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Strafzumessung I: Mildere Strafe bei Vergewaltigung?, oder: „von beiden Seiten verschuldete Beziehungstat“

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Ich habe seit längerem keine Strafzumessungsentscheidungen vorgestellt. Heute ist es dann mal wieder an der Zeit.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 21.06.2022 – 5 StR 137/22 – zur Strafzumessung in einem Vergewaltigungsfall.

Der BGH hatte gegen die Strafzumessung des LG nichts zu „erinnern“:

Soweit die Revision der Ansicht ist, bei der Strafzumessung für die besonders schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung hätte strafmildernd berücksichtigt werden müssen, dass es sich „um eine von beiden Seiten verschuldete Beziehungstat“ gehandelt habe, erschließt sich diese Bewertung schon im Ansatz nicht. Ausweislich der Feststellungen beging der Angeklagte diese Tat, nachdem er erfahren hatte, dass die Geschädigte sich von ihm trennen wollte, und um sie für die Versendung von Nacktbildern an einen anderen Mann in früheren Zeiten zu bestrafen. Er beschloss daher, sich „sexuell an seiner ehemaligen Lebensgefährtin über einen längeren Zeitraum ‚abzureagieren‘ und diese in möglichst massiver Weise zu demütigen“, was er sodann in die Tat umsetzte. Hierin – wie die Revision es vertritt – ein Verschulden oder eine „Tatprovokation“ der Geschädigten zu sehen, ist nicht nachvollziehbar.

 

BtM II: Nochmals Täterschaft/Teilnahme beim Handel, oder: Anforderungen an die Beweiswürdigung

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Und als zweite Entscheidung heute dann noch einmal eine zu Täterschaft und Teilnahme beim Handel mit Betäubungsmitteln. Das OLG Stuttgart nimmt im OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.07.2022 – 4 Rv 25 Ss 983/21 – dazu und vor allem zur Beweiswürdigung Stellung.

Die Angeklagten sind vom LG u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte:

„Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat (zumindest vorläufig) auch in der Sache Erfolg. Denn die Strafkammer hat die Annahme mittäterschaftlichen Handelns nicht hinreichend begründet.

1. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Zu deren Überprüfung ist das Revisionsgericht nur eingeschränkt in der Lage. Es hat die tatrichterliche Würdigung grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Fehler enthalten. Solche sind namentlich dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist oder wenn sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend zu sein, sondern es genügt, dass sie möglich sind. Die Urteilsgründe müssen aber ergeben, dass alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in die Beweiswürdigung einbezogen worden sind und überdies erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogenen Schlussfolgerungen nicht lediglich Vermutungen sind, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (BGH, Urteil vom 10. April 2019 — 1 StR 646/18, juris Rn. 12). Weiter muss der Tatrichter zwar nicht jede theoretisch denkbare, den Umständen nach jedoch fern-liegende Möglichkeit der Fallgestaltung berücksichtigen. Er muss aber die in Betracht kommenden Beweise erschöpfend würdigen und darf deshalb von mehreren naheliegenden tatsächlichen Möglichkeiten nicht nur eine in Betracht ziehen und die anderen außer Acht lassen (BGH, NJW 1974, 2295).

2. Von diesen Maßstäben ausgehend hält die Beweiswürdigung des Landgerichts der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder als Gehilfe begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 — 1 StR 180/21, juris Rn. 4). Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln setzt Mittäterschaft in subjektiver Hinsicht eine eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit voraus, die bloße Förderung fremden Eigennutzes genügt nicht (BGH, Beschluss vom 30. September 2021 — 4 StR 70/21, juris Rn. 8).

