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StGB II: Drohung mit einem empfindlichen Übel, oder: Scheidung und Rückführung der Ehefrau nach Syrien

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Und als zweite Entscheidung dann der recht „frische“ OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2025 – III-3 Ws 442/24. Es handelt sich um eine „Nichteröffnungsentscheidung“ des OLG. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten Anklage wegen zwei Fällen der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 StGB) sowie wegen zwei Fällen der (vorsätzlichen) Körperverletzung (§ 223 StGB) erhoben und die Eröffnung des Hauptverfahrens vor der großen Strafkammer beantragt.

Das konkrete Tatgeschehen ist in dem veröffentlichten Beschluss im Hinblick auf § 353d Nr. 3 StGB nicht enthalten.

Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen“ abgelehnt und im Übrigen die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – eröffnet. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die teilweise Erfolg hatte. Das OLG hat die eine Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen verneint, die zweite hingegen bejaht. Ich stelle hier aber nur die Ausführungen des OLG zur rechtlichen Würdigung ein, die tatsächliche Würdigung mag bei Interesse selbst gelesen werden. Das OLG führt in soweit aus:

„aa) Unzutreffend ist zwar die Auffassung der Strafkammer, dass die Inaussichtstellung von Scheidung und Rückführung nach Syrien bei dem gebotenen individuell-objektiven Maßstab, wonach auf den Opferhorizont abzustellen ist und der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung zukommt (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2019 – 2 Ws 341/18 – juris – m. Anm. Riedel jurisPR-StrafR 8/2019 Anm. 4; Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Auf., § 240 Rdn. 84, jew. m.w.N.), hier keine Drohung mit einem empfindlichen Übel darstellen könne. Es ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die (damals 24-jährige) Zeugin die Ehe mit dem Angeklagten offenbar nur oder jedenfalls wesentlich auch deswegen eingegangen ist, um im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommen zu können. Der Angeklagte befindet sich schon mehrere Jahre in Deutschland. Die Zeugin hat zum Kennenlernen zwischen ihr und dem Angeklagten angegeben, dass zwischen ihren Eltern und dem Angeklagten ein entfernter Verwandtschaftsgrad bestehe und man sich im Februar 2023 über einen Videochat kennen gelernt habe. Sie und der Angeklagte hätten dort alle zwei Tage miteinander gesprochen. Manchmal sei er in den Gesprächen nett gewesen, teilweise aber auch nicht. Er habe ihr versprochen, in Deutschland zur Schule gehen zu können und Deutsch zu lernen. Im Oktober 2023 habe man in Syrien standesamtlich geheiratet, wobei der Angeklagte per Videochat zugeschaltet gewesen sei. Der Umstand, dass die Zeugin, den Angeklagten, den sie nicht persönlich kannte, und der schon beim Kennenlernen im Videochat nur teilweise „nett“ zu ihr war, gleichwohl geheiratet hat, deutet im Zusammenhang mit dem in Aussicht gestellten Schulbesuch darauf hin, dass die Zeugin sich in ihrer Heimat derart unwohl oder diskriminiert fühlte, dass sie eine Ehe mit dem Angeklagten unter diesen Umständen vorzog, um nach Deutschland zu gelangen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Rückkehr in ihr Heimatland grundsätzlich geeignet sein könnte, ein empfindliches Übel darzustellen. Insoweit wären im weiteren Verfahren freilich noch die konkreten Umstände, die sie bei einer Rückkehr erwarteten (etwa: Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines offenbar erwünschten Schulbesuchs, bzw. Studienwunsches – vgl. Bl. 5. d.A. etc.) zu ermitteln und aufzuklären. Dass der Zeugin bei Rückkehr nach Syrien derartige erhebliche Unzuträglichkeiten durchaus drohen ist aber naheliegend und wahrscheinlich in dem o.g. Sinne, angesichts des Umstands, dass die Zeugin die Umstände, wie Heirat eines nicht persönlich bekannten Mannes, Verlassen des Heimatlandes etc. auf sich nahm. Der Inaussichtstellung solcher diskriminieren Lebensverhältnisse einer jungen Frau, der wesentliche Lebens- und Bildungschancen genommen werden, müsste die Zeugin nach dem Dafürhalten des Senats auch nicht in „besonnener Selbstbehauptung“ (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. § 240 Rdn. 32a) standhalten. Das Nachgeben des Tatopfers, stellt dann keine „ungewöhnliche (Extrem-)Reaktion von Überängstlichen“ dar, welche bei der gebotenen individuell-objektiven Betrachtungsweise auszuklammern wäre (vgl. Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Aufl., § 240 Rdn. 84).

Ist dem so, so handelt es sich durchaus um ein Übel, auf das der Angeklagte nach dem Vorstellungsbild der Geschädigten Einfluss hat, denn nach ihrer Auffassung hängt ihr Aufenthaltsrecht erkennbar mit dem stattgefundenen Familiennachzug, also der Ehe, zusammen, wie auch ihre mehrfache Frage (s. Eindrucksvermerk, Bl. 17 d.A.), ob sie im Falle der Scheidung wieder in ihre Heimat zurück müsse, zeigt. Unerheblich ist dabei, ob der Angeklagte Däne (so die Personalien in der Anklageschrift) oder Syrer (so die Konkretisierung der Anklageschrift) ist. Insofern käme es auf die Frage, ob der Zeugin im Falle einer Rückkehr nach Syrien Tod oder Diskriminierung gedroht hätten, nicht an.

Nur ergänzend und im Hinblick auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft macht der Senat diesbezüglich darauf aufmerksam, dass die bisherigen knappen Ermittlungen nichts dafür ergeben haben, dass der Angeklagte der Zeugin auch in Aussicht gestellt hat, ihre durch ihn angeblich stattgefundene Vergewaltigung in ihrem Umfeld in Syrien publik zu machen. Woher man in Syrien also gewusst haben sollte, dass sie Opfer einer Sexualstraftat gewesen sein soll und nicht lediglich als geschiedene Ehefrau zurückkehrt, erschließt sich nicht aus den Akten. Auch dürfte für die Darlegung einer von der Staatsanwaltschaft angenommenen Verfolgungssituation in Syrien ein Redeausschnitt eines Mitglieds einer syrischen Frauenrechtsorganisation anstelle etwa offizieller Auskünfte des Auswärtigen Amtes o.ä., noch dazu ungeachtet der Betrachtung des konkreten Umfelds, in das die Zeugin, die nach ihren Angaben in Syrien kein Kopftuch trug (was für ein eher gemäßigtes Umfeld sprechen könnte), zurückkehren würde (städtisch/ländlich, islamistisch /liberal etc.), nur wenig aussagekräftig sein. Dies ist bisher völlig unausermittelt.

…..“

Strafe III: Besonders schwerer Fall der Vergewaltigung, oder: Sperrwirkung des Strafrahmens

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Und dann habe ich noch den BGH, Beschl. v. 14.05.2024 – 6 StR 502/23 zum Strafrahmen bei der besonders schwere Vergewaltigung.

Folgende Feststellungen des LG:

„Am Nachmittag des Tattages verwickelte der Angeklagte die im Wald spazierengehende 61-jährige Nebenklägerin in ein Gespräch. Plötzlich „packte“ er die ihm körperlich weit unterlegene Nebenklägerin von hinten, hielt sie mit beiden Armen fest und zog sie vom Hauptweg in einen Waldpfad. Dabei richtete er ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm auf sie, um dadurch einen etwaigen Widerstand der Nebenklägerin gegen die von ihm beabsichtigten sexuellen Handlungen zu unterbinden. Die Nebenklägerin sagte, dass sie „das“ nicht wolle, was den Angeklagten aber nicht dazu veranlasste, von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen. Er sagte, dass er ihr nichts tun werde und sie nur „anfassen“ wolle. Die Nebenklägerin redete weiter auf ihn ein und fragte ihn mehrmals, „warum er ihr nichts tun wolle, wenn er doch ein Messer habe“. Daraufhin warf der Angeklagte das Messer nicht weit vom Hauptweg entfernt ins Gebüsch. Dann drängte er sie weiter in den Wald hinein bis zu einer Lichtung an einem See. Dort zog er seine Hose aus und forderte die Nebenklägerin auf, sich ebenfalls zu entkleiden. Sie sagte mehrfach, dass sie das nicht wolle, erkannte jedoch, dass sie gegen den ihr körperlich überlegenen Angeklagten keine Chance hatte, und folgte aus Angst vor ihm seinen Anweisungen, ihre Bluse hochzuziehen, ihre Hose auszuziehen, ihre Unterhose herunterzuziehen und ihre Beine auseinanderzunehmen.

Der Angeklagte, dem der entgegenstehende Wille der Nebenklägerin bewusst war, berührte zunächst mit seinen Händen ihre nackten Brüste. Dann führte er „zwei oder drei Finger“ in ihre Scheide ein, bewegte diese etwa ein bis zwei Minuten lang hin und her und onanierte dabei vor ihr, ohne eine Erektion zu bekommen und zum Samenerguss zu gelangen.

Nach wenigen Minuten hörte er auf und ließ von der Nebenklägerin ab. Sie zogen sich wieder an, gingen gemeinsam zum Hauptweg zurück und weiter bis zu dem Parkplatz, auf dem die Nebenklägerin ihr Fahrzeug abgestellt hatte. Dabei unterhielten sie sich, und der Angeklagte erzählte ihr viel von sich. Unter anderem sagte er ihr, dass sein Leben „nicht so schön“ sei und er „sich am liebsten die Pistole an den Kopf halten“ würde. Aus Mitleid mit dem Angeklagten vereinbarte die Nebenklägerin ein Treffen mit ihm in einem Biergarten. Sie hatte zunächst nicht vor, zur Polizei zu gehen. Auf dem Heimweg entschied sie sich jedoch um und erstattete Strafanzeige.

Die Nebenklägerin erlitt durch das Verhalten des Angeklagten keine Schmerzen und keine körperlichen Verletzungen. Eine psychologische Behandlung war nicht notwendig. Aufgrund der Tat traut sie sich jedoch nicht mehr, allein wandern zu gehen.“

Das LG hat das Verhalten des vielfach – auch einschlägig – vorbestraften Angeklagten als besonders schwere Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB) angesehen und das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 177 Abs. 9 Variante 3 StGB bejaht. Der Strafzumessung hat es den Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB zugrundegelegt, weil es keinen Anlass dafür gesehen hat, von der Regelwirkung abzusehen, und davon ausgegangen ist, dass der Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB gegenüber dem milderen Strafrahmen des § 177 Abs. 9 Variante 3 StGB sowohl im Hinblick auf die Strafuntergrenze als auch hinsichtlich der Strafobergrenze eine Sperrwirkung entfalte.

Das hat der BGH nicht beanstandet. Nach seiner Auffasung entfaltet der Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB umfassende Sperrwirkung gegenüber demjenigen des § 177 Abs. 9 Variante 3 StGB. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den umfangreich begründeten Beschluss des BGH. Die Entscheidung ist für BGHSt vorgesehen.

Strafe II: „Täter-Opfer-Ausgleichsvereinbarung“, oder: Materielle und immaterielle Folgen „ausgeglichen“?

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Und dann als zweite Entscheidung heute das BGH, Urt. v. 04.01.2024 – 5 StR 540/23. Es geht auch noch einmal um die angemessene Strafe, und zwar in einem Fall, in dem das LG den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung unter Einbeziehung einer früher verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision der StA hatte Erfolg. Der BGh führt aus:

„2. Das Landgericht hat die festgestellte Tat als schweren sexuellen Missbrauch nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (in der Fassung vom 21. Januar 2015, im Folgenden: aF) in Tateinheit mit Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB gewertet. Im Rahmen der Strafzumessung ist es von einem minder schweren Fall ausgegangen und hat eine Ausnahme von der Regelvermutung des § 177 Abs. 6 StGB bejaht. Deshalb hat es die Strafe aus dem Strafrahmen des § 176a Abs. 4 Alt. 2 StGB aF zugemessen. Begründet hat die Jugendkammer dieses Vorgehen damit, dass der Angeklagte zwar mehrfach, aber nicht einschlägig vorbestraft sei, er der tschechischen Polizei einen Hinweis auf den Aufenthalt der Nebenklägerin eröffnet und es keinen Hinweis darauf gegeben habe, dass er über ihre genauen Lebensverhältnisse in Tschechien informiert gewesen sei. Außerdem habe wegen des in der Hauptverhandlung erzielten Täter-Opfer-Ausgleichs der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB vorgelegen; insgesamt sei deshalb die Anwendung des Strafrahmens des minder schweren Falles gerechtfertigt erschienen.

Bei der konkreten Strafzumessung hat die Strafkammer die vorgenannten Umstände erneut berücksichtigt und zusätzlich, dass die Tat schon länger zurückliege und der Angeklagte mit einer Handlung zwei Straftatbestände verwirklicht habe. Sie hat abschließend auf eine Einzelstrafe von einem Jahr und neun Monaten erkannt und mit der Ende 2021 gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die er wegen nach der vorliegenden Tat begangenen Erwerbs und Besitzes von kinder- und jugendpornographischen Schriften verwirkt hatte, eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt. Zur gewährten Aussetzung der Bewährung hat sie lediglich ausgeführt, das Geständnis des Angeklagten, sein fortgeschrittenes Alter und seine gefestigte Stellung im Berufsleben rechtfertigten die Annahme einer positiven Legalprognose, so dass die Strafe nach § 56 Abs. 1 und 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden könne.

II.

Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte – der Teilfreispruch wird in der Revisionsbegründung nicht angegriffen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201) – Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Strafzumessungsentscheidung des Landgerichts weist auch eingedenk des insoweit eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Mai 2021 – 5 StR 120/20 Rn.12, 16) durchgreifende Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

1. Der Ausspruch über die wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung verhängte Strafe hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

Namentlich erweist sich die Begründung der Jugendkammer für die Annahme eines minder schweren Falls im Sinne von § 176a Abs. 4 Alt. 2 StGB aF und für ein Absehen von der Regelvermutung des § 177 Abs. 6 StGB unter mehreren Gesichtspunkten als rechtsfehlerhaft.

a) Das Landgericht durfte den vertypten Strafmilderungsgrund des § 46a StGB nicht zugunsten des Angeklagten berücksichtigen, denn die Annahme der Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs nach Nr. 1 dieser Vorschrift wird von den Urteilsgründen nicht getragen.

Dafür stritt zwar die „Täter-Opfer-Ausgleichsvereinbarung“, in der die mittlerweile volljährige Nebenklägerin die ihr angebotene Zahlung „als ausgleichende Maßnahme“ akzeptierte. Der Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB würde auch nicht grundsätzlich entgegenstehen, wenn die Nebenklägerin dem Angeklagten den Ausgleich dadurch leicht gemacht hätte, dass sie an das Maß der Wiedergutmachungsbemühungen keine hohen Anforderungen gestellt und schnell versöhnungsbereit gewesen wäre, wofür – ohne dass dies ausdrücklich festgestellt worden ist – der Inhalt der Vereinbarung sprechen könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2001 – 3 StR 41/01, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 3; vom 28. Januar 2016 – 3 StR 354/15, NStZ 2016, 401, 402). Diese Umstände enthoben die Strafkammer aber nicht der eigenverantwortlichen Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB tatsächlich vorlagen. Denn für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs darf nicht allein auf die subjektive Bewertung von Opfer und Täter abgestellt werden. Vorrangig ist vielmehr zu prüfen, ob die konkret erbrachten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können (BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – 2 StR 203/18, NStZ-RR 2019, 369, 370). Dies folgt schon daraus, dass überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen Schädigungen ausgleichen und zu einer Genugtuung für das Opfer führen können (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 287/05, NStZ 2006, 275, 276).

