Archiv der Kategorie: Urteil

Strafzumessung II: Dreimal BGH zur Strafzumessung, oder: Rücktritt, Beamtenstatus, BtM-Handel

© rcx – Fotolia.com

Im zweiten Posting dann drei BGH-Entscheidungen, die ich in der letzten Zeit zu Strafzumessungsfragen gefunden haben, und zwar:

„b) Der Einzelstrafausspruch im Fall II.2.2 der Urteilsgründe und der Ge-samtstrafenausspruch haben auf die Sachrüge keinen Bestand.

Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, als er den Nebenkläger mit seinem Pkw anfuhr und verletzte. Es ist dann aber davon ausgegangen, dass der Angeklagte von diesem Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten ist. Gleichwohl hat es bei der Strafzumessung aus dem Strafrahmen des § 315b Abs. 3 StGB  zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser „zunächst (bis zum Rücktrittsentschluss) mit bedingtem Tötungsvorsatz“ gehandelt habe. Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft. Das Rücktrittsprivileg bewirkt, dass der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44 f.; Beschluss vom 7. April 2010 – 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202 mwN). Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass sich der Rechtsfehler auf die Höhe der im Fall II.2.2 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe ausgewirkt hat.“

„Die strafschärfende Berücksichtigung des Umstandes, dass „die Betäubungsmittel sämtlich in den Handel gelangten“, in den Fällen des vollendeten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Fälle II.1-25 der Urteilsgründe) ist rechtsfehlerhaft, weil dem Angeklagten hiermit das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes angelastet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2018 ? 4 StR 100/18, juris Rn. 8). Im Hinblick auf die in diesen Fällen jeweils verhängte Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe aus dem rechtsfehlerfrei herangezogenen Strafrahmen des § 29 Abs. 3 BtMG kann der Senat aber ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht.“

„2. Der Strafausspruch hat jedoch keinen Bestand.

Den Strafzumessungserwägungen lässt sich nicht entnehmen, dass die Strafkammer berücksichtigt hat, dass der Angeklagte nach § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2a SHBeamtVG iVm § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG mit Rechtskraft der Verurteilung seine Rechte als Ruhestandsbeamter und damit möglicherweise auch seine wirtschaftliche Basis verliert. Die Erörterung dieser Umstände war aber geboten, weil nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten zu erwarten sind. Zu solchen zählen als bestimmende Strafzumessungsgründe (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) insbesondere auch gesetzlich angeordnete Folgen des Beamtenrechts; dies gilt grundsätzlich auch für Ruhestandsbeamte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juni 2020 – 4 StR 663/19; vom 14. Dezember 2017 – 3 StR 544/17, StraFo 2018, 78 jeweils mwN).

Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler, weil der Senat nicht ausschließen kann, dass sich die Berücksichtigung der beamtenrechtlichen Folgen der Verurteilung auf die Zumessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe zum Vorteil des Angeklagten ausgewirkt hätte.“

Strafzumessung I: Strafzumessung in BtM-Verfahren, oder: „Kronzeuge“ und „minder schwerer Fall“

entnommen wikimedia.org
By Dundak – Own work

Ich habe seit längerem keine Strafzumessungsentscheidungen mehr vorgestellt. Da hole ich heute nach.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 12.01.2022 – 3 StR 394/21. Ergangen ist der Beschluss in einem BtM-Verfahren. Das LG hat wegen unerlaubten Handels mit BtM in nicht geringer Menge verurteilt. Der BGH hebt den Strafausspruch auf:

„2. Der Strafausspruch hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht eine mögliche Strafmilderung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG nicht erwogen hat, obwohl es sich ausweislich der Urteilsgründe zu einer ausdrücklichen Erörterung gedrängt sehen musste.

a) Der Angeklagte machte nach den Feststellungen bereits im Ermittlungsverfahren Angaben zur arbeitsteiligen Vorgehensweise der Bande, zur Rolle der Mitangeklagten und eines gesondert Verfolgten sowie zur Anzahl und Menge der Betäubungsmittellieferungen nach B. . Diese Einlassung wiederholte der Angeklagte in der Hauptverhandlung (UA S. 11 ff.). Hierauf hat das Landgericht die Verurteilung der lediglich teilgeständigen Mitangeklagten gestützt (UA S. 13 ff.).