b) Diese Voraussetzungen sind in dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend belegt. Weder werden einzelne Tatbeiträge des Angeklagten erörtert, noch hat sich die Jugendkammer erkennbar mit der Frage der Tatherrschaft befasst. Aus der Beweiswürdigung ergibt sich auch nicht, dass der Angeklagte eigennützig handelte. Zudem fehlt eine Auseinandersetzung mit der jedenfalls nicht fernliegenden Möglichkeit, dass es sich um Drogengeschäfte der Mitangeklagten pp., bei der ausweislich der Urteilsfeststellungen bereits seit 2013 eine Drogenproblematik besteht, handelte und der Angeklagte zwar von derartigen Ge-schäften wusste, ohne selbst mit Betäubungsmitteln zu handeln.

aa) Stattdessen wird lediglich darauf abgestellt, dass die Angeklagten in einer Einzimmerwohnung leben und eine feste Beziehung führen. Die Annahme, es gebe deshalb keine festen Zeiten, in denen zumindest eine Person nicht in der Wohnung ist, weshalb ein unbemerktes Bestellen oder Annehmen von Sendungen unwahrscheinlich sei, ist nicht durch Tatsachen belegt. Auch gibt es keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass Paare ihre Zeit ganz überwiegend oder gar durchgehend gemeinsam verbringen.

Überdies hätte es auch keiner regelmäßigen Abwesenheiten eines der Angeklagten bedurft, um die insgesamt fünf bestellten Päckchen in Empfang zu nehmen, lässt sich der Eingang solcher Sendungen doch anhand des Bestellzeitpunktes und der inzwischen bei allen gängigen Paketdienstleistern möglichen Sendungsverfolgung durchaus präzise vorhersehen, sodass ohne größeren Aufwand Vorkehrungen für eine unbemerkte Entgegennahme getroffen werden können.

bb) Weiter legt die Strafkammer nicht konkret dar, weshalb es aufgrund der wohnlichen Situation ausgeschlossen sein soll, unbemerkt Päckchen zu lagern. Aus den im Urteil in Bezug genommenen Lichtbildern der Wohnung ergibt sich dies nicht. Vielmehr lässt die über-schaubare Menge der bestellten Betäubungsmittel eine heimliche Lagerung jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen. Außerdem hätte auch die Möglichkeit bestanden, einmal in Empfang genommene Betäubungsmittel später andernorts zu lagern.

cc) Auch der von der Strafkammer herangezogene Marihuanakonsum der beiden Angeklagten belegt die angenommene Mittäterschaft nicht. Die Bezugsquelle der konsumierten Betäubungsmittel ist unbekannt, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass nur einer der Angeklagten das Marihuana bezog und der Partnerin bzw. dem Partner anschließend den (Mit-)Konsum ermöglichte.

Zudem wurden vorliegend auch Ecstasy-Tabletten und Amphetamine bestellt; in Bezug auf diese Betäubungsmittel ergeben sich aus dem eigenen Konsumverhalten der Angeklagten keine Anhaltspunkte für eine Mittäterschaft.

dd) Auch die Verwendung des Klarnamens der Mitangeklagten pp. im Fall 4 bzw. des An-geklagten im Fall 5 begründet mittäterschaftliches Handeln nicht. Es liegt jedenfalls nicht fern, dass sich einer der beiden Angeklagten lediglich mit der Verwendung der Klarnamen einverstanden erklärte, ohne dabei selbst eigennützig zu handeln. Auch insoweit hätte eine Abgrenzung zur Beihilfe erfolgen müssen…..“

Trauben durch Hydrauliköl bei der Lese verschmutzt, oder: „Beim Betrieb“ des Traubenvollenters?

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Und dann heute „Kessel Buntes“, aber ohne beA und Corona. Einfach mal wieder so zivilrechtliche Entscheidungen. Und da habe ich dann zwei Entscheidungen zum Schadensersatzrecht und zwar noch einmal zur Frage: Was heißt „beim Betrieb“ im Sinn von § 7 StVG.

Zunächst stelle ich das OLG Koblenz, Urt. v. 16.05.2022 – 12 U 532/21 – vor mit einem etwas ungewöhnlichen Sachverhalt. Nämlich:Der Kläger ist Halter eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Traubenvollernters. Mit der macht der Kläger bei der beklagten Haftpflichtversicherung einen Feststellungsanspruch geltend betreffend die Verpflichtung der Versicherung dem Grunde nach an, ihm im Rahmen der bei der Versicherung bestehenden Kfz-Haftpflichtversicherung sämtlichen Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass es im Zuge von lohnarbeitsmäßig durchgeführten Erntearbeiten für ein Weingut zu einer Verschmutzung der gelesenen Trauben durch das im Maschinenbereich ausgetretene Hydrauliköl gekommen ist und der Kläger seinerseits von dem Weingut auf Erstattung des Fremdschadens in Anspruch genommen wird.

Das LG hatte die Klage abgewiesen, die Berufung hatte Erfolg.

„Die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer ist dem Grunde nach verpflichtet, dem Kläger für die ihn aus dem Vertragsverhältnis mit dem Weingut pp. infolge der Ölverschmutzung an den geernteten Weintrauben treffende Schadensersatzverpflichtung Deckungsschutz zu erteilen. Sie kann sich insbesondere nicht darauf berufen, eine Haftung für Schäden an mit dem versicherten Fahrzeug transportierten Sachen sei versicherungsvertraglich ausgeschlossen.

Soweit in struktureller Hinsicht Zweifel an der unmittelbaren Haftung des Klägers als Halter des den Schaden verursachenden Traubenvollernters mit Blick auf die gesetzlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG bestehen könnten, weil der Schaden hier (lediglich) im Rahmen des Arbeitseinsatzes des versicherten Fahrzeugs und nicht bei der Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr eingetreten ist, greifen derartige Bedenken im Ergebnis nicht durch. Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb” ist nach der Rechtsprechung des BGH entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe und es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mit-geprägt worden ist (vgl. BGH NJW 2015, 1681; BGHZ 115, 84 [86]; BGHZ 105, 65 [66] sowie BGHZ 113, 164f). Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden (vgl. BGHZ 115, 84; BGHZ 71, 212 [214]). Es ist daher erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als einer der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt, wo die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeugs keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (vgl. BGHZ 105, 65 [67]; BGHZ 71, 212 [214]; BGH VersR 1975, 945f.; BGHZ 113, 164) oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat (vgl. BGHZ 115, 84 [87] m.w. Nachw.). Eine Verbindung mit dem „Betrieb” als Kraftfahrzeug ist jedoch zu bejahen, wenn – wie hier – eine „fahrbare Arbeitsmaschine” gerade während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet (vgl. BGHZ 105, 65 [66]; NZV 1991, 186 m. Anm. Kunscherl ; vgl. auch OLG Stuttgart, VersR 2003, 1275f.; OLG Rostock, DAR 1998, 474f.; LG Karlsruhe, ZfS 1995, 447f.).

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine Verbindung des Schadens mit dem Betrieb des Traubenvollernters als Kraftfahrzeug zu bejahen, da dieser mit seiner Motorkraft nicht nur den Antrieb für die Schuppenbahn und das Förderband bildete, sondern auch an den Rebstöcken entlangfuhr und dadurch die Erntevorrichtung fortbewegte, so dass eine streckenmäßig höhere Ernteleistung ermöglicht wurde. Dass der Schaden hier auf einem Privatgelände eingetreten ist, steht einer Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich nicht entgegen, denn der Betrieb eines Kraftfahrzeugs im Sinne dieser Norm erfordert nicht seinen Einsatz auf öffentlicher Verkehrsfläche (vgl. BGH NJW 2015, 1681; NJW-RR 1995, 215 = VersR 1995, 90 [92]). Sonstige Bedenken hinsichtlich des zwischen dem Kläger und dem pp. bestehenden „Valutaverhältnisses“ sind von den Parteien nicht vorgebracht und auch im Übrigen nicht ersichtlich….“

Und: Das OLG nimmt auch Stellung zur Auslegung des Begriffs „beförderte Sache“ in den Bedingungen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Insoweit bitte den Volltext lesen.

Corona I: Geldbuße bei Verstoß gegen Corona-VO, oder: „Gefährlichkeit des Verstoßes ….“

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In die neue Woche starte ich mit einigen Entscheidungen zu Corona.

Den Opener mache ich mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.07.2022 – 1 Rb 34 Ss 398/22. Das AG hat den Betroffenen wegen Betreibens einer Prostitutionsstätte entgegen des Betriebsverbots für eine solche Einrichtung durch Vermietung von Terminwohnungen an mehrere Personen in Tateinheit mit Betreibens einer Prostitutionsstätte ohne Erlaubnis zu einer Geldbuße von 8.000,- EUR verurteilt.dem OLG gefallen die Ausführungen/Feststellungen zur Höhe der Geldbuße nicht:

„1.Zutreffend legt das Gericht bei der Bemessung der Geldbuße ausgehend von § 73 Abs. 1 a Nr. 24 Abs. 2 IFSG einen Bußgeldrahmen von bis zu 25.000,- € zugrunde. Bei den im Folgenden ausgeführten Zumessungserwägungen bewertet das Gericht unter anderem zu Lasten des Betroffenen, dass dieser den Verstoß vorsätzlich beging. Dies ist rechtsfehlerhaft und begründet die Rechtsbeschwerde.

Grundlage für die Zumessung der Geldbuße sind grundsätzlich gern. § 17 Abs. 3 OWiG die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Ergänzend können die wirtschaftlichen Verhältnisse herangezogen werden. Den Vorwurf, der den Täter trifft, nennt § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG selbständig neben der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit. Hiermit ist der individuelle Schuldvorwurf gemeint. Nicht maßgebend kann sein, ob der Täter vorsätzlich oder nur fahrlässig gehandelt hat; denn davon hängt bereits der Bußgeldrahmen selbst ab (vgl. § 17 Abs. 2 OWiG), so dass diese Umstände nicht nochmals innerhalb des jeweiligen Bußgeldrahmens erschwerend oder mildernd berücksichtigt werden dürfen (Göhler/Gürtler, OwiG, 17. Aufl. 2017, § 17 Rn. 17). Dies stellt einen Verstoß gegen den Rechtsgedanken des § 46 Abs. 3 StGB dar, der auch im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. v. 05.12.2013 – 3 Ss OWi 1470/13 – juris; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.10.1992 – 1 Ws (OWi) 878/91, 5 Ss (OWi) 309/92 – (OWi) 132/92 I VRS 84, 340 – juris). Demnach besteht ein Doppelverwertungsverbot, welches verhindern soll, dass Umstände, die zum Tatbestand der Bußgeldnorm gehören oder die das generelle gesetzgeberische Motiv für die Bußgelddrohung darstellen, bei der Bemessung der Geldbuße noch einmal herangezogen werden. Da das vorsätzliche Verhalten des Betroffenen vorliegend gerade Tatbestandsmerkmal ist und den hohen Buß-geldrahmen — hier des § 73 Abs. 1 a Nr. 24, Abs. 2 IfSG — begründet (vgl. zum Vorsatz als Tatbestandsmerkmal OLG Bamberg, Beschl. v. 01.02.2017 — 3 Ss OWi 80/17 – juris), liegt ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot vor.

2. Was die Strafzumessung anbelangt, weist der Senat ergänzend darauf hin, dass — sofern das Gericht „die Gefährlichkeit des Verstoßes für das Infektionsgeschehen maßgeblich (…) berücksichtigen“ zu gedenkt – in den Feststellungen nähere Ausführungen zu Art und Ausmaß dieser Gefährlichkeit an den festgestellten Tagen erforderlich sein werden sowie — sofern schärfend eine „nicht unerhebliche Gefährdung der dort Tätigen“ herangezogen werden soll — Feststellungen dazu zu treffen sein werden, wie viele Personen an welchen Tagen auf welche Art und Weise durch das Handeln des Betroffenen gefährdet wurden.

3. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen werden ebenfalls ergänzende Feststellungen zu treffen sein. ……“

Corona I: Befreiung von der Maskenpflicht, oder: „attest-pdf um der Mundschutzpflicht zu entkommen“

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Und heute dann ein wenig Aufarbeitung von Corona. Und dazu zunächst der OLG Celle, Beschl. v. 27.06.2022 – 2 Ss 58/22.

Der Angeklagte ist vom AG Hannover vom Vorwurf des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 279 a.F. StGB freigesprochen worden. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der StA hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen des Tatvorwurfs zu einer Geldstrafe verurteilt sowie die Einziehung der tatgegenständlichen Gesundheitsbescheinigung des Angeklagten angeordnet.

Nach den Feststellungen des LG nahm der Angeklagte am 27.06.2020 in Hannover an einem Autokorso zur Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen teil. Als der vor Ort eingesetzte Polizeibeamte PK M. die Versammlungsleiterin auf die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes hinwies, kam der Angeklagte zu ihm und zeigte ihm unaufgefordert eine Bescheinigung vor, mit der er eine medizinisch bedingte Befreiung von der Maskenpflicht vortäuschen wollte. Die Bescheinigung hatte er zuvor als Formular aus dem Internet heruntergeladen und seinen Namen eingetragen. Es handelte sich um das von dem Arzt Dr. B. in den sozialen Medien mit der Bezeichnung „attest-pdf um der Mundschutzpflicht zu entkommen“ zum Download bereitgestellte Formular. Das Formular war mit „Ärztliches Attest“ überschrieben und enthielt im oberen Bereich den Namen von Dr. B. sowie seine Bezeichnung als Arzt. Ebenfalls im oberen Bereich befand sich der Hinweis „To whom it may concern“. In das Formular war zudem der Scan einer Approbationsurkunde eingefügt, überdies ein leeres Namens- und Adressfeld. Darin musste der jeweilige Verwender nach dem Download des Formulars seine eigenen Personalien einfügen. In dem Formulartext wurde dem Verwender bestätigt, dass das Tragen eines Mundschutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei.

Beim Verwenden des Formulars wusste der Angeklagte, dass bei ihm keine medizinischen Gründe für eine Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorlagen. Auch war ihm bewusst, dass die Bescheinigung ein unrichtiges Gesundheitszeugnis darstellte.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Mit der macht er zum einen geltend, das LG habe seine Verurteilung rechtsfehlerhaft auf die am 24.11.2021 in Kraft getretene Neufassung der §§ 278 und 279 StGB gestützt. Zum anderen sei das LG rechtsfehlerhaft von einem unrichtigen Gesundheitszeugnis ausgegangen. Das von Dr. B. im Internet bereitgestellte Formular sei insoweit nicht hinreichend individualisiert gewesen. Der Formulartext habe überdies lediglich eine allgemein gehaltene, generelle Aussage zur Eignung eines Mund-Nasen-Schutzes enthalten. Die von dem Angeklagten unter Verwendung dieses Formulars selbst erstellte Bescheinigung sei nicht durch einen Arzt unterzeichnet worden und deshalb kein Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 aF StGB. Darüber hinaus sei die abgeurteilte Tat des Angeklagten durch Notwehr gerechtfertigt gewesen, da er nach den Urteilsfeststellungen zum Tatzeitpunkt lediglich an einem Autokorso teilgenommen habe. Angesichts des Fehlens weiterer Feststellungen sei davon auszugehen, dass er alleiniger Insasse eines Fahrzeugs war und deshalb keine rechtliche Grundlage für die polizeiliche Aufforderung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorhanden gewesen sei. Schließlich sei auch die vom Landgericht im Rahmen der Strafzumessung getroffene Erwägung, das Verhalten des Angeklagten habe eine erhöhte abstrakte Gefährdung der Gesundheit anderer Menschen beinhaltet, mangels entsprechender tatsächlicher Grundlage als rechtsfehlerhaft anzusehen.

