Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

Zwang I: Fluchtgefahr verlangt „Entziehensabsicht“, oder: Beschuldigte bleibt trotz Durchsuchung vor Ort

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Und dann mal wieder ein Tag mit StPO-Entscheidungen, und zwar zu Zwangsmaßnahmen. Dazu gibt es zweimal etwas zur Haft und einmal etwas zur Ingewahrsamnahme eines Zeugen.

Ich stelle zuerst den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – StB 18/24 – vor. Es geht um Fluchgefahr, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:.

Der Beschuldigte ist am 14.12.2023 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des BGH festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf der Unterstützung einer rechtsextrem ausgerichteten Kampfsportgruppe. Der Beschuldigte wendet sich gegen den Haftbefehl mit seiner Beschwerde, welcher der Ermittlungsrichter nicht abgeholfen hat.

Die Haftbeschwerde hat dann aber beim Senat Erfolg. Der hat einen Fluchtgrund, vor allem auch Fluchtgefahr, verneint.

„1. Der Haftgrund der Fluchtgefahr setzt voraus, dass es bei Würdigung der konkreten Einzelfallumstände wahrscheinlicher ist, dass sich der Angeklagte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 20. April 2022 – StB 16/22, NStZ-RR 2022, 209, 210). Das ist hier nicht der Fall.

Der Beschuldigte hat seit einer ihn betreffenden Durchsuchung im April 2022 Kenntnis, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren geführt wird, seinerzeit wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Gegenstand der im Durchsuchungsbeschluss vom 5. April 2022 genannten Vorwürfe waren unter anderem bereits solche, die nun im Haftbefehl (s. dort unter I. 2. a), b), d), g) und i)), aufgegriffen werden. Dies hat den Beschuldigten bislang ebenso wenig zu Fluchtbemühungen veranlasst wie die damalige Festnahme gesondert Verfolgter. Dass ihm nunmehr die Unterstützung einer terroristischen statt einer kriminellen Vereinigung zur Last gelegt wird, führt trotz des höheren Strafrahmens zu keinem deutlich gesteigerten Fluchtanreiz; denn bereits nach der Anklage vom 28. April 2023 gegen mehrere gesondert Verfolgte zum Thüringer Oberlandesgericht war für ihn ersichtlich, dass der Generalbundesanwalt die Gruppierung „ “ ab einem gewissen Zeitpunkt als terroristische Vereinigung bewertete. Die im Durchsuchungsbeschluss noch nicht genannten Unterstützungshandlungen verändern die Tatvorwürfe nicht in einer für die Beurteilung der Fluchtgefahr erheblichen Weise. Im Übrigen hat der Beschuldigte – dem Generalbundesanwalt zuvor angezeigte – Auslandsaufenthalte nicht genutzt, um sich dem Ermittlungsverfahren zu entziehen.

Soweit in einem Telefonat des Beschuldigten aus April 2022 davon die Rede ist, etwaig bei einer Veranstaltung eingenommenes Geld solle für die vier damals Inhaftierten und der Rest für ihn selbst genutzt werden, „falls ihm was passiere“, ergibt sich nach dem Kontext nicht, dass die Mittel für eine Flucht und nicht etwa für mit der Untersuchungshaft in Zusammenhang stehende Kosten aufgewendet werden sollten. Gleiches gilt, soweit sich der Beschuldigte in Briefen aus der Untersuchungshaft im Zusammenhang mit seiner wirtschaftlichen Lage über die Wichtigkeit organisierter Hilfe geäußert hat und Spendenaufrufe veröffentlicht worden sind. Dass der Verwendungszweck für – nicht näher spezifizierte, sich möglicherweise über zweieinhalb Jahre erstreckende und pauschal summierte – Bargeldabhebungen von Konten des Beschuldigten in Höhe von insgesamt 22.000 € unbekannt ist, legt hier mangels näherer Anhaltspunkte zu dem Hintergrund ebenfalls nicht den Rückschluss auf entsprechende Reserven zur Finanzierung einer Flucht nahe.

Wie im Haftbefehl angeführt, sind als potentiell fluchthemmende Faktoren zudem die Tätigkeiten des Beschuldigten als Selbständiger, Stadtratsmitglied für die Stadt E. und Vorsitzender des Landesverbandes einer Partei zu berücksichtigen. Dass insoweit ein Bezug zu den Tatvorwürfen besteht und die genannten Umstände den Beschuldigten nicht von den ihm vorgeworfenen Handlungen abgehalten haben, hat nicht ohne Weiteres zur Folge, dass sie auch ein Fluchtrisiko nicht mindern können. Inwieweit hierfür zusätzlich noch die von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden und die Aufhebung von Haftbefehlen gegen gesondert Verfolgte durch das Thüringer Oberlandesgericht von Bedeutung sind, kann letztlich dahinstehen.

2. Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr erfordert, dass bestimmte Handlungen des Beschuldigten es wahrscheinlich erscheinen lassen, er werde auf sachliche oder persönliche Beweismittel einwirken und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschweren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2016 – StB 30/16, NJW 2017, 341 Rn. 13 mwN; vom 20. Februar 2019 – AK 53/18 u.a., juris Rn. 44). Bezugspunkt hierfür ist allein die Aufklärung der vom Haftbefehl umfassten Taten (s. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31. August 2001 – 2 Ws 219/01, StV 2001, 686; KG, Beschluss vom 30. April 2019 – [4] 161 HEs 22/19 [10-11/19], StraFo 2019, 416, 417; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 112 Rn. 26).

Obschon früheres Verhalten des Beschuldigten Anlass zu der Annahme bietet, dass er künftig auf Beweismittel einwirken werde, folgt daraus nicht, dass er im Falle seiner Haftentlassung durch entsprechende Handlungen die gegen ihn bereits seit dem 4. April 2022 wegen Unterstützung der Vereinigung „ “ geführten, in der Sache weit fortgeschrittenen Ermittlungen hinsichtlich der im Haftbefehl aufgeführten Vorwürfe noch mehr als unerheblich beeinträchtigen könnte. Daher bedarf keiner Vertiefung, dass er etwa angesichts einer unmittelbar bevorstehenden Wohnungsdurchsuchung am 14. Dezember 2023 eine Tüte mit einem Mobiltelefon und einem Laptop von seinem Balkon auf den benachbarten Balkon stellte und anderweitig äußerte, E. möge eine „Mauer des Schweigens“ sein.