Es hat einen minder schweren Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG verneint und der Strafbemessung den Strafrahmen des § 30a Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt. Eine weitere Strafmilderung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist nicht erörtert worden. Bei der Verneinung eines minder schweren Falles und bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Strafkammer jedoch zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er die Taten bereits im Ermittlungsverfahren umfassend eingeräumt und auch Tatbeiträge von anderen Beteiligten benannt hat, was zu deren Überführung beigetragen hat (UA S. 22).

b) Die Nichterörterung von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist danach rechtsfehlerhaft. Nach den Urteilsgründen lag es nahe, dass der Angeklagte durch die freiwillige Benennung weiterer Bandenmitglieder gemäß § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG dazu beigetragen hat, die Taten über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufzuklären ( BGH, Beschlüsse vom 11. November 2021 – 4 StR 134/21 , juris Rn. 12; vom 20. August 2014 – 1 StR 390/14 , juris Rn. 4; vom 31. August 2010 – 3 StR 297/10 , juris Rn. 2 f.; vom 23. Oktober 2008 – 3 StR 413/08 , NStZ-RR 2009, 58 f.).

c) Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht der Strafausspruch. Zwar hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten sein Geständnis und die Aufklärungshilfe berücksichtigt. Die Urteilsgründe lassen jedoch nicht erkennen, dass es die Möglichkeit geprüft hat, aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG minder schwere Fälle nach § 30a Abs. 3 BtMG zu bejahen oder die Strafe dem nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG , § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen zu entnehmen ( BGH, Beschlüsse vom 11. November 2021 – 4 StR 134/21 , juris Rn. 12; vom 31. August 2010 – 3 StR 297/10 , juris Rn. 2 f.). Dies zwingt zur Aufhebung sämtlicher verhängten Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs. Die strafzumessungsrelevanten Feststellungen können bestehen bleiben, da ausschließlich ein Rechtsanwendungsfehler vorliegt. Weitere, zu diesen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen kann das neue Tatgericht treffen.“

OWi III: Fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Was gehört ins Urteil?

Und im dritten Posting dann noch einmal Geschwindigkeitsüberschreitung, und zwar das OLG Zweibrücken im OLG Zweibrücken, Beschl. v. 03.02.2022 – 1 OWi 2 SsBs 113/21:

„Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 09.02.2021 um 13:06 Uhr in der Gem. Kaiserslautern die B 270 in Fahrtrichtung Weilerbach, wobei er in Höhe km 0,2 die dort mittels Verkehrsschildern auf 100 km/h begrenzte Höchstgeschwindigkeit um – toleranzbereinigte – 43 km/h überschritt.

Der Betroffene hat nach den schriftlichen Urteilsgründen die Fahrereigenschaft eingeräumt und sich dahin eingelassen, er halte Pferde in S. und habe über ein Alarmsystem einen Daueralarm von der elektrischen Einfriedung der Koppel erhalten. In der Vergangenheit sei es einmal vorgekommen, dass sich eines der Pferde in der stromführenden Schnur verwickelt und wiederholt Stromschläge erhalten habe. Nachdem er vor Ort niemanden erreicht habe, habe er sich selbst auf den Weg gemacht und aus Sorge um das Tier „möglicherweise nicht die notwendige Sorgfalt für die Beschränkung aufgebracht“ (UA S. 2). Das Amtsgericht hat diese Einlassung für nicht widerlegt erachtet und einen fahrlässigen Verstoß angenommen.

II.