Die Revision hatte beim OLG Erfolg:

„Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hält der auf die erhobene Sachrüge vorzunehmenden sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Unzutreffend ist der Einwand der Revision, das Landgericht habe die Verurteilung des Angeklagten rechtsfehlerhaft auf §§ 278, 279 StGB in der seit dem 24.11.2021 geltenden Fassung gestützt. Aus den Urteilsgründen ist ersichtlich, dass die Verurteilung vielmehr auf der zum Tatzeitpunkt maßgebliche Fassung der Bestimmung beruht. Dies wird zum einen darin deutlich, dass das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung der Tat des Angeklagten erkennbar auf die Tatbestandsmerkmale der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung von §§ 278, 279 StGB abgestellt hat. Zum anderen hat das Landgericht der Strafzumessung den Strafrahmen von Geldstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe zugrunde gelegt, wie er nach der damaligen Gesetzesfassung von § 279 StGB galt. Während die Neufassung von § 279 StGB die Anwendung dieses Strafrahmens nur dann vorsieht, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften des 23. Abschnitts des Strafgesetzbuches mit schwererer Strafe bedroht ist, enthielt § 279 aF StGB diese Einschränkung nicht. Eine Prüfung, ob die Tat des Angeklagten in den anderen Tatbeständen der §§ 267-282 StGB mit schwerer Strafe bedroht ist, hat das Landgericht indes nicht vorgenommen. Dies spricht ebenfalls dafür, dass es bei der Verurteilung des Angeklagten § 279 aF StGB zugrunde gelegt hat. Soweit das Urteil unter „Angewendete Vorschriften“ die Angabe von § 279 StGB ohne den Zusatz „aF“ enthält (vgl. UA S. 2), handelt es sich mithin um ein bloßes Schreibversehen. Gleiches gilt, soweit in den weiteren Urteilsgründen die Bestimmung des § 279 StGB ohne diesen Zusatz angeführt wird.

2. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist indes in anderer Hinsicht einen Rechtsfehler auf. Denn die getroffenen Feststellungen bieten keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 278, 279 aF StGB. Sie erweisen sich bzgl. der vom Landgericht angenommenen rechtlichen Qualifizierung des vom Angeklagten bei der abgeurteilten Tat dem Polizeibeamten PK M. vorgezeigten „Ärztlichen Attests“ als Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 StGB aF als lückenhaft, weil sich aus ihnen nicht ergibt, ob das Attest unterzeichnet ist.“

Den Rest der umfangreich begründeten Entscheidung bitte selbst lesen. Hier nur noch die (amtlichen) Leitsätze:

1. Ein ärztliches Attest über die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes enthält die konkludente Erklärung des Arztes, dass eine körperliche Untersuchung der genannten Person stattgefunden hat.

2. Wird in einem ärztlichen Attest der darin genannten Person bescheinigt, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 Abs. 1aF StGB.

3. Hat ein Täter das von einem Arzt vorunterzeichnete, in den sozialen Medien zum Download bereitgestellte Blanko-Formular, in dem der noch einzutragenden Person die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes attestiert wird, mit seinen Personalien ergänzt und das vervollständigte Formular gegenüber der Polizei zur Vortäuschung einer bei ihm gegebenen Kontraindikation vorgezeigt, um die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu umgehen, ist eine Strafbarkeit wegen Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 278 Abs. 1aF, 279aF StGB gegeben.

Und dann zur Abrundung noch der BayObLG, Beschl. v. 03.06.2022 – 207 StRR 155/22 – zur Strafbarkeit der Vorlage eines gefälschten Impfpasses zur Erlangung eines Impfzertifikats nach altem Recht. Das BayObLG meint (auch): § 267 StGB wird verdrängt.