichtlich der in Rede stehenden Tatvorwürfe und unter Beachtung der im Beschluss benannten aufzufindenden Beweismittel, liegt es vielmehr nahe, dass die Durchsuchung der Ausforschung der Wohnung gerade erst zur Begründung eines Tatverdachts des Handeltreibens gedient hat. Somit stand die Maßnahme nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftaten und zur Stärke des Tatverdachts (vgl. Mey-er-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 102 StPO, Rn. 15a).

Die Durchsuchungsmaßnahme vom 17.05.2022 ist auch wegen des Zeitablaufs unverhältnismäßig: Ein schwindendes Ahndungsbedürfnis für die Straftat infolge Zeitablaufs kann die Angemessenheit der Zwangsmaßnahme entfallen lassen (BVerfG, Beschluss vom 27.05.1997 – 2 BvR 1992/92). Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu sichern vermag und damit unzulässig ist (vgl. BVerfGE aaO, Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 105 StPO, Rn. 8a). Nach Maßgabe objektiver Kriterien wie beispielsweise Art des Tatverdachts und Schwierigkeit der Ermittlungen kann der Durchsuchungsbeschluss auch schon früher seine rechtfertigende Wirkung verlieren (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 105 StPO, Rn. 8a). So liegt es hier: Angesichts der einfachen Sachlage und der in Rede stehenden Straftaten der Abgabe von Cannabis in geringer Menge in einem Fall und Besitz von Kokain zum Eigenbedarf ist hier bereits nach fünfeinhalb Monaten die rechtfertigende Wirkung der Anordnung entfallen. Dies erst recht, da nach dem Durchsuchungsbeschluss vom 24.06.2021 zuvor bereits fünfeinhalb Monate verstrichen waren, mithin insgesamt 11 Monate seit Erlass der ersten Durchsuchungsanordnung.“

StPO I: Übernahme des vorformulierten Beschlusses, oder: Genügend Indiztatsachen für Anfangsverdacht?

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Heute dann dreimal Durchsuchung, also StPO, und zwar drei LG-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich hier den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.11.2022 – 12 Qs 49/22 – vor. Ergangen ist er in einem Verfahren gegen einen Apotheker wegen Abrechnungsbetrugs. In em ist aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des AG vom 19.03.2021 eine Durchsuchung durchgeführt worden, wobei die Sichtung der dabei gesicherten elektronischen Daten derzeit noch andauert. Gegen den hat der Beschulidgte bereits einmal Beschwerde eingelegt, nun hatte er mit Schriftsatz eines neuen Verteidiger erneut Beschwerde eingelegt, die beim LG (erneut) keinen Erfolg hatte:

„b) Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil der Durchsuchungsbeschluss rechtmäßig ergangen ist.

aa) Die Beschwerde meint, vor Beschlusserlass habe eine eigenverantwortliche Prüfung des Tatvorwurfs durch das Ermittlungsgericht nicht stattgefunden, sodass der Durchsuchungsbeschluss schon aus diesem Grund aufzuheben sei.

Dieser These schließt sich die Kammer nicht an. Das Fehlen der gebotenen Einzelfallprüfung durch die Ermittlungsrichterin folgt nicht schon daraus, dass sie den Durchsuchungsbeschluss nicht selbst ausformuliert, sondern – entsprechend der hiesigen ständigen Praxis in Wirtschaftsstrafverfahren – die ihr von der StA (bzw. hier der GenStA) vorformuliert vorgelegten Beschlussentwürfe unterzeichnet hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14, juris Rn. 19; Kammer, Beschluss vom 24. September 2021 – 12 Qs 66/21, juris Rn. 15; krit. Meyer-Mewes, HRRS 2020, 286, 288 f.). Von fehlender eigener Prüfung könnte etwa ausgegangen werden, wenn sich die Beschlussbegründung in formelhaften Floskeln ohne Einzelfallbezug oder in der bloßen Benennung des zugrunde liegenden Straftatbestandes erschöpft (BVerfG, Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00, juris Rn. 16; Beschluss vom 8. April 2004 – 2 BvR 1821/03, juris Rn. 16 ff.), oder wenn das Ermittlungsgericht sinnentstellende Fehler oder sonst offenkundige Mängel des Antrags der Staatsanwaltschaft unkorrigiert übernimmt (BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14, juris Rn. 19; vgl. auch Tsambikakis in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 46 m.w.N.).

