Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers, oder: Erstreckung auch auf das Adhäsionsverfahren

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Dresden, Beschl. v. 21.12.2023 – 2 Ws 298/23. Den Beschluss hätte ich auch an einem „Pflichti-Tag“ bringen können. Er passt aber wegen der gebührenrechtlichen Auswirkungen auch/besser an einem RVG-Tag.

Das OLG hat zum Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers entschieden, und zwar zur Frage der Erstreckung der Vertretung des Angeklagten auch auf das Adhäsionsverfahren. Dazu führt es nun aus:

„Die Beiordnung des Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 1 StPO erstreckt sich auch auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren. Diese in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Frage ist in der Rechtsprechung nunmehr geklärt. An seiner früheren entgegenstehenden Rechtsauffassung (OLG Dresden, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – 2 Ws 569/13 – BeckRS 2014,00582) hält der Senat hält nicht fest.

Für eine Umfangsbeschränkung der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO auf die Abwehr allein des staatlichen Strafanspruchs findet sich im Gesetz keine Grundlage. Da das Adhäsionsverfahren Teil des Strafverfahrens ist, wie sich aus dessen gesetzlicher Regelung in den §§ 403 ff. StPO ergibt, erstreckt sich der Umfang der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO schon deshalb auch hierauf. Der Senat verweist hierzu auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 — 6 StR 307/21 juris Rdnr. 2 ff. m.w.N.; ebenso BGH, Urteil vom 30. Juni 2022 —1 StR 277/21 —, juris Rdnr. 4), der dies auf Grundlage der Gesetzesbegründung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/191 vom 26. Oktober 2016 überzeugend darlegt. Denn wenn die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 Abs. 1 StPO ist, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge. Eine Beschränkung des Umfangs der notwendigen Verteidigung auf die Abwehr des staatlichen Strafanspruchs hat der Gesetzgeber in § 140 StPO nicht vorgenommen.

Die von der Staatskasse in Bezug genommene abweichende Entscheidung des 5. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 08. Dezember 2021 — 5 StR 162/21 —, juris) enthält demgegenüber keine sachbezogene Begründung.

Geht doch 🙂

StPO III: Nichtherausgabe von (Mess)Unterlagen, oder: Einstellung, denn Durchsuchung ist unangemessen

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Und dann noch das dritte Posting mit dem AG Dortmund Beschl. v. 14.12.2023 – 729 OWi-260 Js 2315/23-135/23. Der kommt, wie man am Aktenzeichen sieht, aus einem Bußgeldverfahren. Ich stelle ihn hier aber trotzdem vor, den OWi-Entscheidungen habe ich im Moment sehr wenig und Einstellung passt zu StPO, auch wenn es um eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG geht.

Folgender Sachverhalt: Der Verteidiger hatte schon bei der Verwaltungsbehörde Rohmessdaten und Bedienungsanleitung zu dem Messgerät, das bei der dem Verfahren zugrunde liegenden Messung verwandt worden war, verlangt. Die Unterlagen sind aber nicht herausgegeben worden. In der Hauptverhandlung hat das AG dann der Polizei (?) aufgegeben, die Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Passiert ist wieder nichts. Und damit war dann für das AG „Schluss mit lustig“. Es hat das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt,

„Die Polizei hat nicht entsprechend der richterlichen Verfügung im letzten Hauptverhandlungstermin Rohmessdaten und Bedienungsanleitung für den Verteidiger zur Verfügung gestellt, obgleich bereits im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde ein entsprechender Anspruch im Rahmen des Rechts auf ein faires Verfahren geltend gemacht wurde.

Eine neuerliche Fortsetzung der Hauptverhandlung und Durchsuchung des Polizeipräsidiums zur Datenverschaffung erschien unangemessen. „

Zwei Anmerkungen:

1. Warum ist eine Durchsuchung des Polizieprädisiums „unangemessen“? Sonst ist man doch auch nicht so zaghaft. Hätte auch sicherlich Erziehungspotential 🙂 .

2. Und was ist mit der Auslagenentscheidung? Warum muss die Betroffene ihre eigenen Auslagen tragen? Ich sehe keine Begründung, die für § 467 Abs. 4 StPO reichen würde.

Und dann – muss mal wieder sein <<Werbemodus an>>: Voraussichtlich im März/April wird die 7. Auflage des OWi-Handbuchs erscheinen. Und außerdem kommt dann auch das „Verkehrsrechtspaket“ neu. Vorbestellungen sind – wie immer – auf meiner HP möglich, und zwar hier.

Verkehrsrecht II: Anordnung der Blutentnahme/-probe, oder: Anforderungen an den Anfangsverdacht

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Vor einiger Zeit haben die mit der Anordnung der Entnahme einer Blutprobe (§ 81a StPO) zusammenhängenden Fragen die Praxis beschäftigt. Dabei ging es insbesondere meist um die Frage des so. Richtervorbehalts. Die Problematik hat sich dann durch die Änderungen durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.17 (BGBl. I S. 3202) weitgehend erledigt.

Sie hat nun aber dann doch noch mal ein AG beschäftigt, und zwar das AG Ratzeburg im AG Ratzebuug, Beschl. v. 22.12.2023 – 31a OWi 46/23 jug. Sachverhalt und Gründe dann hier:

„Am 2. Juli 2023 gegen 15:29 Uhr führte der Polizeibeamte und Zeuge PK pp. im Rahmen einer Standkontrolle auf dem Rastplatz Gudow an der Bundesautobahn 24 in Fahrtrichtung Hamburg eine Kontrolle des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen pp. durch, dessen Fahrer der Betroffene war. Der Betroffene händigte dem Zeugen seinen Führerschein, Personalausweis und die Zulassungsbescheinigung Teil 1 aus. Im Rahmen der Kontrolle nahm der Zeuge wahr, dass der Betroffene sehr nervös wirkte. Der Betroffene konnte nicht stillstehen und hatte deutlich zitternde Hände. Ebenso führte der Betroffene häufig seine Hände an verschiedene Körperstellen, einmal zum Kratzen am Hals, einmal um in seine Hosentaschen zu greifen oder der Betroffene wedelte damit herum. Zudem war der Betroffene redselig und aus Sicht des Zeugen unangepasst euphorisch. Aus diesen Beobachtungen leitete der Zeuge den Verdacht ab, dass der Betroffene eine bußgeldbewährte Tat gemäß § 24a StVG begangen haben könnte. Nach entsprechender Belehrung gab der Betroffene an, keine Drogen konsumiert zu haben, er sei lediglich sehr müde. Die Durchführung eines Urintests lehnte der Betroffene unter Hinweis darauf ab, dass er nicht urinieren müsse. Daraufhin ordnete der Zeuge eine Blutprobe an. Diese wurde um 15:40 Uhr durch einen Arzt an der Kontrollstelle durchgeführt. Nach dem Ergebnis des Untersuchungsberichts des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 26. September 2023 befanden sich im Blut des Betroffenen 3,9 ng/ml THC.

Der Verteidiger trug mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2023, eingegangen bei der Bußgeldbehörde am 4. Dezember 2023, auf gerichtliche Entscheidung mit der Begründung an, dass die Anordnung der Blutprobe unzulässig gewesen sei. Dies führe aus Sicht des Verteidigers zu einem Beweisverwertungsverbot.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere statthaft. Mit dem Wegfall des Richtervorbehalts und Normierung der Anordnungskompetenz für Blutproben auf die zuständige Verwaltungsbehörde und — gleichrangig — auf deren Ermittlungsbeamte (§ 53 Abs. 2 OWiG) hat die Frage des dagegen zulässigen Rechtsbehelfs an Bedeutung gewonnen. Die Anordnung einer Blutprobe im Bußgeldverfahren ist eine Maßnahme nach § 62 OWiG und als solche grundsätzlich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbar. Soweit – wie hier – ein Polizeibeamter als originär zuständige Verwaltungsbehörde die Anordnung trifft, ist dies soweit ersichtlich unbestritten (KK-OWiG/Lampe, 5. Auflage, § 46, Rn.41).

Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 46 Abs.4 S.1 OWiG ist § 81a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO mit der Einschränkung anzuwenden, dass zwar nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind, aber die Entnahme einer Blutprobe abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 StPO keiner richterlichen Anordnung bedarf, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist nach den §§ 24a und 24c StVG.

Der Gesetzeswortlaut fordert eine „einfachen“ Verdacht, also keinen hinreichenden oder gar dringenden Tatverdacht. Ein solcher Anfangsverdacht setzt nur voraus, dass zureichende, über bloße Vermutungen hinausreichende, tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat (hier: Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG) vorliegen (vgl. BGH BeckRS 2021, 3096; BGH NStZ2016, 370; 551; OLG Koblenz BeckRS 2021; 13791; KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl. 2023, StPO § 160. Rn. 7).

Vorliegend ist dem Verteidiger einzugestehen, dass die vom Zeugen PK pp. geschilderten Umstände isoliert betrachtet den Verdacht einer Tat gemäß § 24a StVG nicht begründen könnten. Entscheidend ist Überzeugung des Gerichts indessen, dass eine Vielzahl von Besonderheiten beim Betroffenen vorlag, die eben diesen Verdacht begründen. Mag man durch die Situation der polizeilichen Kontrolle noch die Nervosität des Betroffenen erklären können, so gilt dies nicht für das Hinzutreten zitternder Hände sowie einer in der Situation unangemessenen Euphorie. Derartige kumulative, situationsuntypische Reaktionen sind gerade durch die Einnahme von Betäubungsmittel zu erklären. Aufgrund dieser Kumulation der Umstände hat der Polizeibeamte zur Überzeugung des Gerichts zu Recht die Entnahme der Blutprobe angeordnet. Die weitere Frage, ob aus einem etwaigen Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot folgen würde, kann deshalb in diesem Fall dahinstehen.“

Na ja. Es gibt AG-Rechtsprechung, wonach die (allein) „Nervosität“ nicht reicht …..

StPO I: Wohnungsdurchsuchung wegen sog. Adbusting, oder: Unverhältnismäßige Maßnahme

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Und dann die ersten StPO-Entscheidungen 2024. Und die erste kommt dann vom BVerfG. Das hat im BVerfG, Beschl. v. 05.12.2023 – 2 BvR 1749/20 -, über den ja auch anderweitig schon berichtet worden ist noch einmal zur Rechtsmäßigkeit einer Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen.

Folgender Sachverhalt: Am 13.05.2019 wurde die Beschwerdeführerin von zwei Polizisten dabei beobachtet, wie sie mit einer weiteren Person einen Schaukasten öffnete, um das dortige Werbeplakat der Bundeswehr abzuhängen und durch ein optisch sehr ähnliches, aber verfälschtes Plakat zu ersetzen. Der ursprüngliche Text des Plakats war in sinnentstellender Weise so verändert worden, dass es, dem Werbezweck des Plakats zuwider, Kritik an der Bundeswehr und einem Rüstungsunternehmen zum Ausdruck brachte; sog. Adbusting. Die Polizisten unterbanden den Versuch und stellten das Werkzeug und das mitgebrachte verfremdete Plakat sicher. Das Originalplakat wurde wieder im Schaukasten aufgehängt.

Im Juni 2019 stellte die Polizei weitere, auf die bereits beschriebene Weise veränderte Werbeplakate der Bundeswehr fest. Nach Auffassung der Polizei waren Parallelen zum Fall der Beschwerdeführerin zu erkennen.

Mit Beschluss vom 17.07. 2019 ordnete dann das AG die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin an. Die Beschwerdeführerin sei wegen des Geschehens am 13.05.2019 u.a. des besonders schweren Falles des Diebstahls verdächtig. Am 06.092019 wurde der Durchsuchungsbeschluss vollstreckt. Daraufhin legte die Beschwerdeführerin gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde ein, die das LG als unbegründet verwarf. Der Anfangsverdacht einer Straftat habe vorgelegen, weil das Verhalten der Beschwerdeführerin als versuchter Diebstahl und Sachbeschädigung einzustufen sei. Die Durchsuchung sei auch nicht unzulässigerweise im Hinblick auf andere Fälle des sog. „Adbustings“ erfolgt, sondern zur Untermauerung des Tatverdachts in dem konkret gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei noch gewahrt worden.

Mit ihrer gegen die Beschlüsse des AG und des LG gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere die Verletzung ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Sie hatte Erfolg. Das BVerfG bejaht zwar einen Anfangsverdacht, es verneint aber die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Es führt u.a. aus:

„(3) Die so auszulegenden Durchsuchungsbeschlüsse genügen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht. Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <198>). Zwar wurde die Beschwerdeführerin im Moment der Abnahme des Plakats von zwei Polizeibeamten beobachtet, sodass der Verdacht des versuchten Diebstahls besteht. Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung, die die hohe Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung in den Blick nimmt, sprechen jedoch der allenfalls schwache Anfangsverdacht einer vollendeten Sachbeschädigung, die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren gegen die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnungen.

(a) Die angegriffenen Entscheidungen setzen sich mit der Schwere der Taten und der zu erwartenden Strafe nicht hinreichend auseinander. Der pauschale Verweis auf den Strafrahmen – so wie durch das Beschwerdegericht geschehen – reicht nicht aus, um die Schwere der verfolgten Taten zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Mai 2008 – 2 BvR 384/07 -, juris, Rn. 18).

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit kann lediglich berücksichtigt werden, welche Strafe hinsichtlich der konkreten Tat zu erwarten war, die durch die Durchsuchung aufgeklärt werden sollte. Wie bereits dargestellt, beschränkt die Durchsuchungsanordnung den Zweck der Durchsuchung auf die Aufklärung der Geschehnisse vom 13. Mai 2019. Ob die Durchsuchung eventuell zur Aufklärung bislang ungeklärter Fälle des „Adbustings“ hätte beitragen können, muss bei der Frage nach der Schwere der aufzuklärenden Tat daher außer Betracht bleiben. Die zu erwartende Strafe – hätte sich der Tatverdacht des versuchten Diebstahls und der vollendeten Sachbeschädigung im Rahmen der Durchsuchung bestä-tigt – wäre daher voraussichtlich niedrig ausgefallen. Zwar spricht aus den Taten die Bereitschaft, sich über fremde Eigentums- und Besitzrechte hinwegzusetzen. Zudem übersteigt der Werbewert der Plakate deren materiellen Wert, sodass voraussichtlich keine Bagatellstraftaten anzunehmen gewesen wären. Da es sich bei Erhärtung des Tatverdachts jedoch lediglich um einen versuchten Diebstahl und eine Sachbeschädigung einer jeweils nicht wertvollen Sache gehandelt hätte, wäre die zu erwartende Strafe aufgrund der fehlenden Schwere der Taten wohl dennoch gering.