Die Beschwerdeführerin beanstandet mit ihrer Sachrüge zu Recht die dem Schuldvorwurf zugrunde gelegte Beweiswürdigung des Amtsgerichts. Auf die auch gegen den Rechtsfolgenausspruch gerichteten Angriffe der Beschwerdeführerin kommt es daher nicht an.

a) Die Beweiswürdigung und somit die Überzeugungsbildung des Tatrichters unterliegt einer nur eingeschränkten Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts und sind daher für dieses grundsätzlich bindend und dürfen nicht durch die eigene Beweiswürdigung ersetzt werden (zur Revision: BGH, Beschluss vom 07.06.1979 – 4 StR 441/78, juris Rn. 8; vgl. auch Nack in: StV 2002, 510, jurion; Nack in: StV 2002, 558, jurion; Miebach in: NStZ-RR 2014, 233, beck-online; Miebach in: NStZ-RR 2016, 329). Der Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt lediglich, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, das Gericht an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt sowie nahe liegende Schlussfolgerungen nicht erörtert hat oder über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht. Lückenhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn sie die Auseinandersetzung mit wesentlichen Umständen vermissen lässt, deren Erörterung sich aufdrängte. Dem Urteil des Tatrichters muss daher bedenkenfrei entnommen werden können, dass er bei seiner Prüfung keinen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, das Beweisergebnis zu beeinflussen (BGH, Urteil vom 17.12.1980 – 2 StR 622/80, JurionRs 1980, 14683, Rn. 5).1. Wenn auch im Bußgeldverfahren nicht dieselben Anforderungen wie im Strafverfahren gelten, so muss doch die Beweiswürdigung des Tatrichters so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung ermöglicht (OLG Koblenz, Beschluss vom 26.05.2013 – 2 SsBs 128/12, juris Rn. 12 f.; vgl. zum Ganzen auch: Pf. OLG Zweibrücken, Urteil vom 15.06.2020 – 1 OLG 2 Ss 79/19, juris Rn. 14 m.w.N.).

b) Gemessen daran vermögen die hierzu gegebenen Ausführungen die Annahme – lediglich – fahrlässigen Verhaltens nicht zu tragen.

aa) Grundsätzlich kann der Tatrichter ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass Verkehrsschilder wahrgenommen werden. Oberhalb einer Grenze von 40% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist zudem regelmäßig davon auszugehen, dass dem Fahrer die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit nicht verborgen geblieben sein kann (Senat, Beschluss vom 14.04.2020 – 1 OWi 2 SsBs 8/20, juris Rn. 9 und 11 m.w.N.). Die Indizwirkung des Ausmaßes der Geschwindigkeitsübertretung auf ein (bedingt) vorsätzliches Verhalten des Fahrzeugführers kann aber durch eine entsprechende bestreitende Einlassung des Betroffenen oder das Vorliegen gegenteiliger Anhaltspunkte entkräftet werden.

Ob bereits die nicht näher erläuterte Angabe eines Fahrers, er habe die betreffenden Verkehrszeichen übersehen, ausreichen kann, diese Indizwirkung zu entkräften, ist fraglich. Denn der Tatrichter ist – wie auch sonst (vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2017 – 1 StR 436/17, juris Rn. 10) – nicht aus Rechtsgründen gehalten, eine nicht eindeutig widerlegbare Einlassung eines Beschuldigten zu übernehmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Einlassungen zu Vorstellungen und Motiven eines Beschuldigten. Der Tatrichter hat vielmehr eine entsprechende Einlassung anhand der festgestellten objektiven Tatumstände auf ihre Nachvollziehbarkeit zu prüfen und mit dem Beweisergebnis im Übrigen, insbesondere einer evtl. Ortskenntnis des Betroffenen, den Begleitumständen der Fahrt sowie der Art und Wiederholung der Beschilderung, in eine Gesamtwürdigung einzustellen.