So liegen die Dinge hier nicht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die sachbearbeitende Staatsanwältin unmittelbar vor der Zuleitungsverfügung an das Ermittlungsgericht einen fünfseitigen Vermerk zur Akte gebracht hat, in dem sie den Ermittlungsstand in tatsächlicher Hinsicht zusammenfasste und sich mit dessen rechtlichen Implikationen auseinandersetzte – auch im Hinblick auf § 11 Abs. 1 ApoG, § 7 AVV sowie auf die Auswirkungen von Verstößen hiergegen für die Abrechnung gegenüber den Kassen. Damit hatte die Ermittlungsrichterin über den Beschlussentwurf und den blanken Akteninhalt hinaus einen Interpretationsvorschlag an der Hand, den sie prüfen konnte. Der angegriffene Beschluss selbst weist keine groben handwerklichen Fehler auf, enthält eine individualisierte Sachverhaltsschilderung und interpretiert sie in vertretbarer Weise als strafrechtlich relevant. Die von der Beschwerde im Schriftsatz vom 20. Oktober 2022 (S. 5 ff.) formulierten Einwendungen sind so speziell, dass aus dem Fehlen einer expliziten Erörterung der ihnen zugrundeliegenden Rechtsfragen in der Begründung des Durchsuchungsbeschlusses nicht gefolgert werden kann, die Ermittlungsrichterin habe diese Rechtsfragen nicht geprüft, sollte es für sie darauf angekommen sein. Die schriftliche Begründung eines Durchsuchungsbeschlusses ist nicht der Ort, alle Prüfungsschritte im Detail zu dokumentieren, die das Ermittlungsgericht in der gedanklichen Durchdringung des Stoffs abgearbeitet hat.

Schließlich folgt das Fehlen der individuellen Befassung der Ermittlungsrichterin mit dem Stoff nicht daraus, dass sie in ihrer Zuleitungsverfügung vom 26. August 2022 vermerkt hat, der Vorgang sei ihr unbekannt und eine Prüfung der Begründetheit der Beschwerde sei ihr daher nicht möglich; sie helfe der Beschwerde nicht ab. Der von ihr unterschriebene Durchsuchungsbeschluss datiert vom 19. März 2021. Dessen Bestätigung vom 24. September 2021 wurde, wie auch die Bestätigung der Mitnahme zur Durchsicht am 4. Januar 2022, nicht von ihr, sondern von einem ihrer Kollegen beschlossen. Bei diesem zeitlichen Abstand wäre es ausgesprochen bemerkenswert, hätte die Ermittlungsrichterin den Fall noch gekannt. Auf einem anderen Blatt steht, ob mit der zitierten Verfügung das Abhilfeverfahren (§ 306 Abs. 2 StPO) ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Das kann indes auf sich beruhen, weil eine Zurückverweisung der Sache zur Nachholung der Abhilfeprüfung hier nicht in Betracht kam (vgl. dazu Hoch in SSW-StPO, 4. Aufl., § 306 Rn. 18; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 306 Rn. 10, je m.w.N.).

bb) Die Beschwerde hält den Durchsuchungsbeschluss auch deshalb für rechtswidrig, weil er den Anforderungen an die Begrenzung des Grundrechtseingriffs nicht genüge. Er nenne nicht die notwendigen Indiztatsachen, die den Anfangsverdacht rechtfertigten könnten.

Auch insoweit vermag die Kammer der Beschwerde nicht zu folgen. Die Beschreibung der aufzuklärenden Straftat im Durchsuchungsbeschluss schützt die Grundrechte des Betroffenen. Sie macht Umfang und Reichweite des Grundrechtseingriffs deutlich und zeigt, worauf sich die Durchsuchung bezieht. So wird den mit der Vollziehung der Anordnung betrauten Beamten klargemacht, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und so der Zugriff auf Beweisgegenstände begrenzt (Kammer, Beschluss vom 10. März 2022 – 12 Qs 6/22, juris Rn. 21 m.N. zur Rspr. des BVerfG). Die gleiche Funktion hat die Bezeichnung derjenigen Gegenstände im Durchsuchungsbeschluss, nach denen gesucht werden soll (BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008 – 2 BvR 103/04, juris Rn. 20). Weiterhin sind gem. § 34 StPO die wesentlichen Verdachtsgründe darzulegen, d.h. die Tatsachen, die den behaupteten Anfangsverdacht belegen sollen. Deren Angabe kann nur unterbleiben, wenn die Bekanntgabe den Untersuchungszweck gefährden würde (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, juris Rn. 7 f.).

Diese Anforderungen erfüllt der angegriffene Durchsuchungsbeschluss. Er enthält eine detaillierte Auflistung derjenigen Unterlagen, Daten und Gegenstände, nach denen gesucht werden sollte. Ebenso ist der dem Beschuldigten vorgeworfene Sachverhalt in seinen Grundzügen umrissen und nach zeitlichem Rahmen, Art der Tatbegehung, mutmaßlichen Geschädigten und Schadenshöhe individualisiert. Als tatsächliche Grundlage des Anfangsverdachts benennt der Beschluss unter Ziff. II der Gründe die Stellungnahmen der anzeigeerstattenden Krankenkassen, dort insbesondere deren statistische Auswertungen, weiterhin Rezepte und Stellungnahmen von Ärzten und Patientenangehörigen sowie eine Stellungnahme der X GmbH (fortan: X) im Retaxverfahren, wobei teils auf konkrete Fundstellen in der Ermittlungsakte verwiesen wird.

Soweit die Beschwerde für einzelne Tatbestandselemente des Betrugs bzw. der diesem vorgelagerten sozial- und ordnungsrechtlichen Normen die explizite Benennung von Indiztatsachen vermisst, überspannt sie die Anforderungen an die Darlegung des Anfangsverdachts. Letztere kann knapp gehalten sein und es müssen nur die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes belegt sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, juris Rn. 16; Tsambikakis in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 48 m.w.N.), also die des Betrugs nach § 263 StGB.

cc) Die Beschwerde ist weiter der Auffassung, dass sich der Durchsuchungsbeschluss nicht auf das erforderliche Maß beschränke, namentlich auf das Auffinden derjenigen Unterlagen, die eine verbotene Absprache belegen.

Damit dringt die Beschwerde nicht durch. ….“

AG III: Wenn der Sachverständige befangen ist, oder: „Diener zweier Herren“ geht nicht

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Und zum Tagesschluss dann noch das AG Schmallenberg, Urt. v. 12.10.2022 – 5 Ds 47/22. Es nimmt in einer „Brandsache“ zur Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen Stellung.

Mit der Anklageschrift wurde dem Angeklagten vorgeworfen am 31.03.2021 fremde technische Einrichtungen, namentlich Maschine, in Brand oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört zu haben. Der Angeklagte ist Mitarbeiter der Firma H in Q und für die Errichtung und Wartung von Blockheizkraftwerken zuständig. Eine solche Anlage, die auch von der Firma unter Mitwirkung des Angeklagten in Schmallenberg-M erbaut wurde, befindet sich dort beim Hotel U.

Am 31.03.2021 war der Anklagte mit der Wartung und Prüfung der Anlage beauftragt. Ihm wird vorgeworfen, dass er dabei unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt einen Verschlussdeckel des Öleinfüllstutzens an einem der beiden Motoren nicht richtig wieder aufgeschraubt habe und es dabei zu einem Brand gekommen sei. Hierbei soll nach Angaben des geschädigten Zeugen U ein Sachschaden von 360.000,00 Euro und mit dem Ausfallschaden ein Gesamtschaden von ca. 600.000,00 Euro entstanden sein. Hierauf habe die Feuerversicherung bislang lediglich 80.000,00 Euro gezahlt.