3. Sonstige Haftgründe kommen unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht. Ein dringender, die Anwendung des § 112 Abs. 3 StPO eröffnender Verdacht auf eine mitgliedschaftliche Beteiligung des Beschuldigten an einer terroristischen Vereinigung besteht nicht. Ebenso scheidet der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) bei den vorliegenden Tatvorwürfen aus.“

StPO II: Die Schweigepflicht des Steuerberaters, oder: Entbindung, Durchsuchung, Abwendebefugnis

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Die zweite Entscheidung kommt dann mit dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 08.05.2024 – 12 Qs 2/24 – aus Bayern. Das LG hat zur Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen.

Das AG hat gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen versuchter Steuerhinterziehung erlassen Der Angeklagte legte hiergegen Einspruch ein. Im Hauptverhandlungstermin am  entband der Angeklagte den Zeugen H, seinen Steuerberater, von der Schweigepflicht. Dieser verweigerte jedoch unter Hinweis auf § 55 StPO die Aussage. Das begründete er damit, dass seine Chefin, die Geschäftsführerin der Steuerberater- und Rechtsanwalts-GmbH, bei der der Zeuge angestellt war, ihm vorab gesagt habe, er solle nicht aussagen. Daraufhin unterbrach der Richter die Sitzung, erließ einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Räume der GmbH und beauftragte Beamte der Steuerfahndung Nürnberg mit dessen Vollzug. Gesucht werden sollte nach Handakten sowie schriftlichen oder elektronischen Aufzeichnungen, soweit sie das Mandatsverhältnis zwischen der GmbH und dem Angeklagten zum Gegenstand hatten. Bei der Durchsuchung wurden Unterlagen sichergestellt.

Die GmbH legte gegen die Durchsuchung Beschwerde ein. Die hatte keinen Erfolg.

„Die Voraussetzungen des § 103 StPO lagen vor.

1. Eine auf § 103 StPO gestützte Durchsuchung darf allerdings nicht angeordnet werden, wenn sie nur darauf gerichtet ist, einen Gegenstand zu finden, dessen Beschlagnahme ausgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 13.08.1973 – StB 34/73, juris Rn. 4; KG, Beschluss vom 17.03.1983 – ER 9/83, NJW 1984, 1133). Hier durfte sich die Durchsuchung indes auf die im Durchsuchungsbeschluss genannten Gegenstände erstrecken, weil diese nicht beschlagnahmefrei waren.

a) Die Beschlagnahmefreiheit ergab sich nicht aus § 97 Abs. 1 Nr. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, weil der Angeklagte den Zeugen H wirksam von seiner Schweigepflicht entbunden hat (§ 53 Abs. 2 Satz 1 StPO, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 97 Rn. 24), sodass ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr zustand.

Anders als die Beschwerde meint, folgt zu ihren Gunsten nichts daraus, dass der Angeklagte nach dem Wortlaut seiner Erklärung allein den Zeugen von der Schweigepflicht entbunden hat. Es ist mangels aktenkundigen Vertrags nicht abschließend klar, ob der Steuerberatungsvertrag zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen oder – was naheläge und was die Beschwerdeführerin geltend macht – zwischen dem Angeklagten und ihr abgeschlossen wurde. Das kann aber dahinstehen. Denn in jedem Fall erstreckt sich das Zeugnisverweigerungsrecht auch auf Personen, die mit dem Berufsgeheimnisträger im Rahmen der gemeinschaftlichen Berufsausübung an dessen beruflicher Tätigkeit mitwirken (§ 53a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Im Gegenzug bedeutet das aber auch, dass die Entbindung des Berufsgeheimnisträgers von der Schweigepflicht auch für diese weiteren Personen wirkt (§ 53a Abs. 2 StPO), denn die Entbindung von der Schweigepflicht ist unteilbar, der Hauptberufsträger und seine mitwirkenden Personen können nur gemeinsam entbunden werden (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 53a Rn. 14; LR-StPO/Bertheau/Ignor, 27. Aufl., § 53a Rn. 14), wovon auch hier auszugehen ist. Dieses Ergebnis entspricht auch der Auslegung der Entbindungserklärung des Angeklagten: Die Steuerberaterseite sollte nach dessen Willen reden und nicht schweigen.

Der GmbH als solcher, die als juristische Person nicht Zeuge sein kann, stand demgegenüber ein Zeugnisverweigerungsrecht von vornherein nicht zu, sodass sich die Frage nach einer Beschlagnahmefreiheit unter diesem Blickwinkel nicht stellte. Sie hatte auch kein vom Willen des Mandanten losgelöstes, eigenes geschütztes Interesse daran, Umstände und Kenntnisse aus dem Mandatsverhältnis verborgen zu halten. Die Schweigepflicht des Steuerberaters besteht nämlich zugunsten des Mandanten (aus berufsrechtlicher Sicht vgl. StBerG/Koslowski, 8. Aufl., § 57 Rn. 56) und nicht zur Verdeckung etwaiger eigener Fehler oder Versäumnisse bei der Mandatsbearbeitung.

Die vorstehenden Erwägungen gelten uneingeschränkt für die Handakte des Steuerberaters. Handakten beinhalten nach § 66 StBerG die Vertrauensbeziehung betreffende Unterlagen, die der Berufsträger von seinem Auftraggeber ausgehändigt bekommen hat, Schriftverkehr, den der Berufsträger für seinen Auftraggeber geführt hat, und Notizen des Berufsträgers über Besprechungen mit seinem Mandanten oder Dritten (vgl. Wulf/Peters, Stbg 2022, 16, 25). Dies deckt sich weitestgehend mit den in § 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO bezeichneten Unterlagen, sodass die Beurteilung der Beschlagnahmefähigkeit von Handakten bei gegebener Schweigepflichtentbindung auch demgemäß erfolgt.

b) Wegen der erteilten Schweigepflichtentbindung kommt eine Unverwertbarkeit auch nicht auf der Grundlage des § 160a Abs. 2 Satz 2, 3 StPO in Betracht.

