StPO II: „Wesensmäßiger Inhalt der Begehungsform“, oder: Bei Änderung rechtlicher Hinweis erforderlich

© bluedesign – Fotolia.com

Im zweiten Posting, komme ich dann noch einmal auf den BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22 – zurück. Das ist die „Stealthing“-Entscheidung des BGH, über die ich ja schon berichtet habe (vgl. hier StGB I: Heimlich ungeschützter Geschlechtsverkehr, oder: BGH zur Strafbarkeit des „Stealthing“).

In dem Verfahren hat der BGH aber über das „Stealthing“ hinaus auch zu einer verfahrenrechtslichen Frage Stellung genommen. Das LG hatte den Angeklagten wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Übergriffs sowie sexuellen Übergriffs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Dagegen die Revision des Angeklagten, die hinsichtlich einer Tat mit einer Verfahrensrüge Erfolg hatte:

„I. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand und führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe, da der Angeklagte entgegen § 265 Abs. 1 StPO nicht auf eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen wurde. Die entsprechende, zulässig erhobene Verfahrensbeanstandung ist begründet.

1. Sie beruht auf folgendem in der Revisionsbegründung im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO dargelegten Verfahrensgeschehen: Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift legte dem Angeklagten in Bezug auf die unter II. 1. der Urteilsgründe festgestellte Tat zur Last, eine Vergewaltigung unter Ausnutzung des Umstandes begangen zu haben, dass die Geschädigte nicht in der Lage gewesen sei, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB). Die Verurteilung wegen Vergewaltigung stützt sich hingegen darauf, dass der Angeklagte gegen den erkennbaren Willen der Betroffenen sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen habe (§ 177 Abs. 1 und 6 Satz 2 Nr. 1 StGB). Ein Hinweis auf den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt wurde dem Angeklagten nicht erteilt.

2. Damit ist den Anforderungen des § 265 Abs. 1 StPO nicht genügt.

a) Ein anderes Strafgesetz im Sinne der Norm ist auch eine ihrem Wesen nach andersartige Begehungsform desselben Strafgesetzes, da der Angeklagte vor Überraschungen geschützt werden und Gelegenheit erhalten soll, sich gegenüber einem neuen Vorwurf zu verteidigen. Ob es sich um eine solche andersartige Begehungsform oder lediglich um eine gleichartige Erscheinungsform desselben Tatbestands handelt, bestimmt sich nicht nach äußeren Merkmalen, sondern ausschließlich nach dem wesensmäßigen Inhalt der Begehungsform (BGH, Urteile vom 30. Juli 1969 – 4 StR 237/69, BGHSt 23, 95, 96; vom 20. Februar 1974 – 2 StR 448/73, BGHSt 25, 287, 288 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. März 2018 – 2 StR 328/17, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 23 Rn. 8).

b) Daran gemessen war eine Hinweispflicht gegeben. Es besteht ein wesentlicher Unterschied darin, ob sexuelle Handlungen an einer zur Willensbildung und -äußerung fähigen Person gegen deren erkennbaren Willen oder an einer Person vorgenommen werden, die einen entgegenstehenden Willen nicht bilden oder äußern kann (vgl. auch BeckOK StPO/Eschelbach, 45. Ed., § 265 Rn. 13 ff.; zu mehreren Begehungsformen der Vergewaltigung BGH, Beschluss vom 6. September 2005 – 1 StR 366/05, StV 2006, 5). Für einen verschiedenartigen Wesensgehalt spricht überdies, dass bis zur Neufassung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) der sexuelle Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, der mit der neuen Fassung aufgegriffen werden sollte (s. BT-Drucks. 18/9097 S. 23), gesondert in § 179 StGB geregelt war.

3. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei einem ordnungsgemäßen Hinweis wirksamer als geschehen verteidigt und sich dies auf das Urteil ausgewirkt hätte. Insofern braucht die Möglichkeit einer anderen Verteidigung nicht nahezuliegen; es genügt, dass sie nicht mit Sicherheit auszuschließen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1989 – 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5; Urteil vom 8. Juni 2022 – 2 StR 503/21, juris Rn. 21). So liegt es hier, zumal der Angeklagte seine Einlassung in Bezug auf die Erkennbarkeit eines etwaigen entgegenstehenden Willens hätte vertiefen oder modifizieren können oder gegebenenfalls weitere Beweisanträge zur Äußerungsfähigkeit der betroffenen Nebenklägerin in Betracht gekommen wären….“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert