Corona I: Befreiung von der Maskenpflicht, oder: „attest-pdf um der Mundschutzpflicht zu entkommen“

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Und heute dann ein wenig Aufarbeitung von Corona. Und dazu zunächst der OLG Celle, Beschl. v. 27.06.2022 – 2 Ss 58/22.

Der Angeklagte ist vom AG Hannover vom Vorwurf des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 279 a.F. StGB freigesprochen worden. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der StA hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen des Tatvorwurfs zu einer Geldstrafe verurteilt sowie die Einziehung der tatgegenständlichen Gesundheitsbescheinigung des Angeklagten angeordnet.

Nach den Feststellungen des LG nahm der Angeklagte am 27.06.2020 in Hannover an einem Autokorso zur Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen teil. Als der vor Ort eingesetzte Polizeibeamte PK M. die Versammlungsleiterin auf die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes hinwies, kam der Angeklagte zu ihm und zeigte ihm unaufgefordert eine Bescheinigung vor, mit der er eine medizinisch bedingte Befreiung von der Maskenpflicht vortäuschen wollte. Die Bescheinigung hatte er zuvor als Formular aus dem Internet heruntergeladen und seinen Namen eingetragen. Es handelte sich um das von dem Arzt Dr. B. in den sozialen Medien mit der Bezeichnung „attest-pdf um der Mundschutzpflicht zu entkommen“ zum Download bereitgestellte Formular. Das Formular war mit „Ärztliches Attest“ überschrieben und enthielt im oberen Bereich den Namen von Dr. B. sowie seine Bezeichnung als Arzt. Ebenfalls im oberen Bereich befand sich der Hinweis „To whom it may concern“. In das Formular war zudem der Scan einer Approbationsurkunde eingefügt, überdies ein leeres Namens- und Adressfeld. Darin musste der jeweilige Verwender nach dem Download des Formulars seine eigenen Personalien einfügen. In dem Formulartext wurde dem Verwender bestätigt, dass das Tragen eines Mundschutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei.

Beim Verwenden des Formulars wusste der Angeklagte, dass bei ihm keine medizinischen Gründe für eine Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorlagen. Auch war ihm bewusst, dass die Bescheinigung ein unrichtiges Gesundheitszeugnis darstellte.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Mit der macht er zum einen geltend, das LG habe seine Verurteilung rechtsfehlerhaft auf die am 24.11.2021 in Kraft getretene Neufassung der §§ 278 und 279 StGB gestützt. Zum anderen sei das LG rechtsfehlerhaft von einem unrichtigen Gesundheitszeugnis ausgegangen. Das von Dr. B. im Internet bereitgestellte Formular sei insoweit nicht hinreichend individualisiert gewesen. Der Formulartext habe überdies lediglich eine allgemein gehaltene, generelle Aussage zur Eignung eines Mund-Nasen-Schutzes enthalten. Die von dem Angeklagten unter Verwendung dieses Formulars selbst erstellte Bescheinigung sei nicht durch einen Arzt unterzeichnet worden und deshalb kein Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 aF StGB. Darüber hinaus sei die abgeurteilte Tat des Angeklagten durch Notwehr gerechtfertigt gewesen, da er nach den Urteilsfeststellungen zum Tatzeitpunkt lediglich an einem Autokorso teilgenommen habe. Angesichts des Fehlens weiterer Feststellungen sei davon auszugehen, dass er alleiniger Insasse eines Fahrzeugs war und deshalb keine rechtliche Grundlage für die polizeiliche Aufforderung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorhanden gewesen sei. Schließlich sei auch die vom Landgericht im Rahmen der Strafzumessung getroffene Erwägung, das Verhalten des Angeklagten habe eine erhöhte abstrakte Gefährdung der Gesundheit anderer Menschen beinhaltet, mangels entsprechender tatsächlicher Grundlage als rechtsfehlerhaft anzusehen.

Die Revision hatte beim OLG Erfolg:

„Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hält der auf die erhobene Sachrüge vorzunehmenden sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Unzutreffend ist der Einwand der Revision, das Landgericht habe die Verurteilung des Angeklagten rechtsfehlerhaft auf §§ 278, 279 StGB in der seit dem 24.11.2021 geltenden Fassung gestützt. Aus den Urteilsgründen ist ersichtlich, dass die Verurteilung vielmehr auf der zum Tatzeitpunkt maßgebliche Fassung der Bestimmung beruht. Dies wird zum einen darin deutlich, dass das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung der Tat des Angeklagten erkennbar auf die Tatbestandsmerkmale der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung von §§ 278, 279 StGB abgestellt hat. Zum anderen hat das Landgericht der Strafzumessung den Strafrahmen von Geldstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe zugrunde gelegt, wie er nach der damaligen Gesetzesfassung von § 279 StGB galt. Während die Neufassung von § 279 StGB die Anwendung dieses Strafrahmens nur dann vorsieht, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften des 23. Abschnitts des Strafgesetzbuches mit schwererer Strafe bedroht ist, enthielt § 279 aF StGB diese Einschränkung nicht. Eine Prüfung, ob die Tat des Angeklagten in den anderen Tatbeständen der §§ 267-282 StGB mit schwerer Strafe bedroht ist, hat das Landgericht indes nicht vorgenommen. Dies spricht ebenfalls dafür, dass es bei der Verurteilung des Angeklagten § 279 aF StGB zugrunde gelegt hat. Soweit das Urteil unter „Angewendete Vorschriften“ die Angabe von § 279 StGB ohne den Zusatz „aF“ enthält (vgl. UA S. 2), handelt es sich mithin um ein bloßes Schreibversehen. Gleiches gilt, soweit in den weiteren Urteilsgründen die Bestimmung des § 279 StGB ohne diesen Zusatz angeführt wird.

2. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist indes in anderer Hinsicht einen Rechtsfehler auf. Denn die getroffenen Feststellungen bieten keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 278, 279 aF StGB. Sie erweisen sich bzgl. der vom Landgericht angenommenen rechtlichen Qualifizierung des vom Angeklagten bei der abgeurteilten Tat dem Polizeibeamten PK M. vorgezeigten „Ärztlichen Attests“ als Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 StGB aF als lückenhaft, weil sich aus ihnen nicht ergibt, ob das Attest unterzeichnet ist.“

Den Rest der umfangreich begründeten Entscheidung bitte selbst lesen. Hier nur noch die (amtlichen) Leitsätze:

1. Ein ärztliches Attest über die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes enthält die konkludente Erklärung des Arztes, dass eine körperliche Untersuchung der genannten Person stattgefunden hat.

2. Wird in einem ärztlichen Attest der darin genannten Person bescheinigt, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 Abs. 1aF StGB.

3. Hat ein Täter das von einem Arzt vorunterzeichnete, in den sozialen Medien zum Download bereitgestellte Blanko-Formular, in dem der noch einzutragenden Person die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes attestiert wird, mit seinen Personalien ergänzt und das vervollständigte Formular gegenüber der Polizei zur Vortäuschung einer bei ihm gegebenen Kontraindikation vorgezeigt, um die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu umgehen, ist eine Strafbarkeit wegen Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 278 Abs. 1aF, 279aF StGB gegeben.

Und dann zur Abrundung noch der BayObLG, Beschl. v. 03.06.2022 – 207 StRR 155/22 – zur Strafbarkeit der Vorlage eines gefälschten Impfpasses zur Erlangung eines Impfzertifikats nach altem Recht. Das BayObLG meint (auch): § 267 StGB wird verdrängt.

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