2. Es war damit zu rechnen, dass sich relevante Unterlagen in Räumen der GmbH finden lassen würden (§ 103 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Tatvorwurf gegen den Angeklagten betraf den Veranlagungszeitraum 2018. Die zehnjährige Aufbewahrungsfrist für die Handakten (§ 66 Abs. 1 Satz 2 StBerG) war bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses noch nicht abgelaufen, die Akten mussten demnach noch vor Ort sein.

3. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungsanordnung hegt die Kammer nicht. Es spricht alles dafür, dass der Zeuge H die Auskunft zu Unrecht vollständig verweigert hat (vgl. Kammer, Beschluss vom 08.05.2024 – 12 Qs 1/24, juris). Somit, aber auch unabhängig davon, war der Zugriff auf die Unterlagen geeignet und erforderlich, um den Sachverhalt aufzuklären, wie das Amtsgericht in der Begründung des Durchsuchungsbeschlusses näher ausgeführt hat.

Gegen die Verhältnismäßigkeit spricht insbesondere nicht, dass der Beschluss keinen Hinweis auf eine Abwendungsbefugnis enthielt. Grundsätzlich ist nichtverdächtigen Betroffenen zumindest vor der Vollstreckung der Zwangsmaßnahme Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe des sicherzustellenden Gegenstandes zu geben. Diese Abwendungsbefugnis ist regelmäßig in die Anordnungsentscheidung aufzunehmen, sodass dem herausgabewilligen Dritten der Eingriff der Durchsuchung erspart werden kann (BGH, Beschluss vom 06.09.2023 – StB 40/23, juris Rn. 21). Umgekehrt kann die Gewährung einer Abwendungsbefugnis ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Betroffene zur freiwilligen Mitwirkung nicht bereit ist und Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind (BGH, aaO). So lagen die Dinge hier. Nach Aussage des Zeugen H hat ihm die Geschäftsführerin der GmbH, eine Rechtsanwältin, vorgegeben, er solle bei Gericht nicht aussagen, obwohl die Voraussetzungen für die Auskunftsverweigerung – jedenfalls im beanspruchten Umfang – höchstwahrscheinlich nicht vorlagen (vgl. Kammer, Beschluss vom 08.05.2024 – 12 Qs 1/24, juris). Daraus kann auf fehlende freiwillige Kooperation und gegebenenfalls auf eine Neigung zur Verdunkelung geschlossen werden.“

StPO I: EuGH – Verwertung von Encro-Chat? Ja, aber, oder: LG Kiel sieht keine Auswirkungen

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Und dann heute StPO-Entscheidungen – aus der Instanz. Na ja, fast 🙂

Ich erinnere. Das LB Berlin hatte mit dem LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21); dem EuGH einige Fragen zur Verwertbarkeit der durch die EncroChat-Übewachung gewonnenen Ergebnisse vorgelegt (vgl. dazu Sondermeldung zur Verwertbarkeit von EncroChat, oder: Endlich Vorlage an den EuGH durch das LG Berlin.

Inzwischen hat sich, worüber ja auch schon an anderen Stellen berichtet worden ist, der EuGH zu den Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln in grenzüberschreitenden Strafverfahren geäußert und die präzisiert. Dabei hat er die deutsche Rspr. bestätigt, wonach die Staatsanwalt Daten, die von ausländischen Behörden gewonnen werden, auch dann verwenden dürfen, wenn die Maßnahme in Deutschland nicht zulässig gewesen wäre (EUGH, Urt. v. 30.4.2024 – C-670/22).

Ich will hier jetzt nicht – die immer – ein wenig schwer lesbare Entscheidung des EuGH einstellen, sondern nur die Grundzüge der Entscheidung mtteilen, die sich etwa wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Eine EAA, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats (hier: Frankreich) befinden, muss nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden. Sie kann von einem StA erlassen werden, wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen.
  • Der Erlass einer solchen EAA unterliegt denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen, wie sie für die Übermittlung ähnlicher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gelten. Es ist nicht erforderlich, dass er denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie für die Erhebung der Beweise gelten. Jedoch muss ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen diese Anordnung befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.
  • Der EuGH stellt außerdem klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet, von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss. Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats hat dann die Möglichkeit, mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn diese Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde.
  • Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

So traurig es ist: Aus der Entscheidung des EuGH  lässt sich wohl kein Beweisverwertungsverbot VV hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Und auf der Linie liegt dann auch gleich eine LG Entscheidung, und zwar der LG Kiel, Beschl. v. 08.05.2024 – 7 KLs 593 Js 18366/22 -, der weiterhin die Verwertbarkeit von Encrocaht bejaht:

„Auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30.04.2024 betreffend EncroChat lässt sich – entgegen den Ausführungen der Verteidigung in der Haftbeschwerde – kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung u.a. ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/41 nicht dem Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung entgegensteht, wenn die Integrität der durch die Überwachungsmaßnahme erlangten Daten wegen der Vertraulichkeit der technischen Grundlagen, die diese Maßnahme ermöglicht haben, nicht überprüft werden kann, sofern das Recht auf ein faires Verfahren im späteren Strafverfahren gewährleistet ist. Die Integrität der übermittelten Beweismittel kann grundsätzlich nur zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem die zuständigen Behörden tatsächlich über die fraglichen Beweismittel verfügen (EuGH, Urt . v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 90). Darüber hinaus ist die Europäische Ermittlungsanordnung ein Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Sinne von Art. 82 Abs. 1 AEUV, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht. Dieser Grundsatz, der den „Eckstein“ der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bildet, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der widerlegbaren Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Daraus folgt, dass die Anordnungsbehörde, wenn sie mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung um Übermittlung von Beweismitteln ersucht, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, nicht befugt ist, die Ordnungsmäßigkeit des gesonderten Verfahrens zu überprüfen, mit dem der Vollstreckungsmitgliedstaat die Beweise, um deren Übermittlung sie ersucht, erhoben hat. Insbesondere würde eine gegenteilige Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 in der Praxis zu einem komplexeren und weniger effizienten System führen, das dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel abträglich wäre (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 99 f.). In einem Strafverfahren im Anordnungsstaat ist bei der Bewertung. der mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Beweismittel sicherzustellen, dass die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet wird, was impliziert, dass ein Beweismittel, zu dem eine Partei nicht sachgerecht Stellung nehmen kann, vom Strafverfahren auszuschließen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az, C-670/22, Rn. 130).

Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes sind auch auf die SkyECC-Daten übertragbar.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Verteidigungsrechte des Angeklagten gewahrt sind und ein faires Verfahren gewährleistet wird. Insbesondere *besteht für den Angeklagten die Möglichkeit zu sämtlichen vorliegenden Daten sachgerecht Stellung zu nehmen. Es liegen zudem die französischen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Erhebung der SkyECC-Daten vor (SB französische Beschlüsse I und II), sodass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verfahrensbeteiligten nachprüfbar waren und sind. Hinsichtlich der Übereinstimmung der im‘ hiesigen Verfahren zu Grunde liegenden Daten mit den durch die französischen, Behörden übermittelten SkyECC-Daten hat die Kammer bereits Beweis erhoben durch Vernehmung des.Zeugen pp. des LKA .Kiel, u.a. über .dessen durchgeführten Datenabgleich. Danach ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Datenverfälschung in Deutschland. ‚Soweit es den französischen Bereich betrifft, gibt es ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Daten fehlerhaft und inhaltlich verfälschend aufgezeichnet und ausgewertet worden sind. Widersprüche bei den Zahlen und sonstigen Datenwiedergaben sieht die Kammer nicht. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Chats die Kommunikation nicht lückenlos wiedergeben. Das hat sie berücksichtigt und wird es weiter berücksichtigen.“

Nach der EuGH-Entscheidung wird man sich fragen (müssen), ob eigentlich EncroChat noch ein „vernünftiger“ Verteidigungsansatz ist. Jedenfalls wird das Verteidigen mit EncroChat sicherlich nicht leichter.

KCanG II: SkyECC-Chatinhalte und das neue KCanG, oder: LG Köln hält sie für verwertbar

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Und dann habe ich hier noch eine zweite Entscheidung zur Verwertbarkeit von Verwertbarkeit von SkyECC-Daten nach Inkrafttreten des KCanG. Das LG Köln macht es im LG Köln, Beschl. v. 16.4.2024 – 323 Qs 32/24 – anders als die bisherige Rechtsprechung. Es sieht die Daten als vewertbar an und führt dazu in einem Haftverfahren aus:

„Die im Haftbefehl dargestellten Fälle lassen sich im Sinne eines dringenden Tatverdachts anhand der in den Sonderheften dargestellten SkyECC-Chatinhalte zu der Kennung pp. nachvollziehen. Der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte der — ausschließliche — Nutzer des SkyECC-Accounts pp.  war ergibt sich aus den in den Identifizierungsvermerken vom 11.05.2023 und vom 07.06.2023 dargelegten Umständen.

1. Die erlangten Erkenntnisse aus mittels Sky-ECC geführter Kommunikation sind auch nach Änderung der Gesetzeslage durch das Inkrafttreten des KCanG verwertbar.

a) Bisher existiert keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Verwertbarkeit der mittels „SkyECC“ versandten Daten (vgl. aber Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 15. November 2021 – 2 HEs 24-30/21; juris; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2023 — 111-5 Ws 341 – 344/22 juris). Orientiert an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 — 5 StR 457/21 —, juris; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022 — 6StR 639/21 juris; BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 — 4 StR 61/22 juris; vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 31. März 2021 — 2 Ws 118/21, juris) ist die Kammer indes bislang durchgängig von der Verwertbarkeit der SkyECC-Daten ausgegangen.

b) Die Einführung des KCanG ändert im Ergebnis nichts an der Verwertbarkeit von SkyECC-Daten.

Geändert hat sich die Rechtslage, soweit für die Frage der Verwertbarkeit von Interesse, infolgedessen in zweierlei Hinsicht: Zum einen sieht § 100b StPO Abs. 2 Nr. 5 a. StPO lediglich noch für Straftaten nach § 34 Abs. 4 KCanG die Möglichkeit einer Online-Durchsuchung vor, also nur noch bei bandenmäßigem oder bewaffneten Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge. Zum anderen ist der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG mit drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe deutlich geringer als der des § 29a Abs. 1 BtMG, der ein Jahr bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe vorsieht.

aa) Die für die in Rede stehenden Taten nicht mehr gegebene Möglichkeit einer Online-Durchsuchung nach § 100b StPO steht der Verwertbarkeit nicht entgegen.

(1) Für die über den kryptierten Nachrichtendienst „EncroChat“ versandten Daten hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 02. März 2022 — 5 StR 457/21, juris auf Grundlage einer umfassenden — an verfassungsrechtlichen Maßstäben — vorgenommenen Prüfung entschieden, dass diese in einem deutschen Strafverfahren verwertbar sind.

Die Frage, ob im Wege der Rechtshilfe erlangte Beweise verwertbar sind, richtet sich danach ausschließlich nach dem nationalen Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates, soweit — wie hier — der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat (BGH aaO. Rn. 26). Im Rechtshilfekontext sei es gerade nicht ausgeschlossen, von anderen Mitgliedstaaten ausdrücklich zu Zwecken der Strafverfolgung übermittelte Daten aus Maßnahmen zu verwenden, die keine Entsprechung in der StPO haben (BGH aaO. Rn. 73, unter ausdrücklicher Ablehnung der anderweitigen Auffassung des von der Verteidigung zitierten Singelnstein). Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung in der Hauptverhandlung erhobener Beweise ist danach § 261 StPO, unabhängig davon, ob diese zuvor im Inland oder auf sonstige Weise – etwa im Wege der Rechtshilfe – erlangt worden sind (BGH aaO. Rn. 25). Entscheidender Zeitpunkt für die Frage der Verwertbarkeit auf den Zeitpunkt der Verwertung, nicht der der Erlangung der Daten (vgl. zum Zeitpunkt der Verwertbarkeit BGH aaO. Rn. 69).

Hinsichtlich der Verwertbarkeit der im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten .Beweisergebnisse hat der 5. Strafsenat ausgeführt, dass auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgegriffen werden könne, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020 – 1 11./R 2835/17, BVerfGE 154, 152 ff. Rn. 216 ff.). In dem von ihm zu entscheidenden Fall hat er aufgrund des Gewichts der Maßnahme zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes — auch um jede denkbare Benachteiligung auszuschließen — die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht (BGH aaO. Rn. 68) und damit an die Voraussetzungen des § 100b StPO angeknüpft.

(2) Die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze sind für die Verwertbarkeit der aus Sky-ECC geführten Kommunikation erlangten Daten übertragbar.

Ebenso wie die Encrochat-Daten sind diese in einem französischen Ermittlungsverfahren erhoben worden und auch die wesentlichen Rahmenbedingungen stimmen zwischen den beiden Anbietern überein. Insbesondere befand sich – ausweislich der vorliegenden Beschlüsse des in beiden Fällen zuständigen Gerichts in Lille – bei beiden Anbietern der Server, über den die Kommunikation erfolgte, an einem Standort in Frankreich und das Angebot sowohl von „Encrochat“ als auch von „SkyECC“ war dadurch gekennzeichnet, dass die Geräte nicht über legale Vertriebswege verkauft wurden und für die verschlüsselten Geräte ein außergewöhnlich hoher Preis – etwa 1.500 Euro für eine sechsmonatige Nutzung – zu zahlen war, obwohl die Geräte selbst nur über einen sehr eingeschränkten Funktionsumfang verfügten (so OLG Celle, Beschluss vom 15.11.2021 – 2 HEs 24 – 30/21 – juris Rn. 22 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2023 — 111-5 Ws 341 ¬344/22 —, Rn. 42, juris).

(3) Unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 02. März 2022 aufgestellten Grundsätzen, sind die erlangten SkyECC-Daten auch nach Inkrafttreten des KCanG verwertbar.

Ein absolutes Beweisverwertungsverbot liegt schon wegen des Inhalts der überwachten Kommunikation nicht vor (BGH aaO. Rn. 62.) Aber auch ein relatives Beweisverwertungsverbot ist nicht gegeben.

(a) So hat der 5. Strafenat des Bundesgerichtshofs zwar in dem von ihm entschiedenen Fall die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht (vgl. BGH aaO. Rn. 68).

Dies bedeutet allerdings nicht, dass Daten unterhalb dieses Schutzniveaus in keinem Fall verwertbar sind. Gegen diesen, in der Beschwerdebegründung und offenbar auch durch das Landgericht Mannheim (Az. 5 KLs 804 Js 28622/21, vgl. die Pressemitteilung des LG Mannheim) und das Landgericht Darmstadt gezogenen Schluss sprechen vielmehr schon die soeben wiedergegebene Formulierung als auch die im Zusammenhang damit stehenden Passagen des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 02. März 2022.

Der Bundesgerichtshof stellt mit der wiedergegebenen Formulierung klar, dass § 100e Abs. 6 StPO nicht unmittelbar anwendbar ist (so auch schon BGH aa0. Rn. 25 und 65), lediglich dessen Grundgedanke ist anwendbar, und dies auch nur, um jede denkbare Beeinträchtigung auszuschließen. Daraus ergibt sich sehr deutlich, dass nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die Daten im Grundsatz immer verwertbar sind, wenn die Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO vorliegen, unter die in den folgenden Absätzen des Beschlusses des Bundesgerichtshofs subsumiert wird. Es ergibt sich daraus aber nicht der Umkehrschluss, dass sie anderenfalls nicht verwertbar sind.

Vielmehr kommen dem Kernbereichsschutz und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zu (BGH aa0. Rn. 67). Hierfür kann auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgegriffen werden, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt (BGH aaO. Rn. 68).

In dem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die vorgenommene Maßnahme nach deutschem Recht jedenfalls teilweise nach § 100a Abs. 1 StPO gerechtfertigt wäre, also gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 7a. a) StPO auch beim Vorwurf des gewerbsmäßigen Handeitreibens mit Cannabis in Betracht kommt. Denn § 100a Abs. 1 S. 2 und 3 StPO erlaubt die Quellen-TKÜ und damit auch den Zugriff auf laufende und hinzukommende —hingegen nicht bereits vorhandene — Kommunikationsinhalte auf dem Endgerät des Betroffenen (Meyer-Goßner/Schmitt/Köh/er, StPO, 66. Auflage, § 100a, Rn. 14a, 14b; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl. 2023, StPO § 100a Rn. 42). Die Aufnahme des gewerbsmäßigen Handeltreibens in den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO demonstriert, dass der Gesetzgeber auch nach Inkrafttreten des KCanG zur Aufklärung derartiger Straftaten sehr eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen wie eben auch die Quellen-TKÜ als zulässig erachtet. Dies fügt sich dazu, dass die Eindämmung der organisierten Kriminalität gerade Ziel der Einführung des KCanG war, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat.

Der Bundesgerichtshof fordert im Ergebnis daher eine restriktive Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität, der Schwere der Straftat, der Intensität des Tatverdachts und des staatlichen Aufklärungsinteresses (vgl. BGH aaO. Rn. 43f.). Als Ausdruck der „Abwägungslehre“ (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt aaO. Einl. Rn. 55c ff.) ist danach vom Einzelfall auszugehen und nach der Sachlage und der Art des Verbotes zu unterscheiden, wobei stets das Interesse des Staates an der Tataufklärung gegen das Individualinteresse des Bürgers an der Bewahrung seiner Rechtsgüter abzuwägen ist.