Nach diesen Grundsätzen kann hier nicht von einer die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB erfüllenden Leistung des Angeklagten ausgegangen werden. Die Zahlung von lediglich 500 Euro und die vereinbarte weitere Zahlung von 1.000 Euro in monatlichen Raten von nur 50 Euro über den Zeitraum von annähernd zwei Jahren stellen schon auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zur Tat im Ansatz keine angemessene Schmerzensgeldleistung dar. Mit Blick auf die festgestellten Einkommensverhältnisse (der ledige Angeklagte erzielt ein monatliches Einkommen von 2.400 Euro) kann die angebotene Ratenzahlung auch nicht als ernsthaftes Erstreben der Wiedergutmachung angesehen werden.

b) Hinzu kommt, dass – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – die Feststellungen zum Schuldgehalt der Tat lückenhaft sind:….“

StGB II: Ist erzwungener Oralverkehr Vergewaltigung?, oder: Entgegenstehenden Willen eindeutig geäußert?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, behandelt eine Frage in Zusammenhang mit dem Vergewaltigungstatbestand (§ 177 StGB). Ich hatte die Entscheidung, den KG, Beschl. v. 27.12.2023 – 4 ORs 72/23 – 161 Ss 133/23 -, schon einmal vorgestellt, und zwar wegen der Ausführungen des KG zur Einheitsjugendstrafe (vgl. Strafe II: Zwei Entscheidungen aus dem Jugendrecht, oder: Schwere der Schuld und Einheitsjugendstrafe). 

Heute kommt der Beschluss also noch einmal, und zwar wegen der Ausführungen des KG zum materiellen Recht, nämlich zur Frage des Vorliegens einer Vergewaltigung. Konkret geht es darum, ob auch ein Oralverkehr des Opfers an dem Täter unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen kann. Das KG hat die Frage bejaht und sich eingehend mit der Porblematik auseinandergesetzt. Die Verteidigung war insoweit der Auffassung gewesen, ein Oralverkehr des Opfers an dem Täter könne nicht unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen, da der Oralverkehr dessen aktives Handeln erfordere und damit stets dem natürlichen Willen des Opfers entspreche,

Dem hat sich das KG nicht angeschlossen. Ich stelle hier nur den Leitsatz des KG ein/vor. Den Rest bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

Auch ein Oralverkehr des Opfers an dem Täter kann unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen. Es genügt für die Verwirklichung des § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB, dass eine vor der Tathandlung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des Opfers so nachhaltig ist, dass sie die Kraft hat, den durch die Vornahme der sexuellen Handlung entstehenden Eindruck der „Freiwilligkeit“ zu überwinden. Die Beweiswürdigung hat sich in diesen Fällen besonders sorgfältig mit dem gewichtigen Umstand auseinanderzusetzen.

StPO II: „Wesensmäßiger Inhalt der Begehungsform“, oder: Bei Änderung rechtlicher Hinweis erforderlich

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Im zweiten Posting, komme ich dann noch einmal auf den BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22 – zurück. Das ist die „Stealthing“-Entscheidung des BGH, über die ich ja schon berichtet habe (vgl. hier StGB I: Heimlich ungeschützter Geschlechtsverkehr, oder: BGH zur Strafbarkeit des „Stealthing“).