bb) Der in den schriftlichen Urteilsgründen wiedergegebenen Einlassung des Betroffenen, er habe „möglicherweise nicht die notwendige Sorgfalt für die Beschränkung aufgebracht“, kann bereits die konkrete Schilderung eines Sachverhalts, der zur Entkräftung der mit dem Maß der Übertretung verbundenen Indizwirkung geeignet wäre, nicht entnommen werden. Weder hat der Betroffene danach angegeben, die – zudem wiederholt und beidseitig aufgestellten – Verkehrszeichen übersehen, noch behauptet, die von ihm gefahrene Geschwindigkeit falsch eingeschätzt zu haben. Im Hinblick auf das Motiv für die Fahrt – möglichst rasches Eintreffen an der Koppel in S. – hätte sich das Amtsgericht daher mit der sich aufdrängenden Möglichkeit befassen müssen, dass der Betroffene (in einer vermeintlichen Notsituation) bewusst eine Geschwindigkeitsübertretung um des schnelleren Fortkommens willen in Kauf genommen, mithin zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Jedenfalls aber hätte das Amtsgericht die Glaubhaftigkeit der Behauptung, die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht erkannt zu haben, nicht ungeprüft übernehmen dürfen. Insbesondere hätte sich das Amtsgericht in diesem Zusammenhang mit dem sich aufdrängenden Umstand befassen müssen, dass dem Betroffenen die von ihm gefahrene Strecke und auch die dort vorhandenen Geschwindigkeitsbeschränkungen offenkundig bekannt gewesen sind.“

OWi I: Nachträgliche Überprüfbarkeit der Messung, oder: Bei Widerspruch in der HV kein Zwischenbescheid

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Ich setze die Berichterstattung dann heute mit einem OWi-Tag fort, und zwar zunächst mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.02.2022 – 2 RBs 25/22.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Einzelrichter hat die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit zur Fortbildung des Rechts zugelassen und hat die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Der Betroffene hatte die Sachrüge erhoben und verfahrensrechtlich beanstandet, dass das mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelte Messergebnis mangels Speicherung von Messdaten einem Beweisverwertungsverbot unterliege und das AG den dazu durch den Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung angebrachten Widerspruch weder in der Sitzung noch in den Urteilsgründen beschieden habe. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde verworfen:

„1. Die in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Der Senat und andere Oberlandesgerichte haben bereits mehrfach entschieden, dass der Messvorgang nicht rekonstruierbar sein muss und die Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit anhand gespeicherter Messdaten abhängt (vgl. Senat BeckRS 2020, 4049; OLG Köln BeckRS 2019, 23786; OLG Oldenburg BeckRS 2019, 20646; OLG Schleswig BeckRS 2019, 33009; BayObLG NZV 2020, 322 = BeckRS 2019, 31165; OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 29; OLG Hamm BeckRS 2020, 550; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 1077; BeckRS 2020, 3291; BeckRS 2020, 4369; BeckRS 2020, 4376; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104; OLG Bremen BeckRS 2020, 5935; NStZ 2021, 114 = BeckRS 2020, 5965; OLG Jena BeckRS 2020, 24234; KG Berlin BeckRS 2019, 41508; BeckRS 2020, 6521; BeckRS 2020, 18283; OLG Dresden NJW 2021, 176; a. A. VerfGH Saarland NJW 2019, 2456 = NZV 2019, 414).

An den in diesen Entscheidungen dargelegten Argumenten wird festgehalten. So besteht die Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfung anhand gespeicherter Messdaten etwa auch nicht bei der als standardisiertes Messverfahren anerkannten Geschwindigkeitsmessung mit dem nicht dokumentierenden Lasermessgerät Riegl FG 21-P („Laserpistole“). Auch kennen andere Messmethoden wie etwa die Verwendung von digitalen Waagen, Entfernungsmessern, Thermometern und Geräten zur Bestimmung der Atemalkoholkonzentration in der Regel keine Speicherung von Messdaten, ohne dass Gerichte oder der Gesetzgeber (vgl. § 24a Abs. 1 StVG für die Atemalkoholkonzentration) deshalb zur Annahme eines rechtsstaatlichen Defizits gelangt wären.

b) Der Widerspruch, den der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung gegen die Verwertung des mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelten Messergebnisses angebracht hat, bedurfte keiner Bescheidung durch das Amtsgericht, so dass insoweit weder das rechtliche Gehör versagt noch der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt wurde.

Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung besteht kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht (vgl. statt vieler: BGH NStZ 2006, 348; NStZ 1997, 502; OLG Hamm NJW 2009, 242). Fehlt es an einem solchen Widerspruch, führt dies für die Revision zur Rügepräklusion (vgl. BGH NJW 2015, 265, 266; NJW 2018, 2279; OLG Celle NStZ 2014, 118, 119). Die Widerspruchsobliegenheit besteht auch im Bußgeldverfahren (vgl. Senat BeckRS 2019, 25099 = DAR 2020, 209; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 4261; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104).

Wird in der Hauptverhandlung seitens der Verteidigung Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweismittels erhoben, ist ein Zwischenbescheid, in dem sich das Tatgericht zur Frage eines Beweisverwertungsverbots äußern müsste, nicht vorgesehen, wenn auch nicht unzulässig (vgl. BGH NStZ 2007, 719; nachfolgend in der derselben Sache: BVerfG BeckRS 2009, 140731). Der Widerspruch dient der Vermeidung der Rügepräklusion und soll dem Tatgericht in der Hauptverhandlung verfahrensfördernd die Möglichkeit und Veranlassung geben, dem gerügten Verfahrensfehler freibeweislich nachzugehen (vgl. BGH NJW 2007, 3587, 3589; NJW 2018, 2279, 2280). Ein solcher Aufklärungsbedarf bestand vorliegend nicht, da die tatsächlichen Gegebenheiten des hier verwendeten Messverfahrens (Laserscanner PoliScan FM1, Softwareversion 4.4.9) bekannt sind. Zudem hatte der Verteidiger selbst ein Privatgutachten vorgelegt, das sich grundsätzlich mit diesem Messgerätetyp nebst neuer Softwareversion wie auch mit der konkreten Messung befasste.

Im Übrigen konnte sich der Verteidiger – der Betroffene war nach Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen selbst nicht anwesend – auch ohne ausdrückliche Erklärung des Amtsgerichts auf das weitere Verfahren einstellen. Denn es hat das Messergebnis (Messprotokoll, Datenfeld des Messfotos, XML-Datei) nach Erhebung des Widerspruchs in die Hauptverhandlung eingeführt, was darauf schließen ließ, dass es diese Beweismittel auch unter Berücksichtigung des Widerspruchs und dessen Begründung verwerten wollte.

Auch in dem schriftlichen Urteil musste das Amtsgericht den Widerspruch nicht bescheiden. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln sind in § 267 StPO nicht vorgesehen und von Rechts wegen nicht geboten (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 244; NJW 2009, 2612, 2613). Welches Messverfahren verwendet wurde, ist in dem Urteil festgestellt worden. Anders als etwa im Falle der Beanstandung einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung bedurfte es im Hinblick auf das geltend gemachte Beweisverwertungsverbot keiner weiteren Sachaufklärung. Durch die Verwertung des Messergebnisses hat das Amtsgericht inzident klar zum Ausdruck gebracht, dass es den zur Kenntnis genommenen Widerspruch nicht für durchgreifend erachtet hat und der oben zitierten Rechtsprechung des übergeordneten Senats wie auch zahlreicher anderer Oberlandesgerichte gefolgt ist. Ein Erkenntnisgewinn für den Verteidiger, dem diese Rechtsprechung ohnehin bekannt ist, hätte sich nicht ergeben, wenn der Widerspruch in den Urteilsgründen unter Hinweis auf einige Fundstellen der ständigen OLG-Rechtsprechung ausdrücklich beschieden worden wäre.