(b) Gemessen daran und der danach vorzunehmenden Abwägung im konkreten Einzelfall sind die erlangten Daten aus der vom Beschuldigten geführten Sky-ECC Kommunikation nach Auffassung der Kammer weiterhin verwertbar.

Zunächst betreffen die Daten keine Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung (vgl. § 100 d Abs. 2 S. 1 StPO). Auch stehen andere Beweismittel nicht zur Verfügung, mithin ist eine Erforschung des Sachverhalts ohne diese Beweismittel nicht möglich. Die Sky-ECC Protokolle sind besonders ergiebig, da darin offen über Drogengeschäfte in erheblichem Umfang kommuniziert wird, wofür gerade zur Verschleierung der Straftaten ein entsprechend kryptierter Kommunikationsweg genutzt wurde.

Es besteht ferner mit einem dringenden Tatverdacht die höchste Verdachtsintensität. Dieser dringender Tatverdacht bezieht sich des Weiteren auf schwere Straftaten. Auch nach der Reduzierung des Strafrahmeris stellt das Handeltreiben mit Cannabis in § 34 Abs. 3 KCanG im Grundsatz eine solche schwere Straftat dar, wie bereits die Aufnahme der Vorschrift in die „schweren Straftaten“ des § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 7a. a) StPO demonstriert.

Es steht zudem außer Frage, dass es sich bei den dem Beschuldigten zur Last liegenden Taten konkret überwiegend um sehr schwerwiegende Taten handelt. Der Beschuldigte war im Sinne eines dringenden Tatverdachts bereits bei den einzelnen Taten jeweils für sich genommen mit ganz erheblichen Mengen befasst, die teilweise im dreistelligen Kilogrammbereich lagen und einen Verkaufswert im hohen sechsstelligen Bereich repräsentieren. Die vorliegenden Chatverläufe belegen nicht nur, dass der Beschuldigte mit grenzüberschreitende Drogenhandel von Spanien nach Deutschland (Fälle 3, 4; 7, 8) befasst war, sondern‘ über Kontakte in weitere europäische und außereuropäische Länder verfügte. Er war Teil eines Netzwerkes aus Lieferanten, Logistikem, Investoren und Verkäufern. Es steht außer Frage, dass diese Taten nicht nur auch nach Inkrafttreten des KCanG noch strafbar sind, es handelt sich bei ihnen auch um Taten der organisierten Kriminalität, deren Bekämpfung die Einführung des KCanG dienen soll, worauf die Staatsanwaltschaft zurecht hinweist.

Weiter ist im Rahmen der im Einzelfall zu erfolgenden Abwägung der Umfang des erfolgten Eingriffs aufgrund der Verwendung der Daten abzustellen. Die Daten wurden durch die französischen Behörden nur für einen begrenzten Zeitraum erhoben. Der damit verbundene Eingriff in die Rechte der Betroffenen war zeitlich überschaubar und im Hinblick auf die dadurch gewonnenen Erkenntnisse in jeder Form verhältnismäßig.

bb) Wie bereits dargelegt, handelt es sich auch bei Verstößen gegen § 34 Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG um im Grundsatz schwere Straftaten und gilt dies für die dem Beschuldigten zur Last liegenden Taten in besonderem Maße.

Man wird sehen, wie es weitergeht.

KCanG I: Handel mit „nicht geringer Menge“ strafbar?, oder: Einmal hopp, einmal topp zum neuen KCanG

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In die neue Woche starte ich heute mit Entscheidungen zu Betäubungsmittelfragen.

Es kommt hier zunächst der KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 – zur Strafbarkeit des Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge nach Inkrafttreten des CanG. Es handelt sich um die erste obergerichtliche Entscheidung zu der Frage

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem dem Angeschuldigten zur Last gelegt wird, in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Im Fall 1 soll sollen der Angeschuldigte und sein Mittäter unter Nutzung kryptierter Mobiltelefone des Anbieters „EncroChat“ an einen anderen User dieses Dienstes 30 Kilogramm Marihuana aus der Ernte einer von ihnen in der Umgebung von G. (Brandenburg) betriebenen Cannabisplantage verkauft haben. Durch den Verkauf sollen die beiden Angeschuldigten mindestens 70.000 EUR erlangt haben.

Im Fall 2 der Anklage sollen sich drei der fünf Angeschuldigten sowie einer gesondert Verfolgte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zusammengeschlossen haben, um in arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrere Cannabisplantagen an mehreren Standorten zu betreiben und deren Ertrag gewinnbringend – entsprechend der zuvor gefassten Bandenabrede – an unbekannte Abnehmer zu verkaufen.

Das LG Berlin hat den Haftbefehl gegen den Angeschuldigetn außer Vollzug gesetzt. Dagegen die Haftbeschwerde der Staatsanwaltschaft. Die hatte Erfolg. Das KG hat den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt, allerdingsnur „teilweise“. Einen Vorwurf, nämlich den der Tat 1 hat man entfallen lassen.

In dem Zusammenhang führt das KG aus zur Verwertung der EncroChat-Daten aus::

„Daraus folgt: Die erlangten Informationen dürfen auf der Grundlage des § 261 StPO (im Ermittlungsverfahren nach § 161 Abs. 1 StPO) nur zur Verfolgung von auch im Einzelfall besonders schwerwiegenden Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtlos und der Kernbereich privater Lebensführung nicht berührt ist (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 69 ff.; Senat, Beschluss vom 31. Mai 2022 – 5 Ws 52/22 –).

Für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 70). In der Verwendung der aus einem anderen Strafverfahren stammenden personenbezogenen Daten in einem anhängigen Verfahren und in deren Verwertung in einer in diesem Verfahren zu treffenden gerichtlichen Entscheidung liegt ein eigenständiger Grundrechtseingriff. Ob für diesen eine gesetzliche Grundlage besteht, kann lediglich nach der für den Verwendungs- bzw. Verwertungszeitpunkt geltenden Rechtslage beurteilt werden. Bei sich im Verlaufe eines anhängigen Strafverfahrens ändernden strafprozessualen Vorschriften ist die neue Rechtslage maßgebend (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 310/12 –, juris Rn. 45, m. w. Nachw. = BGHSt 58, 32 ff.). Eine zulässige Verwertung muss danach dann ausscheiden, wenn der Charakter als Katalogtat durch die Gesetzesänderung entfällt und es an entsprechenden Übergangsbestimmungen mangelt (vgl. Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 479 Rn. 7).

(2) Das ist vorliegend der Fall. Zu den Katalogtaten des § 100b Abs. 2 StPO gehört zwar das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (§ 100b Abs. 2 Nr. 5.b) StPO), der auf den Fall 1 des Haftbefehls betreffenden Vorwurf bislang zur Anwendung kam. Dieser Straftatbestand erfasst nach der am 1. April 2024 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG, BGBl. I 2024, Nr. 109) jedoch nicht mehr den dort beschriebenen Umgang mit Cannabis. Dieses wird durch das Gesetz nicht weiter als Betäubungsmittel behandelt und unterliegt damit jetzt nicht mehr den Vorschriften des BtMG (vgl. Art. 3 CanG; BT-Drs. 20/8704, S. 56, 151). Die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat ist nunmehr stattdessen (als besonders schwerer Fall) nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 KCanG mit Strafe bedroht. Dadurch hat das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht nur seinen Verbrechenscharakter, sondern auch seine Eigenschaft als Katalogtat nach § 100b Abs. 2 StPO verloren. Auch diese Vorschrift hat durch das Cannabisgesetz eine Neuregelung erfahren (Art. 13a Nr. 2 CanG) und umfasst aus dem Konsumcannabisgesetz (lediglich) – im Fall 1 nicht vorliegende – Straftaten nach § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG (§ 100b Abs. 2 Nr. 5a. StPO).

Wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Zuschrift vom 3. April 2024 zutreffend ausführt, dürfen die im Wege der „EncroChat“-Überwachung gewonnenen Beweisergebnisse im vorliegenden Strafverfahren nach der derzeit gültigen Rechtslage daher nicht (weiter) verwertet werden und haben bei der Beurteilung des dringenden Tatverdachts im Rahmen der hier zu treffenden gerichtlichen Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft außer Betracht zu bleiben. Weitere (verwertbare) Beweismittel, die im Fall 1 des Haftbefehls des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024 einen dringenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten – der sich bislang nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen eingelassen hat – stützen könnten, liegen nicht vor. Der Haftbefehl war daher durch den Senat im Wege eigener Sachentscheidung nach § 309 Abs. 2 StPO entsprechend anzupassen.“

Und zum Fall 2 – nicht geringe Menge:

bb) Der Angeschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 13. März 2024 zur Last gelegten Tat zu 2. nach dem in der Anklageschrift dargestellten Ermittlungsergebnis aufgrund der dort aufgeführten Beweismittel unverändert dringend verdächtig. Er ist dem Vorwurf im Verfahren vor dem Senat auch nicht entgegengetreten. Diese Beweismittel, die durch weitere Ermittlungen auf der Grundlage der im „EncroChat“-Komplex gewonnenen und jetzt nicht mehr verwertbaren Erkenntnisse bekannt geworden sind, unterliegen keinem eigenständigen Verwertungsverbot. Das Beweisverwertungsverbot beschränkt sich auf die Tat zu 1.; ihm kommt insoweit keine Fernwirkung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 1 StR 316/05 –, juris Rn. 21 ff., m. w. Nachw.). Die Strafbarkeit in Fall 2 beurteilt sich gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach der neuen (milderen) Gesetzeslage und insoweit – da er das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, betrifft – nach §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 3 KCanG.

Der Senat sieht keine Veranlassung, in Ansehung der geänderten Rechtslage von dem von der obergerichtlichen Rechtsprechung festgelegten Grenzwert der nicht geringen Menge Cannabis von 7,5 g Tetrahydrocannabinol (THC) abzuweichen.

(1) In seiner diesbezüglichen Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof herausgestellt, dass für die Bestimmung der nicht geringen Menge insbesondere der Wirkungsweise und Gefährlichkeit des jeweiligen Rauschmittels sowie den Konsumgewohnheiten entscheidende Bedeutung zukommt. Dabei hat er sich an einer durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und erläutert, dass die Wirkung von Cannabisprodukten vom dem Anteil des reinen Wirkstoffes THC abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84 –, juris Rn. 5 ff. = BGHSt 33, 8 ff.). Für die Hauptkonsumform, das Rauchen, hat er nach Auswertung verschiedener wissenschaftlicher Studien, die sich insbesondere mit den klinischen und psychologischen Auswirkungen von Cannabis bei Menschen beschäftigt hatten, die für die Erzielung eines Rauschzustandes erforderliche Einzeldosis mit 15 mg THC bestimmt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 15 ff.). Hauptsächlich wegen der im Vergleich zu anderen Drogen (insbesondere Heroin) geringeren Gefährlichkeit von Cannabis hat der Bundesgerichtshof – der dabei auch berücksichtigt hat, dass dessen Konsum gleichwohl unter anderem zu Denk- und Wahrnehmungsstörungen, Depressionen, bisweilen bis hin zu Psychosen, führen kann und diesem eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen innewohnt – für den Grenzwert der nicht geringen Menge ein Vielfaches der zum Erreichen eines Rauschzustands notwendigen Wirkstoffmenge als maßgeblich und den Wert von 500 durchschnittlichen Konsumeinheiten und damit 7,5 g THC als dafür erforderlich, aber auch ausreichend erachtet (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 23 ff.). Dabei hat er zudem den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit von Cannabisprodukten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Qualität der in der Drogenszene tatsächlich auftauchenden Stoffe ausdrücklich Rechnung getragen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 26).

(2) Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die maßgeblichen Grundlagen dieser Bewertung seither eine Änderung erfahren hätten. Dementsprechend hat die Rechtsprechung an dem so ermittelten Grenzwert bis heute durchgängig festgehalten (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 1995 – 1 StR 223/95 –, juris Rn. 2, 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95 –, juris Rn. 13 ff., 6. August 2013 – 3 StR 212/13 –, juris Rn. 2, und 14. November 2023 – 6 StR 505/23 –, juris Rn. 3).