In dem Verfahren hat der BGH aber über das „Stealthing“ hinaus auch zu einer verfahrenrechtslichen Frage Stellung genommen. Das LG hatte den Angeklagten wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Übergriffs sowie sexuellen Übergriffs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Dagegen die Revision des Angeklagten, die hinsichtlich einer Tat mit einer Verfahrensrüge Erfolg hatte:

„I. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand und führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe, da der Angeklagte entgegen § 265 Abs. 1 StPO nicht auf eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen wurde. Die entsprechende, zulässig erhobene Verfahrensbeanstandung ist begründet.

1. Sie beruht auf folgendem in der Revisionsbegründung im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO dargelegten Verfahrensgeschehen: Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift legte dem Angeklagten in Bezug auf die unter II. 1. der Urteilsgründe festgestellte Tat zur Last, eine Vergewaltigung unter Ausnutzung des Umstandes begangen zu haben, dass die Geschädigte nicht in der Lage gewesen sei, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB). Die Verurteilung wegen Vergewaltigung stützt sich hingegen darauf, dass der Angeklagte gegen den erkennbaren Willen der Betroffenen sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen habe (§ 177 Abs. 1 und 6 Satz 2 Nr. 1 StGB). Ein Hinweis auf den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt wurde dem Angeklagten nicht erteilt.

2. Damit ist den Anforderungen des § 265 Abs. 1 StPO nicht genügt.

a) Ein anderes Strafgesetz im Sinne der Norm ist auch eine ihrem Wesen nach andersartige Begehungsform desselben Strafgesetzes, da der Angeklagte vor Überraschungen geschützt werden und Gelegenheit erhalten soll, sich gegenüber einem neuen Vorwurf zu verteidigen. Ob es sich um eine solche andersartige Begehungsform oder lediglich um eine gleichartige Erscheinungsform desselben Tatbestands handelt, bestimmt sich nicht nach äußeren Merkmalen, sondern ausschließlich nach dem wesensmäßigen Inhalt der Begehungsform (BGH, Urteile vom 30. Juli 1969 – 4 StR 237/69, BGHSt 23, 95, 96; vom 20. Februar 1974 – 2 StR 448/73, BGHSt 25, 287, 288 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. März 2018 – 2 StR 328/17, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 23 Rn. 8).

b) Daran gemessen war eine Hinweispflicht gegeben. Es besteht ein wesentlicher Unterschied darin, ob sexuelle Handlungen an einer zur Willensbildung und -äußerung fähigen Person gegen deren erkennbaren Willen oder an einer Person vorgenommen werden, die einen entgegenstehenden Willen nicht bilden oder äußern kann (vgl. auch BeckOK StPO/Eschelbach, 45. Ed., § 265 Rn. 13 ff.; zu mehreren Begehungsformen der Vergewaltigung BGH, Beschluss vom 6. September 2005 – 1 StR 366/05, StV 2006, 5). Für einen verschiedenartigen Wesensgehalt spricht überdies, dass bis zur Neufassung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) der sexuelle Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, der mit der neuen Fassung aufgegriffen werden sollte (s. BT-Drucks. 18/9097 S. 23), gesondert in § 179 StGB geregelt war.

3. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei einem ordnungsgemäßen Hinweis wirksamer als geschehen verteidigt und sich dies auf das Urteil ausgewirkt hätte. Insofern braucht die Möglichkeit einer anderen Verteidigung nicht nahezuliegen; es genügt, dass sie nicht mit Sicherheit auszuschließen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1989 – 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5; Urteil vom 8. Juni 2022 – 2 StR 503/21, juris Rn. 21). So liegt es hier, zumal der Angeklagte seine Einlassung in Bezug auf die Erkennbarkeit eines etwaigen entgegenstehenden Willens hätte vertiefen oder modifizieren können oder gegebenenfalls weitere Beweisanträge zur Äußerungsfähigkeit der betroffenen Nebenklägerin in Betracht gekommen wären….“