Der Angeklagte hat die Tat in Abrede gestellt und sich wie folgt eingelassen: Es habe aufgrund einer Überspannung im Netz eine Störung an der Anlage vorgelegen. Er habe dann an dem Motor die Ventileinstellung überprüft, den Schaltschrank und Sensoren überprüft und den Wärmetauscher gereinigt. Dann habe er die Anlage wieder gestartet. Den Ölwechsel mache er immer mit einem warmen Motor, da das Öl dann dünnflüssiger sei. Das Öl werde an einem speziellen Ventil mit einer Ölpumpe (Bohrmaschinenpumpe) abgesaugt und auf dem gleichen Weg wieder eingefüllt. Aufgrund der großen Mengen sei dies viel einfacher als ein Einfüllen von Hand über den Öldeckel. Dieser sei eigentlich bei der Anlage völlig überflüssig und werde nie genutzt. Er habe ihn daher noch nie abgeschraubt. Auch an diesem Tag sei er nicht an dem Deckel (ein einfacher Kunststoffdeckel mit Gewinde) gewesen. Er sei sich sicher, dass der Deckel auch auf dem Gewinde gesessen habe, da ansonsten das Öl sofort herausspritzen würde und er dies habe bemerken müssen.

Das AG hat frei gesprochen und macht dabei folgende Ausführungen zu dem Sachverständigen im Verfahren:

„….

Nichts anderes ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen C.

Bei diesem ist zunächst festzustellen, dass der Angeklagte den Sachverständigen ohne weiteres nach § 74 i.V.m. § 26 StPO wegen Besorgnis der Befangenheit hätte ablehnen können. Der Sachverständige hat sein Gutachten zunächst für die Staatsanwaltschaft erstellt. Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung war er aber gleichzeitig für die Feuerversicherung in dieser Sache tätig. Diese wiederum hat aufgrund des § 86 VVG ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Feststellung, dass der Angeklagte den Brand durch schuldhaftes Verhalten herbeigeführt hat. Dies wird auch dadurch belegt, dass die Versicherung, obgleich der Versicherungsfall eindeutig gegeben ist, den Schaden bislang nur zu einem unangemessen kleinen Teil reguliert hat. Dies ist rechtlich und sachlich nur schwer nachzuvollziehen.

Völlig unabhängig davon, ist das mündlich im Hauptverhandlungstermin erstattete Gutachten aber auch inhaltlich nicht geeignet, dem Angeklagten mit einer zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit ein Verschulden nachzuweisen. ….. „

Einstellung des OWi-Verfahrens aus „Beweisnot“, oder: Staatskasse trägt im Zweifel die notwendigen Auslagen

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Und als zweite Entscheidung dann einen „kleinen“, aber feinen Beschluss des AG Montabaur zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens. Das AG hat im AG Montabaur, Beschl. v. 18.11.2022 – 12 OWi 2085 Js 54041/22 – auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auferlegt:

„Mit Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 setzte die Zentrale Bußgeldstelle gegen die Betroffene wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit vom 28.02.2022 eine Geldbuße von 60,00 EUR fest. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen am 18.06.2022 zugestellt. Mit Schreiben vom 21.06.2022, bei der Zentralen Bußgeldstelle am selben Tag eingegangen, legte die Verteidigerin der Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 Einspruch ein.

Nach Akteneinsicht teilte die Verteidigerin am 12.07.2022 mit, die Betroffene sei das Fahrzeug zur Tatzeit nicht gefahren. Bei der Fahrerin handele es sich um eine Mandantin des Zeugen, der selber Rechtsanwalt sei – mit welcher dieser am Tattag einen Gerichtstermin in wahrgenommen habe. Der Zeuge Herr pp. sei aus rechtlichen Gründen daran gehindert, die Personalien seiner Mandantin mitzuteilen.

In der Folge zog die Zentrale Bußgeldstelle verschiedene Vergleichsbilder zu der Akte bei und führte am 18.07.2022 ein Ermittlungsersuchen über die Polizeiwache pp. durch. Die Kreispolizeibehörde Mettmann teilte der Zentralen Bußgeldstelle am 04.08.2022 mit, die Betroffene habe nach Belehrung am 03.08.2022 angegeben, nicht die auf dem Beweisfoto abgebildeten Person zu sein. Aufgrund der Qualität des Beweisfotos habe der Unterzeichner keine eindeutigen Ähnlichkeiten feststellen können. Auch gegenüber dem die Ermittlungen durchführenden Polizeihauptkommissar teilte der Zeuge Herr pp. mit, es habe sich bei der Fahrerin um eine Mandantin gehandelt. Er berief sich auch gegenüber dem Polizeibeamten auf seine anwaltliche Schweigepflicht.