Es ist daher nicht nachzuvollziehen, wenn der Gesetzgeber des Cannabisgesetzes fordert, der Wert der nicht geringen Menge sei von der Rechtsprechung aufgrund einer geänderten Risikobewertung neu zu entwickeln und deutlich höher zu bemessen (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 132). Weder teilt er mit, worauf diese geänderte Bewertung beruhen soll, noch lassen sich der Gesetzesbegründung Vorgaben oder Maßstäbe für die von ihm für erforderlich gehaltene Neubestimmung entnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 –, juris Rn. 21, und Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24 –, juris Rn. 30). Die Aufforderung erscheint umso unverständlicher, als im Gesetzgebungsverfahren an anderer Stelle die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums – insbesondere für junge Menschen – ausdrücklich betont werden und der Gesundheitsschutz neben anderen Beweggründen der Legitimation der Gesetzesnovellierung dienen soll (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 1, 68 ff.). Es trifft zwar zu, dass Cannabis vom Schwarzmarkt das Risiko für Schäden an der Gesundheit zusätzlich verstärkt, da sein THC-Gehalt in der Regel unbekannt ist – was die Gefahr von Überdosierungen erhöht – und es giftige Beimengungen und Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide mit nicht abschätzbarer Wirkungsweise enthalten kann (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 1, 68, 72, 113). Die unterschiedliche Qualität der in der Drogenszene im Verkehr befindlichen Stoffe hatte der Bundesgerichtshof bei der Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge aber bereits berücksichtigt. Ungeachtet der von möglichen Zusatzstoffen ausgehenden zusätzlichen Gesundheitsgefahren enthält auch das vom Gesetzgeber nunmehr privilegierte „Konsumcannabis“ den reinen Wirkstoff THC, dem allein schon unverändert die gesundheitsgefährdende Wirkung innewohnt, welcher der Bundesgerichtshof bei der von ihm vorgenommenen Grenzziehung maßgebliche Bedeutung beigemessen hat. Soweit die gesellschaftliche Akzeptanz des Rauschmittels Cannabis – worauf ein stetig wachsendes Konsumverhalten der Bevölkerung Hinweis bieten könnte (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 71 ff.) – mittlerweile eine Änderung erfahren haben sollte, hat diese in dem nach der neuen Rechtslage teilweise legalisierten Umgang sowie den milderen Strafrahmen für die vom Gesetzgeber weiterhin als strafwürdig bewerteten Handlungsweisen bereits Niederschlag gefunden. Vor dem Hintergrund der ungeachtet dessen unveränderten Wirkungsweise und Gefährlichkeit von Cannabisprodukten besteht aus Sicht des Senats jedoch kein Grund zu einer zusätzlichen Privilegierung in der Weise, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge anzuheben wäre (so auch BGH, a. a. O.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 28 ff.).

(3) Auch gesetzliche Wertungswidersprüche, die es insbesondere vor dem Hintergrund des gemäß §§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3, 3 und 9 KCanG nunmehr großzügig für straflos erklärten Besitzes und privaten Eigenanbaus unvertretbar erscheinen ließen, an dem für die nicht geringe Menge Cannabis entwickelten Grenzwert festzuhalten (so aber BT-Drs., a. a. O.), sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 14 ff.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 32 f.).

Das Merkmal der nicht geringen Menge erlangt für drei Strafvorschriften des Konsumcannabisgesetzes Bedeutung.Soweit § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG sich auf sämtliche Tathandlungen nach § 34 Abs. 1 KCanG erstreckt, sofern sich diese auf eine nicht geringe Menge beziehen, ist damit zwar auch der Besitz Volljähriger von mehr als 30 Gramm Cannabis außerhalb des eigenen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zum Zwecke des Eigenkonsums bzw. der Besitz von mehr als 60 Gramm Cannabis auch an diesen Orten erfasst und überschreiten diese verbotenen Mengen die nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten – die nach den am Markt vorkommenden Wirkstoffgehalten unterschiedlicher und immer weiter steigender Qualität insbesondere bei Haschisch und Cannabisblüten vereinzelt auch eine Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC oder mehr erwarten lassen können (vgl. Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146 ff.) – nicht wesentlich. Jedoch hat diese Norm den Charakter eines benannten besonders schweren Falles, der es erlaubt, auch in Fällen des Vorliegens des Regelbeispiels im Einzelfall von der Anwendung des erhöhten Strafrahmens abzusehen (vgl. Fischer, StGB 71. Aufl., § 46 Rn. 91) und damit insbesondere der vom Gesetzgeber angenommenen geringeren Strafwürdigkeit des unerlaubten Besitzes in Grenzfällen Rechnung zu tragen. Das KCanG bezweckt zudem lediglich, den Konsumenten zu privilegieren. Die Strafwürdigkeit der übrigen in § 34 Abs. 1 KCanG enthaltenen und nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG in Bezug genommenen Handlungsweisen (etwa das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge) bleibt davon unberührt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 33).

Bei dem – vorliegend einschlägigen – Verbrechenstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG handelt es sich um eine Qualifikation, die Handlungsweisen erfasst, die jedenfalls im Zusammenhang mit dem weiteren unrechtserhöhenden Merkmal der bandenmäßigen Begehungsweise typischerweise gegen den (ausschließlichen) Umgang mit Cannabis zum Zwecke des Eigenverbrauchs sprechen.

Vergleichbares gilt für die in § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG aufgeführten Begehungsformen, die mit dem weiteren, das Unrecht der Tat ebenfalls besonders erhöhenden Umstand des Mitsichführens einer Schusswaffe oder eines sonstigen seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeigneten und bestimmten Gegenstandes verknüpft sind, weshalb der im Vergleich zum Grundtatbestand des § 34 Abs. 1 KCanG erhöhte Strafrahmen selbst im Falle eines Sichverschaffens nicht geringer Mengen Cannabis ausschließlich zum Eigenverbrauch gerechtfertigt erscheint.