(b) Zudem ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Durchsuchung tatsächlich zum Auffinden von Beweismitteln geführt hätte, die den Verdacht hinsichtlich der Vorgänge vom 13. Mai 2019 hätten erhärten können. Selbst wenn – wie in den Durchsuchungsanordnungen angegeben – in der Wohnung der Beschwerdeführerin andere Werbeplakate, Werkzeuge zum Öffnen der Schaukästen, Schablonen und sonstige Materialien zur Umgestaltung von Plakaten sowie Mobiltelefone oder Tablets, die die Umgestaltung der Plakate dokumentierten, gefunden worden wären, so könnten diese Gegenstände allenfalls belegen, dass die Beschwerdeführerin wohl für die „Adbusting“-Szene aktiv ist. Einen Rückschluss darauf, ob die Beschwerdeführerin am 13. Mai 2019 in Zueignungsabsicht gehandelt hat, ließen diese Gegenstände hingegen kaum zu. Es bliebe trotz des Auffindens der Beweismittel möglich, dass es der Beschwerdeführerin an diesem Tag nur darum gegangen war, das verfremdete Plakat aufzuhängen, ohne das Originalplakat mitzunehmen. Auch könnten derartige Beweismittel kaum belegen, dass das am 13. Mai 2019 sichergestellte, veränderte Plakat in fremdem Eigentum steht und von der Beschwerdeführerin beschädigt worden ist. So ist bereits unklar, welches Beweismittel zur Klärung der Frage, wer Eigentümer des Plakats ist, geeignet sein sollte. In Betracht kämen hier wohl lediglich persönliche oder digitale Aufzeichnungen über die Entwendung des konkret sichergestellten Plakats. Da die Existenz eines solchen Beweismittels höchst zweifelhaft ist, kann auch die Auffindewahrscheinlichkeit nur als äußerst gering betrachtet werden.

b) Demgegenüber verstoßen die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juli 2019 und 6. September 2019 sowie des Landgerichts Berlin vom 24. August 2020 nicht gegen die Grundrechte der Beschwerdeführerin auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Zum einen ist nicht substantiiert dargelegt oder anderweitig ersichtlich, warum die Meinungs- oder die Kunstfreiheit, sofern denn deren Schutzbereiche eröffnet sein sollten, einer je nach Begehungsweise in Betracht kommenden (vgl. hierzu Lampe/Uphues, NJW 2021, S. 730 ff.) Strafbarkeit des „Adbustings“ und damit der Annahme eines strafprozessualen Anfangsverdachts durchgreifend entgegenstehen sollten. Zum anderen ist nicht anzunehmen, dass in den Durchsuchungen selbst wegen des mit ihnen einhergehenden Abschreckungseffekts Eingriffe in die Meinungs- und Kunstfreiheit liegen. Derartige Wirkungen einer strafprozessualen Ermittlungsmaßnahme müssten im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Art. 13 Abs. 1 GG berücksichtigt werden; sie begründen aber keine eigenständigen Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG (zu vergleichbaren Auswirkungen einer Durchsuchung auf die Berufsfreiheit vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. März 2009 – 2 BvR 1036/08 -, juris, Rn. 64).“

StPO II: Besetzungseinwand prozessual überholt, oder: Es bleibt dann das Revisionsverfahren

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Und im zweiten Beitrag stelle ich dann den KG, Beschl. v. 20.10.2023 – 3 Ws 50/23 – 161 AR 180/23 – vor. Es geht noch einmal um den Besetzungseinwand nach § 222b StPO.