Bei dem Widerspruch handelt es sich um eine den Betroffenen bzw. Verteidiger treffende Obliegenheit, deren Erfüllung Voraussetzung für die Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist. Das Amtsgericht konnte sich zu dem Widerspruch äußern, musste dies aber nicht. Ein Verwertungswiderspruch ist unter den Gesichtspunkten des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens nicht einem Antrag gleichzustellen, den das Tatgericht zu bescheiden hat (z. B. Beweisantrag, Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung)…..“

Anmerkung:

1. Zur nachträglichen Überprüfbarkeit entspricht der Beschluss der h.M. in der Rechtsprechung der OLG. Man wird sehen, was das BVerfG – hoffentlich bald – dazu sagt.

2. Zur Widerspruchslösung ist die Entscheidung ebenfalls wohl zutreffend. Allerdings ist insoweit anzumerken, dass der Obersatz des OLG: „Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung besteht kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht“ zumindest missverständlich ist. Die Frage des Widerspruchs hat nämlich nichts mit dem Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes zu tun. Sondern: Das Beweisverwertungsverbot besteht, nur muss der Betroffene es auch in der Hauptverhandlung geltend machen, und zwar eben mit dem Widerspruch. Denn bei dem handelt es sich um eine den Betroffenen bzw. Verteidiger treffende Obliegenheit, deren Erfüllung nicht Voraussetzung für das Bestehen des Beweisverwertungsverbotes ist, sondern für die Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist. Nur, wenn widersprochen worden ist und das auch vorgetragen wird, kann die Verfahrensrüge durchgreifen.

OWi III: 4 x Entscheidungen zum Verfahrensrecht, oder: Zu späte Ablehnung, Vorhalt, Entlastungszeuge, Urteil

© vegefox.com – Fotolia.com

Und zum Schluss dann noch ein paar Entscheidungen zu Verfahrensfragen, und zwar – zum Teil noch einmal:

    1.  Die gerichtliche Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Ladung von Entlastungszeugen ist in den Fällen eingeschränkt, in denen der in der Hauptverhandlung anwesende Betroffene anhand eines bei der Tat gefertigten Lichtbildes nach Auffassung des Tatgerichts eindeutig identifiziert worden ist. Die Verpflichtung, in einem solchen Fall dennoch einen Zeugen zu laden, hängt dann von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
    2. Im Fall der Identifizierung anhand eines Lichtbildes müssen die tatrichterlichen Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.

Auch einem Urteil in Bußgeldsachen muss im Grundsatz zu entnehmen sein, ob und gegebenenfalls wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung geäußert hat oder ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat.

    1. Entscheidet das Gericht über die Rechtsbeschwerde außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege, so kann ein Ablehnungsgesuch nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist.
    2. Nichts anderes gilt, wenn die Ablehnung mit einer Gehörsrüge nach § 356a StPO verbunden wird, weil der Rechtsbehelf nicht dazu dient, einem unzulässigen Ablehnungsgesuch durch die unzutreffende Behauptung der Verletzung rechtlichen Gehörs doch noch Geltung zu verschaffen.
    3. Die nicht den Akteninhalt betreffenden Informations- und Einsichtsrechte leiten sich im Bußgeldverfahren nicht aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ab.
    4. Der Zulassungsgrund des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG (Verletzung rechtlichen Gehörs) ist auf nicht vom Wortlaut der Norm erfasste Verletzungen des Verfahrensrechts nicht entsprechend anwendbar.

Erklärt ein Zeuge auf einen Vorhalt hin, sich (weiterhin) nicht an die ihm vorgehaltenen Angaben in einer Urkunde zu erinnern, ist der Inhalt der Urkunde nicht verwertbar in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Auch die Angabe, bei Durchführung der damaligen Vernehmung richtig protokolliert zu haben, führt in einem solchen Fall nicht dazu, dass die vorgehaltenen Angaben des Zeugen durch den Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt werden und bei der Entscheidung verwertbar sind.