Nach Prüfung im Zwischenverfahren erhielt die Zentrale Bußgeldstelle Ihren Bußgeldbescheid aufrecht und gab den Einspruch gemäß § 69 OWiG am 25.08.2022 an die Staatsanwaltschaft Koblenz ab.

In einem Telefonat mit der Staatsanwaltschaft Koblenz am 05.09.2022 wiederholte die Verteidigerin der Betroffenen ihre Ausführungen aus der Einspruchsbegründung. Nachdem die Verteidigerin der Betroffenen zwei Profilbilder der Betroffenen an die Staatsanwaltschaft Koblenz übermittelt hatte, sendete diese die Akte an die Zentrale Bußgeldstelle mit der Bitte, erneut zu prüfen, ob es sich bei der Fahrerin tatsächlich um die Betroffene handele. Die Qualität des Beweisfotos sei nicht gut. Die Staatsanwaltschaft fragte zudem, ob die Zentrale Bußgeldstelle den Bußgeldbescheid zurücknehme. Mit Schreiben vom 04.10.2022 teilte die Zentrale Bußgeldstelle der Staatsanwaltschaft Koblenz mit, dass der Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 zurückgenommen werde, sofern das Verfahren nicht seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt werde.

Mit Verfügung vom 19.10.2022 hat die Staatsanwaltschaft Koblenz das Verfahren gemäß § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG eingestellt, da ausreichende Beweise nicht vorhanden waren. Es wurde dabei davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, gemäß § 108a Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1, 467 Abs. 4 StPO. Eine Begründung der Entscheidung hinsichtlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen enthält die Verfügung nicht.

Mit Schreiben vom 25.10.2022 hat die Verteidigerin der Betroffenen gegen die Kostenentscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz gerichtliche Entscheidung beantragt. Sie hat zudem beantragt, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Verfahrens aufzuerlegen. Das Schreiben vorn 25.10.2022 ging am selben Tag per beA bei der Staatsanwaltschaft Koblenz ein.

II…..

1. Der zulässige Antrag ist begründet.

Gemäß § 108a Abs. 1 OWIG trifft die Staatsanwaltschaft die Entscheidungen nach § 467a Abs. 1 StPO, wenn sie das Verfahren nach Einspruch einstellt, bevor sie die Akten dem Gericht vorlegt.

Dabei gilt nach § 467a Abs. 1 S. 2 StPO der § 467 Abs. 4 StPO sinngemäß, sodass bei einer Einstellung nach einer Vorschrift, die die Einstellung nach Ermessen zulässt, davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Staatsanwaltschaft hat hier das Verfahren nach § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG eingestellt, bevor sie die Akten dem Gericht vorgelegt hat. Diese Vorschrift räumt ihr hinsichtlich der Einstellung ein Ermessen ein.

Die demnach grundsätzlich gemäß bestehende § 467 Abs. 4 StPO bestehende Möglichkeit, von der Auferlegung der notwendigen Auslagen der Betroffenen zulasten der Staatskasse abzusehen, erfordert wiederum selbst eine Ermessensausübung.

Eine solche lässt sich der Einstellungsverfügung nicht entnehmen. Zudem muss es bei der Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO verbleiben, wenn Zweifel an der vollständigen Tatbestandsverwirklichung oder ihrer Nachweisbarkeit bleiben; für eine Freistellung der Staatskasse ist dann kein Raum mehr (KK-StP0/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 11, mit Hinweis auf BVerfG [3. Kammer des 2. Senats] Beschl. v. 16.8.2013 — 2 BvR 864/12 = NJW 2013, 3569 = DAR 2014, 176 = NZV 2014, 95 und OLG Bamberg NZV 2009, 249).

Zwar kann (und wird in der Regel) die Bereitschaft zur Übernahme der eigenen Auslagen des Betroffenen die Anwendung der Ausnahmeregel des § 467 Abs. 4 StPO rechtfertigen (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 47 Rn. 51). Eine solche Bereitschaft wurde von der Betroffenen aber nicht signalisiert.“