Nach dem Sachverhalt hatte eine Strafkammer LG Berlin mit Beschluss vom 11.09.2023 unter Eröffnung des Hauptverfahrens die Anklage der StA vom 09.08.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen. Gleichzeitig hat sie hinsichtlich ihrer Besetzung in der Hauptverhandlung entschieden, dass diese gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 und Satz 4 GVG mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt sein wird. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat der Vorsitzende die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses veranlasst, Termin zur Hauptverhandlung auf den 27.09.2023 anberaumt und die Ladung der Beteiligten sowie die Übersendung der Besetzungsmitteilung angeordnet. Mit Schriftsatz vom 14.09.2023 hat Rechtsanwalt A für den Nebenkläger B die Besetzung des Gerichts nach § 222b Abs. 1 StPO gerügt und bemängelt, dass die Kammer nach § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 GVG keine Dreierbesetzung beschlossen hat. Im Rahmen der Begründung hat er ausgeführt, weshalb die Anberaumung der Verhandlung als Tagessache aufgrund des aus seiner Sicht erforderlichen Hauptverhandlungs­programms, das neben der Inaugen­scheinnahme eines einstündigen Tatvideos, der Hinzuziehung eines waffenkundigen Sachverständigen und weiterer Zeugen bestehen sollte, unzureichend sei. Ferner hat der Nebenkläger auf die in dem vor einer anderen großen Strafkammer geführten Parallelverfahren bereits durchgeführten über 20 Hauptverhandlungstage hin­gewiesen, in dem u.a. gegen fünf vermeintliche Mit­beteiligte an der vorliegend angeklagten Tat mit umfangreichem Prozessstoff und einem Aktenbestand von aktuell 21 Verfahrensbänden, 24 Sonderbänden und einer Beiakte verhandelt werde. Der Umfang der Akten, in die aufgrund der bislang lediglich gewährten Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle bis dato keine Einsicht genommen worden sei, sowie die erforderliche Hinzuziehung eines Dolmetschers und das aufgrund des (bislang) schweigenden Angeklagten gebotene Beweisprogramm gebiete die Besetzung der Kammer mit drei – statt nur zwei – Berufsrichtern.

In seiner Verfügung vom 18.09.2023 hat der Kammervorsitzende zunächst vermerkt, dass die Kammer nach Beratung den Besetzungseinwand für unbegründet halte. Eine Zweierbesetzung sei ausreichend, da die Hauptakten aus zwei Bänden bestünden und der Tatvorwurf gegen den einen Angeklagten überschaubar sei. Die Sache sei als Tagessache für den 27.09.2023 terminiert. Ferner sei nach dortiger Rechtsansicht im neuen Vorlageverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO ein förmlicher Beschluss nicht erforderlich. Sodann hat der Kammervorsitzende die Vorlage des Besetzungseinwands – über die Staats­anwaltschaft Berlin – an das KG verfügt.

Der Beschwerdeband ging nebst Stellungnahme der GStA vom gleichen Tag am 26.09.2023 beim KG/Senat ein. Von dort aus wurde dem Verteidiger und Rechtsanwalt A Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Vermerk des Vorsitzenden und der Stellungnahme der GStA Berlin bis zum 28.09.2023, 12 Uhr gewährt.

In der Hauptverhandlung am 27.09.2023 hat die verurteilt. Das KG hat in dem Beschluss den Besetzungseinwand des Nebenklägers als durch das ergangene Urteil vom 27.09.2023 prozessual überholt angesehen.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

    1. Verkündet das Tatgericht vor der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO über die vorschriftsmäßige Besetzung ein Urteil, so ist das Vorab­entscheidungs­verfahren erledigt. Der Einwand vorschriftswidriger Besetzung kann sodann im Rahmen der Revision geltend gemacht werden.
    2. Die zulässige Begründung der Besetzungsrüge erfordert gemäß § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrens­tatsachen, die den behaupteten Besetzungsfehler begründen. Wird der Besetzungseinwand auf den Umfang der Akten gestützt wird, dürften konkrete Angaben zu dem tatsächlich zu bewältigenden Aktenbestand erforderlich sein.
    3. Die in § 222b Abs. 2 Satz 1 StPO vorgesehene Entscheidung des Tatgerichts über seine ordnungsgemäße Besetzung ist durch mit Gründen versehenen Beschluss zu treffen. Sie dient insbesondere im Falle der Zurückweisung des Besetzungseinwands der Selbst­überprüfung und soll die ihr zugrundeliegenden Erwägungen für die Verfahrens­beteiligten sowie das Rechtsmittelgericht nach­vollziehbar und überprüfbar machen.

Die Leitsätze zu 2. und 3. sind „nicht tragend“.